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1 (2002), Nr. 1: Inhalt
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Thomas P. Becker

Die "wehmütige Klage" des Hermann Löher
Ein Augenzeugenbericht über die Hexenverfolgung in einer rheinischen Kleinstadt

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In der wissenschaftlichen Literatur zur Geschichte der Hexenverfolgung erfreut sich schon seit vielen Jahrzehnten eine zeitgenössische Schilderung der rheinischen Hexenprozesse großer Beliebtheit, die bis vor kurzem nur an ganz wenigen Stellen dieser Erde zugänglich war. Gemeint ist die "Hochnötige Unterthanige wemutige Klage der Frommen Unschültigen".[1] Nur zwei Exemplare dieses 1676 in Amsterdam gedruckten Buches haben die Zeiten überstanden, eines in der Stadtbibliothek in Amsterdam und das andere in der Gymnasialbibliothek des ehemaligen Jesuitenkollegs in Bad Münstereifel. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es auch noch eine Abschrift in der Bibliothek der Cornell University in den USA. Im Jahre 2000 hat die Stadt Bad Münstereifel eine Faksimile-Ausgabe herausgegeben, die es nun ermöglicht, in größerem Umfang mit dieser wichtigen Schrift zu arbeiten. Mittlerweile ist auf dem "Server Frühe Neuzeit" auch eine HTML-Version verfügbar, die dafür sorgen soll, den Text in einer den heutigen Lesebedürfnissen angepassten Weise international zugänglich zu machen.[2] Auch eine Übertragung des frühneuzeitlichen Textes ins heutige Deutsch ist erschienen.[3] Im Folgenden sollen Aufbau und Inhalt des Werkes ein wenig transparenter gemacht werden, um den Zugriff auf diese Quelle zu erleichtern und zugleich zu ihrer verstärkten Nutzung anzuregen.

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Hermann Löher wurde im Jahre 1595 in Münstereifel im Herzogtum Jülich geboren. Wir wissen, dass er der älteste Sohn des Kaufmanns Gerhard Löher war, aber wir wissen weder den Namen seiner Mutter noch die Anzahl seiner Geschwister. Vom späteren Gewerbe der Löhers in Rheinbach her ist anzunehmen, dass der Vater auch in Münstereifel schon mit Tuchen und Stoffen handelte. In der Marktstadt Münstereifel war seit dem späten Mittelalter die Wollweberei der wichtigste Gewerbezweig. Seit dem 16. Jahrhundert stellte sich eine Tendenz ein, dass die Großkaufleute aus Köln, wo der wichtigste Absatzmarkt für die Münstereifeler Tuche war, direkt bei den Handwerkern einkauften, so dass die örtlichen Händler unter zunehmenden wirtschaftlichen Druck gerieten.[4] Wahrscheinlich war das einer der Gründe dafür, dass die Familie Löher im Jahre 1601 in das Städtchen Rheinbach im Kurfürstentum Köln übersiedelte. Rheinbach war zwar von Münstereifel aus die nächste erreichbare Stadt, aber ihre Struktur war deutlich anders. Weder gab es hier ein bedeutendes Kloster oder Stift, noch lebte die Stadt von Handel und Gewerbe. Vielmehr war Rheinbach eine Ackerbürgerstadt mit nur wenigen Krämern oder gar Fernhändlern. Die Löhers gehörten damit wirtschaftlich zur Rheinbacher Oberschicht, und das ermöglichte es ihnen offensichtlich, bald auch zur gesellschaftlichen Oberschicht zu gehören. Schon 1610 war Gerhard Löher Bürgermeister von Rheinbach, was zweifellos nur nach dem Durchlaufen verschiedener vorheriger Ämter möglich gewesen ist. Vermutlich hatte Gerhard Löher also bereits vor seiner Übersiedlung gute Verbindungen zu den führenden Rheinbacher Kreisen. Entsprechend den Gepflogenheiten der Zeit blieb er in der Gruppe der regierenden Personen, wurde 1620 Schöffe am Rheinbacher Gericht und damit zugleich Rat der Stadt. Sein Sohn Hermann war natürlich ebenfalls für die Laufbahn als Schöffe und Bürgermeister vorgesehen. Er besuchte die Rheinbacher Pfarrschule, so dass er neben dem Katechismus Lesen, Schreiben und Rechnen lernte, ging allerdings nicht auf eine Lateinschule oder gar auf ein Kolleg oder die Kölner Universität. Statt dessen trat er 1610, als der Vater das Bürgermeisteramt versah, als Fünfzehnjähriger in das väterliche Geschäft ein. Mit 23 Jahren heiratete Hermann Löher ein Mädchen aus dem Nachbarort Flerzheim, Kunigunde, die Stieftochter des dortigen Schultheissen Matthias Frembgen. Dem ältesten Sohn Bartholomäus folgten bis 1634 noch sieben weitere Geschwister. 1619, ein Jahr nach seiner Hochzeit, erlangte Hermann Löher das Rheinbacher Bürgerrecht, 1625, als der Vater starb, übernahm er offensichtlich alleine das Geschäft. Zwei Jahre später, 1627, wurde Löher für ein Jahr Bürgermeister von Rheinbach, 1631 begann für ihn die Zeit als Schöffe im siebenköpfigen Schöffenkollegium des Rheinbacher Gerichts. Über all diese Details seiner Biographie gibt Hermann Löher in seinem Buch Auskunft, wenn auch meist verstreut und zwischen andere Themen geschoben.

