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Sabine Fabo
Das Museum lebt? Der Diskurs der Vernetzung im virtuellen
Kunstraum
Kunstwerke sowie ihre Präsentation und Vermittlung werden
zunehmend von digitalen Technologien unterstützt. Virtuelle Ausstellungen,
Internet-Projekte und komplexe Datenarchive stellen das Kunstwerk in einen
medialen Kontext, der weit über das Moment einer technischen Reproduzierbarkeit
hinausgeht. Das allgegenwärtige Konzept der Vernetzung dynamisiert Kunst, ihre
Rezipienten und Ausstellungsorte. Die Beziehungen zwischen diesen Feldern werden
mit Hilfe physiologischer Metaphern definiert und visualisiert. Frühere
Speicher und Archive geraten in einen prozessualen Sog, in dem alles fluktuiert,
sich kurzweilig verknüpft, auflöst und in permanente Dialoge mit seiner
Umgebung tritt - das virtuelle Museum gerät in aktuellen Standortbestimmungen
in die definitorische Nähe des Künstlichen Lebens.
<1> Mit der zunehmenden Realisation digital gestützter
Kommunikationsnetzwerke hat sich ein Diskurs der Vernetzung etabliert, der
weit über die medialen Grenzen des Internets hinausgeht. Vernetzt-Sein ist
inzwischen zu einer Lebenshaltung avanciert, die weite publizistische
Verbreitung findet. Die große Akzeptanz des Netzmodells geht in ihrer
zeitlichen Einbettung einher mit einem Diskurs über Künstliche Intelligenz
und Künstliches Leben, der nicht mehr ausschließlich in Expertenkreisen
geführt wird, sondern sich bildträchtig in unserer visuellen Kultur
platziert. Die Renaissance der Positionierung des Gehirns als zentrales
menschliches Organ führt zu einer Engführung von biologischem Leben und
technisch gestützter Kommunikation. Die Prozesse neuronaler
Informationsverarbeitung erfahren vor dem Hintergrund hochleistungsfähiger
Parallelrechner eine Redefinition, die nichts Geringeres anstrebt als die
Versöhnung des Humanen mit dem Technischen unter dem Vorzeichen des
Digitalen. Neurologische und vitalistische Modelle, wie sie für viele
Informationstheoretiker und KI-Forscher bedeutend sind, verlieren zum Teil
ihren strengen wissenschaftlichen Bezugsrahmen und werden zum Gegenstand
modischer Umsetzungen. Populärwissenschaftliche Interpretationen der Bionik
bringen biologische Organisationsstrukturen in die Nähe gesellschaftlicher
Phänomene und suchen in der "Kunst, vernetzt zu leben" neue
Impulse für menschliches Zusammenleben. [1]
<2> Das konnektionistische Modell der Vernetzung lässt sich zwar nicht auf
technische Innovationsleistungen verkürzen, es gewinnt aber erst vor dem
Hintergrund fortgeschrittener Kommunikationsmedien seine nachhaltige Kontur.
Bereits die Erfahrung einer umfassenden technischen Verknüpfung
menschlicher Lebensräume führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer
Entwicklung von Netzmodellen in Literatur und Kunst. So sah sich Paul
Valéry angesichts der Entwicklung des Radios veranlasst, an immaterielle
zirkulierende Kunstwerke zu denken, die ähnlich wie die Radiomusik an jedem
Ort abgerufen werden können:
<3> "Die Werke werden eine Art von Allgegenwärtigkeit gewinnen. Auf unseren
Zuruf hin werden sie überall und zu jeder Zeit gehorsam gegenwärtig sein oder
sich selber neu herstellen. Sie werden nicht mehr nur in sich selber da sein - sie alle werden dort sein, wo ein Jemand ist und ein geeigneter Apparat.
[..]
Wie das Wasser, wie das Gas, wie der elektrische Strom von weit her in unseren
Wohnungen unsere Bedürfnisse befriedigen, [..] so werden wir mit visuellen und
auditiven Bildern versorgt werden." [2]
<4> Künstlerische Arbeiten, die im Diskurs der Vernetzung angesiedelt sind,
stellen die prozessuale Struktur ihrer Werke in den Mittelpunkt. Nicht der
abgeschlossene materielle Werkstatus ist entscheidend, sondern das Potential
des Werks, andere Arbeiten, Künstler und Adressaten einzubeziehen.
