Tobias Nagel
Umbruch oder Abbruch?
Beobachtungen zur Situation der EDV-gestützten Dokumentation in den Museen
In den letzten zehn Jahren ist das Wissen um die
Entscheidungsgrundlagen und das Verständnis für die notwendigen
Rahmenbedingungen beim EDV-Einsatzes im Museum nicht wesentlich gestiegen. Im
Gegenteil: die Macht des Faktischen verändert die Rahmenbedingungen dergestalt,
dass die EDV-gestützte, wissenschaftliche Dokumentation ins
existenzgefährdende Abseits rutscht: Immer häufiger wird der -
verwaltungstechnisch notwendigen - Inventarisation der Vorzug vor der
wissenschaftlichen Dokumentation gegeben. Das Hauptmerkmal der Verwaltungsarbeit
ist jedoch Quantität - die Kunstgeschichte ist dagegen eine qualitative
Wissenschaft: Hauptmethode ist das Beurteilen und Vergleichen. Es ist möglich,
Datenbanken mit ihren Regelwerken so offen zu halten, dass sie eine Erweiterung
der Datentiefe jederzeit ermöglichen, und Software so auszustatten, dass
Verwaltungsarbeit mit wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Daten
durchgeführt werden kann. Eine Offenheit der Systeme und eine unideologische
Sicht der Entwicklungsmöglichkeiten kann den vermeintlichen Gegensatz von
Inventarisation und Dokumentation lösen. Unerlässlich hierfür ist jedoch eine
kritische Kompetenz der Datenbanknutzer, die dringend durch eine verstärkte
Thematisierung der wissenschaftsmethodischen Konsequenzen des EDV-Einsatzes in
der universitären Lehre gefördert werden muss.
<1> Der Titel dieses Vortrages wird sicherlich den einen oder anderen von Ihnen
an klagende Zwischentöne erinnern, die in den letzten zehn Jahren immer wieder
mit einem Blick auf die museale EDV verbunden waren, oft mit Berechtigung. Auch
wenn die Gründe des Klagens oder Warnens nicht grundsätzlich abgenommen haben,
so sind die Urheber der Klagen immer stärker dieser Rolle überdrüssig. Und da
Personal- und Geldmangel Grundprinzipien der Kultur geworden sind, ist es schon
fast eigenartig, wenn man die Rede über die museale EDV mit einem Hinweis auf
diese Situation verbindet. Spezifischer wäre hier schon die klagende Bemerkung,
dass in den letzten zehn Jahren das Wissen um die Entscheidungsgrundlagen und
das Verständnis für die notwendigen Rahmenbedingungen beim EDV-Einsatz im
Museum nicht wesentlich gestiegen ist, dass sich die wichtigsten Erkenntnisse
immer noch nicht bis in die Etagen der Politik hinaufgearbeitet haben, etwa,
dass museale EDV im derzeitigen Entwicklungsstadium eben keine Kosten
einspart oder dass sich EDV-Einsatz im kulturellen Bereich nicht mit der EDV im
Supermarkt vergleichen lässt: eine Inventur von Museumsbeständen etwa lässt
sich nicht mit der Inventur eines Drogeriemarktes vergleichen.
<2> Lange Rede, kurzer Sinn: Ziel dieses Vortrages ist es nicht, den Chor der
Klagen um einen weiteren Aspekt zu erweitern. Auch wenn bei der Beschreibung der
aktuellen Situation musealer EDV Kritik nicht zu umgehen ist, so zielt dieser
Beitrag doch auf eine ungeschminkte Darstellung des Status Quo sowie auf einen
Bericht mit Zukunftsperspektive, welcher ausgehend von der derzeitigen Situation
im Museum, sozusagen von "den Erfahrungen vor Ort", Wünsche an die
Universitätsinstitute richten will, die dazu beitragen können, die
Zukunftsperspektive der wissenschaftlichen Dokumentation in den Museen zu
verbessern.
