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2 (2003), Nr. 1: Inhalt
Abstract
Lernen im digitalen Themenraum
Medienbrüche - Medienmissverständnisse
Mediendidaktische Analyse des Internets
Exploratives Lernen
Kunstgeschichte und Neue Medien
Konzeption des Themenraums "Altenstadt"
Schluss
Anmerkungen
Autor
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Holger Simon

Lernen im digitalen Themenraum. Exploratives Lernen im Internet aus kunsthistorischer Sicht

Abstract   

Die Vorteile der verbesserten Präsentation von Informationen durch Neue Medien auch im Seminarkontext und die komfortable Beschaffung von Informationen im Internet sind evident. Sie ergänzen und verbessern die herkömmlichen Arbeits- und Lernstrukturen. Möchte man die Neuen Medien aber als didaktisches Mittel einsetzen, so müssen die medienspezifischen Bedingungen der Hypertextstruktur bei der Realisierung berücksichtigt werden. Für den Rezipienten bedeutet dies, dass er im Internet zur Aktivität aufgefordert werden muss, um sich im Wissensnetz zu bewegen. Während beim Buch die Textualität durch die Seitenfolge vorgegeben ist, muss der Anwender sich in der Hypertextstruktur seine Textualität selber konstruieren.
Dahinter steht das Konzept des explorativen Lernens, in dem der Lernende Akteur ist, der seinen Lernweg selbst bestimmt und entscheidet, wann er welche Fragen stellen und beantworten möchte. Der Inhalt und seine Präsentation sind hierbei direkt voneinander abhängig. Daraus folgt zwingend eine gleichberechtigte Zusammenarbeit von Mediendidaktik, Design, Informatik und Fachwissenschaft. Nur eine solche ermöglicht die gemeinsame Realisierung eines digitalen Themenraums im Netz, dessen Konzeption an einem Beispiel veranschaulicht wird.

Lernen im digitalen Themenraum

<1>
Durch Film und Fernsehen, vor allem aber durch digitale Medien wie das Internet rücken visuelle Repräsentationen auf allen sozialen, politischen und ökonomischen Ebenen verstärkt in den Vordergrund und es verwundert nicht, wenn sich spätestens seit Anfang der 90er Jahre mit W. J. Thomas Mitchells These vom "pictorial turn"[1] die Aufmerksamkeit der Kulturwissenschaften auch auf eine Kritik der visuellen Kultur richtet.
Der Kunstwissenschaft kommt hierbei eine zentrale Stellung innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses zu. Die Bildwissenschaft hat die These schon längst aufgenommen und diskutiert unter den Begriffen "iconic turn" und "pictorial turn" unterschiedliche Ansätze einer Theorie der visuellen Kultur. Dieser theoretischen Diskussion von Kultur steht seit den 90er Jahren eine Kultur- und Bildungspolitik gegenüber, die mit verschiedensten Programmen - wie "Schulen ans Netz", "WAP" oder neuerdings "Medien in der Bildung" - Millionen von Steuergeldern verteilt und die damit die Hoffnung verbindet, Medienkompetenz in Wissenschaft und Bildung zu wecken und e-learning zu fördern.

<2>
Profitierten zu Beginn vor allem die Ingenieur- und Naturwissenschaften von diesen Geldern, haben spätestens seit dem jüngsten bmb+f-Programm [2] auch die Geisteswissenschaften den Computer entdeckt. So ist die Kunstgeschichte gleich mit zwei großen Projekten, "Schule des Sehens" und "prometheus - Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre", vertreten.
Beide Ebenen, die Diskussion um eine Theorie der visuellen Kultur und die didaktischen Fragen hinsichtlich der digitalen, vor allem visuellen Lehr- und Lernmedien, sind direkt aufeinander bezogen. Auf der einen Ebene ist der Kunsthistoriker Subjekt des theoretischen Diskurses über die Medien und auf der anderen Ebene ist er Anwender derselben.

<3>
Der Schwerpunkt meiner Ausführungen liegt ganz auf der zweiten Ebene. Ich möchte der Frage nachgehen, wie der Wissenstransfer in den digitalen Medien, vor allem dem Internet, überhaupt möglich ist, und wo die Unterschiede zu den herkömmlichen, akzeptierten Medien, in diesem Fall zum Buch oder mündlichen Vortrag, liegen. Ich werde hier - auf dem ersten Blick vielleicht etwas untypisch für einen Kunsthistoriker - eine dezidiert mediendidaktische Position einnehmen und die Möglichkeiten und Bedingungen des Lernens im Internet in den Vordergrund stellen.
Meine These ist, dass die Neuen Medien aufgrund ihrer spezifischen Struktur ein bestimmtes didaktisches - altes - Konzept, das explorative Lernen, einfordern. Infolgedessen stellt sich nicht die Frage, ob e-learning überhaupt sinnvoll ist, sondern welche Bereiche der Kunstgeschichte sich aufgrund der medienspezifischen Struktur besonders gut - vielleicht sogar nur - über die digitalen Medien vermitteln lassen. Zum Ende meiner Ausführungen werde ich ein mögliches Beispiel, einen sogenannten 'Themenraum', in seiner Konzeption kurz vorstellen.

Medienbrüche - Medienmissverständnisse

<4>
Um ein erstes Vorverständnis von den spezifischen Differenzen der Medien zu bekommen, ist ein Blick auf den Zeitpunkt ihrer Einführung und ersten Anwendung sehr aufschlussreich, weil sogenannte Medienbrüche immer auch Medienmissverständnisse evozieren, anhand derer die Differenzen der 'neuen' und 'alten' Medien deutlich werden.
Zu Beginn der populären Verbreitung von Radio und Fernsehen zum Beispiel dachte man, dass die wichtigsten Inhalte für Rundfunk- und Fernsehübertragungen vor allem Theater- und Opernaufführungen seien [3]. Die historische Aufnahme von Goethes Faust mit Gründgens und Quadflieg ist ein Relikt dieser Vermutung, die schon in den folgenden Jahren nicht bestätigt wurde. Der Filmschnitt bietet andere Möglichkeiten als die Kontinuität einer Theateraufführung. Doch beides, das Fernsehen und das Theater, bestehen heute nebeneinander; das Fernsehen konnte das Theater nicht ablösen, weil es ganz anderen medienspezifischen Bedingungen folgt. Ganz im Unterschied zur CD; sie konnte die Schallplatte in kurzer Zeit vollständig ersetzen, weil sie die selben medienspezifischen Bedingungen besser umsetzen kann als ihre Vorgängerin.

