Kunstgeschichte im Medienwechsel - Intention und
Thematik der Kolloquiumsakten
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Seit einigen Jahren zeigt sich auch in den Geisteswissenschaften, dass
der Medienumbruch weg von den analogen und hin zu den digitalen Medien
gravierende Folgen sowohl für die kulturelle Produktion als auch für
die wissenschaftliche Forschung mit sich bringt. Dies gilt besonders
stark für die Kunstgeschichte als eine Disziplin, die sich mit Bildern
beschäftigt und die gleichzeitig immer mehr auf eine künstlerische
Produktion stößt, die mit Unterstützung der elektronischen Medien
entstanden ist. Die Potentiale der Bildcodierung nämlich scheinen in
den digitalen Medien noch erheblich größer zu sein als die der
Textcodierung. Einen anschaulichen Beleg dafür bietet das Internet, das
sich zuletzt immer deutlicher zu einem visuellen Medium entwickelt.
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In einem Fach wie der Kunstgeschichte, das nach langem Zögern
inzwischen auf breiter Ebene elektronisch gestützte Anwendungen bei der
Datenbankerschließung etwa - Beispiel wären hier die vielfältigen
Initiativen von Foto
Marburg, dem Deutschen Dokumentationszentrum für Bildende Kunst - , der Architekturvermessung, der virtuellen Rekonstruktion von künstlerisch
ausgestatteten Räumen und auch der automatischen Bildinhaltsanalyse
einsetzt, fehlt bisher eine vor allem methodische Selbstvergewisserung.
Vielfach hat man den Eindruck, dass Dinge betrieben werden, über deren
Stellenwert im Rahmen eines humanistisch/geisteswissenschaftlichen
Kontextes keinerlei Rechenschaft abgelegt wird. Dabei ist die Antwort
auf die methodische Frage keineswegs selbstverständlich und scheint die
grundsätzlichsten Aspekte der fachlichen Positionsbestimmung zu berühren.
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Wird das digitale Medium einfach nur eine Beschleunigung in der
Abarbeitung traditioneller Aufgabenstellungen, eventuell eine
positivistische Ausweitung der Problemstellungen und der quantitativen
Tiefenerschließung bringen? Oder wird auch hier die inzwischen ins
Zentrum geisteswissenschaftlicher Ansätze gerückte Frage nach dem
Einfluss der medialen Grundlagen eines Faches auf dessen Fragehorizonte
insofern virulent, als das Medium geläufige Ansätze obsolet macht und
bisher ganz unbekannte oder auf die Seite geschobene wieder ins Zentrum
rückt? William Vaughan etwa, einer der Beiträger dieser Publikation,
hat mit guten Argumenten die These vertreten, dass die Kunstgeschichte
unter dem Eindruck der neuen Medien von Kontextfragen abrücken und die
Struktur des Kunstwerkes selber wieder verstärkt thematisieren könnte [1]. Andere sehen in der forcierten Einführung von Datenbanken einen
Zwang zu Strukturierungsleistungen, der vor allem in den Museen deutlich
veränderte Denk- und Arbeitsweisen hervorrufen dürfte.
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Wenn die Computerindustrie heute unter Hochdruck automatische
Bildabfragemodule entwickelt - verwiesen sei etwa auf IBMs "QBIC"
(Query by Image Content), also eine Abfrage, die direkt das Bild
adressiert und keine verbalen Beschreibungen des Bildes -, so zielt man
hier auf industrielle Bedürfnisse etwa der Lagererschließung und der
Zugangskontrollsysteme ab: Außer Zweifel dürfte aber stehen, dass auch
die Kunstgeschichte, die bisher mit Begriffen nach sekundär
erschlossenen Bildern sucht, hier eventuell ganz neue Möglichkeiten an
die Hand bekommt - und gleichzeitig medial angeregte (oder erzwungene)
Interessen entwickelt, die vorher nicht geläufig waren. Darüber hinaus
ist zu beobachten, dass auch in Forschungsansätzen, die nicht explizit
digital orientiert sind, erstaunliche Parallelen zu dem zu beobachten
sind, was hier gerade mit der digital induzierten Wende von der Sprache
zum Bild kurz angedeutet wurde: Svetlana Alpers und Michael Baxandall
etwa verfolgen1994 in ihrem Tiepolo-Buch [2] Ansätze, deren
ikonographie-indifferenter Formalismus geradezu frappierende Ähnlichkeiten
mit einer "Query by image content" aufweist.
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Aspekte dieser Entwicklung werden in der vorliegenden online-Publikation
reflektiert - und zwar programmatisch in einer methodischen und nicht
rein Gegenstand-erschließenden Perspektive. Es geht um die
Transformation von Wissen in Information unter digitalen Bedingungen
(William Vaughan) und um veränderte Formen des Austausches zwischen
Lehrenden und Studierenden in internet-basierten Studieneinheiten (Jens
Bove/ Britt Kroepelien). Neue Formen der Wissensstrukturierung, wie sie
aber seit Urzeiten in rhetorischen Kontexten der Mnemotechnik vorgegeben
scheinen, diskutiert Katja Kwastek und zeigt damit Perspektiven
alinearer Gegenstandsbeschreibung auf, die im Zentrum des hypertextuellen
Mediums stehen. Das von Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss
vorgestellte Projekt netzspannung.org
könnte man durchaus als den Realisierungsversuch eines solchen
Konzeptes verstehen.