Netzkunst, wie diese künstlerische Auseinandersetzung mit dem Internet zu
Beginn der neunziger Jahre genannt wurde, zeigt sich nicht in der sichtbaren
Qualität hochauflösender Bilder am Monitor, sondern in der konsequenten
Umsetzung von kommunikativer Vernetzung. Die Kriterien des Linzer
Medienkunstfestivals ’Ars Electronica’, das seit 1995 Netzkunst
prämiert, machen diese Schwerpunktverlagerung des telekommunikativen
Kunstwerks deutlich. Nichtlineare Strukturen, die Transparenz von
Navigationsregeln, die Offenheit der Programmiersprache sowie kooperative,
gemeinschaftsbildende und öffentliche Strategien sind ausschlaggebend für
den Netzcharakter einer Arbeit. [3]
<5> In diesem Sinne zielte die 1997 realisierte Arbeit Sensorium der japanischen Projektgruppe Taos auf eine Visualisierung
und Offenlegung der virtuellen Beziehungen, die sich auf globaler Ebene
zwischen Menschen und ihren medialisierten Kommunikationswegen im Internet
etablieren. Navigationsstränge aktueller Nutzer können an Landkarten
visuell nachvollzogen werden. Ein Ensemble von Webcams, die über den
Erdball verstreut sind, suggeriert in dem Bild eines geschlossenen Kreises
das Modell einer kontinent-umspannenden Netzgemeinschaft. "This
interface shows countless visualizations of just connected moments. You
might be able to grasp the Internet status" [4].
<6> Vernetzung im Kontext urbaner Kommunikationsstrukturen und
Verkehrsströme steht im Mittelpunkt von IO
dencies von Knowbotic
Research. Das über
Netzverbindungen eingeleitete Kommunizieren über einen real existierenden
Stadtraum in Tokio oder Săo Paulo wird am Bildschirm als fluider
Partikelstrom visualisiert, der sich stets neu konstituiert. Das 1997
begonnene Projekt verbindet die Topographie eines existierenden Stadtraumes
mit den konzeptionellen Weiterführungen anderer Editoren, welche die
vorgegebene Struktur hinsichtlich der Daten- , Verkehrs- und
Informationsströme virtuell verändern und sich mit anderen Teilnehmern
über diese Veränderungen austauschen können. Die Formen des gemeinsamen
Nachdenkens visualisieren sich in der transformatorischen Dynamik
kollaborativer Entwürfe.
<7> Das Netz als Inhalt künstlerischer Arbeit hat inzwischen den Status des
innovativen Experiments hinter sich gelassen und erfreut sich einer
breiteren Akzeptanz. Die visuell bislang spröde Netzkunst hat den Weg in
die Museen gefunden, wo sie als Bestandteil virtueller Ausstellungen eine
identifizierbare Position innerhalb der Webauftritte namhafter Museen wie
dem Guggenheim
Museum, dem Whitney Museum oder der Dia Art Foundation
innehat.
<8> Die Unsichtbarkeit vernetzter Prozesse hat teilweise dazu geführt, dass
man sich gängiger Vorstellungen der Vernetzung bedient, um der
Immaterialität vernetzter Kommunikation ein Bild zu geben. Im Verkehr
populärer Deutungen und Visualisierungen werden neuronale Strukturen und
Verdichtungen zitiert, die über die Ebene einer attraktiven Illustration
hinaus kaum Bestand haben, und auch der Kultur schaffende Bereich kann sich
der Attraktivität biologischer Bezugsgrößen nicht entziehen.
So nimmt Synema, eine Arbeit
einer Weimarer Künstlergruppe, das Thema der Synästhesie mit seiner
neuronalen Koppelung unterschiedlicher sensueller Wahrnehmungsverarbeitung
zum Anlass für ein einfaches Sound-Interface. Kreisähnliche
Interaktionsflächen werden mithilfe neuronaler Zellkerne visualisiert, die
linear nacheinander aktiviert werden können. Eine Vernetzung zwischen
mehreren Klang- und Bilddaten findet nicht statt, die Vielschichtigkeit
synästhetischer Verknüpfungen erschöpft sich an der Oberfläche eines
Bildes von Vernetzung.