<5>
Vor dem Hintergrund der Frage, welchen mediendidaktischen Nutzen die Kunstgeschichte aus den digitalen Medien ziehen könnte, erscheint ein selbstkritischer Blick ins Internet hilfreich, um anhand solcher Medienmissverständnisse die Richtung der Medienanalyse bestimmen zu können.
Das Internet, so könnte man etwas verallgemeinert sagen, wird aus kunsthistorischer Sicht vor allem als ‚Informations- bzw. Wissensbörse’ genutzt. Über verteilte Datenbanken findet man schnell das gesuchte Buch, immer häufiger werden Aufsätze und sogar ganze Bücher im pdf- oder Dokumentenformat zum Herunterladen angeboten. Die Internetanwender nutzen hier die komfortablen Verbreitungsmöglichkeiten des Internets. Ziel ist dabei das herkömmliche Medium Buch oder der ausgedruckte Text, den man am Schreibtisch und nicht am Bildschirm liest.

<6>
Will man nun das Internet als genuines Publikations-, das heisst als Lese- oder gar Lernmedium nutzen, offenbaren sich die Besonderheiten des digitalen Mediums, und das Internet wird eine wunderschöne Fundgrube für sogenannte Medienmissverständnisse. Damit meine ich nicht nur die 36 Aufsatzseiten, die ein Autor ins Internet stellt und den Leser zum meterlangen Scrollen zwingt. Viel spannender sind zum Beispiel die Anmerkungen in einer solchen wissenschaftlichen Internetpublikation, die der ambitionierte Internetuser als Hyperlink entdeckt. Ein Klick auf eine Anmerkung genügt und der Bildschirmleser findet sich plötzlich am Ende der HTML-Seite im Anmerkungsapparat wieder. Man kann nur hoffen, dass es dort einen Link gibt, der an obige Stelle zurückspringt, ansonsten beginnt ein lästiges Suchen mit dem Scrollbalken im Text, weil die Zurück-Taste browserabhängig ist und nicht immer in der gleichen Weise funktioniert. Nicht selten wird der Leser mit der traditionellen Literaturabkürzung ’Müller 1996 (wie Anm. 2)’ oder nur ’Müller 1996’ konfrontiert, und er wird auf eine weitere Anmerkung oder auf das Literaturverzeichnis verwiesen. Spätestens jetzt verirrt sich der Internetleser vollständig im Linknetz.

<7>
Was in dem einen Medium sinnvoll ist, kann in einem anderen Medium zur Farce werden. Im herkömmlichen Buch benötigt der Leser nur eine kleine Augenbewegung, um die Anmerkung am Seitenende zu lesen (oder der Finger ist ein sicheres Lesezeichen), im Internet wird dies im obigen Beispiel eine aufwendige Textsuche. Und die Verwendung von Zitatkürzeln, die im Buch der besseren Übersicht im Anmerkungsapparat und der Verringerung der Druckseiten dienen, erscheinen im Internet unnötig.

<8>
Dieses sehr einfache Beispiel zeigt erstens, dass die selbe Gestaltung einer Information in zwei unterschiedlichen Medien ganz unterschiedlich funktionieren kann. Will man schon online publizieren, so könnte eine Art Quickinfo, die bei Berührung der Fußnotenzahl oder des Zitatkürzels die vollständige Anmerkung anzeigt, Abhilfe schaffen. Eine arbeitsökonomisch sinnvolle Anpassung soll mittelfristig erfolgen. Dafür wird aber jeder Artikel im pdf-Format angeboten, der im Ausdruck wieder den gewohnten Lesekomfort ermöglicht.

<9>
Zweitens sollte dieses Beispiel uns warnen, als didaktische Laien das Internet sogar als Lehr- und Lernmedium nutzen zu wollen, ohne zuvor nach den mediendidaktischen Bedingungen des Internets gefragt zu haben. Ein Medium, das schon bei der einfachsten Textpräsentation Schwierigkeiten aufwirft, stellt für dessen Nutzung als Lernmedium besondere Ansprüche an den Entwickler. Namhafte Wissenschaftler aus den Medienwissenschaften und der Mediendidaktik, wie Kerres, Mandl und Schulmeister, um nur eine Auswahl der Protagonisten zu nennen [4], haben in den letzten Jahren das Internet ausführlich analysiert, so dass ich mir hier erlauben kann, basierend auf deren Forschungen nur auf die - vor allem für die Kunstgeschichte - wesentlichen Kriterien des Mediums einzugehen.

Mediendidaktische Analyse des Internets

<10>
Grundsätzlich sind mindestens drei Anwendungsbereiche der Neuen Medien in der Diskussion hinsichtlich Nutzen und Nachteil zu unterscheiden.

Neue Medien als Präsentationsmedium
Die Vorteile der digitalen Medien zur Präsentation multimedialer Information sind evident [5]. Neben dem Ton und den bewegten Bildern bieten sie herausragende Möglichkeiten zur Visualisierung von Räumen und dreidimensionalen Objekten. Für die Kunstgeschichte ergeben sich hier neue und sehr gute Möglichkeiten, die Forschungsgegenstände in der Lehre zu visualisieren. Wenn die Arbeit vor dem Original oberstes Gebot ist, dem der Kunsthistoriker und die Kunsthistorikerin durch viele Reisen und Exkursionen nachzukommen pflegen, dann fordert dieses Gebot zur bestmöglichen Visualisierung im Seminarkontext geradezu auf. Statische Diaprojektionen von Räumen können durch bewegte Bildanimationen in CAD oder QuickTime sehr gut ergänzt und zerstörte Gebäude besser als in jeder Zeichnung visualisiert werden. Die schlechte Overhead-Folie wird hoffentlich bald ganz aus dem Seminarkontext verschwinden und die Beamerpräsentation jede Diaprojektion ablösen [6].