<3> Das tägliche Arbeiten an Datenbanken, das Unterstützen von Kollegen mit Rat
und Fehlersuche, die Sorgen um Hard- und Softwareprobleme verdecken es fast: Zur
Zeit rutscht die EDV-gestützte wissenschaftliche Dokumentation immer mehr in
eine grundlegende Krise. Ausschlaggebend ist hier nicht die oft beschriebene
Tatsache, dass die Umarbeitung der herkömmlichen Dokumentation in Datenbanken
zu gewaltigen Problemen führt, weil die Verwerfungen und die desolate
Informationslage der herkömmlichen Dokumentation offenbar werden. Auslösend
ist vielmehr eine Situation, die von der EDV-gestützten wissenschaftlichen
Dokumentation selbst provoziert wurde und wird:
<4> Die allgemeine Entwicklung entzieht der EDV-gestützten, wissenschaftlichen
Dokumentation unmerklich die Basis. Die Macht des Faktischen verändert die
Rahmenbedingungen dergestalt, dass die EDV-gestützte, wissenschaftliche
Dokumentation ins existenzgefährdende Abseits rutscht.
Mit einem Blick auf die aktuelle Situation möchte ich diese These aus
unterschiedlichen Blickwinkeln erläutern:
<5> Noch vor fünf bis acht Jahren galt der Bereich der musealen EDV, oder besser
die Kombination aus Kunstgeschichte und EDV, als beste Möglichkeit, einen der
wenigen freien oder neuen Arbeitsplätze in den Museen zu ergattern.
Umschulungsangebote der Arbeitsämter förderten diese Ansicht ebenso wie die
Entwicklungschancen, die man den Neuen Medien zutraute. Die Entwicklung verlief
jedoch anders. Die EDV schuf außer ABM-Stellen kaum neue Arbeitsplätze in den
Museen, die Neuen Medien hielten zwar Einzug in die Hallen der Kunstmuseen,
jedoch ohne die erhofften Geschäftsfelder für Firmen zu schaffen. Das Museum
hat sich nicht als lukrativer Geschäftsort für New Technology erwiesen.
Finanziell erfolgreiche CD-ROM-Produktionen oder Informationssysteme sind
mindestens ebenso selten geworden wie besucherreiche Ausstellungen.
Internetauftritte sind in der Regel nur durch Freundschaftspreise oder die
letzten verbliebenen Sponsoren zu finanzieren. Eine immer größere Zahl von
Museen ist sogar gezwungen, Umfang und Anzahl der Ausstellungen aus finanziellen
Gründen zu reduzieren. Defizitäre Ergebnisse lassen sich nicht mehr so leicht
gegenfinanzieren, Sponsoren- und Fördergelder sind ungleich schwerer zu finden.
<6> Wendet man diese Situation nun positiv, so sollte man meinen, der aus der
Reduzierung der Ausstellungstätigkeit gewonnene Zeitvorrat eröffne die
Gelegenheit zur verstärkten Hinwendung auf die interne Arbeit der
Bestandserforschung und Bestandsdokumentation. Bisher ist dieses Phänomen
zumindest im Kölner musealen Umfeld nicht flächendeckend eingetreten. Wenn
Freiraum entsteht, so wird dieser dazu genutzt, die persönliche Belastung dem
Normalzustand anzunähern.
<7>
Der Blick auf die Geschichte der EDV-gestützten Dokumentation
in den Museen zeigt eine Fülle von unterschiedlich intensiven
und umfangreichen Projekten, so zum Beispiel das
Marburger DISKUS-Projekt, an dem die Kölner Museen teilnehmen,
das Projekt
MusIS der staatlichen Museen in Baden-Württemberg, die
gemeinsame Arbeit der nichtstaatlichen Museen in Bayern und Sachsen
und viele Einzelprojekte, Projekte, die nur aufgrund des hohen persönlichen
Einsatzes Einzelner durchgeführt werden konnten. Es gibt sicherlich
Museen, in denen eine umfassende Umstellung der Bestandsdokumentation
auf EDV abgeschlossen werden konnte. Viele Museen haben die Umsetzung
der Dokumentation in Datenbanken jedoch bisher nicht zu Ende bringen
können. Die Gründe hierfür sind eine Melange aus
vielen unterschiedlichen Aspekten. Da spielt die bereits erwähnte
Ausgangssituation der traditionellen Dokumentation eine Rolle. ABM-gestützte
Erfassungsprojekte konnten ihre Aufgaben nicht in der vorgegebenen
Zeit zu Ende führen und natürlich verhindert allein der
Umfang des Bestandes selbst in entscheidendem Maße, in absehbarer
Zeit zum Ziel der Vollständigkeit zu gelangen. Nur als Beispiel:
Eine Kurzinventarisation der noch nicht erfassten Bestände
in den Kölner Museen würde zum Beispiel beim Einsatz von
22, in der Mehrzahl zusätzlichen Mitarbeitern fünf Jahre
dauern, also 110 Mannjahre. Dabei sind 1.000.0000 weniger bedeutende
Fundobjekte des Römisch-Germanischen Museums von vornherein
ausgespart.