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Auch medienadäquaten Formen der Vermittlung kunsthistorischer Inhalte könnte
eine große Zukunft beschieden sein, wenn sich die Fachgemeinschaft
darauf einlässt, tief verwurzelte Vorstellungen von der Erschließung
kunsthistorischer Inhalte zu überdenken (Holger Simon). Vorgestellt
werden Systeme zur elektronischen Markierung von Bilddetails und
Datenbankstrukturen, die der Spezifik geisteswissenschaftlicher
Fragestellungen entsprechen (Martin Warnke/ Manfred Thaller). Dabei dürfte
Thallers Plädoyer für weniger stark strukturierte Datenaufnahmen auch
ein Licht auf die Krise der computergestützten Inventarisationspraxis
werfen, die in dem Beitrag Tobias Nagels zum Ausdruck kommt.
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Automatische Bildanalysemethoden stehen an anderer Stelle im Vordergrund
(Stefan Heidenreich), daneben das Museum als atmendes System der
Vernetzung, das so manche Anregung auch für den wissenschaftlichen
Diskurs liefern dürfte (Sabine Fabo). Arthur Engelberts Reflexionen,
die auf umfangreiche eigene Aktivitäten im Bereich der
kunsthistorischen CD-ROM-Produktion rekurrieren, hinterfragen die Möglichkeiten
einer visuell orientierten Bildanalyse. Aber auch Anmerkungen wie die
von Matthias Bruhn muss man als Beitrag zur methodischen Neuorientierung
des Faches verstehen, weil auf einer ganz praktischen Ebene der
Projektdurchführung von der Wissenschaft Management-Kompetenzen
eingefordert werden, über die sie von Hause aus nicht verfügt.
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Eine höchst bedenkenswerte Reflexion über das Verhältnis von
digitalem und analogem "Wissen" bietet Claus Pias, der mit
folgender Aussage allerdings die entscheidende Konsequenz zu ziehen
scheint: "Ich befürchte aufrichtig, dass auch wir erst in 25
Jahren wissen können, was die neuen Medien aus der Kunstgeschichte
gemacht haben werden." Mit ihr nämlich scheint uns (zugegebenermaßen
gegen die Tendenz des Beitrages selber gerichtet) die Legitimation dafür
gegeben zu werden, mit dem Digitalen auch schon zu arbeiten, wenn seine
Konsequenzen noch nicht abzusehen sind. Denn: die 25-Jahres-Spanne
beginnt immer erst dann, wenn der Startschuss gegeben ist.
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In einem letzten Teil werden digitale kunsthistorische Projekte
vorgestellt, in denen manche der angesprochenen Themen schon
realisiert scheinen. Auch wenn eine solche Auswahl zwangsläufig
fragmentarischen Charakter und auch gar nicht den Anspruch
hat, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick
über bestehende Projekte im deutschsprachigen Raum zu
bieten, so sollen die Präsentationen doch einen Gegenpol
zur der dem methodischen Ansatz der Tagung und Publikation
geschuldeten theoretischen Herangehensweise der Vorträge
bieten. Sie stehen beispielhaft für die zahlreichen und
strukturell wie inhaltlich extrem heterogenen Bestrebungen
zum praktischen Einsatz des Computers in der Kunstgeschichte
und erweitern das Themenspektrum der Publikation gleichzeitig
um vieles, das im Rahmen des Kolloquiums in den lebhaften
Diskussionen zur Sprache kam. So wird mit 'kunsttexte.de'
eine junge Initiative zur digitalen Publikation, mit 'artcampus'
ein Schweizer E-Learning Projekt, das in engem Austausch mit
der 'Schule des Sehens' (siehe Beitrag von Jens Bove) steht,
und mit 'Prometheus' die derzeit zukunftsträchtigste
Initiative zum Austausch von Bilddaten im deutschsprachigen
Raum vorgestellt.
<10> Mit den Überlegungen von
Hubertus Günther zu den Chancen der dreidimensionalen
Architektur-Visualisierung in der Lehre, sowie der Vorstellung von
weiteren Züricher Projekten im Bereich der Architekturanalyse und der römischen
'Lineamenta'-Datenbank wird die Publikation um Beispiele aus dem
architekturhistorischen Bereich ergänzt, wobei 'Lineamenta' auch als
Repräsentant von Bemühungen um die Bereitstellung hochauflösender
Reproduktionen empfindlicher Originale stehen soll. Die Vorstellung der
digitalen Projekte des 'Zentralarchivs des internationalen Kunsthandels'
steht stellvertretend für viele ausseruniversitäre Projekte und weist
zudem deutlich auf die Probleme der Archivierung digitaler
Korrespondenzen hin. Die Trierer Datenbank 'Memories of Slavery' schließlich
zeigt, wie selbstverständlich die Einbeziehung digitaler Hilfsmittel in
inhaltlich avancierte Projekte schon sein kann.
Wenn diese Zusammenstellung von methodischen Reflexionen und
Projektvorstellungen dazu beiträgt, unsere Absicht zu qualifizieren,
ein Bewusstsein von den methodischen Implikationen des Medienwechsels in
der Kunstgeschichte zu erzeugen, haben wir unser Ziel erreicht.
1 | William Vaughan: Computergestützte Bildrecherche und
Bildanalyse, in: Hubertus Kohle (Hg.): Kunstgeschichte digital, Berlin
1997, 97-105. |
2 |
Svetlana Alpers / Michael Baxandall: Tiepolo and the
pictorial intelligence, New Haven / London 1994. |
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