<11>
Internet als Informations- und Wissensbörse
Schon die heutige Vielfalt im Internet - gerade mal zehn Jahre nach seiner Popularisierung - zeigt, dass die Möglichkeiten von Information und Kommunikation schier unbegrenzt sind. Und dabei stehen wir noch am Anfang. Mit leistungsstarken Suchmaschinen und gut betreuten Linklisten kann man das gesamte Internet zielsicher durchsuchen; die Anzahl herausragender Datenbanken zu den verschiedensten Wissenschaftsbereichen steigt exponentiell. Ganze Editionen werden im Internet zur Verfügung gestellt. Doch analog zur Systematik einer Bibliothek, in die jedes propädeutische Seminar an den Hochschulen einführt, gibt es auch im Internet Regeln und Systematiken, die es zu beherrschen gilt, um nicht in der Vielfalt von Informationen unterzugehen. Internetkompetenz gehört heutzutage ebenso zur wissenschaftlichen Grundausbildung wie die Zitierregeln des eigenen Fachs.

<12>
Beide Anwendungsbereiche, die digitale Präsentation und die Informations- und Wissensbörse, nutzen wichtige Vorzüge der Neuen Medien. Das Ziel ist mal eine verbesserte Präsentation und mal eine komfortablere Beschaffung von Information. Beide Bereiche ergänzen und verbessern heutige Arbeits- und Lernstrukturen, ohne dass die herkömmlichen Lernmethoden verändert werden müssten: Das Seminar wird von einer Beamer- statt Diapräsentation begleitet, und am Schreibtisch liest man einen ausgedruckten Text aus dem Internet.
Will man die Neuen Medien aber als ein didaktisches Lernmedium nutzen, müssen die herkömmlichen Lehr- und Lernmethoden grundsätzlich überdacht und die Neuen Medien einer spezifischen Analyse unterzogen werden.

<13>
Neue Medien als didaktisches Mittel
Aus mediendidaktischer Sicht ist der zentrale Unterschied der digitalen Medien zu den herkömmlichen - wie dem Buch oder dem mündlichen Vortrag - der Hypertext. Ein Buch ist linear aufgebaut, und es gibt dem Leser eine bestimmte Leseabfolge vor, die er nur bedingt über die einzelnen Kapitel verändern kann. Im Gegensatz dazu wird die Linearität in Hypertextsystemen nahezu vollständig aufgelöst und der Anwender steht vor einem Netz an Informationen, die durch Verknüpfungen, durch sogenannte Links, verschiedenartig miteinander verbunden werden.

<14>
Dieser Unterschied zieht eine Konsequenz sofort nach sich: Nicht jeder Inhalt scheint für alle Medien in gleicher Weise geeignet zu sein [7]. Um eine längere Argumentation in einer bestimmten Abfolge und über mehrere Seiten zu erarbeiten, wird jeder auch zukünftig das Buch vorziehen. Im Internet muss man die Argumente aufgliedern und netzartig verlinken. Dadurch wird aber eine zwingende Linearität aufgegeben, die grundsätzlich erwünscht sein könnte.
Aus didaktischer Sicht verhalten sich das Buch und der Hypertext geradezu gegensätzlich, und so haben diese formalen Mediendifferenzen entscheidende Folgen für den Rezipienten: Während der Autor eines Buches dem Leser die Textualität vorgibt, der er mehr oder weniger passiv folgen kann, ist der Internetnutzer zur ständigen Aktivität verdammt. Er muss immer wieder neu entscheiden, welchen Link er betätigt, welchen Weg er im Hypertext geht. Der Internetnutzer erschafft sich seine Textualität also selbst, folglich können die Autoren solcher Systeme nur Angebote liefern, aus denen sich der Anwender sein Wissen konstruiert.

<15>
Es sollte an dieser Stelle besonders betont werden, dass sich solche Hypertextsysteme von den oben genannten Informations- und Wissensbörsen grundsätzlich unterscheiden. Es sind Lernumgebungen, in denen nicht die Beschaffung von Informationen zum Ausdruck auf Papier das oberstes Ziel ist, sondern die Aufbereitung der vernetzten Struktur komplexer Inhalte für das Internet. Solche Inhalte könnten schließlich nur im Internet studiert werden, weil jeder lineare Textausdruck ihre vernetzte Struktur reduziert wiedergeben würde.

<16>
Solche hypermedialen Lernumgebungen erklären Spiro und Jehng mit der Theorie der "kognitiven Flexibilität" [8], die sie anhand einer Metapher verdeutlichen. Man stelle sich eine unbekannte Landschaft vor, die einem Lernenden vermittelt werden soll. Während der Leser eines Buches aufgrund der Linearität den Wegen des Autors durch die Landschaft monoperspektivisch und monodirektional folgt, bleibt es in Hypertextsystemen dem Anwender überlassen, welche Wege er geht. Er bewegt sich in einem multiperspektivischen und multidirektionalen Raum.
Interessanterweise entspricht diese Multiperspektivität und Multidirektionalität sehr viel mehr der spezifischen Struktur der Themen, die die Geisteswissenschaften zum Gegenstand ihrer Forschungen erheben. Dort gibt es selten nur eine Meinung, sondern historische, politische, ökonomische und soziale Fragestellungen ermöglichen jeweils eine andere Sicht auf ein und das selbe Phänomen. Gerade in dieser strukturellen Offenheit und Unschärfe der Hypertextsysteme liegt meines Erachtens die große Chance für kulturwissenschaftliche Themen im Internet.

Exploratives Lernen

<17>
Aufgrund dieser spezifischen Bedingungen der Hypertextsysteme kommen die Autoren Mayes, Kibby und Anderson vom Scottish Human-Computer Interaction Center zu dem Schluss, dass die Hypertext-Systeme eher Lern- als Lehrsysteme seien. Computersysteme, so die Autoren, "based on hypertext are rightly called learning systems, rather than teaching systems […]. They provide an environment in which exploratory or discovery learning may flourish" [9]. Die Struktur dieser Hypertextsysteme verweist also auf ein pädagogisches: Konzept aus der kognitiven Psychologie [10], die schon in den 60er und 70er Jahren das explorative und entdeckende Lernen einer instruierenden Pädagogik vorgezogen hat [11]. Im Konzept des explorativen Lernens ist der Lernende der Akteur, er bestimmt seinen Lernweg, er entscheidet, welche Fragen er wann stellen und beantworten möchte.