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1631 war zugleich das Jahr, in dem zum ersten Mal in Rheinbach Hexenprozesse eröffnet wurden. Durch Verfolgungen in benachbarten Orten des Herzogtums Jülich angestoßen, beschließen Schultheiß und Schöffen des Rheinbacher Gerichts, eine Klage gegen eine arme Bauernmagd anzunehmen. Diesem ersten Prozess folgt ein weiterer gegen eine unbemittelte alte Frau namens Grete Hardt, dann wird als drittes Opfer die reiche Kauffrau und Witwe Christina Böffgens angeklagt, die Löher gut bekannt ist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird vom Amtmann Heinrich Degenhard Schall zu Bell (dem Bruder des berühmten Jesuiten und Chinareisenden) in Bonn ein Hexenkommissar zur Beratung des Gerichts angefordert. Es ist der berüchtigte Dr. Franz Buirmann, der zu diesem Zeitpunkt schon über 50 Todesurteile in Bonn und Umgebung bewirkt hat. Die Erinnerungen Löhers, der seine "wehmütige Klage" im Amsterdamer Exil aus jahrzehntelangem Abstand geschrieben hat, sind über weite Strecken eine Auseinandersetzung mit der dämonischen Gestalt dieses Mannes, der als juristischer Berater nach Rheinbach kommen sollte, der sich aber in Wahrheit sogleich zum Herrn über die Gerichtsverfahren aufschwang und die Schöffen mit Drohungen und Verhaftungen einschüchterte. Seine Methoden der uneingeschränkten Folter unter bewusster Missachtung der kaiserlichen Halsgerichtsordnung und der Abforderung von Blanko-Haftbefehlen führt zum Protest des ältesten Schöffen Herbert Lapp und des kurfürstlichen Vogts Dr. Andreas Schweigel. Beide bezahlen dafür mit ihrem Leben, denn sie werden der Hexerei bezichtigt und durch die Folter zum Geständnis gezwungen. Auch gegen Anna Kemmerling, die Frau eines weiteren Schöffen, wird ein Verfahren eröffnet, ohne dass ihr Mann es wagen kann, dies zu verhindern, wenn er nicht selber angeklagt werden will. Er stirbt bald darauf an seinem Kummer. Auch die Schöffen Richard Gertzen und Hermann Löher laufen nun Gefahr, in den Sog der innerörtlichen Auseinandersetzungen zu geraten, die durch die Hexereianklagen ausgetragen werden. Als der Stiefvater von Löhers Ehefrau, der Flerzheimer Richter und Ortsvorsteher Matthias Frembgen, auf den Scheiterhaufen kommt, braut sich auch über den Löhers ein Gerücht zusammen. Mit Bestechung gelingt es Hermann, den Amtmann für sich einzunehmen und so Schutz vor Verhaftung zu erlangen. Als sich aber in der zweiten Prozesswelle (die erste war von 1631 bis 1632 gegangen und hatte wegen etlicher Unregelmäßigkeiten zur Abberufung von Franz Buirmann geführt), die 1636 begann, das Gerede in Flerzheim immer mehr gegen die Witwe des verbrannten Schultheissen, die Mutter von Hermanns Frau Kunigunde, richtete, beschloss die Familie die Flucht. Über Köln und Wesel rettete sich Hermann zusammen mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter nach Amsterdam, wohin auch der Schöffe Richard Gertzen mit seiner Frau floh.