<8> Zu der Tatsache, dass die Umstellungsarbeit noch viele Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte andauern wird, trägt ferner ein Procedere bei, ohne welches
Finanzierungen nicht möglich sind: das Beantragen neuer Projekte. Anstelle des
Projektes 'Gesamtdokumentation' ist man gezwungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
für die Bearbeitung des Bestandes X oder des Bestandes Y zu beantragen, usw. So
entstehen schnell weitere neue Baustellen, die ein kontinuierliches
Vorwärtskommen erschweren und die vorhandenen Daten disparat erscheinen lassen.
<9> Die technischen Fortschritte der letzten Jahre haben dankenswerterweise eine
neue Art der Baustelle im Bereich der Dokumentation entstehen lassen: Aufgrund
der erschwinglichen Digitalisierungsapparaturen - sei es Scanner oder
Digitalkamera - kann man Datensätze immer besser mit digitalen Bildern
vervollständigen. Faktisch bedeutet dies: Noch bevor die sprachliche Erfassung
der Inhalte in die Nähe einer Vollständigkeit gelangt, wird das Bildmaterial
eingebunden und damit ein neues, sehr attraktives Arbeitsfeld eröffnet.
<10> Ich trage diese Bemerkung nicht mit dem Unterton der Kritik vor, nach dem
Motto: erst Angefangenes fertig stellen bevor man etwas Neues beginnt. Das
Hinzufügen von digitalen Reproduktionen zu Datensätzen ist ebenso legitim wie
das Erfassen von Objektmaßen. Mit dem Bild werden schriftlich erfasste
Informationen oft erst eindeutig interpretierbar. Mit der Betonung der
Bildeinbindung möchte ich vielmehr darauf hinweisen, dass durch das digitale
Bild das Arbeiten mit Datenbanken von einem neuen Impuls ergriffen wurde. Wenn
man das Suchergebnis in Form einer Bildergalerie präsentieren kann, ist der
'Aha-Effekt' bei den Nutzern deutlich zu spüren. Die Attraktivität der
Datenbank steigt enorm. Dies gilt auch wieder für den kommerziellen Bereich:
Das Museum als Markt hat durch die Digitalisierung der Abbildungen neuen Schwung
bekommen - zumindest kurzfristig oder vermeintlich: vom Angebot einer
bebilderten CD-ROM bis hin zur groß angelegten Bestandsdigitalisierung.
Bilderreiche Daten haben auch für die weniger am wissenschaftlichen Inhalt
interessierte Öffentlichkeit Attraktivität. Durch das Bild erhalten
Datenbanken eine größere Zielgruppe. Aktuelle Erfassungsprojekte beinhalten
daher stets auch die Digitalisierung der zu dokumentierenden Bestände. Die
beabsichtigte Internetpräsentation ist dann fast schon Standard.
<11> Für die wissenschaftliche Dokumentation bedeutet diese Entwicklung,
dass auf
einmal die Frage nach dem Nutzen der Daten einen größeren Stellenwert erhält:
Wenn man die Daten so oder so anlegt, dann kann man dies oder jenes damit
erreichen. Letztlich kommt damit immer stärker auch die Frage der
Kosten-Nutzen-Relation ins Spiel und es werden Überlegungen angestellt wie
"lieber die Datentiefe der Erfassung etwas kürzen, dafür alle digitalen
Reproduktionen in Farbe...".
<12>
Es war und ist sinnvoll, die Datenerfassung zu größeren
Beständen so zu organisieren, dass mit Hilfe von unterschiedlichen
Erfassungsdurchgängen eine frühe Nutzbarkeit der Datenbanken
erreicht wird: Zunächst erfasst man in einem kompletten Durchgang
durch den Bestand oder durch einen Teilbestand nur Grunddaten (Autor,
Titel, Datierung, Inventarnummer). Mit Hilfe dieser Grunddaten kann
man dann einen zweiten Durchgang planen, der sich etwa der Erfassung
von Bildinhalten widmet. In einem dritten Durchgang werden dann
Informationen am Original erfasst, wie zum Beispiel Maße, Signatur,
etc. Diese Vorgehensweise wird schließlich fortgesetzt, bis
alle vorhandenen Informationen erfasst sind.
