Klaus Graf |
Wissenschaftliches E-Publizieren
mit 'Open Access'- Initiativen und Widerstände
|
|
Abstract |
Der Beitrag plädiert im Sinne
des 'Open-Access'-Movement dafür, wissenschaftliche Publikationen
kostenfrei und ohne restriktive 'permission barriers' im Internet
weltweit zugänglich zu machen. Er stellt Projekte und Initiativen
sowohl in den USA als auch in Deutschland vor und tritt für eine
stärkere Rezeption der amerikanischen Ansätze hierzulande
ein. 'Open Access' ist nach Auffassung des Artikels die geeignete
Antwort auf die Krise der wissenschaftlichen Literatur, die sich nicht
nur auf die Zeitschriftenpreise auswirkt, sondern auch dazu führt,
dass etwa ein Sammelband in vierfacher Weise von der öffentlichen
Hand subventioniert wird und der Staat so seine eigenen Forschungsergebnisse
von kommerziellen Verlagen zurückkauft. Es werden Überlegungen
angestellt, 'Open Access' nicht nur für Artikel und Bücher
zu gewährleisten. Abschließend werden Widerstände
und Barrieren thematisiert und Lösungsmöglichkeiten erwogen,
wobei den rechtlichen Rahmenbedingungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt
wird. |
|
Projekte |
<1>
Im Sommer 2003 lief in populären Formaten des US-Fernsehens wie
in der Letterman-Show oder in den Simpsons der Werbespot der 'Public
Library of Science' (PloS), einer Non-Profit-Organisation, die
für eine kostenfreie Zugänglichkeit aller naturwissenschaftlichen
Fachartikel im Internet kämpft. [1] Im Oktober
soll das erste E-Journal 'PLoS Biology' herauskommen, das verspricht,
die gleichen hohen Qualitätsanforderungen zu stellen wie die
führenden kommerziellen naturwissenschaftlichen Zeitschriften
'Nature' und 'Science'.
Vor kurzem interviewte die ZEIT den Mitgründer der Public Library
of Science, den Nobelpreisträger und Krebsforscher Harold Varmus.
Sein Credo: "Früher waren die Zeitschriften auf die traditionelle
Art des Publizierens angewiesen. Das heißt: Artikel von Autoren
einholen, Drucken auf Papier, Abonnements verkaufen. Heute birgt das
Internet das Potenzial, die wissenschaftliche Literatur viel breiter
zugänglich zu machen - für die Wissenschaftler und für
die Öffentlichkeit -, indem man digitale Bibliotheken errichtet.
Der größte Teil der Wissenschaft wird durch Steuern finanziert.
Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass die Publikationen
allen zugänglich sein sollten". [2] |
|
|
Website der
'Public Library of Science' |
|
<2>
Bekannt geworden war die Organisation durch einen Boykottaufruf gegen
die wissenschaftlichen Verlage, die so gezwungen werden sollten, die
Inhalte ihrer Zeitschriften online kostenfrei zugänglich zu machen.
Das Scheitern dieser Initiative hat die Aktivisten nicht entmutigt.
Sie konnten erhebliche Stiftungsgelder für ihre Ziele einwerben
und wurden im Sommer 2003 durch eine Gesetzesinitiative in den USA,
die ‘Sabo Bill’, unterstützt, die zugleich öffentliche
Aufmerksamkeit sicherte. Der demokratische Abgeordnete Sabo fordert,
dass alle von öffentlichen Geldern finanzierte Forschung keinem
Copyright unterliegen dürfe. [3] |
|
<3>
Dies verweist auf eine zweite, in den USA dank der Unterstützung
etablierter Bürgerrechtsorganisationen bereits recht einflussreiche
Bewegung: die Anti-Copyright-Bewegung, die den alten Wein des geistigen
Eigentums nicht mehr in die neuen digitalen Schläuche einfüllen
will und nach neuen Wegen sucht, um den Bereich der öffentlich
frei zugänglichen Werke, die ‘Public Domain’, zu
stärken. Diese Bewegung wird angeführt von einem unbestrittenen
Star: dem Harvard-Juristen Lawrence Lessig, der unlängst einen
bemerkenswerten Reformvorschlag zum Urheberrecht unterbreitet hat.
Rechteinhaber sollen nach fünfzig Jahren eine jährliche
Gebühr für das Fortbestehen des Schutzes bezahlen - tun
sie das nicht, fällt das Werk an die 'Public Domain'. Ausgangspunkt
dieses Vorschlags ist die Beobachtung, dass viele geschützte
ältere Werke durch das Desinteresse der Rechteinhaber nicht genutzt
werden können. Mit seiner Initiative ‘Creative Commons’
hat Lessig einen juristischen Rahmen für die immer größer
werdende Zahl jener entwickelt, die auf ihr Copyright oder bestimmte
Teile ihres Copyrights zugunsten der Allgemeinheit verzichten möchten.