<9> Die am ZKM entwickelte Arbeit Web of Life stützt sich ebenfalls auf Visualisierungen des
Netz-Gedankens, die populärtheoretisch von einer Publikation zum neuen Netzbewusstsein
begleitet werden. Das Projekt fokussiert inhaltlich die
simultane Verknüpfung menschlicher Datenspuren mit einer umfassenden
Bilddatenbank und strebt eine Vernetzung fünf verschiedener globaler
Standorte an, die zu einem gemeinsamen audiovisuellen Erlebnisraum führen
sollen. Die in Echtzeit erzeugte Bildwelt wird als "ein organisches
Geflecht aus visuellen und thematischen Beziehungen" beschrieben,
welches "beispielsweise an das neuronale Netz des menschlichen Gehirns
erinnert." Der Besucher "haucht" dem Kunstwerk durch die
Bereitstellung seiner Körperdaten "neues Leben ein". [5] Die
Architektur der Installation mit Netzen und Drähten veranschaulicht
Netzhaftigkeit dort, wo eigentlich keine Vernetzung anzutreffen ist. Die
Bildverknüpfungsprozesse, die über vernetzte Strukturen des
Installationsprogramms erfolgen, werden assoziativ und nicht strukturell
visualisiert.
<10> Auch im musealen Ausstellungsbereich lässt sich die Popularität des
Netzdiskurses beobachten. Die Ausstellung Connected
Cities, 1999 vom Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg
initiiert, bestand aus unterschiedlichen Ausstellungsprojekten ausgewählter
Industriestandorte zwischen Duisburg und Paderborn, die zum Teil mithilfe
einer vernetzten Live-Kamera und entsprechender Projektion miteinander
verbunden waren. [6] Die simultane Erfahrung räumlich entfernter
Ereignisräume verband in telematischen Installationen die Besucher. Dennoch
eilte das Bild neuronaler Aktivität, das den Buchumschlag des Katalogs
zierte, der erlebten vernetzten Wirklichkeit der Arbeiten um einiges voraus,
zumal innerhalb des Veranstaltungsortes selbst keine Arbeiten vernetzt waren
und jeder Künstler in dem ihm zugewiesenen Ausstellungsraum seine
konnektivistischen Visionen ausführte.
<11> Im Feld virtueller Ausstellungen arbeitet Revealing
Things der Smithsonian Museen auf der Ebene der
Begriffssuche und Navigation mit Netzmodellen. Die Ausstellung verknüpft
heterogene Sammlungsobjekte der Alltagskultur mit biografischen Skizzen,
gesprochenen Texten und anderen zeitgeschichtlichen Kontexten. Der Benutzer
orientiert sich anhand eines kontextuellen Menüs, in dessen Mittelpunkt ein
zentraler Suchbegriff steht, der von einem konnotativen Begriffsumfeld
umgeben ist. Die Beziehungsgeflechte zwischen den Begriffen können vom
Benutzer stets neu variiert werden, wobei die leicht unruhigen Bewegungen
der graphischen Verknüpfungslinien eine flexible Dynamik suggerieren, was
der begrenzten Datenbank der Ausstellung nicht entspricht.
<12> Revealing Things folgt in seiner experimentellen Struktur der Software
Thinkmap, die von der amerikanischen Designergruppe Plumb Design 1998
exemplarisch entwickelt und vor allem in der Anwendung des Visual Thesaurus bekannt wurde. Dieser greift auf die Datenbank
der Worldnet Database des Cognitive Science Laboratory der Princeton
University zu und umfasst 50 000 Wörter, 40 000 Phrasen und 700 000
Wortbedeutungen. Die Weite des Feldes der
Begriffssuche sowie die Dichte der Verknüpfungen können über ein
Reglermenü individuell eingestellt werden. Ferne und assoziative Nähe der
Begriffe werden bei Thinkmap in einem bewegten 3D-Modell veranschaulicht,
das eine Beziehungsstruktur schafft, die universal einsetzbar ist, ob als
Interface für eine Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts (Sony Music
Millennium), oder als Navigationshilfe durch die dunstige Geschichte des
Rums (Bacardi). Die Visualisierung von Information beansprucht dabei
Parallelen zur Struktur menschlicher Informationsverarbeitung: "Thinkmap
tools animate and display complex sets of interrelated information, creating
interfaces that transform data into insight and knowledge." [7]
<13> Der Versuch, mithilfe der Darstellung digitaler Informationsverarbeitung
eine visuelle Entsprechung für Denkprozesse und die Schnelligkeit
gedanklicher Verknüpfungen zu finden, geht zurück auf frühe
definitorische Einkreisungen von vielschichtigen Navigationsstrukturen, die
der Einführung des Begriffs ‚Hyperlink‘ von Theodor Nelson im Jahre
1974 folgen. Die Hyperlinks werden als dynamische Begriffe verstanden, die
"verknüpfen, verketten, vernetzen und verbinden als operative und
Knoten, Weg, Verzweigung, Bindeglied, Taste als systematische Messages [...]