<18>
Damit ändert sich die Perspektive von einer mediengestützten Lehre hin zu einer Mediendidaktik des Lernens. Für die Aufbereitung der Lehrinhalte bedeutet dies, dass die Angebote in einer hypermedialen Lernumgebung so aufbereitet sein müssen, dass sie einen Lernenden motivieren, ein Thema zu erforschen.
Anders gesagt, eine Lernumgebung kann sich nicht mehr auf eine Ansammlung von festen Wissenselementen beschränken, die man sich herunterlädt, lernt und anwendet, sondern in Hypertextsystemen werden die Inhalte in offenen Themenräumen umgesetzt, die den Anwender direkt ansprechen und motivieren müssen, immer wieder neue Wege innerhalb eines Themas zu betreten, indem er Links betätigt.

<19>
Die Spielindustrie hat das Phänomen des explorativen Lernens längst entdeckt. Es ist nicht nur eines der Erfolgsgeheimnisse von Computerspielen wie ’Tomb Raider', sondern auch komplexe Simulationsspiele gewinnen von dort her ihren didaktischen Wert [12].

<20>
Es genügt aber nicht, dem Anwender die Angebote neuer Wege nur als Links in der Lernumgebung zur Verfügung zu stellen; gelangweilt wird er nach kurzer Zeit das Programm abbrechen. Gibt die Linearität des Buches die vom Autor intendierte Leserichtung Seite um Seite vor, muss der Anwender hypermedialer Lernumgebungen motiviert werden, zwischen verschiedenen Wegen zu entscheiden und sich seine Textualität selber zu erzeugen. Diese Motivation gelingt aber nur in einem sinnvoll auf den jeweiligen Gegenstand und die Inhalte hin abgestimmtes Usability-Design. Theoretisch haben die Mediendidaktiker die Bedeutung des Designs längst erkannt: Kerres spricht von einer "gestaltungsorientierten Mediendidaktik" oder "Didaktischem Design" und Schulmeister plädiert in Anlehnung an Clancey für ein "partizipatorisches Design" [13]. Allein aus den hier zitierten Begriffen wird schon deutlich, dass in diesem Kontext Design nicht als ein ‚Anhübschen’ fertiger Software verstanden wird, sondern dass die Information, ihre Präsentation im Hypertext und ihre Anwendung notwendig aufeinander bezogen sind. "Programmierung, Design, Wissensgestaltung, Wissensinhalt und Fragen nach den Zielen des Wissens können nicht getrennt von einander entwickelt werden. In der multimedialen Präsentation von Wissen über Lern- und Wissensprogramme ist das ’Wie’ ebenso entscheidend für das ’Was’ wie auch umgekehrt; das ’Warum’ prägt die anderen beiden Faktoren, so wie es immer auch von ihnen bestimmt wird". [14].

<21>
In den Wissenschaften scheint immer noch der Hässlichkeit und Umständlichkeit Vorrang vor einem anwenderorientiertem Design gegeben zu werden. Was hilft es uns aber, wenn wir in Zukunft phantastische Archive und Themenräume haben, die nur von den Wissenschaftlern benutzt werden, die ihre bestimmte Urkunde oder Quelle schon kennen. Ich plädiere hier für eine wirklich interdisziplinäre Arbeit an der gemeinsamen Entwicklung eines Knowlegde-Designs mit Medienpädagogen, Designern, Informatikern und Fachkollegen. Auch in diesem Fall könnte man von der Spielindustrie lernen, und ein bisschen mehr 'Edutainment' würde der Wissenschaftsdidaktik nicht schaden.

<22>
Doch zurück zum explorativen Lernen. In der heutigen medienpädagogischen Forschung wird mit dem Konzept des explorativen Lernens vor allem ein modernes neurophysiologisches und erkenntnistheoretisches Modell von Wissen verbunden, das unter einem konstruktivistischem Paradigma steht. Die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung haben längst gezeigt, dass unser Wissen nicht isoliert wie in einem Wissensbehälter vorliegt und abgerufen wird, sondern vernetzt codiert und ebenso wieder memoriert wird. Es gibt kein objektives und festes Wissen, dem sich das Subjekt gegenüber nahezu passiv verhält, sondern das Wissen wird ständig aktiv vom Subjekt konstruiert. Dieses konstruktivistische Verständnis von Wissen hat unmittelbare Folgen für die Lehre und das Lernen [15]. Der Dozent kann keine festen und vom Kontext isolierten Lernzielkataloge vorgeben, sondern dem Lernenden nur Inhalte anbieten, die seine eigene Wissenskonstruktion anregen und fördern [16].

<23>
Die heutige Lehre - vor allem an den Hochschulen - folgt zumeist immer noch dem antiquierten Verständnis von festen Wissensinhalten. Das Konzept eines explorativ Lernenden provoziert die Kathederlehre der heutigen Hochschuldidaktik, und möglicherweise verbirgt sich dahinter die eigentliche Motivation der meisten akademischen Fundamentalkritiker an digitalen Lernsystemen. Ein Wandel, wie ihn Rolf Schulmeister in Bezug auf die Bedeutung virtueller Lernumgebungen sehr angemessen zusammenfasst, ist hier längst überfällig:
"Bezogen auf das virtuelle Lernen bedeutet diese Position, dass den Lernenden mehr Raum zur aktiven Dokumentation und zum Austausch ihrer Denkprozesse, mehr Raum für aktives Tun und für das Konstruieren von Wissen und Programme als Werkzeuge für die kognitive Konstruktion von Wissen angeboten werden sollten, in denen die vorgefertigten Lernmaterialien wie Lehrbücher und Skripten eine neue Funktion erhalten. Sie erscheinen in Lernumgebungen, die reichhaltigere Informationen bieten und vielfältige Sichten auf dieselben Phänomene enthalten". [17]

<24>
Eine ‚neue Funktion’ können Lehrbücher und Skripte aber nur bekommen, wenn man die Möglichkeiten des Mediums zu nutzen versucht. Damit spricht sich Schulmeister ausdrücklich gegen das Verständnis einer Lernumgebung aus, die nur Texte zum Lesen oder Downloaden bereitstellt.