[4] |
|
<4>
Inspiriert ist die 'Open-Content'-Bewegung natürlich vom Siegeszug
der ‘Open Software’, die man ja vor allem mit dem Namen
des freien Betriebssystems LINUX verbindet. Das englische Schlagwort
‘Commons’ verweist zurück auf die vormoderne Agrarverfassung,
in der das gemeinschaftlich genutzte Land respektablen Umfang besaß.
In Deutschland lautet der entsprechende historische Terminus ‘Allmende’,
weshalb man gelegentlich auch von der Forderung nach einer ‘digitalen
Allmende’ lesen kann. |
|
<5>
Ein innovatives Modell gemeinschaftlicher Wissensorganisation ist
das sogenannte Wiki-Prinzip. Am bekanntesten ist die Wikipedia,
eine internationale Enzyklopädie als Kollektivwerk, an der jeder
mitarbeiten kann. [5] |
|
|
Website von
'Wikipedia' |
|
<6>
Mittels eines simplen webbasierten Eingabemodus eingebrachte Beiträge
können von anderen nach Belieben ergänzt, verändert
oder sogar gelöscht werden. Zwar ist der wissenschaftliche Wert
der Wikipedia noch sehr zurückhaltend zu beurteilen, doch dürfte
das Wiki-Prinzip auch im wissenschaftlichen Kontext zukünftig
große Bedeutung erlangen. |
|
Das 'Open-Access'-Movement |
<7>
Vernetzt sind die diversen englischsprachigen Initiativen durch eine
kaum überschaubare Vielzahl von elektronischen Foren: Weblogs,
Mailinglisten, Diskussionsforen, Websites. Neuigkeiten werden in dieser
Community sehr rasch verbreitet - nicht zuletzt durch die verhältnismäßig
junge Gattung des ‘Weblog’, eines Neuigkeitendienstes,
der beispielsweise im englischsprachigen Bibliothekswesen bereits
fest Fuß gefasst hat. |
|
<8>
Hier kommt Peter Suber ins Spiel, der vielleicht einflussreichste
Geisteswissenschaftler des weltweiten ‘Open-Access'-Movement.
Tag für Tag notiert Suber, der bis vor kurzem Philosophieprofessor
am Earlham-College in Richmond war, in seinem Weblog
neue Presseartikel und andere News, die mit der freien Zugänglichkeit
wissenschaftlicher Fachliteratur in Verbindung stehen. Vor kurzem
hat sich der Name des Weblogs, das bisher FOS-News hieß - FOS
steht für Free Online Scholarship - geändert in Open Access
News. [6] |
|
|
Website der
'Open Access News' |
|
<9>
Was bedeutet 'Open Access'? Es geht dabei nicht nur um den kostenfreien
Zugang zu E-Publikationen via Internet, sondern auch um einen Zugriff,
der frei ist von Lizenzbeschränkungen (Suber nennt sie ‘permission
barriers’), die den freien wissenschaftlichen Austausch behindern. |
|
|
Website von
'SPARC Europe' |
|
<10>
Suber kann sich jetzt - nicht zuletzt dank der Finanzierung der Non-Profit-Organisation
‘Public Knowledge’ - beruflich ganz der Verbreitung des
'Open-Acess'-Gedankens widmen. Bevor er das Weblog gründete,
verbreitete er die Neuigkeiten in einem wöchentlichen Mail-Newsletter,
der dieser Tage von ihm wiederbelebt wurde. Träger ist SPARC,
‘The Scholarly
Publishing and Academic Resources Coalition’, hinter der
der mächtige Verbund amerikanischer Research-Libraries steht.
[7] Es gibt auch ein SPARC
Europa, in dem aus Deutschland aber nur fünf Bibliotheken
Mitglieder sind. Gründungsmitglieder waren die Universitätsbibliotheken
Göttingen, Oldenburg und Münster. Später kamen noch
die UB Bielefeld und die Bayerische Staatsbibliothek dazu. |
|
|
Website der
'Budapest Open Access Initiative' |
|
<11>
Breiter angelegt als SPARC ist die Budapest
Open Access Initiative (BOAI), die maßgeblich von der Soros-Stiftung
finanziert wird und die sich an alle Wissenschaftler weltweit wendet.
