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Zu dieser Ausgabe
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Wohin führt der Weg der Fachzeitschriften? Wohin führt unser Weg als Leser und Abonnent
gedruckter Fachperiodika? Unter den alltäglichen Belastungen des Universitätsbetriebs wird
sich der eine oder andere Historiker diese Frage vielleicht nie stellen. Die wichtigen
Zeitschriften, so mag er denken, hat es immer gegeben. Und daran wird sich aller
Wahrscheinlichkeit nach nichts ändern. Ein Leben ohne die 'Historische Zeitschrift'? Ohne
die 'Zeitschrift für Historische Forschung'? Ohne die 'Annales', ohne 'Geschichte und
Gesellschaft', ohne 'Past & Present'? Undenkbar. Kein Grund zur Besorgnis also, und erst
recht kein Anlass, sich mit so exotischen Dingen wie historischen E-Journals zu befassen. In
Bibliotheken, Ministerien und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft sieht man die
Sache allerdings ein bisschen anders – und weit weniger optimistisch.
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„Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst heißt Bibliothekskrise“, nicht ohne
Grund wurde auf einem großen Bibliothekarstag des Jahres 2002 ein berühmter Ahnherr
zitiert. Denn tatsächlich ziehen in den Instituten und Forschungsinstitutionen düstere Zeiten
herauf: Dort, wo die Bibliotheksregale früher prall mit Fachzeitschriften gefüllt waren,
herrscht heute nur allzu oft gähnende Leere. Angesichts der teilweise grotesk gestiegenen
Preise für Zeitschriftenabonnements haben viele (Seminar)bibliotheken traditionsreiche
Zeitschriften abbestellen müssen. Man fühle sich gezwungen, zu stornieren, was entweder
doppelt vorhanden oder aber "nicht unbedingt nötig" sei, so lautet häufig das Argument. Was
bleibt im Zuge der notwendigen Streichungsaktionen am Ende aber übrig von der
anregenden Vielfalt der Fachzeitschriften? Und wo setzt der 'Rotstift' an? |
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Die Apologeten des elektronischen Publizierens glauben die Antwort auf die
Zeitschriftenkrise zu kennen: Rettung in höchster Not versprächen die elektronischen
Journale, wie sie sich bereits mit Erfolg in den Naturwissenschaften etabliert hätten. Ihre
Vorzüge seien unbestritten, ob in Bezug auf die Schnelligkeit der Veröffentlichung, die
Einbindung multimedialer Materialien, den Einbau interaktiver Funktionen, die Platzersparnis
oder eben auch die zu erwartende Kostensenkung. Hinzu kämen die – auch in
wissenschaftshistorischer Perspektive – durchaus aufregenden Möglichkeiten eines
Rollenwechsels': In den Zeiten des Internet hindere interessierte Wissenschaftler nichts
daran, in Kooperation mit Hochschulbibliotheken und Universitätsrechenzentren ihre eigenen
Verleger zu werden, mithin alternative, unabhängige Publikationsformen zu entwickeln. |
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Anders als noch vor einiger Zeit beginnen solche Argumente auch in den
Geisteswissenschaften allmählich auf fruchtbaren Boden zu fallen. In den vergangenen
Jahren ist eine ganze Reihe neuer, experimenteller und kreativer E-Journals mit
historischem Schwerpunkt entstanden, die sich ihre Leserschaft erobert haben. Andere
Projekte – wie ein an der Universität Konstanz von Prof. Rudolf Schlögl initiiertes E-Journal
zum Thema Mediengeschichte befinden sich in der Vorbereitungsphase. |
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Doch bieten E-Journals schon jetzt eine realistische Alternative zu den gedruckten
Fachzeitschriften, das Patentrezept für die Lösung der Zeitschriftenkrise? Die vorliegende
Ausgabe der zeitenblicke lädt zu einer kritischen Bestandsaufnahme ein. Es geht darum,
einerseits die Potentiale historischer E-Journals, andererseits aber auch die
'Kinderkrankheiten' des elektronischen Publizierens zu benennen, die gerade in den
Projektberichten immer wieder zum Ausdruck kommen: Nur in der Theorie tragen sich EJournals
'von selbst', auch der größte Enthusiasmus scheitert nach wie vor an den
materiellen Bedingungen. In Hinsicht auf das Problem der Schaffung einer soliden
technischen Grundlage mangelt es häufig noch ebenso an Erfahrung wie in Hinsicht auf die
Langzeitarchivierung etc. So leicht es ist, ein entsprechendes Unternehmen – vielleicht sogar
mit einer Anschubfinanzierung aus dritter Hand – auf den Weg zu bringen, so schwer fällt es
den meisten Unternehmungen, den erforderlichen langen Atem aufzubringen. Von den
Inhalten einmal ganz zu schweigen: Wie können 'Peer-Review'-Verfahren implementiert
werden, die die Qualität der betreffenden Journale sichern? Wie gewinnt man 'gute'
Schreiber für ein junges, gewöhnlich noch nicht mit der gleichen Attraktionskraft wie eine
altehrwürdige Fachzeitschrift ausgestattetes E-Journal? |
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Die in dieser Ausgabe publizierten Beiträge gehen zum Teil auf eine anlässlich des
Historikertages in Halle 2002 veranstaltete Podiumsdiskussion zu den 'E-Journals in der
Geschichtswissenschaft' zurück. Sie wollen das Thema aus einer Vielzahl unterschiedlicher
Perspektiven beleuchten, angefangen bei einem Streifzug durch die Geschichte der
historischen Fachzeitschriften (Winfried Schulze) bis hin zu Versuchen, den 'state of the art'
elektronischer Fachveröffentlichungen zu umreißen (Alice Keller, Matthias Schnettger). Der
Bogen spannt sich von Erfahrungsberichten über den Umgang mit elektronischen
Rezensionsmagazinen (Peter Helmberger) und Universitätsschriftenservern (Volker
Schallehn) bis hin zu systematischen Nutzerevaluierungen (Sven Kuttner). Die Sicht des
Verlegers findet dabei ebenso Beachtung (Vittorio Klostermann) wie die in letzter Zeit viel
beschworene Forderung nach 'Open-Access'-Konzepten (Klaus Graf). Praxisberichte runden
das Ganze ab. Für die internationale Erweiterung des Horizonts sorgt der amerikanische
Historiker Robert Darnton, 'eigentlich' Spezialist für die Geschichte des Buchhandels und der
verbotenen Bücher im Zeitalter der Aufklärung, der in einem virtuellen Interview beweist,
dass die Liebe zu alten Büchern keineswegs mit der Passion für das Internet kollidieren
muss ("I like contradictions"). |
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Den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus möchten wir überdies auch mit der neuen
'Forums'-Rubrik in den zeitenblicken verankern. In den zwei Versuchen, einmal aktuelle
Trends und Tendenzen in der dänischen, zum anderen in der australischen
Geschichtswissenschaft zu bestimmen, geht es auch, aber nicht nur um den Bereich der
elektronischen Fachinformation. Dem geneigten Leser sei eine anregende Lektüre
gewünscht. |
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Aachen und Mainz, im Oktober 2003
Gudrun Gersmann / Matthias Schnettger |
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