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Vittorio E. Klostermann |
Die Online-Zeitschrift aus der Sicht eines geisteswissenschaftlichen
Verlags.
Probleme und ein Lösungsmodell
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Abstract |
Der Beitrag konzentriert sich ganz
auf die praktischen und ökonomischen Fragen geisteswissenschaftlicher
Zeitschriften; Medientheoretisches wird nicht erörtert. Der Blickwinkel
ist der eines mittelständischen geisteswissenschaftlichen Verlags.
Der erste Teil des Beitrags beschreibt die Situation sowie einige
grundsätzliche Probleme der Online-Publikation, der zweite stellt
ein Alternativmodell für Online-Zeitschriften vor, das die Probleme
zu umgehen versucht. |
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Website des 'Klostermann-Verlags' |
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Teil 1. Die Situation |
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Für die stetig wachsende Diskrepanz zwischen den Erwerbungsetats
und den Abonnementspreisen lassen sich drei Ursachen ausmachen:
1. Da ist zunächst die Entwicklung der Wissenschaften: Die
Differenzierung der Fächer verlangt stetig nach neuen Publikationsorganen.
Für den Wettbewerb der Wissenschaftler, die publizieren müssen,
wenn sie in der akademischen Welt wahrgenommen werden wollen, ist
die Vermehrung der Zeitschriftentitel allein aber noch nicht ausreichend,
und so werden zusätzlich immer wieder die Jahresumfänge
von Zeitschriften erhöht. Diesem Wachstum an Publikationen
sind die Erwerbungsetats der Bibliotheken nicht gewachsen. |
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2. Seit Mitte der 90er Jahre wurde das Problem noch verschärft
durch die Digitalisierung der Zeitschriften im STM-Bereich (Scientific,
Technical, Medical). Für die technischen Aufwendungen haben die
STM-Verlage sehr viel Geld aufbringen müssen, und nur Verlage,
die die Grundkosten auf eine große Zahl von Zeitschriften umlegen
konnten, konnten sich die Elektronifizierung auch wirklich leisten.
Andere mussten aufgeben. Um welche Dimensionen es dabei geht, das
verdeutlicht die Tatsache, dass der größte deutsche Wissenschaftsverlag,
Springer, bei Bertelsmann unterschlüpfen musste. Auch Wolters-Kluwer,
wahrlich kein Kleiner, suchte in den letzten beiden Jahren händeringend
nach einem Investor. |
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3. Ein drittes Problem darf nicht verschwiegen werden: die ‘Shareholder-value-Mentalität’
vieler großer internationaler Verlage. Die STM-Verlage, die
in der neuen Welt nicht untergingen, sondern im Gegenteil ihre Position
bis hin zu monopolartigen Stellungen ausbauen konnten, betrieben eine
bemerkenswerte Preispolitik. Es mag ja sein, dass Digitalisierung
und Umfangssteigerung deutliche Preissteigerungen erforderten. Ob
aber jährliche Steigerungen von bis zu 20% für das gesamte
Zeitschriften-Portfolio notwendig waren, diese Frage drängte
sich doch auf - zumal wenn einige STM-Verlage auf ihren Shareholder-Seiten
angaben, dass sie aus dem Umsatz mit wissenschaftlichen Zeitschriften
einen Gewinn vor Steuern in Höhe von 30% und mehr erwirtschafteten.