An die Stelle eines einfachen Datenaustausches treten soziale Interaktionen
und prozessorientierte Aktivitäten." [8]
<14> Die Annäherung an die Komplexität menschlichen Denkens war strukturell
begründet und ging nicht von dem Anspruch aus, ein elektronisches
Äquivalent für geistige Prozesse zu entwickeln. Ende
der 90er Jahre wird die prozessuale Struktur digitaler Navigation in
einem Mapping als Menüoberfläche zitiert, ohne die Komplexität
weitverzweigter Verknüpfungen überhaupt anzustreben: Der Cyberatlas, der auf der Guggenheim Website angewählt werden kann,
bedient sich neuronaler Symbolik, um Kunstwerke, Daten und Texte im Internet
zu bestimmten Themenstellungen zu verknüpfen.
Eine Überblickskarte mit
farbigen, miteinander verbundenen Knotenpunkten soll mögliche Verknüpfungsstrukturen
und Relationen auf einer Ebene sichtbar machen. Die
wechselseitigen Kontakte und begrifflichen Nähen der einzelnen Links
erschöpfen sich in einer starren Verknüpfungskarte, welche die Hyperlinks
lediglich bis zu einer hierarchischen Ebene sichtbar macht, danach befindet
man sich wieder im unkontrollierten Klicktaumel des Netzes. Der Umstand,
dass einige Links nicht aktualisiert wurden und somit ins Leere führen,
könnte man vor dem Hintergrund der Hirnmetapher ironisch als Elemente des
Vergessens ansprechen. Verknüpfungsdichte und -tiefe lassen sich nur auf
der Ebene visueller Oberflächlichkeit erahnen, die tatsächliche
Verknüpfungsbreite, die das Internet zweifelsohne bietet, bleibt auf dieser
Navigationskartierung ohne sichtbares Pendant.
<15> Eine weitere Möglichkeit, die Nähe einer Internetanwendung zu
biologischem Leben zu suggerieren, ist die Animation grafischer Inhalte,
die oftmals die Navigation nicht befördern und von Interaktionspuristen
kritisiert werden. [9] Das Webdesign der Ausstellung 010101
des San Francisco Museum of Modern Art wurde von der
kalifornischen Agentur Perimetre-Flux entworfen. Das auf pixelartige
Elemente reduzierte Interface reagiert auf jede Benutzeraktion mit
Geräuschen und der rhythmischen Verdichtung bzw. Entzerrung graphischer
Navigationselemente, deren schwarmähnliche Anordnung eine Linearität
bewusst vermeidet. Jeder Pixel scheint sich in bedeutungsvoller Bewegung zu
befinden, auch wenn nicht jedes sichtbare Element mit einer Funktion
versehen ist. Es kommt zu Gruppierungen und Neukonstellationen der
Menüelemente, die jede Entscheidung des Benutzers mit einer theatralischen
Aktion und einem Übermaß an visuellem und akustischem Feedback begleiten.
Das Interface verspricht permanente Reaktion und Lebendigkeit und das
Ensemble agierender Einzelelemente führt eine pseudo-soziale
Bildschirmexistenz vor. "Machines are social before being technical"
- das Deleuze-Zitat, das die Ausstellung auch konzeptionell begleitete,
ließe sich durchaus als Kommentar zum vermeintlich sozialen, lebendigen
Charakter technisch gestützter Anwendungen lesen. Die Animation der
pixelähnlichen Felder und ihr vordergründiger systemischer Bezug stellen
darüber hinaus eine Interaktionsmaschine en miniature dar.