Kunstgeschichte und Neue Medien

<25>
Welche Schlüsse können wir aus der kurzen mediendidaktischen Analyse von Hypertextsystemen und den Ausführungen zum explorativem Lernen für die Anwendung der Neuen Medien in der Kunstgeschichte ziehen?
Verwenden wir die digitalen Medien zur schnelleren Kommunikation und Verbreitung unserer Publikationen oder zur verbesserten Präsentation und Visualisierung unserer Forschungsobjekte in der Lehre oder bei Vorträgen, dann ist der Nutzen offensichtlich und der Mehrwert liegt auf der Hand.
Wollen wir die digitalen Medien, vor allem das Internet aber als Lernwerkzeug gebrauchen, so weisen uns die Mediendidaktiker darauf hin, dass wir nicht einfach die Präsenzlehre in das digitale Medium übertragen können, sondern die spezifischen Medienkriterien bedenken müssen, die - optimal gesehen - einen explorativ agierenden und seine eigene Textualität konstruierenden Lernenden voraussetzen.

<26>
Der Bonner Literatur- und Kulturwissenschaftler Norbert Gabriel hebt in seinem sehr erhellenden Buch "Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter" drei Aspekte aus den aktuellen mediendidaktischen Positionen besonders hervor [18], die als Kriterien für eine konkrete Umsetzung hypermedialer Lernumgebungen innerhalb der Kulturwissenschaften dienen können.

<27>
Die Neuen Medien fördern erstens die "Individualisierung von Lernprozessen" [19]. Der Lerner wird im Hypertext zum selbstgesteuerten Lernen aufgefordert. Er bestimmt die eigenen Ziele, Inhalte, Medien und Lernwege. Eine konzise Argumentationskette, die in einem Buch mehrere Seiten einnehmen würde, ist im Hypertext nur sehr schwer visualisierbar.
Aus der Individualisierung der Lernprozesse folge zweitens, dass die Usability, die Gestaltung und Nutzerführung auf den Anwender zugeschnitten sein muss. Die Motivierung des Anwenders, neue Wege zu betreten, in dem er dem nächsten Link folgt, ist ebenso wichtig wie die Erforschung der Inhalte. "Interaktivität und Edutainment" [20] sind nach Gabriel besondere Stärken der Neuen Medien.
Drittens hebt Gabriel die "unbegrenzte Information und Kommunikation" [21] hervor, die einerseits einen größeren Austausch unter den Fachwissenschaftlern fördern könnte und andererseits eine Dekanonisierung der Inhalte zur Folge hat, weil grundsätzlich alles angeboten werden kann. Kerres sieht hier ein faszinierendes Paradoxon: "Die Attraktivität des Internets liegt in dem ständig wachsenden Universum verknüpfter Information. Das Eintauchen in eine chaotische Vielfalt mit immer wieder überraschenden Funden ist es, was fasziniert. Die Dienstleistung, die ein Bildungsanbieter im Internet erbringt, besteht letztlich darin, dieses Chaos für einen Moment zu ordnen". [22]

<28>
Die Zugangsmöglichkeiten zur Information hat das Internet schon heute enorm erleichtert. Um in die Handschriftenabteilung der Dözesan- und Dombibliothek Köln zu gelangen, muss man nicht mehr weit reisen, Öffnungszeiten beachten und auf einen freundlichen Archivar hoffen, der einem auch wertvolle Handschriften zeigt, sondern eine Recherche unter http://www.ceec.uni-koeln.de genügt.

<29>
Sucht man in der Kunstgeschichte nach Bereichen, die man vor dem Hintergrund der drei Aspekte Gabriels ergänzend zur Präsenzlehre im Internet mediendidaktisch aufbereiten könnte, so stößt man auf ein Problem: die Kunstgeschichte besitzt keine dezidiert formulierte Fachdidaktik. Alle einschlägigen Veröffentlichungen verstehen sich als Einführung in das Fach oder das Studium der Kunstgeschichte und nicht in die Fachdidaktik [23]. In dem Verbundprojekt prometheus wurden von Kunsthistoriker/innen und Mediendidaktiker/innen drei unterschiedliche Bereiche aus der bisherigen Praxis extrahiert, die als Säulen einer möglichen Fachdidaktik zu einer grundlegenden kunsthistorischen Ausbildung gehören. Für jeden dieser Bereiche haben sich an den Instituten verschiedenste Seminartypen oder didaktische Lernmethoden herausgebildet, die vor dem Hintergrund der Neuen Medien neu diskutiert werden müssen.

<30>
Nach dem Grundstudium setzen wir erstens voraus, dass die Studierenden die Fachterminologie beherrschen, eine Lisene vom Pilaster unterscheiden können und Grundlagenwissen in antiker, christlicher und politischer Ikonographie haben. Diese Grundlagen werden vor allem in propädeutischen Übungen oder Einführungsseminaren vermittelt. Vor dem Hintergrund des explorativen Lernens könnten diese Aufgaben in einer hypermedialen Lernumgebung sogenannte 'Grundlagentrainer' übernehmen, die statt dem häufig stupiden Vokabelpauken differenzierte multimediale Angebote von Lern-, bzw. Memorierungsstrategien anbieten. Die Adressaten eines solchen Grundlagentrainers wären vor allem Studierende im Grundstudium, die das Angebot selbständig oder nach Aufforderung zum Beispiel zur Seminarnachbereitung konsultieren könnten.

<31>
Von einem ausgebildeten Kunsthistoriker verlangt man zweitens Kenntnisse der fachspezifischen Methoden und Sicherheit in ihrer Anwendung. Hier geht es nicht um ein bloßes Auswendiglernen, sondern um ein grundlegendes Verständnis der Methoden in Theorie und Anwendung. Sicherlich ist ein "Methodenreader" [24], wie er vom Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München im Internet bereitgestellt wurde, eine wichtige Basis, um einen ersten Einblick in die theoretischen Grundlagen einer Methode zu gewinnen. Letztlich ist er aber nur eine Sammlung grundlegender Texte, deren Struktur sich am Buch und nicht am Medium Internet orientiert. Besser würde er in einem Buch erscheinen - dass der Methodenreader kurz nach diesem Vortrag aus dem Netz genommen und bei einem Verlag veröffentlicht wurde, bedarf daher keines Kommentars mehr. Ein 'Methodencoach', der die medienspezifischen Bedingungen des Internets berücksichtigt und auch in die Anwendung der Methode einführt, müsste seine Inhalte im Internet ganz anders aufgliedern und recht offen konzipiert werden. Sicherlich bedürfte er im hohen Maße einer intensiven Betreuung durch einen Tutor, die durch die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten der Neuen Medien via E-Mail und Chats realisiert werden könnte.