Jeder und jede kann durch Unterzeichnen des Budapester Manifests das
Ziel der freien Zugänglichkeit wissenschaftlicher Zeitschriftenliteratur
unterstützen. [8] Die BOAI ruht auf zwei Säulen:
Erstens sollen alternative E-Journals etabliert werden, die durch
‘Peer Review’ hohen Ansprüchen genügen, für
den Internetnutzer lizenzfrei zugänglich sind und deren Finanzierung
durch andere Modelle, beispielsweise Beiträge der Institutionen,
deren Wissenschaftler in ihnen veröffentlichen, sichergestellt
wird. Zweitens soll das ‘Self-Archiving’ gefördert
werden, bei dem Wissenschaftler ihre Zeitschriftenbeiträge in
institutionelle Archive, etwa Hochschulschriftenserver, einbringen.
Beides richtet sich nicht gegen die bestehenden kommerziellen Verlagsunternehmungen
und respektiert das geltende Urheberrecht. |
|
<12>
Für solche Archive gibt es vereinbarte Datenstandards, die von
der Open Archives Initiative (OAI) festgelegt wurden und weiterentwickelt
werden. [9] Dies ermöglicht eine archivübergreifende
Abfrage von Meta-Daten der eingestellten Veröffentlichungen.
Das 'Open' im Namen dieser Initiative bedeutet freilich etwas anderes
als in 'Open Access', da an ihr auch kommerzielle Verlagsarchive,
die ihre Inhalte nicht kostenfrei zur Verfügung stellen, partizipieren.
Zur 'Open-Access'-Bewegung gehört dagegen das E-Prints-Movement,
das mit einer freien Software, die OAI-compliant ist, die Einrichtung
von E-Print-Servern weltweit unterstützt. [10] |
|
<13>
In Deutschland hat die Budapest Open Access Initiative bislang nur
wenig Rückhalt. Es gibt nur ganz wenige Aktivisten und nur eine
Handvoll institutioneller Unterzeichner: die Universität Hamburg,
vier Universitätsbibliotheken, das Münchner Seminar für
Geistesgeschichte und – am rührigsten von allen –
das Berliner DFG-Projekt Qualitative-Research.Net mit einer frei zugänglichen
Online-Zeitschrift FQS. [11] Zu nennen ist aber
auch die Max-Planck-Gesellschaft mit eigenem Publikationsserver. [12] |
|
<14>
Natürlich gibt es auch in Deutschland eine Reihe von mehr oder
minder einflussreichen Initiativen, die sich der Förderung des
freien wissenschaftlichen Publizierens im Internet verschrieben haben.
Ein Bündnis von Bibliotheken und Fachgesellschaften stellt DINI,
die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation, dar. [13]
Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften – vorwiegend Natur-
und Gesellschaftswissenschaften - sind ihrerseits in der IuK-Initiative
zusammengeschlossen. [14] Und es gibt natürlich
auch Unternehmungen außerhalb solcher Kontexte wie das historicum.net,
das neben den ‘zeitenblicken’
mit den ‘sehepunkten’
seit längerem ein sehr erfolgreiches Rezensions-Journal anbietet.
[15] |
|
|
Website der
'DINI' |
|
Krise der wissenschaftlichen
Literatur und die Antwort 'Open Access' |
<15>
Weltweit gibt es zwar eine Vielzahl von Initiativen, aber die 2001
gestartete Budapest Open Access Initiative ist doch so etwas wie eine
gemeinsame Plattform, die ich - in Anbetracht der kurzen Zeit ihres
Bestehens - als durchaus erfolgreiche Integrationsanstrengung bezeichnen
möchte. Ihr Erfolg beruht gleichermaßen auf ihrer Konsensfähigkeit
- sie richtet sich nicht gegen Bestehendes, sondern propagiert einen
alternativen Weg – wie auf eine Bündelung des Problems
des wissenschaftlichen E-Publizierens, das ganz auf die Frage der
Zeitschriftenliteratur reduziert wird. Ich möchte im Folgenden
dieses Bündel wieder aufschnüren, indem ich auch andere
Problembereiche als die Zeitschriften in den Blick nehme. |
|
<16>
Tiefere Ursache der genannten Protest-Bewegungen ist die Krise der
wissenschaftlichen Literatur, am schockierendsten greifbar in der
Entwicklung der naturwissenschaftlichen Zeitschriftenpreise. [16]
Nochmals dazu der Nobelpreisträger Varmus: "Das wissenschaftliche
Veröffentlichungswesen läuft Amok, der ganze Prozess ist
völlig verzerrt. Es gibt Journals, nicht mal besonders gute,
die verlangen für ein institutionelles Abonnement bis zu 15.000
Dollar pro Jahr - das ist irrational, denn es behindert den Austausch
von Information zwischen den Forschern". [2] |
|
<17>
Nun sind geisteswissenschaftliche Zeitschriften im Vergleich zu naturwissenschaftlichen
noch einigermaßen erschwinglich. Aber der Wurm sitzt trotzdem
