Magdalene Heuser
"Eine ziemlich ununterbrochne Folge meines sehr lebendigen Schicksals, in meinen Briefen": Die Briefausgabe Therese Huber
<1> In der Arbeitsstelle Therese Huber am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück (Leitung: Prof. Dr. Magdalene Heuser) wird seit etwa 1987/90 eine auf neun Bände angelegte wissenschaftliche "Briefausgabe Therese Huber" (= BTH) vorbereitet. Sie erscheint im Niemeyer-Verlag in Tübingen. Zwei Bände liegen inzwischen vor; ein dritter befindet sich im Druck. [1] Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Edition bietet ein für die deutsche Kulturgeschichte und Biographieforschung um 1800 nach Umfang, Kontinuität und Inhalt ungewöhnlich reiches Quellenmaterial. Außerdem wird in der Arbeitsstelle auch die Reprintausgabe der Romane und Erzählungen von Therese Huber erarbeitet. Sie erscheint seit 1989 im Olms-Verlag in Hildesheim (Reihe: Frühe Frauenliteratur in Deutschland). [2]
<2> Therese Heyne-Forster-Huber (1764-1829) war eine außerordentliche Frau nach Biographie, Werk und Wirkung in ihrer Zeit. Sie war Schriftstellerin (Romane, Erzählungen, Reisebeschreibungen, Essays), Übersetzerin, Redakteurin von Johann Friedrich Cottas "Morgenblatt für gebildete Stände" und Briefschreiberin. Sie war die älteste und die Lieblingstochter von Christian Gottlob Heyne (1729-1812), des seinerzeit bedeutenden Altphilologen und wohl einflussreichsten Professors der Mitte des 18. Jahrhunderts gegründeten und bald weltberühmten Universität in Göttingen. In erster Ehe heiratete sie den Natur- und Völkerkundler Georg Forster (1754-1794), mit dem sie 1785-1787 zunächst in Wilna/Polen, 1787-1788 vorübergehend wieder in Göttingen und 1788-1792 in Mainz während der Zeit der Französischen Revolution und der Vorbereitung der Mainzer Republikgründung lebte. In zweiter Ehe heiratete sie den Schriftsteller und Redakteur Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804), mit dem sie 1794-1798 in dem kleinen Dorf Bôle bei Neuchâtel, 1798-1804 in Stuttgart und 1804 in Ulm lebte. Als Witwe wohnte Therese Huber zunächst lange bei der Familie ihrer zweiten Tochter Claire von Greyerz: 1805-1807 in Stoffenried und 1807-1816 in Günzburg. Ende 1816 übersiedelte sie nach Stuttgart, wo sie die Redaktion von Cottas "Morgenblatt für gebildete Stände" übernahm und bis zu ihrem Umzug nach Augsburg 1823 erfolgreich führte. Dort ist sie, fast erblindet, 1829 gestorben. Therese Huber hat zehn Kinder geboren, von denen vier das Erwachsenenalter erreicht haben: Therese Forster (1786-1862), die unverheiratet geblieben und Erzieherin geworden ist; Claire Forster (1789-1839), seit 1805 mit dem Forstmeister/Oberförster Gottlieb von Greyerz (1778-1855) verheiratet; Luise Huber (1795-1831), die nach nur kurzer Ehe (1813) mit dem Forsttaxator/Materialbuchhalter Emil von Herder (1783-1855) von diesem zunächst getrennt lebte, 1816 von ihm geschieden wurde und ihn 1822 wieder heiratete; Victor Aimé Huber (1800-1869), Reiseschriftsteller, Gymnasialprofessor und Sozialreformer.