(Nebenbei: In einer Hinsicht ziehen die großen internationalen
Verlage an einem Strick: in der Verlinkung ihrer Zeitschriften quer
über alle Konkurrenzen hinweg. Sie wissen sehr wohl, dass sie
damit die Enge der einzelnen Periodica überschreiten - und auch
etwaigen Abbestellungen entgegenwirken. Sie schaffen auf diese Weise
unverzichtbare Portale.) |
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Wissenschaftler als Verleger |
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Was sich im STM-Bereich im letzten Jahrzehnt abgespielt hat, das stranguliert
heute die Etats der wissenschaftlichen Bibliotheken, und es tangiert
damit auch die Erwerbungen für die Geisteswissenschaften. Anders
als in der STM-Welt gibt es bei den geisteswissenschaftlichen Verlagen
noch große Vielfalt. Diese Verlage haben bisher aber auch einen
großen Bogen um die Online-Publikation gemacht. Sie bieten zwar
Inhaltsverzeichnisse und Abstracts im Netz an, genieren sich aber,
sobald es um die Volltexte geht. Sind die Geisteswissenschaftler aber
damit zufrieden? In einigen Fächern waren sie es offensichtlich
nicht, denn sie haben - mit technischer Hilfe ihrer Institutionen
und Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft - Zeitschriften
gegründet, die von vornherein nur das elektronische Medium nutzen
und auf eine Printausgabe verzichten. Der Zugriff ist allerdings auch
kostenlos. |
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Website der 'Deutschen Forschungsgemeinschaft' |
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Ist es aber eine Lösung, wenn die Wissenschaftler selber zu Verlegern
werden? Schon die Arbeitsbelastung eines traditionellen Herausgebers
ist recht hoch, da er für die Evaluation der angebotenen Beiträge
sorgen muss. Als Selbstverleger einer elektronischen Zeitschrift aber
muss er noch eine Menge mehr an Organisation und Verwaltung übernehmen,
vor allem für den Vertrieb der Zeitschrift, inklusive der sehr
wichtigen Werbung. Solche Aufgaben lassen sich sicherlich in bestimmten
Abschnitten einer Universitätskarriere "nebenher" übernehmen,
aber nicht auf Dauer. Daher sind sie aus guten Gründen professionelle
Aufgaben, denn Zeitschriften (und natürlich auch Portale) brauchen
Kontinuität, finanzielle und personelle. Nur wenn Zeitschriften
auf Dauer angelegt sind, finden sie ihre Autoren und können ihre
Wirkung entfalten. |
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Verlage bieten diese Kontinuität; sie betreuen nicht nur ein
oder zwei Projekte, sondern bringen viele Bücher und Periodica
im Jahr an die Öffentlichkeit. Daher können sie ihre Projekte
mit geringerem Aufwand bewerben und verbreiten, als dies ein Einzelkämpfer
oder ein Einzelprojekt könnte. |
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Website der 'GAP' |
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Die Probleme der Online-Publikation
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Wo sind sie aber, die Online-Neugründungen der geisteswissenschaftlichen
Verlage? Es gibt sie nicht, oder so gut wie nicht. Warum das so ist,
werde ich aus meiner Perspektive zu erklären versuchen: |
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Verlage sind Wirtschaftsunternehmen, das heißt, sie müssen
ihre Kosten durch Vertriebserlöse decken. Wie kommt man aber
bei einer Online-Zeitschrift zu Erlösen? Mit pay-per-view für
private Zugriffe auf einzelne Artikel ist das benötigte Geld
nicht einzunehmen. Ein Vergleich der Zugriffsstatistiken mit den Kosten
zeigt eine ganz unglückliche Relation. Etwa 20 bis 40 €,
so haben Fachleute errechnet, dürfte ein Aufsatz kosten, der
kaufmännisch kalkuliert würde. Da der Nutzer es aber gewohnt
ist, die wissenschaftlichen Zeitschriften in den Institutsbibliotheken
und in der Zentralbibliothek kostenlos zu bekommen, wäre schon
ein sehr viel geringerer Preis für das Herunterladen eines Dokuments
am Markt nicht durchzusetzen. Mit pay-per-view wäre also eine
Zeitschrift nicht zu finanzieren. |
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Kleiner Exkurs zur Ökonomie
gedruckter Zeitschriften
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Gedruckte Zeitschriften werden traditionellerweise im Abonnement vertrieben.
Dies System ist bequem für die Verlage, denn sie müssen
nicht jeden Jahrgang neu bewerben und Käufer dafür gewinnen.