tief im System, und zwar eben nicht nur im Zeitschriftenbereich. Ich
will dies am Beispiel eines (fiktiven) historischen Projektsammelbands
demonstrieren, der mit öffentlichen Mitteln vierfach subventioniert
wird. |
|
<18>
Zunächst einmal zahlt der Steuerzahler die Arbeitslöhne
der beteiligten Wissenschaftler des Projekts und ihre Recherchekosten
in Form von Sachmitteln. Er finanziert eine Tagung mit auswärtigen
Experten, die natürlich in der Regel ebenfalls öffentlich
alimentiert werden, also Reise- und Aufenthaltskosten. Für die
Erstellung der Aufsätze für den Tagungsband erhalten die
Autoren keinen Cent Honorar, sie müssen sich üblicherweise
mit einem Freiexemplar des Bandes und vielleicht 15 bis 20 Sonderdrucken
ihres Beitrags begnügen. |
|
<19>
Nun treffen die Manuskripte ein. Die zweite Subventionierung besteht
darin, dass die gesamte Redaktionsarbeit - insbesondere das zeitaufwendige
Vereinheitlichen der Zitierweisen und die einheitliche Formatierung
des Bandes - in den Händen von Hilfskräften und weiterem
Personal des Lehrstuhls einschließlich der Sekretärin liegt. |
|
<20>
Die fertige Diskette wandert zum Verlag, der natürlich kein weiteres
Lektorat vornimmt, sondern die Verfilmung und den Produktionsprozess
einleitet. Bevor aber die Druckmaschinen angeworfen werden können,
gehen nicht selten Jahre ins Land, denn es müssen hohe Druckkostenzuschüsse
beigebracht werden. Der Verlag hat einen Mindestabsatz kalkuliert
und möchte für die Differenz zu den Herstellungskosten kein
unternehmerisches Risiko tragen. Der Herausgeber begibt sich also
auf eine derzeit immer schwieriger werdende Betteltour zu öffentlichen
Geldgebern und Stiftungen, wobei Institutionen wie die DFG darauf
achten, dass die Zuschüsse nicht dazu verwendet werden, den Band
erschwinglicher zu machen. Das ist die dritte Subventionierung. |
|
<21>
Nun ist der Band auf dem Markt und kostet 150 Euro, was den Kreis
der privaten Käufer erheblich einengt. Es greifen also vor allem
wissenschaftliche Bibliotheken des deutschsprachigen Raums zu, deren
immer geringer werdende Ankaufsmittel von der öffentlichen Hand
aufgebracht werden. Das ist die vierte Subventionierung. |
|
<22>
Sieht man von dem immateriellen Gewinn der Wissenschaftler ab, die
eine ansehnliche Publikation ihrer Veröffentlichungsliste hinzufügen
und Sonderdrucke verschicken können, so profitiert letztlich
nur der Verlag. Der Staat kauft seine eigenen Forschungsergebnisse
sozusagen zurück. |
|
<23>
Die extremen Rationalitätsgewinne durch EDV-gestützte Druckherstellung
wurden von den wissenschaftlichen Verlagen nicht an das Publikum weitergegeben.
Die Bücher wurden durchaus nicht billiger, obwohl heute jeder
Autor dank seines Textverarbeitungsprogramms zugleich sein eigener
Setzer ist. Von einem Lektorat kann auf Verlagsseite ohnehin meist
keine Rede mehr sein. Der Verlag sorgt für den Druck, die Lagerung
und den Vertrieb der Bücher, er macht günstigstenfalls ein
bisschen Werbung und verschickt ein paar Rezensionsexemplare, wobei
es durchaus vorkommt, dass Zeitschriften leer ausgehen, weil das dafür
vorgesehene Limit überschritten ist. |
|
<24>
Es leuchtet unmittelbar ein, dass bei einer digitalen Distribution
unseres Beispielbandes die öffentliche Hand große Summen
einsparen könnte. Sie zahlt weiterhin die Wissenschaftler und
die Hilfskräfte - nur dass letztere ihre Redaktionsarbeit darauf
konzentrieren, Vorlagen für den eigenen Schriftenserver der Hochschule
zu erstellen. Wer eine gedruckte Ausgabe möchte, kann sie sich
selbst ausdrucken oder eine Firma mit der Herstellung eines Exemplars
im Print-on-Demand-Verfahren beauftragen. Im digitalen Medium können
auch Bilder oder multimediale Materialien kostengünstiger integriert
werden. Nach der digitalen Veröffentlichung steht der Band weltweit
allen Internetnutzern zur Verfügung – also beispielsweise
Forschern aus den Staaten der Dritten Welt, deren Bibliotheken sich
teure Fachbücher kaum leisten können, aber auch interessierten
Bürgern. Die mitunter beträchtlichen Wartezeiten zwischen
Manuskriptablieferung und Publikation, für Autoren in sich rasch
entwickelnden Fachgebieten besonders ärgerlich, schrumpfen zusammen,
soweit sie im Verantwortungsbereich des Verlags angesiedelt waren.