<3> Lebenslauf, Werk und Wirkung von Therese Huber sind, wie bereits erwähnt, für eine Frau ihrer Zeit in mancher Hinsicht untypisch. Zu ihrer Entwicklung haben günstige Umstände und eigene Willens- und Leistungsfähigkeit beigetragen. Sie besaß eine für Frauen ihrer Generation ungewöhnliche, autodidaktisch und unsystematisch erworbene Bildung, weil sie das Glück hatte, in einer Universitätsstadt als Professorentochter aufzuwachsen. Dort hatte sie einen nahezu uneingeschränkten Zugriff auf die Bestände der Universitätsbibliothek, die unter der Leitung ihres Vaters stand. Sie verfügte über ein außergewöhnlich breites Spektrum an Orts-, Länder- und Menschenkenntnis. Sie war sowohl Ehefrau, Hausfrau und Mutter als auch im heutigen Sinne als Schriftstellerin und Redakteurin berufstätig. Sie hat lebenslang sehr viel gelesen, allein und im Kreise ihrer Kinder, und darüber in ihren Briefen reflektiert. Als Schriftstellerin, Übersetzerin und Redakteurin war sie unermüdlich tätig, erfolgreich und in ihrer Zeit anerkannt. Schließlich hat sie viele, zum Teil ausführliche und über Jahrzehnte kontinuierliche Korrespondenzen mit der Familie, Freunden und zahlreichen berühmten Zeitgenossen geführt, die vom Doppelcharakter ihrer durch Familienleben und Berufstätigkeit bestimmten Lebensführung geprägt sind.
<4> Das inhaltliche Spektrum von Therese Hubers Korrespondenz ist - ihren komplexen Lebenszusammenhängen entsprechend - sehr breit und sicher breiter gestreut als in vergleichbaren Briefwechseln von Männern. Sie schrieb ebenso über Ereignisse, Personen und Belange des Alltags wie über allgemeine Themen von intellektuellem Interesse: über den Sauerampfer und das benötigte Stück Stoff, Geselligkeit und Gesellschaft, die Leseabende in der Familie und ihre Lektüre, über ihre eigenen literarischen Arbeiten und Pläne, Personen und Schicksale, über die Sprachentwicklung ihrer Kinder, Erziehungsmaximen und -methoden zur Ausbildung ihrer ältesten Tochter und zur Unterstützung von Philipp Emanuel von Fellenbergs Erziehungsanstalt in Hofwil bei Bern, über Geburt, Krankheit, Tod und die Auswirkungen von Kriegen und Politik (sie stand im Gegensatz zur aufkommenden deutschnationalen Bewegung) sowie über ihre Gefühle und Erinnerungen. Die genannten Themen kommen adressaten- und situationsabhängig in unterschiedlicher Gewichtung vor.
<5> Für die Konzeption der auf neun Bände angelegten BTH sind folgende Prinzipien leitend: Vollständigkeit (unter Einbeziehung des EDV-Mediums), Benutzerfreundlichkeit und Rekonstruktion des zeitgeschichtlichen Kontextes, in dem diese Briefe geschrieben und gelesen wurden. Die Briefausgabe erfasst alle (überwiegend handschriftlich) überlieferten, etwa 4.500 Briefe von Therese Huber. Doch kann man davon ausgehen, dass damit nur ein Bruchteil der Gesamtkorrespondenz bekannt ist. Die Briefe werden zum größten Teil vollständig abgedruckt und mit Erläuterungen versehen. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Briefe wird in Form einer kurzen Inhaltsangabe (Regest) wiedergegeben; Textgrundlagen, Personen und literarische Werke werden jedoch auch hierzu nachgewiesen. Nach Abschluss der Printausgabe (etwa 2008/09) soll auch der vollständige Wortlaut der Regesten präsentiert werden, und zwar auf elektronischen Datenträgern. [3]
<6> Therese Hubers Briefe - von denen bisher nur wenige und verstreut veröffentlicht wurden - sind im deutschsprachigen Raum einzigartige Zeugnisse reflektierter literarischer, politischer, pädagogischer und sozialer Lebensverhältnisse des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Sie werden durch die BTH erstmalig vollständig in einer wissenschaftlichen, kommentierten Ausgabe erfasst und bieten somit ein unschätzbares Quellenmaterial für Forschungen in den verschiedenen historischen Disziplinen. [4]
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