<32>
Drittens sollte historisches Fachwissen und grundlegende Objektkenntnis einen Kunsthistoriker auszeichnen. Die Objektkenntnis gewinnt man am besten vor Ort. Doch unabhängig von eigenen Reisen und organisierten Exkursionen ist eine intensive fachwissenschaftliche Lektüre in der Bibliothek notwendig. Bücher und Aufsätze werden von den Referenten herangezogen, um das Thema von verschiedensten Seiten zu beleuchten und die jeweiligen Argumente der Autoren kritisch zu prüfen. Aus diesem Informationsnetz entwickelt der Referent eine konzise Struktur für sein Referat oder Hausarbeit. Dieses Informationsnetz ist einer offenen Hypertextstruktur im Internet sehr ähnlich, und ein 'digitaler Themenraum' wäre eine ideale Ergänzung zum herkömmlichen Buchstudium. Im Unterschied zum Buch könnten hier die medialen Möglichkeiten wie Film, Ton oder 3D-Animationen ausgeschöpft werden, ohne deren Visualisierung viele Kunstwerke eigentlich gar nicht vermittelt werden können.

<33>
In einem solchen Themenraum erarbeitet sich der Studierende oder Forscher ein Thema von verschiedensten Seiten. Er bestimmt in dieser Themenlandschaft seine Textualität selbst und konstruiert ein eigenes Verständnis des Themas. Eingedenk der soeben erläuterten Kriterien von Gabriel müssten in einem Themenraum das Design und die Inhalte stark aufeinander abgestimmt und eine Balance zwischen Edutainment und eindeutiger Information gefunden werden. Ein solcher Themenraum sollte nicht wie ein Buch abgeschlossen sein, sondern unter Ausnutzung der modernen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten könnten ihn viele Fachkollegen online aktualisieren und weiterentwickeln.

<34>
Die Einbindung unterschiedlichster Medien und die grundsätzliche inhaltliche und strukturelle Offenheit eines solchen Themenraums zeigt die besonderen Stärken der Neuen Medien, die kein Buch erfüllen kann, die aber für eine Objektwissenschaft wie die Kunstgeschichte besonders wichtig sind.
In dem Verbundprojekt prometheus arbeiten Fachwissenschaftler/innen mit Mediendesignern/innen und Medienpädagogen/innen an der Realisierung solcher Lernelemente. Während der Grundlagentrainer und Methodencoach innerhalb der verbleibenden Projektlaufzeit lediglich in seiner konzeptionellen Struktur und Visualisierung umgesetzt werden kann und in einem Nachfolgeprojekt fertiggestellt werden muss, bietet der Themenraum schon sehr viel mehr Möglichkeiten. Alle Lernelemente können aber im geschützten Bereich von prometheus, den grundsätzlich jede/r Wissenschaftler/in nach Anmeldung betreten kann, in ihrer jeweils aktuellsten Version getestet werden.

<35>
Bevor abschließend der erste Realisierungsversuch eines solchen Themenraums in seiner Konzeption kurz vorgestellt werden soll, darf ein strukturelles Phänomen nicht unerwähnt bleiben, das die Kunstgeschichte als akademisches Fach betrifft. Die Kunstgeschichte ist in ihrer bisherigen Erscheinung eine klassische Autorenwissenschaft: der Autor bürgt für den Inhalt, dessen formale Gestaltung, soweit sie den Inhalt tangieren (lineare Argumentation, Gliederung), dem Verlag im Manuskript schon vorgegeben werden. Ganz anders verhält es sich bei einem hypertextbasierten Themenraum, der auf zwei Ebenen der bisherigen akademischen Arbeitsweise widerstreitet.

<36>
Die Entwicklung einer Hypertextpräsentation im Internet verlangt erstens verschiedenste Kompetenzen, die nicht mehr von einer Person erwartet werden können. Dies erfordert dann aber eine große gegenseitige Akzeptanz unter den Fachleuten, den Designern, Mediendidaktikern, Informatikern und Fachwissenschaftlern, über ihre eigenen Fachgrenzen hinaus eine gemeinsame Arbeitsbasis zu finden, um einen Themenraum erstellen zu können. Wahrscheinlich werden die meisten guten Ideen schon an dieser Hürde scheitern.
Zweitens erfordert die Idee eines offenen Themenraums im Internet die Bereitschaft, eigene Ideen anderen grundsätzlich zur Verfügung zu stellen. Natürlich existiert auch im Internet das Gebot jedes Zitat zu kennzeichnen, doch die freie Verfügbarkeit eigener Ideen wird so manchen Wissenschaftler abschrecken und von der Mitarbeit an solchen Projekten Abstand nehmen lassen.

<37>
Das wichtigste Vermittlungsmedium der Geisteswissenschaften war bisher das Buch. Nicht jeder hatte es, zum Teil gelang es nur in die Hände der Fachkollegen oder es war in Bibliotheken erhältlich. Und längst nicht jeder konnte seine Ideen in einem Buch veröffentlichen. Diese Bastion untergräbt das Internet ohne Rücksicht auf Widerspruch. Selbstkritisch schreibt daher der Literatur- und Kulturwissenschaftler Norbert Gabriel, dass insbesondere "in den Literaturwissenschaften und deren Institutionen weiterhin die romantischen Vorstellungen von Kreativität und Originalität [kursieren]. Die Buch-Technologie und die Haltungen, die sie unterstützt, sind die Institutionen, die am meisten dafür verantwortlich sind, dass sich solche Vorstellungen von Individualität und Einzigartigkeit des Autors und dessen gegenseitigem Eigentum so lange gehalten haben […]". [25] Dies wird man auf alle Geisteswissenschaften übertragen dürfen.
Das Internet steht dem Buch als Informationsquelle längst zur Seite. Darin sollte man meines Erachtens weniger einen Verlust bemängeln, sondern vielmehr den Gewinn einer kollegialen Wissenschaftskultur erkennen.