Meist können nur wenige Bände einer Reihe in einem Jahr
im Druck erscheinen, und wenn der Verlag generös eigene Gelder
zuschießt, gilt dies besonders. Bei sofortiger Publikation auf
einem Server entfällt zumindest dieses Warten. |
|
<25>
In anderen Fächern und insbesondere im naturwissenschaftlichen
Bereich sind bei Zeitschriftenartikeln die Ausgaben für das aufwendige
Begutachtungsverfahren ('Peer Review') besonders kostenträchtig.
Eine intensive Prüfung des Manuskripts und seine Überarbeitung
anhand der Vorgaben der Gutachter kommen sicher der wissenschaftlichen
Qualität sehr zugute. Andererseits sollte man aber auch nicht
übersehen, dass Zeitschriften auch dann hohe Qualität besitzen
können, wenn nur einer oder mehrere Herausgeber die Aufnahme
eines Aufsatzes verantworten. Und es gibt zudem eine Reihe von Kritikern,
die mit der derzeitigen Praxis des 'Peer Review' höchst unzufrieden
sind. [17] Auch wenn es wünschenswert ist,
dass E-Publikationen höchsten Ansprüchen genügen, scheinen
mir liberalere Ansätze mit den Grundsätzen der 'Open-Access'-Bewegung
doch vereinbar zu sein, insbesondere, wenn es um Beiträge in
Sammelbänden geht, die ja meistens ohne formale Begutachtung
publiziert werden. |
|
<26>
Was ist mit dem digitalen Äquivalent zur Lagerung der Exemplare
durch den Verlag? Ich möchte nichts beschönigen: Die Langzeitarchivierung
digitaler Daten stellt ein Problem dar. [18] Während
Tontafeln mit Keilschrift Jahrtausende gehalten haben (sofern nicht
gerade US-Panzer über sie gerollt sind), wird die Lebensdauer
einer gewöhnlichen CD-ROM auf dreißig Jahre geschätzt.
Digitale Daten von Internetservern müssen einer ständigen
Datensicherung unterzogen werden, die sie der neuesten Technologie
anpasst. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die maßgeblichen
Verantwortlichen großer digitaler Archive weltweit intensiv
und erfolgreich mit dem Problem der Zukunftssicherheit befassen. Die
Zukunft ist offen, ein Restrisiko bleibt immer. Zunehmender Dateiaustausch
im wissenschaftlichen Bereich wird zudem für para-institutionelle
Sicherungen sorgen. Auch wenn es lokale Katastrophen gibt, wird man
künftig mehr und mehr Inhalte von anderen Rechnern rekonstruieren
können. Bereits bestehende Dateistandards wie ASCII oder Unicode,
Formate wie PDF [19] und zukunftsweisende Technologien
wie XML bürgen bereits heute für ein gerüttelt Maß
an Zukunftssicherheit. Nicht zu vergessen das Internetarchiv [20]
mit seiner genialen Wayback-Machine
- eine weitergehende Institutionalisierung dieser privaten Initiative,
die ihr langfristige Kontinuität sichern könnte, ist durchaus
nicht ausgeschlossen. |
|
|
Website der
'Wayback-Machine' |
|
<27>
Und die Werbung? Hier liegt bei den Hochschulschriftenservern (wie
übrigens auch bei manchen traditionellen Verlagen) allzu viel
im Argen. Ihre Inhalte sind meist kaum in den allgemeinen Suchmaschinen,
die der durchschnittliche akademische Internetnutzer nun einmal als
einziges Rechercheinstrument kennt, vertreten und damit so gut wie
unbekannt. Fachliche Linksammlungen werten solche wissenschaftlich
hochwertigen Quellen so gut wie nicht aus, dafür bastelt man
gern die hundertste Liste institutioneller Homepages. Wir brauchen
dringend eine serverübergreifende Volltextsuchmaschine für
Hochschulschriftenserver und Digitalisierungsprojekte. Alle solche
Archive müssen schleunigst OAI-compliant werden und über
entsprechende Suchwerkzeuge wie OAIster recherchierbar sein. [21] |
|
<28>
Neu eingestellte Arbeiten müssten über einen Neuigkeiten-Service
wie einen Newsletter oder ein Weblog abfragbar sein und auch in die
anderen fachlichen Kommunikationswege eingespeist werden. |
|
<29>
Insgesamt ist aber davon auszugehen, dass 'Open-Access'-Publikationen
eine größere Reichweite haben als teure traditionelle Druckveröffentlichungen
und kostenpflichtige Online-Publikationen. |
|
'Open Access'
nicht nur für Artikel und Bücher – Überlegungen |
<30>
Wissenschaftliches Publizieren beschränkt sich nicht auf Monographien
und Zeitschriftenartikel, die in unveränderlichen PDFs fixiert
auf Hochschulschriftenservern lagern. Die innovativen Potentiale des
Webs bleiben ungenutzt, wenn man das herkömmliche wissenschaftliche
Publikationswesen unverändert umsetzt. |
|
<31>
Wer eine persönliche Homepage ins Netz stellen möchte, die