<13> Einer der Hauptvorteile dieser Methode ist, dass man bereits nach dem ersten
Durchgang eine funktionstüchtige Datenbank besitzt. Dies kann unter anderem
Blickwinkel auch ein Nachteil sein, denn es wird deutlich, dass viele
Informationen beim täglichen Arbeiten gar keine Rolle spielen. Für sinnvolle
Datenbanken reicht bereits eine geringe Zahl von Informationen: Autorenschaft,
Datierung, Titel, Inventarnummer, Technik, Maße, Thema, Standort,
Versicherungswert.
<14> Wer benötigt denn weitere wissenschaftliche Informationen? Hat jemand von
Ihnen in einer Datenbank schon einmal nach einem Vorbesitzer gesucht? Und wenn
ja - wie oft werden Sie dies wiederholen? Arbeiten Sie intensiv mit
wissenschaftlichen, EDV-gestützten Daten, so gehören Sie aller
Wahrscheinlichkeit und Erfahrung nach zu dem kleinen Kreis von Personen, die
direkt am Aufbau der Datenbanken beteiligt sind. Zumindest im musealen Umfeld
gilt: Stark strukturierte Datenbanken werden nur selten von Personen genutzt,
die nicht direkt mit der Erfassung und der Pflege der Inhalte beschäftigt sind.
Der Wunsch, Bestandsdaten in erster Linie zur Verwaltung des Objektbestandes zu
nutzen, setzt sich immer stärker durch. Datenbanken - nebenbei auch deren
Software - steigern ihre Akzeptanz nicht durch wissenschaftliche Qualifikation,
sondern durch ihre Effektivität im Dienste des alltäglichen Arbeitens. Und
dies ist im Museum kaum noch die Forschung. Darüber hinaus ist es wesentlich
leichter, die Verwaltung der jeweiligen Institution zur Genehmigung von Geldern
für die Dokumentation zu bewegen, wenn man eine Verbesserung der
Verwaltungstätigkeit als Begründung angeben kann.
<15> Nicht selten werden Projekte zur Übertragung der musealen Dokumentation auf
EDV von Beginn an ohne begriffliche Unterscheidung zwischen 'Inventarisation'
und 'Dokumentation' begonnen, so dass schon mit Arbeitsbeginn die Ausrichtung
auf eine reine Verwaltungsdatenbank immanent enthalten ist. Eine ganze Reihe von
entsprechenden Softwarepaketen sind auch dieser Tendenz angepasst, indem sie
keinen besonderen Wert auf Strukturierung der Informationen legen, soweit diese
über den für Verwaltungsaufgaben notwendigen Teil hinausgehen.
<16> Meine These ist, dass die EDV-gestützte Dokumentation in den Museen zur
Zeit immer stärker von ihrem ursprünglichen Zielpunkt wegrückt. Die Tatsache,
dass Erfassungen immer noch nicht das Ziel einer Vollständigkeit erreicht
haben, dass man mit Kurzerfassungen jedoch die Verwaltungsaufgaben erledigen
kann, dass das digitale Bild eine wesentlich stärkere Dominanz in sich trägt
als trockene Daten und vieles andere mehr - also alles Gründe, die in der
Situation der wissenschaftlichen Dokumentation und der Thematik selbst gründen
-, diese Tatsachen führen dazu, dass sich die Dokumentationsarbeit fast
unmerklich auf ein anderes Ziel einstimmt.
Es ist keine Frage, dass die Dokumentation eine der wichtigen Aufgaben der
Kunstwissenschaft und der Museen ist. Hier wird das an Wissen gesammelt, was
tradiert werden soll. Hier geht es um eine Kernaufgabe unseres Faches. Auf der
anderen Seite ist es jedoch auch keine Frage, dass die Nutzung von Datenbanken
zu Verwaltungsaufgaben absolut legitim ist. Auch das Verwalten der Werke ist
Kernaufgabe der Museen.