Konzeption des Themenraums "Altenstadt"

<38>
Im Rahmen des Verbundprojektes prometheus wird unter der Federführung der Medienpädagogin Bettina Pfleging, der Designerin Tina Kindel und des Archäologen Stefan Brenne in Zusammenarbeit mit weiteren Fachwissenschaftlern ein Themenraum am Beispiel des Freskofundes in Altenstadt im Allgäu entwickelt. Das Ziel ist die Entwicklung einer explorativen Lernumgebung, die keinen linear fest strukturierten Inhalt vorgibt, sondern lediglich ein Netz an Informationen, eine 'Wissenslandschaft' anbietet, welche der Anwender aktiv durchschreiten muss, um sich sein Wissen von Altenstadt zu konstruieren.

<39>
Da solche Themenräume bisher noch nicht realisiert wurden, haben die Mitarbeiter/innen Neuland betreten müssen. Eine vorläufige Version kann man zur Zeit unter http://prometheus.des.hs-anhalt.de oder im geschützten Bereich unter http://www.prometheus-bildarchiv.de testen. Aufgrund der sehr begrenzten Personalkapazität des Projektes können anhand dieser Beta-Version lediglich das Prinzip des Themenraums und seine Konzeption anschaulich vorgestellt werden. Dem Blick in die Werkstatt darf gerne eine kritische und positive Rückmeldungen folgen.

<40>
Da der Themenraum bereits zum Test zur Verfügung steht, beschränkt sich die folgende Beschreibung auf einzelnen Bereiche und Grundfunktionen.



Vergrößern (189 KB)

Der Bildschirm des Themenraums ist vertikal in zwei Teile geteilt. Auf der linken Seite befindet sich der 'Überblicksbereich' mit Navigation und rechts der 'Detailbereich' zur Anzeige der Bilder, Filme und Texte. Der rechte Bereich soll nochmals horizontal geteilt und unten durch einen 'Notizbereich' für eigene Kommentare ergänzt werden. Alle Bereich sind in ihrer Größe dynamisch anzupassen.



Vergrößern (227 KB)

<41>
Der Themenraum beginnt mit einem kleinen Intro, das kurz auf einzelne Problem- und Themenfelder hinweisen und zur selbständigen Arbeit mit dem Themenraum motivieren soll. Im Überblicksbereich am linken Rand befinden sich die 'Medien und Informationscontainer', während innerhalb des Arbeitsbereiches die einzelnen 'Kapitel/Themen' frei flottieren. Aktiviert man durch einen Klick eines dieser Kapitel, dann kann man über den Medien- und Informationscontainer die einzelnen Inhalte, Medien, Fragen und Probleme auf der rechten Seite aufrufen. Dieses Design ermöglicht die Navigation vernetzter Inhalte, die nicht hierarchisch gegliedert sein müssen, sondern deren Reihenfolge durch den Anwender festgelegt wird. Grundsätzlich kann man so von jeder Information zu einer anderen gelangen, auch wenn sie sich in einem anderen Kapitel befindet.

<42>
Der Themenraum ist so konzipiert, dass die Inhalte sehr leicht ausgetauscht und erweitert werden können. Der Prototyp eines Editors zur selbständigen Erweiterung des Themenraums soll bis zum Projektende die konzeptionelle Realisierung abrunden. Am Beispiel Altenstadt kann jeder Nutzer eine solche Wissenslandschaft recht leicht betreten und testen. Es bleibt zu hoffen, mit einem solchen Beispiel eine Diskussion auszulösen, die zwar sehr selbstkritisch das Neue Medium betrachtet, aber den Blick vor allem auf die grundsätzlich neuen Möglichkeiten der Präsentation kulturhistorischer Inhalten im Hypertext richtet.

Schluss

<43>
Dieser Themenraum ist ein Beispiel und ein erster Versuch, die konzeptionellen Möglichkeiten einer hypermedialen Lernumgebung aufzuzeigen. In einem ersten Schritt wird er im Seminarkontext zur gemeinsamen Erarbeitung eines Themas Anwendung finden. Doch schon in diesem Stadium wird deutlich werden, was ein offener Themenraum im Internet leisten könnte. Unterschiedliche Kapitel könnten von Autoren eingefügt, Medien und Texte ergänzt werden. Natürlich kann man nach dem ersten Dezennium Internetgeschichte nicht alle Wünsche sofort realisiert sehen. Und es wäre heute vermessen, einen leicht handhabbaren, offenen Themenraum, an dem Wissenschaftler interdisziplinär arbeiten, anders als eine Vision zu bezeichnen - meines Erachtens aber eine realistische Vision. Sind die meisten Überblickswerke und Oeuvrekataloge schon kurz nach ihrem Erscheinen aufgrund neuerer Erkenntnisse wieder veraltet, würde ein Themenraum die Forschungsgeschichte als solche widerspiegeln.

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Wer hierin ein Plädoyer gegen das Buch erkennen will, wird enttäuscht sein. Denn eines kann solch ein Themenraum nicht: ein bestimmtes Problem in einer konzisen Argumentation darlegen. Dafür ist eine lineare Struktur notwendig, die der Autor bestimmt. Da 20 Seiten Argumentation einfach zu mühsam sind, um am Monitor gelesen zu werden, erweist sich ein (Online-)Aufsatz als das beste Medium einer solchen Argumentation. Aber schauen wir kritisch in die eigenen Publikationen, so müssen wir konstatieren, dass die meisten Seiten jeder kunsthistorischen Literatur der sprachlichen Verknüpfung des Materials dienen, das aus dem Blickwinkel des Mediums einem Themenraum mehr entsprechen würde als einem Buch. Nahezu jede These und konzise Argumentation eines 500 Seiten langen Buches ließe sich auf wenigen Seiten zusammenfassen. Das Buch wird nicht verschwinden, aber durch die Neuen Medien wahrscheinlich auf seine eigentliche Funktion verwiesen werden. Dafür könnten Konzepte wie das des Themenraums die Aufgabe von Wissenslandschaften übernehmen. Infolgedessen könnte Douglas Engelbart recht behalten, wenn er vermutet: "the digital revolution is far more significant than the invention of printing". [26]