fachlichen Ansprüchen genügt, und laufend aktualisierte
Informationen wie Linklisten oder Bibliographien enthält, die
sich für Hochschulschriftenserver nicht eignen, sollte kostenlosen
werbefreien Webspace erhalten können, auch wenn er beispielsweise
keine universitäre Anbindung hat. |
|
<32>
Und es geht natürlich auch um den ganzen Bereich der Materialien,
die im Zuge der Forschung entstehen: quantitative und qualitative
Daten und beispielsweise auch Fotografien. Hier müssen die wissenschaftlichen
Institutionen in Zukunft klare Regelungen finden, damit solche Sammlungen
nicht der privaten Willkür der beteiligten Wissenschaftler überlassen
bleiben, sondern als digitaler Projektnachlass auch der zukünftigen
Forschung zur Verfügung stehen. |
|
<33>
Was Magister- und Diplomarbeiten angeht, so wäre zu überlegen,
ob nicht eine digitale Pflichtveröffentlichung aller akzeptierten
Arbeiten dem derzeitigen meines Erachtens unhaltbaren Zustand, dass
in solche Arbeiten investierte Forschungsarbeit der Wissenschaft meist
verloren geht, wirksam entgegenwirken könnte. [22] |
|
<34>
Für den Historiker besonders bedeutsam sind Quellen. Der Editionstext
neu angefertigter Quelleneditionen sollte nach Möglichkeit nicht
nur auf CD-ROM beigegeben, sondern auch frei zugänglich im Internet
platziert werden, da nur so eine quellenübergreifende Suche gewährleistet
ist. |
|
<35>
Hier anzuschließen wäre der Problembereich der Digitalisierung
älterer, insbesondere vergriffener Forschungsliteratur, historischer
Buch- und Handschriftenbestände sowie von Archivalien. Auf die
vielfältigen, nicht selten wenig koordinierten und daher immer
noch recht chaotisch wirkenden Bemühungen in dieser Hinsicht
möchte ich jedoch nicht näher eingehen. |
|
Widerstände
und Barrieren |
<36>
Stattdessen will ich mich abschließend den Widerständen
und Barrieren zuwenden. Warum ist nur ein winziger Bruchteil der aktuellen
Forschungsliteratur im Bereich der Geisteswissenschaften (oder auch
der Sozial- und Kulturwissenschaften) online zugänglich? Hier
spielen sicher viele Faktoren zusammen. Ich möchte sie in fünf
Punkten zusammenfassen |
|
1. Allgemeine Internetscheu |
<37>
Es gibt die hartnäckigen Skeptiker, die im Internet nur eine
nicht zitierfähige Müllhalde sehen und nicht daran glauben,
dass wissenschaftlich wertvolle Inhalte langfristig zugänglich
gehalten werden können. |
|
<38>
Mehr ins Gewicht fällt freilich eine allgemeine Unerfahrenheit,
die aus mangelnder Information über die Möglichkeiten des
E-Publizierens resultiert. Wie man in gedruckter Form veröffentlicht,
glaubt jeder zu wissen, aber bei E-Publikationen fühlen sich
viele eher unsicher. |
|
2. Das allgemeine Phlegma: zuviel
Aufwand, keine Zeit. |
<39>
Unfertiges möchte man lieber nicht im Web veröffentlicht
sehen, und bei ausgearbeiteten Forschungsergebnissen ist der etablierte
Wissenschaftler ausschließlich auf die herkömmlichen Distributionsformen
festgelegt. Auch wenn man prinzipiell gegenüber der 'Open-Access'-Bewegung
positiv eingestellt ist, scheut man angesichts des knappen Zeitbudgets
den Aufwand einer E-Publikation. |
|
<40>
Eine Lösung dieses Problems könnte darin bestehen, dass
man von Seiten des E-Print-Archivs dem Autor so weit wie möglich
entgegenkommt und aktiv Texte einwirbt. Als Vorbild kann vielleicht
das ambitionierte OpenCourseWare-Projekt
des MIT dienen, das eine Fülle von Mitarbeitern beschäftigt,
die damit beschäftigt sind, den Professoren ihre Unterrichtsmaterialien
zu entlocken, damit diese frei zugänglich ins Internet gestellt
werden können. [23] |
|
|
Website 'OpenCourseWare' |
|
3. Es lohnt sich nicht –
das Internet ist nicht karrierefördernd |
<41>
Vor die Wahl gestellt, in einem angesehenen gedruckten Organ zu publizieren
oder ausschließlich online, wird sich ein junger aufstrebender
Wissenschaftler in aller Regel für das traditionelle Medium entscheiden
- wer will es ihm verdenken? Auch bei Bewerbungen werden Online-Publikationen
bislang zu wenig gewichtet. |
|
<42>
Eine Online-Zweitpublikation erscheint da schon eher machbar, aber
dazu müssen insbesondere die Hochschulschriftenserver viel mehr
auf die einzelnen Wissenschaftler zugehen, und zum Beispiel spezielle
Vertrauensleute in den Gremien der einzelnen Fachbereiche installieren.