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Die sieben Schöffen stellten zusammen mit weiteren sieben Deputierten aus dem Handwerkerstand den Rheinbacher Stadtrat. Von den Schöffen, die 1631 beim Ausbruch der Hexenverfolgung im Amt waren, waren 1638, als die Prozesse aufhörten, zwei tot und zwei geflohen, ein weiterer ein psychisches Wrack. Die beiden übrigen Schöffen hatten von Anfang an mit dem Amtmann und dem Hexenkommissar gemeinsame Sache gemacht, sie gehören zu der Fraktion derer, die in Rheinbach Profit aus der Verfolgung zogen. Die meisten Umstände dieser Verfolgung bleiben unklar, denn Prozessakten sind nicht erhalten, und wir sind zur Überprüfung der Schilderungen Hermann Löhers auf die Ergebnisprotokolle der kurkölnischen Hofratsprotokolle angewiesen. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass in den drei Ortschaften Rheinbach, Meckenheim und Flerzheim zusammen über 100 Menschen wegen Hexerei verbrannt worden sind.

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Dies ist der Hintergrund für das über 600 Seiten starke Buch, das Löher in seinem Amsterdamer Exil schrieb. Er setzte sich allerdings nicht gleich nach seiner Ankunft im Exil an den Schreibtisch. Ganz im Gegenteil: Die Geschehnisse, die sein Leben so vollständig verändert und ihn aus der sichtlich geliebten und vermissten rheinischen Heimat nach Holland verschlagen hatten, haben ihn offensichtlich zwar unablässig beschäftigt. Aber er hatte zunächst einmal einen neuen Lebensunterhalt für sich und seine Angehörigen zu schaffen. Auch in Amsterdam ließ er sich als Kaufmann nieder, aber während er in Rheinbach zur reichen Oberschicht gehört hatte, war er in Amsterdam nur noch ein unbedeutender Krämer. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er sich in der ganzen Zeit in Amsterdam mit dem Plan beschäftigte, ein Buch über die Rheinbacher Hexenprozesse zu schreiben. Einer seiner Freunde, der Täufer Abraham Palingh, brachte schon 1659 ein Buch zu diesem Thema heraus, dem er zur besseren Anschaulichkeit der Vorgänge in Folterkammern einige Stiche beifügte. Es sind die Stiche, die auf die Schilderungen in Löhers "wehmütiger Klage" passen und später auch in dieses Werk eingefügt werden. Mit anderen Worten: Löher hat bei einem Stecher in seiner Nachbarschaft schon gut fünfzehn Jahre vor der endgültigen Niederschrift seines Buches die Illustrationen in Auftrag gegeben. Vermutlich hat er auch schon viel früher erste Manuskriptversuche gemacht. Aber die eigentliche Abfassung nahm er doch erst als alter Mann von 80 Jahren in Angriff.

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Das Buch beginnt mit einer Vorrede. Damit hat Löher allerdings keineswegs begonnen, wie sich aus Datierungen ergibt, die der Autor selbst im Manuskript immer wieder vornimmt. So spricht er schon auf der ersten Seite seiner Vorrede vom Jahr 1676, in dem dieser Text abgefasst worden sei. Die ersten Kapitel seiner "wehmütigen Klage" hat Löher aber schon 1675 geschrieben, wie er uns an verschiedenen Stellen mitteilt. Der Leser erlebt das Buch dadurch als "work in progress". Immer wieder weist ihn der Autor darauf hin, an welchem Tag er die Zeilen abgefasst habe oder dass er nun schon die ersten Kapitel aus der Druckerei zurückerhalten habe. Das ursprüngliche Manuskript, 1675 begonnen, fing wahrscheinlich mit dem jetzigen ersten Kapitel an, das erst nach zwei verschiedenen Vorreden kommt. Ab hier beginnt die Seitenzählung mit normalen arabischen Ziffern. Die vorangestellten Kapitel haben eine mit einem bzw. zwei Asterisken versehene Zählung, und die aufwändige Gestaltung mit größeren Schrifttypen gibt der ersten Seite des ersten Kapitels ebenfalls das Gepräge einer Titelseite. Hier also wird dem ersten Entwurf nach das Buch begonnen haben. Schon im ersten Kapitel (pag. 7) erfahren wir, dass dieser Teil 1675 entstand. Diese ersten Kapitel haben die Aufgabe, die Geschehnisse in Rheinbach in den Jahren von 1631 bis 1636 zu schildern.