<17> Betrachten wir noch einen anderen Aspekt. Es gibt noch eine weitere Macht des
Faktischen, die sich immer stärker zu Wort meldet: Bisher hat niemand wirklich
bewiesen, dass umfangreiche wissenschaftliche EDV-gestützte Dokumentation die
Kunstwissenschaft als solche vorwärts bringt. Ketzerisch gefragt: Was haben denn
die vielen Arbeitsgruppen gebracht, die sich mit Standards oder Normthesauri beschäftigten? Was nutzen denn die
umfangreichen, wissenschaftlichen Datenbanken, von denen man immer noch sagen
muss, dass die unterschiedliche Datentiefe der einzelnen Datensätze nur zu
einer vorsichtigen Interpretationen des Rechercheergebnisses taugt? Sind kurze
Datensätze, die eine Ermittlung des Standortes oder des durchschnittlichen
Versicherungswertes ermöglichen, nicht wesentlich sinnvoller? So wird oft
gefragt und auf dieser Basis wird immer öfter entschieden.
<18> Betrachtet man kunsthistorische Datenbanken genauer, so gibt es
augenscheinlich noch tiefer liegende Ursachen für die häufig fehlende oder
wenig ausgeprägte Akzeptanz EDV-gestützter, wissenschaftlicher Dokumentation.
Datenbanken sind rein positivistischer Natur. Sie kennen nur Fakten oder
Nichtfakten, sie besitzen keine Zwischentöne und ignorieren qualitative
Maßstäbe. Die Liste der Künstler wird dem Nutzer beispielsweise alphabetisch
sortiert angeboten und spiegelt nicht die künstlerische Qualität der
eingetragenen Personen. So zumindest sind die meisten Datenbanken bzw. deren
explizite oder unausgesprochenen Regelwerke aufgebaut - sicherlich ginge es auch
anders. Auch die herkömmliche Dokumentation mit chronologisch angelegten
Inventarbüchern, alphabetisch sortierten Karteikarten und nach Inventarnummern
abgelegten Bildakten hat bzw. hatte weitgehend positivistische Strukturen. Bei
einer Recherche in der herkömmlichen Dokumentation fiel nur nicht so stark auf,
dass das Suchergebnis einer qualitativen Nachbearbeitung bedarf. Wirft die
Datenbank beispielsweise 150 namentlich bekannte Kölner Künstler aus, so muss
man jeden einzelnen in seiner künstlerischen Qualität bewerten, um aus der
chronologischen Sortierung auf eine Bedeutungsgeschichte der Kölner
Kunstgeschichte schließen zu können. Herkömmlich war es sehr viel
aufwändiger, die chronologische Liste zu erstellen, eine Bewertung der
Bedeutung ging jedoch mit dem Zusammenstellen der Liste parallel und trat
dadurch als notwendige Arbeitsleistung nicht so stark ins Bewusstsein.
<19> Das Problem verstärkend, ermöglichen EDV-gestützte Datenbanken heute ein
ganz anderes inhaltliches und zahlenmäßiges Umgehen mit Recherchen - aber eben
mit positivistischem Ergebnis. Ein kunstwissenschaftlich spezifisches Fragen ist
nur bedingt möglich, weil es die Regelwerkstrukturen nicht anders zulassen.
Wenn es zu einer verstärkten Nutzung von Datenbanken zu verwaltungstechnischen
Arbeiten kommt, so trägt sicherlich die Tatsache dazu bei, dass die meisten der
derzeitigen Datenbankkonzepte nur quantitative Fragen zulassen. Quantität ist
jedoch das Hauptmerkmal der Verwaltungsarbeit - die Kunstgeschichte ist dagegen
eine qualitative Wissenschaft: Hauptmethode ist das Beurteilen und Vergleichen.
<20> Eine ganze Reihe von weiteren, die museale EDV grundlegend prägenden
Rahmenbedingungen wurde bisher noch nicht angesprochen, beispielsweise der
Geburtsfehler, dass die EDV schleichend statt geplant in die Museen einzog: Erst
ein PC im Sekretariat, dann ein zweiter PC für einen der jungen Kuratoren, dann
persönlich genutztes dBASE, dann die Idee einer Museumsdatenbank, dann Windows
for Workgroups, dann eine weitere Datenbank für den Restaurator, usw. Oder: Das
mangelnde Fachwissen bzw. das fundierte Halbwissen in vielfacher Hinsicht. Oder:
Die Ablenkungskraft des Computers, von der Gefahr des Bildschirmsoges über den
Selbstbeschäftigungsfaktor bis hin zur blinden Technikeuphorie.