So wenig ein Universitätsarchivar heute darauf warten darf, dass
ihm Aktenabgaben ins Haus geliefert werden, so wenig dürfen die
Verantwortlichen von Hochschulschriftenservern darauf verzichten,
hochschulintern massiv für ihre Leistungen zu werben. |
|
<43>
Und warum nicht mit Anreizen arbeiten? Man könnte ja vielleicht
einmal ausprobieren, einen beachtlichen Geldpreis für die beste
Arbeit auf dem Hochschulschriftenserver auszusetzen. Denkbar wären
auch vergleichsweise wohlfeile Honorierungen wie Buchpräsente
oder Eintrittskarten für den Alumni-Ball, die mehr oder minder
symbolisch demonstrieren, dass diejenigen Autoren, die etwas digital
beisteuern, die Arbeit der Hochschule in bedeutsamer Weise unterstützen. |
|
<44>
Arbeitsrechtlich könnte man das Heer der wissenschaftlichen Mitarbeiter
einer Hochschule dazu verpflichten, die im Dienst entstandenen Publikationen
der Hochschule digital anzubieten. Dies gilt allerdings nicht für
die Hochschullehrer, die urheberrechtlich nach wie vor mandaringleiche
Rechte genießen und deren Arbeitsergebnisse die Hochschule nach
derzeitigem Recht nicht in dieser Weise abschöpfen darf. Aber
das ist natürlich ein heikler Punkt, denn die Mitarbeiter oder
Assistenten sind in der Regel den Professoren zugeordnet, ohne deren
Zustimmung die Universität bei einem solchen Vorgehen mit vorhersehbarem
Ärger rechnen müsste. |
|
<45>
Einfacher zu bewerkstelligen wäre ein Art digitales universitätsinternes
Pflichtexemplar, das durch Hochschulsatzung verfügt wird und
den Hochschulschriftenserver ermächtigt, all das zu übernehmen
und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was sich bereits
öffentlich zugänglich auf dem von der Universität zur
Verfügung gestellten Webspace befindet. |
|
4. Die Furcht vor Plagiaten |
<46> "Wenn ich meine Sachen ins Internet
stelle, so kann sie dort doch jeder klauen!" Ich sehe darin vor
allem eine irrationale Angst vor einem allgemeinen Kontrollverlust,
die kaum mit harten Fakten untermauert werden kann. Zwar erleichtert
das Internet das Plagiieren anscheinend erheblich, wie die immer wieder
aufgekochten Sensationsmeldungen über angeblich massenhaft aus
dem Internet ihre Arbeiten verfertigenden Studenten suggerieren wollen,
[24] aber empirische Studien dazu sind rar. Es kann
nicht bewiesen werden, dass durch Plagiate wissenschaftlicher Arbeiten
im Internet ein ernstzunehmender Schaden entsteht, wenngleich nicht
geleugnet werden soll, dass der von einem Plagiat Betroffene diesen
Umstand als höchst unangenehm empfindet. |
|
5. Die Unkenntnis rechtlicher Regelungen
und restriktive Verlagsverträge |
<47> "Ja, darf ich das denn überhaupt
oder muss ich da den Verlag fragen?" Hier liegt in der Tat eine
gewaltige Hürde, wobei die Unkenntnis durch einen Hinweis auf
die klaren gesetzlichen Regelungen noch am ehesten zu beseitigen ist.