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Das erste Kapitel ist dabei noch eine Art innere Vorrede. Nachdem im Endstadium des Buches ja nun schon zwei Vorreden vorbei sind, war das eigentlich überflüssig, aber Löher hat seine Kapitel offensichtlich nicht mehr überarbeitet, wie sich auch an vielen Stelle zeigt, in denen er Namen oder Seitenzahlen offen gelassen hat. Vielleicht sind aber die beiden Exemplare, die nach Löhers Tod der Vernichtung entgangen sind, noch gar nicht die Endfassung, sondern sozusagen "Korrekturfahnen", die nicht mehr handschriftlich überarbeitet worden sind. Dieses erste Kapitel, die "Ur-Vorrede" des Buches, ist ein Text, in dem Löher einen Stich erläutert, in der eine Gerichtsszene zu sehen ist, über der die geistlichen und weltlichen Herrscher vom Kaiser auf der rechten bis zum Papst auf der linken Seite hierarchisch geordnet thronen. Es sind dies die Adressaten, an die Löher in seiner "Klage" immer wieder appelliert, um sie für ein Verbot der Hexenprozesse einzunehmen. Er schickt dieser Erörterung seine These voraus, dass die "falschen Zauberrichter", wie Löher die kurfürstlichen juristischen Kommissare immer wieder nennt, die Hexenprozesse nur mit Lügen und erfolterten Geständnissen betreiben, und dass nichts davon wahr sei. Ausdrücklich wendet er sich in diesem ersten Kapitel gegen das Buch des westfälischen Hexenkommissars Heinrich von Schultheiß. Er ist einer jener "falschen Zauberrichter", die Löher seinem Leser gleich näherbringen will.

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"Der ander F. Z. Richter" wie Löher abkürzend schreibt, ist Doktor Franz Buirmann aus Euskirchen, den er im zweiten Kapitel seines Buches einführt. Buirmann, der ja einer der berüchtigtsten Hexenkommissare im Rheinland gewesen ist, dominiert die Schilderungen des Buches in ganz besonderer Weise. Löher muss noch nach vierzig Jahren die Demütigung und die Hilflosigkeit gespürt haben, in die er durch das erbarmungslose und fanatische Wesen dieses dämonischen Menschen versetzt wurde. Besonders im zweiten und dritten Kapitel liefert Löher eindringliche Schilderungen der gespenstischen Atmosphäre im Gerichtssaal und vor allem in der Folterkammer, die so nicht ihresgleichen haben. Der Konflikt zwischen den ungebildeten und dem alten Herkommen verhafteten Schöffen, die mithelfen müssen, Nachbarn aus ihrer eigenen sozialen Schicht, ja sogar Angehörige der eigenen Familie verhaften und foltern zu lassen, wird von Löher mit großer Eindringlichkeit geschildert. Besondere Authentizität sollen diese Schilderungen noch einmal dadurch gewinnen, dass sie im fünften Kapitel (während das vierte Kapitel einen ersten Exkurs zum Thema "Wahrsager" darstellt) durch einige Briefe ergänzt werden, die Löher 1636 und 1637 (die Jahreszahl 1647, die unter einem der Briefe steht, ist mit Sicherheit ein Setzfehler) aus Rheinbach erhalten hat. Das sechste Kapitel setzt die Schilderungen aus Rheinbach fort und widmet sich insbesondere der Verhaftung des ältesten Schöffen und Schöffensprechers Herbert Lapp.