<21> Eine Entwicklung möchte ich noch herausgreifen, die sich nicht nur auf die
Museen bezieht, sondern die man auch an den kunsthistorischen
Universitätsinstituten sehen kann: Die immer wieder mit Enthusiasmus verbundene
Nutzbarmachung technischer Entwicklung für die Kunstgeschichte bzw. die Welt
der Museen. Für mich fing dies 1992 an, als im Bildarchiv Foto Marburg unter
meiner Beteiligung die Idee geboren wurde, das Informationssystem der National
Gallery London, die sogenannte Microgallery, nachzubauen und zu verbessern.
Statt statischer, vom Designer vorbereiteter Seiten sollte eine Datenbank dem
Nutzer dynamisch generierte Informationen liefern. Für die Kölner Museen
entstand mit Unterstützung von IBM so die sogenannte Lochner-Infothek als
didaktisches Informationssystem zur Ausstellung Stefan Lochner. Die nächste
Generation der Informationssysteme baute direkt auf der Browsertechnologie auf,
ohne sich noch um Spezialsoftware kümmern zu müssen. Auch aktuell sieht man
faszinierende Projekte und Ideen, seien sie seit Jahren im Aufbau begriffen oder
ganz aktuell erst begonnen. Die auf diesem Symposion vertretenen Vorträge
stellen hierfür wichtige Beispiele vor. Aber kann man diese Projekte nicht auch
unter dem Blickwinkel betrachten, dass neuere Initiativen mit ihrer brillanten
Technik von den Projekten der wissenschaftlichen Dokumentation ablenken, dass
sie diese weniger faszinierend und weniger erstrebenswert erscheinen lassen? Wer
mag sich noch der harten Arbeit der Datenerfassung zuwenden, wenn es
attraktivere Projekte zu realisieren gibt? Fassen Sie diesen Gedanken bitte
nicht als Kritik an Ideen, Projekten oder Personen auf, sondern als Beschreibung
einer weiteren Macht des Faktischen. Die schnelle technische Entwicklung, die
Brillanz des Neuen, die Faszination neuer Wege lässt Vorgänger schneller 'alt'
aussehen.
<22> Wie ich darzulegen versuchte liegt das Dilemma der EDV-gestützten,
wissenschaftlichen Dokumentation in der Macht des Faktischen, in der
summarischen Wirkung der Gegebenheiten. Dabei ist es noch nicht einmal das
Akzeptanzproblem selbst, welches die wissenschaftliche Dokumentation
grundsätzlich derzeit so belastet. Die Entwicklung treibt unter dem Einfluss
des Faktischen einfach in die beschriebene Richtung. Es gibt keine Steuerung,
weder im Sinne einer leitenden Institution noch im Sinne einer Zieldiskussion.
Wie kann man nun der EDV-gestützten, wissenschaftlichen Dokumentation einen
neuen Impuls verleihen? Ich denke, es gibt hierauf eine zweigeteilte Antwort:
<23> Die Spannung zwischen der wissenschaftlichen Ausrichtung der Datenbanken und
ihrer verwaltungstechnischen Nutzung ist kein Problem technischer oder
informationstechnologischer Natur. Es ist möglich (und wird auch realisiert),
Datenbanken mit ihren Regelwerken so offen zu halten, dass sie eine Erweiterung
der Datentiefe jederzeit ermöglichen, und Software so auszustatten, dass
Verwaltungsarbeit mit den wissenschaftlichen Daten durchgeführt werden kann.
Letzteres gilt nebenbei bemerkt seit kurzem auch für die DISKUS-Umgebung.
Indem man die Datentiefe mit geeigneten Strukturen erweiterbar hält, wird eine
kontinuierliche Entwicklung der Datenbank von einem Verwaltungswerkzeug in
Richtung auf EDV-gestützte wissenschaftliche Dokumentation möglich. Auf der
anderen Seite werden wissenschaftliche Datenbanken durch entsprechende
Ergänzung der Software auch zu Verwaltungswerkzeugen. Eine Offenheit der
Systeme und eine unideologische Sicht der Entwicklungsmöglichkeiten kann den
vermeintlichen Gegensatz von Inventarisation und Dokumentation lösen.