[25] Wenn nichts speziell vereinbart ist, gilt auch
im digitalen Bereich die Vorschrift des deutschen Urheberrechtsgesetzes
(§ 38 UrhG), dass der Autor eines Zeitschriftenaufsatzes oder
eines nicht vergüteten Beitrags in einem Sammelband, etwa einer
Festschrift, zwar dem Verlag ein ausschließliches Nutzungsrecht
einräumt, ein Jahr (365 Tage) nach dem Erscheinungstag des Druckwerks
aber anderweitig darüber verfügen kann. Bei Tageszeitungen
gilt dies unmittelbar nach Erscheinen. Für Altverträge vor
circa 1995 gilt zusätzlich, dass in diesen damals noch nicht
bekannte Nutzungsrechte, also auch nicht die Online-Nutzung, geregelt
werden konnten. Ich habe daher für meine 1987 erschienene Dissertation
die Erlaubnis bekommen, sie auf dem Tübinger Hochschulschriftenserver
digital neu zu veröffentlichen - zwar schrieb mir der Verlag,
er teile meine Rechtsauffassung nicht, aber eine rechtliche Auseinandersetzung
erscheine ihm nicht lohnend. |
|
<48>
Zur Klarstellung: Die 'Open-Access'-Bewegung möchte keinen Autor
um seine Einkünfte bringen. Sie zielt nur auf jenen Teil des
Publikationssektors, in dem die Autoren ohne Anspruch auf finanzielle
Vergütung agieren. |
|
<49>
Aber schon allein das Wissen um die Existenz juristischer Probleme
ist eine nicht zu unterschätzende Barriere. Das Ganze riecht
nach Ärger, nach Konflikt mit dem Verlag, den man womöglich
anbetteln oder mit dem man sich herumstreiten muss. Ärger aber
will jeder Forscher aus diesem Bereich des Publikationswesens tunlichst
verbannt wissen. Also empfiehlt es sich für die Administratoren
von E-Print-Archiven, die Rechteabklärung in eigene Hände
zu nehmen, sobald der Autor seine Zustimmung gegeben hat. |
|
<50>
Wie ist die Haltung der Verlage zur 'Open-Access'-Bewegung? Es gibt
viele Verlage, die überhaupt nichts gegen eine Online-Publikation
einzuwenden haben, es gibt aber auch Verlage, die strikt dagegen sind.
[26] Allerdings wendet sich derzeit nur eine ganz
kleine Zahl von Autoren mit entsprechenden Bitten in Deutschland an
die Verlage. Ob die derzeit noch dominierende liberale Haltung mehr
und mehr abgelöst wird von strikten Verboten? Oder werden sich
die Verlage mit 'Open Access' arrangieren und sich mit kostenpflichtigen
Mehrwert-Angeboten neu positionieren? Das bleibt abzuwarten. |
|
<51>
Dennoch gilt grundsätzlich: Die wissenschaftliche Community ist
dem strikten Regime des geltenden Urheberrechts durchaus nicht bedingungslos
ausgeliefert. Sie kann neue Modelle und Regeln - etwa im Sinne der
eingangs genannten ‘digitalen Allmende’ - auf vertraglicher
Basis für ihren Bereich in Kraft setzen und ausprobieren. |
|
Schluss |
<52>
Es ist, denke ich, hinreichend klar geworden, dass mein Engagement
ohne Wenn und Aber dem 'Open Access', der kosten- und barrierefreien
Zugänglichkeit wissenschaftlicher Publikationen und Materialien
via Internet gilt. Auch wenn sich 'Open Access' noch in einem gewissen
Experimentierstadium befindet, gibt es doch gute Gründe, verstärkt
auf diese neue Publikationsform zu setzen. Wer dieses Anliegen –
und Aufklärungsarbeit tut Not - gleichfalls fördern möchte,
kann eine Menge von den Naturwissenschaftlern und den Kollegen jenseits
des großen Teichs lernen - ich plädiere dringend dafür,
sich mehr als bislang mit den englischsprachigen Initiativen zu vernetzen.
Ihre kreativen Ideen und Visionen sind auch hierzulande von Belang.
Die Bereitstellung der Zeitschriftenliteratur ist sicher ein wichtiger
Punkt, aber andere, weniger beachtete Aspekte dürfen gleichfalls
nicht außerachtgelassen werden. Wie auch immer: Fast alles ist
in diesem Bereich in sich beschleunigender Bewegung. Für Beobachter
wie für Aktivisten gilt gleichermaßen: Es bleibt spannend. |
|
Anmerkungen: |
|
|
|
Dr. Klaus Graf
Friedrichstr. 26
56333 Winningen
klaus.graf@geschichte.uni-freiburg.de
|
|
Anmerkung
der Redaktion:
Wenn nicht anders vermerkt, gilt als Referenz-Datum für Inhalt und
Funktionalität aller im Text genannter Links der 17.10.2003.
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Graf: Wissenschaftliches E-Publizieren mit 'Open Access' -
Initiativen und Widerstände, in: zeitenblicke 2 (2003),
Nr. 2 [22.10.2003], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/graf.html>
Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe
in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.
Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene
Absatznummerierung. |