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Damit ist der erste Teil des Buches beendet. Die folgenden zehn Kapitel sind den Werken von Gegnern und Befürwortern der Hexenverfolgung gewidmet. Allerdings liegt das zehnte Kapitel quer zu diesem Aufbau, denn hier beginnt Löher unvermittelt, biographische Angaben über sein ganzes Leben zu machen. In den Kapiteln sieben und acht hat Löher sich auf Passagen aus Friedrich Spees "Cautio Criminalis" eingelassen, die er freilich nicht immer so zitiert, wie er sie vorgefunden hat, weil er sie mit seinen eigenen Kommentaren vermischt. Das neunte Kapitel ist ebenfalls dem Buch eines Verfolgungsgegners gewidmet, der "Peinbank" des Niederländers Daniel Jonktys.[5] Im elften Kapitel kommentiert und kritisiert Löher dann zum ersten Mal die Schrift eines Verfolgungsbefürworters, des Sittarder Pfarrers Franz Agricola. Hier lässt Löher als Gegenbeispiel gegen die Argumente Agricolas immer wieder Rheinbacher Erinnerungen einfließen, die so, über das Kapitel verteilt, einzelne Informationsschnipsel liefern, die sehr wertvoll die bisherigen Schilderungen ergänzen, wie etwa die ärgerlichen Auslassungen Buirmanns über die Behinderung der Hexenjustiz durch die jülichische Regierung, die durch den Rheinbacher Vogt Andreas Schweigel dazu verleitet worden war.[6] Das zwölfte und dreizehnte Kapitel dann kehren zur Wiedergabe der Verfolgungsgegner-Argumente zurück, allerdings in einer ganz besonderen Weise. Löher nimmt hier in sein Buch das Manuskript des sauerländischen Pfarrers Michael Stappert auf, das auf Umwegen zu ihm nach Amsterdam gelangt ist. Diese Schrift, der sogenannte "Brillen-Marter-Traktat" ist außer bei Löher sonst nirgendwo überliefert. Es ist ein Tatsachenbericht, der nüchtern, Fall für Fall, Hexenprozesse in Hirschberg und Umgebung schildert. Um auch hier wieder die Rheinbacher Sicht hineinzubringen, hat Löher im (sehr kurzen) vierzehnten Kapitel weitere Schilderungen aus Rheinbach angeführt, bisweilen Wiederholungen früherer Erzählungen, bisweilen neue Hinweise und Schilderungen. Im fünfzehnten Kapitel nimmt Löher die Kommentierungen wieder auf, indem er nach einem kurzen Exkurs zu Bodin sich nun vor allem gegen den "Processus juridicus contra sagas" wendet, der angeblich von Paul Laymann geschrieben worden sein soll. Und so geht es nun weiter. Löher arbeitet sich an Pseudo-Laymann, Agricola und Schultheiß entlang, kommentiert und konterkariert die Argumente immer wieder mit seinen Rheinbacher Erlebnissen, schiebt ab und zu ein kurzes Reflexionskapitel dazwischen,[7] bleibt aber insgesamt seiner Methode treu. Ab dem neunundzwanzigsten Kapitel dient ihm die "Cautio Criminalis" (deren Autor er nicht mit Namen kennt) wieder als Leitfaden, ansonsten bleibt alles beim alten.

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Dann ist mit dem dreiunddreißigsten Kapitel das Buch aus. Oder es wäre aus, wenn der Autor sich von ihm hätte trennen können. Vermutlich zu diesem Zeitpunkt (etwa November-Dezember 1676) sind auch die Vorreden geschrieben worden, die nun am Anfang des Buches stehen, eine erste, die den Plan des Buches und den Gegenstand der Erörterung schildert, und eine zweite, religiös gefasste, die einerseits durch die Besprechung der Zauberei-Erwähnungen in der Heiligen Schrift eine ganz enorme Bibelkenntnis unter Beweis stellt [8] und zugleich seine persönliche Frömmigkeit demonstriert, indem Löher auch seine Morgen- und Abendgebete mitteilt. Das Buch, das ja eigentlich eine Anklageschrift gegen Hexenverfolgung ist, wird so unvermittelt auch zur Quelle für Frömmigkeitsgeschichte. Da diese zweite Vorrede so gar nicht zu der ersten Vorrede und auch nicht zu dem nachfolgenden Kapitel passt, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir es hier mit der nächsten Bearbeitungsschicht zu tun haben. Sicher ist diese zweite Vorrede erst dann eingefügt worden, als der Rest schon druckfertig war: Der Rest bis zum 33. Kapitel jedenfalls. Denn hinter diesem Kapitel wird auch wieder jede Menge angefügt. Als "zweyter Appendix" erscheint nach dem Inhaltsverzeichnis ein weiteres Kapitel, in dem Erörterungen allgemeiner Art zur "Cautio Criminalis" durch Schilderungen der Rheinbacher Vorfälle abgelöst werden, die in Einzelheiten über die bisherigen Informationen hinausgehen, und dann werden auch wieder die teilweise schon bekannten Briefe abgedruckt. Dem folgt noch ein dritter Appendix, darauf dann ein "Verfolg auf den dreyten Appendix", geschrieben nach dem 16. Dezember 1676, die auch in dieser Weise vom Allgemeinen der Hexenverfolgung zum Besonderen der Rheinbacher Verhältnisse gelangen, dann endlich konnte der Autor sich von seinem Werk losreißen und es gänzlich drucken lassen.