<16> Zeigten Vorstellungen des digitalen und virtuellen Museums in den
neunziger Jahren noch eine eher technisch definierte Ausprägung, welche die
Archivierung, Organisation und Distribution kultureller Information in den
Mittelpunkt stellte, so trifft man heute auf eine Animationstendenz im
wortwörtlichen Sinne. Eine assoziative Nähe zu biologischem Leben wird mit
Begriffen wie Fluidität und Transformation nun zu einem bestimmenden
Charakteristikum virtueller Museumskonzepte. Das Virtual Guggenheim, das
Ende der 90er Jahre in Zusammenarbeit mit der Gruppe Asymptote Architects
realisiert werden sollte, harrt immer noch seiner vollständigen Umsetzung
im Netz. Erste Bilder des virtuellen Museums erlauben Assoziationen an
komplex gedrehte, fluide Architekturen, die sich DNS-artig um die jeweiligen
Suchbefehle der Nutzer winden sollen. Die sprachlichen Umkreisungen des
Museumsentwurfs visionieren eine quasi-lebendige Architektur: "This is
a new architecture of liquidity, flux and mutability predicated on
technological advances and fuelled by a basic human desire to probe the
unknown" [10]. Dahinter steht wohl auch die Überzeugung, dass erst das
Attribut der Lebendigkeit einen anspruchsvollen Dialog mit dem Besucher
gewährleisten kann. Bislang muss man sich mit einem daumennagelgroßen Bild
begnügen, das die Lücke zwischen dem Anspruch eines Dialogs und einer
Linkstruktur, die Vernetzungsversuche bereits im ersten Anlauf auf die
Startseite verweist, nur dürftig schließt.
<17> Die Museen, die hier visioniert werden, halten sich nicht mehr bei der
Vorstellung eines imaginären Museums auf, das sich der individuellen
gedanklichen Verknüpfung und Konstruktion einzelner verdankt oder auf ein
kollektives Bildgedächtnis zurückgreift. Anders als im Konzept von André
Malraux führt die Zunahme an Bildmedien und Bildreproduktionen nicht zu
einer Intellektualisierung der Kunst, sondern zu einer Illustrierung der
Institution Museum, während die Kunstwerke kaum noch explizit erwähnt
werden. [11] Unter dem Eindruck des Digitalen materialisieren sich die
Museen erst in einer visuellen Gestalt; sie nehmen selbständige
kommunikative Formen an, die zunehmend an den Dialogpartner Mensch
angeglichen werden. Der kommunikative Aspekt eines auf Besucherwünsche
flexibel reagierenden Systems wird in Richtung digitaler
Schöpfungsphantasien überschritten:
"Ich werde ein bisschen überheblich sein, wenn ich sage, dass ich
die Zukunft gesehen habe - und die Zukunft ist feucht. Sie ist dort, wo
sich das Künstliche Leben und das Künstliche Bewusstsein mit unserer
eigenen nassen Biologie und unserer telematischen Gesellschaft des Geistes
trifft." [12]
<18> Roy Ascotts Fiktion über ein Museum der Zukunft geht weit über eine
bloße visuelle Annäherung an biologische oder neurologische Metaphern
hinaus. Für den Medienkünstler stellt das virtuelle Museum, das keines
physischen Ausstellungsraumes mehr bedarf, lediglich einen Zwischenschritt
zu einem geistigen Museum dar, das Modelle von künstlicher Intelligenz und
künstlichem Leben in sich vereint. Zunächst wird auch in diesem Entwurf
die fluide, transformatorische Qualität eines beweglichen, organischen
Körpers entwickelt. Dem folgt eine Parallelisierung von Museum und Gehirn,
wobei nicht nur an ein intelligentes Datensystem gedacht ist, sondern das
Museum zum Inbegriff des Netzes überhaupt erhoben wird:
<19> "[...] das Museum muss intelligent werden. Ich spreche nicht nur, um
nicht missverstanden zu werden, über eine ‚intelligente Architektur‘,
über intelligente Schnittstellen, reagierende Innenräume oder interaktive
Geräte oder Ausstattungen, so willkommen all dies in der ansonsten riesigen
Trägheit unserer zeitgenössischen Museen auch wäre. Ich spreche über das
Museum als ein Gehirn, das seine eigene assoziative Gedankenwelt
verkörpert, als einen überaus sensiblen Kortex, den man eher einen
Cyberkortex nennen sollte, als ein kognitives Netz all der Ideen, Formen,
Strukturen und Strategien, die im Zwischenraum, durch das assoziative
Denken, durch die Hyperlinks einer tiefreichenden Vermaschung erzeugt werden
und die jenen Bereich des Werdens zwischen dem Virtuellen und dem Realen
begründen, der unser globales Heim ist." [13]
<20> Die Debatte um das Internet als die digitale Form eines weltumspannenden
Gehirns wird hier deutlich zitiert. Das Konzept des ‚global brain‘ sieht
die neuen Informationstechnologien als gemeinschaftsbildende Kräfte, die
über die räumlichen Grenzen eines ‚global village’ hinaus ein
kollektives weltbürgerliches Bewusstsein schaffen.