<24> Geht man die Lehrverzeichnisse der 44 deutschen Kunsthistorischen Institute
für das aktuelle Wintersemester durch, so findet man - wenn überhaupt -
Lehrangebote, in denen EDV eine Rolle spielt, nur unter den Übungen und
Proseminaren [1] - auch ein Ausfluss der Macht des
Faktischen? Mir ist eine
Ausnahme aufgefallen, ein EDV-Projektseminar an der Ruhr-Universität Bochum
[2]. Die
Arbeit an EDV-Projekten wird sicherlich neben diesen Proseminaren auch an
anderen Instituten eine Rolle spielen, ohne im Vorlesungsverzeichnis angegeben
zu sein. <25> Zunächst fällt die geringe Zahl an Übungen und Proseminaren mit EDV-Bezug
auf, dann aber auch, dass es hier fast keine Hinweise auf eine kritische
Auseinandersetzung mit dem Einsatz des Computers gibt. Mir ist bei einer -
zugegeben relativ schnellen - Durchsicht nur eine Bemerkung aufgefallen, in der
eine kritische Haltung zum Ausdruck kommt: In der ausführlichen Kommentierung
der Übung 'Kunstgeschichte und Computer' von D. W. Dörrbecker an der Uni
Trier
findet sich der Satz: "Wenn es dabei neben den praktischen Übungen im
Gespräch auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der durch das WWW
zusehends bewirkten Veränderung unserer Anschauungs- und Arbeitsmodalitäten
käme, so schiene mir dies kein Schaden" [3]. Erfreulich oft - gestatten Sie
mir diese persönlich motivierte Bemerkung - findet man Lehrangebote zum
Regelwerk MIDAS [4].
<26> Aus der Ferne des Museums betrachtet entsteht so der auch im Museumsalltag zu
beobachtende Eindruck, dass die computerkritischen Diskussionen, die
Diskussionen über die wissenschaftsmethodischen Konsequenzen des EDV-Einsatzes
in der breiten Ausbildung keine Rolle spielen.
Im Museumsalltag findet man bei den jungen Kollegen, denen der Umgang mit dem
PC keine größeren Schwierigkeiten abverlangt, eine absolut unkritische Haltung
gegenüber diesem neuen Werkzeug des Informationszeitalters. Bitte verstehen Sie
mich nicht falsch, wenn ich vom unkritischen Umgang mit dem Computer spreche, so
geht es mir nicht um die stets mit der Einführung neuer Medien geführte
Diskussion um Nutzen oder Schaden, um Abwehr oder Befürwortung. Jeder, der
einmal die Ergebnisse oder die Ziele eines der genannten EDV-Projekte gesehen
hat, wird sich nur deren Erfolg wünschen und ist froh, deren Möglichkeiten
nutzen zu können. Es geht vielmehr darum, die Rahmenbedingungen unter denen der
EDV-Einsatz erfolgt, zu reflektieren und gleichzeitig die Methodik der
Kunstwissenschaft weiterzuentwickeln.
<27> Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Einführung der Diaprojektion in die
Kunstgeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts wirklich nur didaktisch auf unser
Fach ausgewirkt hat. Im Falle der Universalmaschine Computer bin ich mir jedoch
sicher, dass deren Einsatz deutliche Konsequenzen auch auf die Methodik der
Kunstwissenschaft besitzt.
<28> Sehr einverstanden bin ich damit, was Ingeborg Reichle von der
Humboldt-Universität Anfang dieses Jahres schrieb: "Die Diskussion um die
Einführung digitaler Medien in die universitäre Kunstgeschichte oszilliert
hier zu Lande zwischen der Vorstellung einer digitalisierten Kunstgeschichte,
die die analogen Arbeitsweisen in effizientere digitale überführen will, und
einer digitalen Kunstgeschichte, die vorgibt, durch digitale Medien neue Wege im
kunstwissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu beschreiten" [5]. Es geht jedoch
weniger um ein Verdrängen von Medien, sondern "um die Einbindung dieser
Diskussion in einen größeren Untersuchungszusammenhang, der die enge
Verknüpfung der Methodik der Kunstgeschichte mit ihren technischen Apparaten
reflektiert [6].
