Susanne Schumacher, Katharina Bosch
QWi++
Kunstwissenschaft und Informationstechnik
<1> Die Gegenstände der
Kunstwissenschaft liegen zunehmend in digitalisierter Form vor. Auch die
Werkzeuge und Plattformen, derer sich das Fach bedient, sind mittlerweile
zunehmend digital. Um diese Entwicklung für die Kunst- und
Architekturgeschichte fruchtbar zu machen, gilt es, systematisch die
Möglichkeiten der Informationstechnik auszuloten und für das Fach
Kunstwissenschaft anwendbar zu machen. Dieses Ziel verfolgen die Professur für
CAAD an der ETH Zürich und die Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich in
Theorie, Anwendung und Experiment. In Forschung und Lehre wird versucht
herauszufinden, wie kunstwissenschaftliche Recherche, Analyse und Darstellung
mit Hilfe digitaler Werkzeuge unterstützt, vertieft und erweitert werden
können bzw. neu zu definieren sind.
<2> In der Geschichte der Kunstwissenschaft vollzog sich mit jedem
Wechsel der Darstellungsmedien auch eine Veränderung der Untersuchungs- und
Vermittlungsweisen. Signifikante Beispiele sind die Einführung des
Kupferstichs, der Fotografie und der Lichtbildprojektion. Mit der
Digitalisierung der Abbildungen von Gegenständen der Kunstgeschichte liegen die
zu untersuchenden Werke in einer weiteren, grundlegend anderen Form vor.
Bemerkenswert ist, dass die Plattform der Erstellung, nämlich der Computer, nun
auch als Plattform der Analyse dienen kann. Hier zeichnen sich neue
Möglichkeiten der ‚Bildaneignung’ ab: Ein digitales Bild birgt
Informationen, zum Beispiel zu Farb- und Formverteilungen, die den KunsthistorikerInnen
verborgen bleiben, aber mit Hilfe digitaler Techniken exzerpiert werden können.
Es stellt sich nun die Aufgabe, die Art dieser Informationen kennen zu lernen
und zu bewerten, Methoden zu entwickeln, sie aus den Datenstrukturen
herauszulesen und ihren Erkenntniswert zu ermitteln. Denn ein Feld der
zukünftigen Kunstwissenschaft wird es sein, konzise Fragen zu
formulieren, die an digitale Bilder gerichtet werden können. Dafür erscheint
es sinnvoll, digitale Werkzeuge zu entwickeln, die der kunsthistorischen Analyse
und dem Erkenntnisgewinn dienen. <3> Diese Fragestellungen wurden in Zürich von CAAD und HGK in
zwei disziplinübergreifende Forschungsansätze überführt, zu deren Themen die
beiden VerfasserInnen promovieren: Das Projekt LUISE.bdb widmet sich dem
Vergleich vieler Bilder nach Gesichtspunkten von Ähnlichkeiten. Der
zweite Ansatz unter dem Arbeitstitel ‚bild und werkzeug’ strebt die
Entwicklung computergestützter Instrumentarien für die Kunstwissenschaft und
Architekturgeschichte an.
Experimentelle Bilddatenbank für Anwendungen im Bereich Kunstwissenschaft
und Architektur, Professur für CAAD, D-ARCH und The Database Research Group,
Informatik, ETH Zürich
<4> Spezialisierte Algorithmen ermöglichen den Vergleich von Bildern nach
Kriterien der ‚Bildähnlichkeit’ (Content Based Image Retrieval = CBIR). In
einer Kooperation der ETH-Professuren für Datenbank-Systeme und für CAAD wird
eine Bilddatenbank-Anwendung erstellt, die für die Anforderungen der
Kunstwissenschaft die Verschränkung von inhalts- und stichwortbasierter Suche
praktisch erprobt. Dies bedeutet eine Verknüpfung der bildorientierten mit der
metadatengestützten Suche. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten der
Bildähnlichkeitssuche für das Fach Kunst- und Architekturgeschichte
hinterfragt. Hierbei werden Formen der Unterstützung kunstwissenschaftlicher
Methoden durch inhaltsbasierte Suchalgorithmen in einer Datenbank gesucht.