Anmerkungen

1W. J. Thomas Mitchell: Picture Theory. Essays on Verbal an Visual Representation, Chicago 1994; W. J. Thomas Mitchell: Der Pictorial Turn, in: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, 15-40.
2Weiterführende Informationen zum Förderprogramm "Medien in der Bildung" vergleiche http://www.medien-bildung.net.
3Michael Kerres: Potenziale des Lernens im Internet: Fiktion oder Wirklichkeit?, in: Hilmar Hoffmann (Hg.): Deutsch global? Neue Medien, eine Herausforderung für die deutsche Sprache, Köln 2000, 170-195, hier 170 (Artikel als pdf-Dokument unter http://www.edumedia.uni-duisburg.de/articles/Potentiale-Internet.pdf (02.05.2003)).
4Jochen Gerstenmaier / Heinz Mandl: Wissenserwerb unter konstruktiver Perspektive, München 1994.
Rolf Schulmeister: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme: Theorie - Didaktik - Design, 2. aktualisierte Auflage, Bonn 1997.
Michael Kerres: Multimediale und telemediale Lernumgebungen. Konzeption und Entwicklung, Oldenburg 1998.
Rolf Schulmeister: Virtuelle Universität. Virtuelles Lernen, München / Wien 2001.
Michael Kerres / Claudia de Witt: Quo vadis Mediendidaktik? Zur theoretischen Fundierung von Mediendidaktik, in: Online-Zeitschrift MedienPädagogik (2002) H.2 (Artikel als pdf-Dokument unter http://www.edumedia.uni-duisburg.de/publications/kerres_dewitt1.pdf (02.05.2003)).
5Kerres: Multimediale und telemediale Lernumgebungen, 26.
6Stephan Hoppe / Holger Simon: Abschied vom Dia! Vorteile elektronischer Bildprojektion in der kunsthistorischen Lehre, in: Kunstchronik (2000) H.7/8, Nürnberg 2000, 338-339 (Artikel als pdf-Dokument unter http://www.uni-koeln.de/~alk02/publ/KCDia.pdf (02.05.2003)).
7Schulmeister: Virtuelle Universität, 228: "Die Darstellung von Lehrinhalten in virtuellen Umgebungen darf nicht der systematischen Form der Repräsentation fachwissenschaftlicher Inhalte in Lehrbüchern folgen, sondern sollte zugunsten einer induktiven Darstellungsweise aufgegeben werden, die der virtuellen Umgebung und dem Hypertextprinzip eher angemessen ist."
8R. J. Spiro / J. C. Jehng: Cognitive flexibility and hypertext: Theory and technology for the nonlinear and multidimensional traversal of complex subjet matter, in: D. Nix / R. J. Spiro (Hg.): Cognition, education, and multimedia: Exploring ideas in high technology, New York 1990, 163-205.
9Terry Mayes / Mike Kibby / Tony Anderson: Learning about Issues for Intelligent Tutoring Systems, in: David H. Jonassen / Heinz Mandl: Designing Hypermedia for Learning, Berlin / Heidelberg / New York 1990, 227-250, Zitat 229.
Gabi Reinmann-Rothmeier / Heinz Mandl: Lernen auf der Basis des Konstruktivismus. Wie Lernen aktiver und anwendungsorientierter wird, in: Computer und Unterricht 23 (1996), 41-44.
Schulmeister: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme, 71.
10John R. Anderson: Kognitive Psychologie, 3. Auflage, Heidelberg 2001. - Vor allem aber Jerome S. Brunner: Toward a theory of instruction, New York 1966.
11Interessanterweise scheint das Internet die Diskussion pädagogischer Modelle wiederzubeleben, die schon von den Reformpädagogen propagiert wurden.
Vergleiche Schulmeister: Virtuelle Universität, 222.
Reinmann-Rothmeier / Mandl: Lernen auf der Basis des Konstruktivismus, 3, verweisen auf die Nähe des konstruktivistischen Ansatzes zum ’Projekt’ des Pädagogen Dewey oder der "Arbeitsschule" eines Kerschensteiner.
12 Jürgen Fritz / Wolfgang Fehr (Hg.): Handbuch Medien: Computerspiele. Theorie, Forschung, Praxis, Bonn 1999. - Hermann Astleitner: Womit werden wir in Zukunft lernen? Schulbuch und CD-ROM als Unterrichtsmedien, Wien 1998.
13Kerres: Multimediale und telemediale Lernumgebungen, 30, 35.
Schulmeister: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme, 85.
14Norbert Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter, Darmstadt 1997, 195.
15Vergleiche aus der Pädagogischen Psychologie die Arbeiten von Mandl, Wissenserwerb unter konstruktiver Perspektive.
Paul Watzlawick (Hg.): Die erfundene Wirklichkeit - wie wir wissen, was wir wissen zu glauben, München 1995, mit der grundlegenden Literatur von Maturana, Varela und Luhmann.
Reinmann-Rothmeier / Mandl: Lernen auf der Basis des Konstruktivismus, 45.
Schulmeister: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme, 73.
Kerres: Multimediale und telemediale Lernumgebungen, 71.
Christian Dorringer: Neue Medien und der Konstruktivismus. Medienwelten im Lernprozeß und ein passendes pädagogisches Paradigma, 2000.
16 Kerres: "situiertes Lernen", in: Multimediale und telemediale Lernumgebungen, 70.
Wessner: "verteiltes Lernen",  in: Schulmeister: Virtuelle Universität, 197.
17Schulmeister: Virtuelle Universität: 227.
18Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, 148-183.
Vergleiche Schulmeister: Virtuelle Universität, 227-231.
19Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, 152.
20Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, 157.
21Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, 160.
22Kerres: Potenziale des Lernens im Internet, 175.
23 Hermann Bauer: Kunsthistorik. Kritische Einführung in das Studium der Kunstgeschichte, 2. Auflage, München 1979.
Hans Belting (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, 3. Auflage, Berlin 1988.
Marcel Baumgartner: Einführung in das Studium der Kunstgeschichte (Kunstwisssenschaftliche Bibliothek, Band 10), Köln 1998.
Renate Prochno: Das Studium der Kunstgeschichte. Eine praxisorientierte Einführung, Darmstadt 1999.
24 http://www.fak09.uni-muenchen.de/Kunstgeschichte/projekte/
readerneu/frameset.html
(28.09.2002).
25Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, 79.
26Zitiert nach Gabriel: Kulturwissenschaften und Neue Medien, Einführungszitat.

Autor

Holger Simon
Universität Köln
E-Mail: holger.simon@uni-koeln.de
Web: http://www.h-simon.info/

Empfohlene Zitierweise:

Holger Simon: Lernen im digitalen Themenraum. Exploratives Lernen im Internet aus kunsthistorischer Sicht, in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 1 [08.05.2003],
URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/01/simon/index.html>

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