"Das Nervensystem des elektronischen Zeitalters wird sich nicht mehr
auf den langsamen und von Missverständnissen bedrohten Prozess der
gesprochenen und geschriebenen Kommunikation verlassen, sondern
Informationen sofort und direkt übermitteln, speichern und verarbeiten, und
dies ohne Verlust oder Minderung des Informationsgehalts. Ein derart
intelligentes Netz, das den ganzen Globus umspannt, könnte man als ‚Global
Brain‘, globales Gehirn, bezeichnen. Das Medium, das am besten geeignet
scheint, ein solches dem Gehirn ähnliches, intelligentes Netz zu
realisieren, ist das World Wide Web." [14]
<21> Seine Steigerung erfährt das Modell einer unabhängigen musealen
Intelligenz in der Vorstellung eines autarken musealen Lebens, das mit den
Eigenschaften organischen Lebens ausgestattet wird: "Ich will von einem
Museum sprechen, das sein eigenes Leben besitzt, das selbst denkt, sich
selbst ernährt, auf sich selbst aufpasst, das antizipiert und am Chaos und
an der Komplexität der Kultur teilnimmt, das der Welt konstruktive
Beiträge gibt." [15]
<22> Die autorenlosen Schöpfungsphantasien, die sich bei Ascott artikulieren,
gehen über eine kommunikative oder systemtheoretische Erweiterung des
Museums hinaus. Der massive Vitalismus, der den voreiligen Transfer
biologischer Modelle auf kulturelle Systeme motiviert, gerät mit seinen
Imagines von Lebendigkeit in die zweifelhafte Nähe spektakulärer
Science-Fiction-Visionen. Man fühlt sich bei diesen Worten eher an ein
wucherndes Alien erinnert als an ein Museum, dass sich mit Hilfe ‚smarter’
Technologien erweitern soll. Gleichzeitig simplifizieren Vorstellungen wie
diese die Modellhaftigkeit der Artificial-Life-Forschung, auf die sich
Ascotts Entwurf letztlich bezieht. Die Forschung im Bereich des Künstlichen
Lebens nimmt ihren Ausgangspunkt vor allem in der Modellhaftigkeit
biologischer Organisation, die für eine Strukturierung elektronischer
Information explorativ untersucht wird. Die Theorie der Selbstorganisation
ist ein Modell, dass der Biologie und Lebensforschung entlehnt ist, deren
wesentliche Impulse sich Ende der siebziger Jahre Francisco J. Varelas
systemorientiertem Ansatz über die Autonomie biologischer Prinzipien
verdanken. [16] So definiert Christopher Langton, ein wesentlicher Vertreter
der Artificial-Life-Forschung, die Charakteristika des Künstlichen Lebens
wesentlich nüchterner als Ascott, der sich in seinem Aufsatz über das
geistige Museum auf Langton bezieht. <23> "Beim Künstlichen Leben beschäftigen wir uns mit dem ‚Leben-wie-wir-es-kennen‘
in dem größeren Kontext eines ‚Lebens-wie-es-sein-könnte‘. Es
betrachtet Leben als eher eine Eigenschaft der Organisation von Materie als
eine Eigenschaft der organisierten Materie. [..] Natürliches Leben entsteht
aus der organisierten Interaktion einer großen Zahl von leblosen Molekülen
ohne eine globale Steuerung, die für das Verhalten eines jeden Teils
verantwortlich ist. Jeder Teil ist ein Verhalten, und Leben ist das
Verhalten, das aus den ganzen lokalen Interaktionen zwischen einzelnen
Verhaltensweisen entsteht." [17]
<24> Das Modell des Museums als selbstorganisiertes autopoetisches System, wie
Michael Fehr es Mitte der 90er Jahre vorschlug, kommt dieser strukturellen
Sicht näher, indem es auf deplazierte Lebensmetaphern verzichtet. [18]
Die Institution Museum gerät durch Einbettungen in den aktuellen
Netzdiskurs in eine zwiespältige Problematik. Zum einen erfährt das Museum
eine Dynamisierung und Flexibilität, die Archiv und Sammlung nicht länger
als unveränderliche Größen begreift, sondern die
Kommunikationsbeziehungen zum Betrachter in den Mittelpunkt stellt. Die
Sammlungsobjekte werden mehr denn je in Rezeptionskontexten gesehen, deren
Beziehungsgeflechte zum Ausgangspunkt des Umgangs mit Kunst werden.