Umgekehrt sollen historische Ordnungsverfahren und kanonisierte
Verwaltungsformen von Bildern und Metadaten das computergestützte Verwalten von
Bildern strukturell unterstützen. Welche neuen Sichtweisen auf die Betrachtung
und Ordnung von Bildern können die Methoden der Informationstechnik der
kunstwissenschaftlichen Arbeit bieten?
<5>
Mit den Anwendungsmöglichkeiten dieser Datenbank ergeben sich neue
Perspektiven auf einige Themen der Kunstwissenschaft. Was bedeutet ‚Ähnlichkeit’
beim Vergleich von Bildern? Wie steht ein Motiv im Verhältnis zur Abbildung?
Können Aspekte der Nachahmung, der Mimesis, mit Hilfe der
Bildähnlichkeitssuche neu gesehen werden? Welche Methoden des Vergleichens
bieten sich? Verändern sich Untersuchungsergebnisse durch die Kombination von
inhaltsbasierter Analyse und stichwortbasierter Suche?
Professur für CAAD, D-ARCH, ETH Zürich, Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich
<6> In diesem zweiten Projekt sollen computergestützte
Instrumentarien für das Fach Kunst- und Architekturgeschichte entwickelt
werden. Hierfür werden Arbeitsschritte und Methoden der Kunstwissenschaft sowie
die Werkzeuge aus der Informationstechnik gesichtet und miteinander verglichen.
Aus der Perspektive des jeweils anderen Faches soll nach gemeinsamen neuen
Anwendungsfeldern gefragt werden. Beginnend bei statistischen, quantitativen
Beschreibungsverfahren gelangt man zu Analysewerkzeugen mit qualitativ wertender
Absicht. Hierbei stellt sich die Frage, inwiefern computerbasierte Anwendungen
für die inhaltlichen Fragestellungen der Kunst- und Architekturgeschichte
nutzbar gemacht werden können bzw. umgekehrt, ob Methoden der Kunst- und
Architekturgeschichte Ausgangspunkte für Entwicklungen im Bereich der
Informationstechnik bieten können.
<7> Als Experimentier- und
Anwendungsfeld computergestützter Kunst- und Architekturgeschichte dienen
gegenwärtig zwei Lehrveranstaltungen. Bei diesen werden Fragestellungen
erprobt, die vor allem das Verhältnis zwischen Analyse und Darstellung
thematisieren.
<8>
re>>play haus melnikow
Das Diplomwahlfach re>>play fokussiert
Höhepunkte der Architektur- und Mediengeschichte. Die TeilnehmerInnen
recherchieren und analysieren historisches Material und lernen, es mit digitalen
Werkzeugen für den Bildschirm und für interaktive Raumprojektionen wiederzubeleben. Das Experiment mit multimedialen Darstellungsmöglichkeiten steht im
Mittelpunkt. <9> Der inhaltliche Schwerpunkt des WS 2002/03 ist das
Atelierhaus von Konstantin Melnikow. Es stellte 1927 ein Einzelwerk innerhalb
der Moskauer Avantgarde dar. Formal einzigartig besteht es aus zwei ineinander
geschobenen, von wabenförmigen Fenstern überzogenen Zylindern. Im Rahmen von
‚re>>play haus melnikow’ werden die formalen und ästhetischen Aspekte
des Künstlerhauses untersucht und anschließend als großformatiger
interaktiver Bildraum dargestellt.
<10>
Pavillons: AnalyseDigital
Der Pavillon spielt spätestens seit dem 20. Jahrhundert als programmatische
Manifestation innovativer Raum-, Konstruktions- und Entwurfskonzepte eine
bedeutende Rolle. Im Rahmen einer dreiwöchigen Blockveranstaltung werden das
konstruktive und das fließende Prinzip als die beiden formalen Haupttendenzen
der Pavillon-Architektur thematisiert. Ausgangsbeispiele sind der Russische
Pavillon von Konstantin Melnikow (Paris 1925) und Friedrich Kieslers Konzept des
‚Endless House’ (1952). Zu diesen und weiteren ausgewählten Repräsentanten
innovativer Pavillonarchitektur werden unter Anwendung kunsthistorischer
Methodiken digitale Analysen erstellt und die Ergebnisse online präsentiert.
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