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Durch dieses Ummanteln des eigentlichen Kerns, der Schilderung der Rheinbacher Hexenverfolgung und der Kommentierung der zeitgenössischen dämonologischen Literatur, mit Vor- und Nachreden, aber auch durch das Verschachteln von allgemeinen Erörterungen und lokalen Erzählungen, ist die "wehmütige Klage" eine überaus schwer lesbare Lektüre. Das Buch ist jedoch alles andere als langweilig. Stilistisch ist es von einer ganz besonderen Qualität, denn in einer für dieses Genre ganz ungewöhnlichen Weise versteht es Löher, die Ereignisse, an denen er selber beteiligt war, anschaulich und geradezu packend zu schildern. Szenen wie der Tod von Christina Böffgen im dritten Kapitel oder die Schilderung der Verhaftung des Schöffen Herbert Lapp gehen schon über das Romanhafte hinaus und erinnern mit ihren fast in wörtlicher Rede wiedergegebenen Schilderungen an ein Theaterstück. Es gilt, diese Stellen inmitten der langen Passagen aus anderen Büchern und Traktaten erst einmal zu entdecken. Macht man sich aber die Mühe, dann wird man belohnt durch die besondere Anschaulichkeit der Schilderungen und durch die besondere Perspektive einer Quelle, die das Geschehen in einem Hexentribunal nicht aus dem Blickwinkel des Angeklagten und auch nicht aus der erhabenen Perspektive des juristischen Lehrbuchs zeigt, sondern aus der Innensicht eines Schöffen heraus, der im Verlauf seines Lebens sowohl Hexenjäger war als auch Gejagter.

Anmerkungen

1Hochnötige Unterthanige wemutige Klage Der Frommen Unschültigen; Worin alle Hohe und Nidrige Oberkeit/ sampt ihren Unterthanen klärlich/ Augenscheinlich zu sehen und zu lesen haben/ wie die arme unschültige fromme Leute durch Fahm und Ehrenrauben von den falschen Zauber-richtern angegriffen/ durch die unchristliche Folter- und Pein-banck von ihnen gezwungen werden/ erschreckliche/ unthunliche Mord- und Todt-Sünden auff sich selbsten und anderen mehr zu liegen/ und sie ungerechtlich/ falschlich zu besagen. Welches auch die Herren Herren Tannerus/ Cautio Criminalis/ Michael Stapirius/ härlich bekräfftigen. Mit unterschiedlichen schönen Kupfferstücken nach dem leben zierlich abgebildet. Alles mit großem Fleiß und Mühe/ zu Trost und Heyl der frommen Christ-Catholischen Leuten zu sammen gestelt: Durch Hermannum Loher Der Stadt Amsterdam Bürger. Gedruckt zu Amsterdam. Vor dem Auctor/ bey Jacob de Jonge Anno 1676.
2http://www.sfn.uni-muenchen.de/loeher/
3Hermann Löher: Wehmütige Klage der frommen Unschuldigen. Ein Schöffe kritisiert die Hexenjagd. Übertragung aus dem Frühneuhochdeutschen von Dietmar K. Nix, Köln 1995.
4Wolfgang Herborn: Kleinstädtisches Tuchmachergewerbe im Kölner Raum bis in die frühe Neuzeit: Deutz, Münstereifel, Siegburg, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 27 (1987/88), 59-82.
5Daniel Jonktys: De pyn-banck wedersproken en bematiget, Amsterdam (um 1650).
6Löher: Wehmütige Klage, 221.
7Zum Beispiel Kapitel 21 mit der Erzählung vom Werwolf "Jakob die Faust" oder Kapitel 31 mit der Schilderung des abergläubischen Zustandekommens des Hexereiverdachts gegen Anna Kemmerling.
8Die Bibelkenntnisse sind für einen Katholiken vielleicht ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass Löher diese trotz seiner vielfach beteuerten Treue zur römisch-katholischen Kirche aus der alten deutschen Züricher Bibel seines Vaters nimmt.

Empfohlene Zitierweise:

Thomas Becker: Die "wehmütige Klage" des Hermann Löher. Ein Augenzeugenbericht über die Hexenverfolgung in einer rheinischen Kleinstadt, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 1 [08.07.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/becker/becker.html>

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