Kunstgeschichte versteht sich unter solchen Voraussetzungen mehr denn je
zuvor als ein Prozess permanenter Rekonstruktion und Vergegenwärtigung.
Diese Sicht auf das Museum hatte bereits in den institutionskritischen
Ansätzen der siebziger Jahre eingesetzt und lässt sich nicht als eine
technologiegebundene Reaktion auf den Einzug der elektronischen Medien
verstehen.
<25> Der aktuelle Diskurs der Vernetzung verdichtet die kommunikative
Ausrichtung des Museums und führt Malrauxs Projekt der Intellektualisierung
der Kunst im Feld der neuen Medien fort. Nicht die Kunstobjekte als solche
stehen im Vordergrund, sondern die zahlreichen Beziehungen, die sie zwischen
Besuchern, Kritikern, Sammlern und Forschern veranlassen. Diese
Dynamisierung der Kunstrezeption verhält sich zunächst innovativ und
stellt institutionelle Verkrustungen in Frage. Das lebendige Museum jedoch,
wie es teilweise propagiert wird, vollzieht mit spektakulärem Schwung den
Schritt von der Aktualität zu einer fiktiven Welt, deren Ansprüche
Museumsgestalter und Museumsbesucher gleichermaßen überfordern und das
Verhältnis zur Kunst trivialisieren. In der propagierten Lebendigkeit des
Kunstwerks werden trotz aller zeitgeistigen Digitaleuphorie romantische
Sehnsüchte spürbar, die auch im Rahmen der Institution Museum auf einen
Werkprozess hoffen, der Natur nicht nur abbildet, sondern parallel zur Natur
im Gestus von natura naturans das Werk hervorbringt.
<26> Der Netzdiskurs führt hier stellenweise zur emphatischen Formulierung von
Lebensmetaphern, die auch den nüchternen Alltag der Kunstvermittlung
vitalisieren wollen und sich ihrer historischen Ankoppelung an affirmative
Haltungen gegenüber neuen Technologien nicht bewusst sind. Bereits die
Erfahrungen der Industrialisierung und der Großstadt wurden in der zweiten
Phase ihrer Rezeption als moderne Inkarnationen des Lebensstroms verstanden,
welche die bedrückende Vorstellung der Entfremdung des Menschen gegenüber
seinen technischen Hervorbringungen ablösten. Die aktuelle Begeisterung für
ein Prinzip der Vernetzung, das biologische und technisch implementierte
Verknüpfungen widerspruchslos versöhnt, ist der Ausdruck quasi-religiöser
Erwartungen. Technologie und Leben sollen distanzlos miteinander verbunden
werden. Das lebendige Museum steht für die Verheißung, dass Kunst nun endlich
ohne ihre Sperrigkeiten beim Rezipienten angekommen ist. Kunstrezeption als
Anstrengung löst sich auf, stattdessen wird der Ort der Kommunikation über
Kunst zu einem selbständigen dialogischen System erklärt, das dem
Kommunikationspartner Mensch gleichgesetzt wird und lustvolle Unterhaltung
bietet. Das Museum wird sich und seine Arbeit stets im aktuellen
gesellschaftlichen Diskurs verorten müssen, doch unter einer unreflektierten
Zeitgeistigkeit lässt sich das Potential des virtuell erweiterten Kunstraums
als stets neu zu erfahrene Grenzziehung zwischen Fiktion und Realität nicht
realisieren.