<29> In Bezug auf wissenschaftliche Datenbanken gilt es beispielsweise über die
Konsequenzen des immanenten Positivismus nachzudenken, über Folgen der immer
stärkeren Mathematisierung des Wissens als grundlegende Rahmenbedingung. Dies
wird sicherlich auch zu neuen, dem kunstwissenschaftlichen Arbeiten besser
angepassten Datenbankstrukturen führen. Was an Unschärfe mit den Bits der
aktuellen Rechnerarchitektur trotz Fussy-Logik und neuronaler Netze vermutlich
nicht zu lösen sein wird, wird sich vielleicht mit den Qbits der Quantenrechner
realisieren lassen. Was mit den im Prometheus-Projekt entwickelten Techniken und
den Möglichkeiten des WWW für ein Forschen in vernetzten Datenbanken nicht
realisierbar sein wird, wird sich vielleicht mit dem Semantischen Netz der
Zukunft lösen lassen. Auch hier erwarte ich, wie auch bei der konsequenten
Anwendung von XML, Fortschritte in der wissenschaftlichen Erkenntnis.
<30> Unabdingbar für all dies halte ich jedoch nicht nur die Denkarbeit einzelner
Spitzenkräfte, sondern eine Verbreitung des hier erarbeiteten Wissens in der
Ausbildung. Wie beispielsweise jeder Diplombibliothekar in 30% seiner
Semesterwochenstunden [7] die Bedingungen seines Faches für den Einsatz der Neuen
Medien kennenlernt, so sollte der Kunsthistoriker den Computer nicht nur als
wissenschaftliches Werkzeug benutzen, sondern auch methodisch 'beherrschen' und
in seinen Konsequenzen kennen lernen. Eine verstärkte Forschung und besonders
Lehre über die immanenten Rahmenbedingungen des EDV-Einsatzes und seine
methodischen Konsequenzen bzw. über neue Methoden im Einsatz der Forschung
selbst wird dann - so hoffe ich - zu einer Wiederentdeckung der Bedeutung
wissenschaftlicher Dokumentation führen. Dies wird die Arbeit vermutlich sogar
mit neuen Strukturen versehen und neu orientieren. Und wenn sich dies alles
dennoch als nicht realisierbares Ziel herausstellen wird, weil etwa, wie
Hubertus Kohle 1998 schrieb, für Datenbanken mit höherem Status ein Aufwand zu
betreiben ist, "der in Zeiten des Sparen kaum realistisch erscheint" [8],
so könnte man der Macht des Faktischen zumindest eine das Handeln steuernde
Erkenntnis gegenüberstellen.
<31>
Einige Zuhörer haben diesem Vortrag das Adjektiv 'depressiv'
zusprechen wollen. Dem möchte ich auch an dieser Stelle widersprechen. Der in
diesem Vortrag immer wiederkehrende 'Refrain' der 'Macht des Faktischen' ist
nicht nur für die Museumslandschaft charakteristisch, er scheint mir vielmehr
Wesensmerkmal unserer Zeit zu sein. Er ist nicht Merkmal von Depression, sondern
er beschreibt nüchtern eine der Grundlagen aktuellen Lebens und Entscheidens.
Politik, gesellschaftliches Leben, Wissenschaft und Kultur werden von der Macht
des Faktischen geprägt. Mal ist diese Macht des Faktischen mit die Umgebung
verwandelnder Kraft verbunden, mal mit die Strukturen auflösender, mal mit
wirklich Neues aufbauender Kraft. Diese Macht des Faktischen ist nicht misszuverstehen
als Macht der Realität. Wäre dies so, so gäbe es in
Deutschland keinen 'Reformstau'. Nein, die Macht des Faktischen ist die Macht
des Gesetzten, des entweder von den Machtvollen bewusst Gesetzten, oder des durch
viele gemeinsam und damit machtvoll Gesetzten oder des zufällig Gesetzten.
Denkerische Prinzipiensuche, bewusstes Abwägen, intellektuelles Verantworten,
kenntnisreiches Gestalten hat kaum noch Einfluss auf den Gang der Dinge. Es
kommt allein auf das Gesetzte an: "Die Finanzsituation ist nun einmal
so!" - "Wenn doch die Mehrheit dieser Ansicht ist!" - "Wenn
man damit doch vielen helfen kann!" - "Hätte man etwas ändern
können?" - "Machen es denn nicht alle so?" - "Das ist doch die Gelegenheit!"
Wie viele Entwicklungen scheinen naturgesetzlich zementiert zu
sein.
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