|
1 | Siehe hierzu als
Beispiel die Publikation von Michael Gleich: Web of Live. Die Kunst vernetzt
zu leben. Zusammenfassung: http://www.web-of-life.de
(3.10.2002). Darin heißt
es: "Die Natur organisiert alles Leben in Netzwerken. [..] Auch der
Mensch organisiert sein Leben in Netzen: Internet und Telekommunikation,
Mobilität, und Energieversorgung, Wissenschaft und vor allem die
globalisierte Wirtschaft. [..] Wir brauchen einen neuen Leitfaden beim Weben
von Netzen und sollten dabei von der Natur lernen. Zur Bionik (wo Biologie
die Technik inspiriert) muss als neue Disziplin eine Bionik der Netze
kommen." |
2 | Paul Valéry: Die
Eroberung der Allgegenwärtigkeit, in: Paul Valéry: Werke, Frankfurter
Ausgabe in 7 Bänden, Band 6, Frankfurt/ Main 1995, 479-483, hier 479-480. |
3 | Connectivity!.
Verbindungen schaffen, in: Hannes Leopoldseder / Christine Schöpf (Hg.):
Cyberarts. International Compendium Prix Ars Electronica, Wien / New York
1997, 58-69. |
4 | Cyberarts: Prix
Ars Electronica 1997, hier: 71. |
5 | Zitiert nach der
Internetseite zum Projekt: http://www.web-of-life.de/wolsiteNew/artwork/contentDt.html,
(7.10.2002). |
6 | Söke Dinkla / Christoph Brockhaus (Hg.): Connected Cities. Kunstprozesse im urbanen Raum,
Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg und ausgewählte Standorte der
Industriekultur, 20.6.-1.8.1999, Ostfildern-Ruit 1999. |
7 | Das Zitat folgt
einer frühen Beschreibung der Software, die im Sommer 2000 auf der Website
http://www.thinkmap.com zu finden war. Das dort als PDF vorliegende Thinkmap White
Paper stellt in seinen Zielsetzungen die komplexe und visuell ansprechende
Präsentation von Information in den Mittelpunkt. Der Visual Thesaurus liegt
seit Oktober 2002 in einer aktualisierten Version vor, die im Vergleich zur
frühen Website Begriffsbeziehungen stärker kategorisiert und farblich
verdeutlicht. |
8 | Heiko Idensen /
Matthias Krohn: Kunst-Netzwerke. Ideen als Objekte, in: Florian Rötzer
(Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt/Main
1991, 372-396, hier: 382. |
9 | Tilman
Baumgärtel: Die Zukunft macht plopp!, in: telepolis, 8.1.2001: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/sa/
4632/1.html&words=Plopp
(02.05.2003). |
10 | Virtual
Guggenheim, http://www.guggenheim.org (7.10.2002). |
11 | André Malraux:
Das imaginäre Museum (1947), Frankfurt/Main 1987, 12. |
12 | Roy Ascott: Der
Geist des Museums, in: telepolis, 09.12.1996: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/special/
arch/6077/1.html&words=Ascott%20Geist, Absatz 2 (7.10.2002). |
13 | Frances
Heylighen: Auf dem Weg zum Global Brain, in: Kunst- und Ausstellungshalle
der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Vom Sinn der Sinne. Schriftenreihe
Forum, Band 8, Göttingen 1998, 302-318, hier: 308. Auch der französische
Kulturtheoretiker Pierre Lévy und Timothy Druckrey argumentieren in eine
ähnliche Richtung; siehe Pierre Lévy: Cyberkultur, in: Stefan
Bollmann, Christiane Heibach (Hg.): Kursbuch Internet, Mannheim 1996, 56-82;
Timothy Druckrey: C++, in: Nettime (Hg.), Netzkritik.
Materialien zur Internet-Debatte, Berlin 1997, 120-126. |
14 | Ascott: Geist
des Museums, Absatz 7. |
15 | Ascott: Geist
des Museums, Absatz 4. |
16 | Francisco J.
Varela: Principles of Biological Autonomy, New York 1979. |
17 | Christopher
Langton, zitiert nach Ascott: Geist des Museums, Absatz 27. |
18 | Michael Fehr: Understanding Museums. Ein
Vorschlag: das Museum als autopoetisches System, in: Michael Fehr (Hg.):
Platons Höhle: das Museum und die elektronischen Medien, Köln 1995, 11-20. |
Sabine Fabo
FH Aachen
E-Mail: fabo@fh-aachen.de
Web: http://www2.design.fh-aachen.de
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Fabo: Das Museum lebt? Der Diskurs der Vernetzung im virtuellen
Kunstraum, in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 1 [08.05.2003],
URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/01/fabo/index.html>
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