Das Abonnementsystem gibt eine gewisse Kontinuität der Auflage
und damit auch der Einnahmen. Außerdem erfolgen die Zahlungen
unabhängig davon, wie viele Leser im laufenden Jahr - oder auch
in den kommenden Jahrzehnten - die Zeitschrift nutzen. (Und es ist
kein Geheimnis, dass hochspezialisierte Zeitschriften zum Teil sehr
selten genutzt werden.) Das eingespielte Abonnementssystem bringt
den Verlagen die mittelfristig kalkulierbaren Vertriebserlöse,
mit denen sie die Aufwendungen für ihre Zeitschriften decken. |
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Ende des Exkurses, zurück
in die Online-Welt |
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Lässt sich dies gut eingespielte Abonnementsystem nicht auch
für die Online-Welt nutzen? Nicht ohne weiteres, es gibt dabei
technische und organisatorische Probleme. Die Universitäten wollen
für Online-Zeitschriften Campus-Lizenzen. Sie können aber
nicht jede für sich und für jede einzelne Zeitschrift Verträge
abschließen, das wäre zu personalintensiv. Deshalb haben
sie sich zu regionalen Verbünden zusammengetan und schließen
gemeinsam Verträge über hunderte von Zeitschriften. Die
marktbeherrschenden STM-Verlage haben solch große Portfolios,
das heißt 1.000 oder mehr Zeitschriften. Und sie haben auch
den Stab von Mitarbeitern, die um die Welt reisen und Konsortialverträge
schließen. Solchen Aufwand können sich kleine und mittlere
Verlage nicht leisten - sofern sie für die Bibliotheken weltweit
überhaupt als Verhandlungspartner in Frage kämen. Gibt es
also doch nur den Weg der STM-Kollegen? Müssen sich die Verlage
auch in den Geisteswissenschaften gegenseitig auffressen, bis einer
die kritische Größe erreicht hat? |
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Teil 2. Ein alternatives Publikationsmodell |
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Die Thüringer
Universitäts- und Landesbibliothek hat mit dem Verlag Vittorio
Klostermann eine Alternative gesucht. Es kam beiden Partnern darauf
an, eine pragmatische Lösung zu finden. Sie sollte sich mit geringem
Verwaltungsaufwand durchführen lassen, und sie sollte sich aus
ihren Vertriebserlösen selbst tragen können. Was die letztgenannte
Voraussetzung angeht, so war klar, dass bei der Überproduktion
auf dem wissenschaftlichen Markt eine Neugründung kaum Chancen
hätte. Wohl aber eine elektronische Zeitschrift, die man einer
eingeführten Printpublikation zur Seite stellte - sozusagen als
elektronisches Schwesterchen. Der Vorteil dieser Lösung ist,
dass die Abonnenten bereits gewonnen sind. Es muss also nur noch sichergestellt
werden, dass sie auch elektronisch Zugang bekommen. |
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Die Wahl der Pilot-Zeitschrift |
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Bei keiner anderen Zeitschrift des Verlags Vittorio Klostermann war
der Ruf nach einem elektronischen Pendant so drängend wie bei
der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Deshalb
fiel die Wahl für das Pilotprojekt auf die ZfBB, so die gängige
Abkürzung. Es ist dies die Fachzeitschrift der wissenschaftlichen
Bibliothekare, einer Berufsgruppe also, die ganz besonders in die
Diskussionen um Print- und Online-Publikationen eingebunden ist. Im
Blick auf die Pläne wurden zunächst die Abonnementspreise
für institutionelle und für private Bezieher, die immer
schon unterschiedlich waren, noch stärker differenziert. Konkret:
Die Privatbezieher zahlen im Jahr 2003 für den Jahrgang 39 €,
die institutionellen Bezieher 89 €. Gleichzeitig erhalten die
institutionellen Bezieher das Recht, kostenlos auf ZfBB-Online zuzugreifen.
Die Zugriffsberechtigung soll - wie in der STM-Welt auch - über
die IP-Adresse (Internet Protocol-Adresse) kontrolliert werden. |
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Website der 'Zeitschrift für
Bibliothekswesen und Bibliographie' |
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Die Zeitschrift |
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Es ist aber nur eine Minderheit der Institutionen, die ihren Campus
mit einer einzigen IP-Adresse abdeckt. Die meisten Institutionen benötigen
sogar mehrere IP-Ranges. Bei anderen müssen Teile des Netzes
über negative IP-Listen gesperrt werden, weil über das Netz
noch fremde Einrichtungen versorgt werden. Und daneben gibt es Bezieher,
die wegen dynamischer Adressierung Zugang über Passwort oder
nameserver erbitten. Der Verwaltungsaufwand für die Einrichtung
einer Campuslizenz ist offensichtlich sehr groß. Deshalb kann
dies nicht die Lösung für eine einzelne, niedrigpreisige
Zeitschrift sein. |
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<14>
Das Pilotprojekt wäre bereits an dieser Stelle gescheitert, wenn
sich nicht ein pragmatischer Weg gefunden hätte: Den institutionellen
Beziehern wurde mitgeteilt, dass jeweils ein IP-Range für sie
freigeschaltet werden könne. Die IP-Adresse dürfe mit einem
Asterisk enden. Sie bezeichnet damit nicht nur einen einzelnen Computer,
bedeutet aber meist weniger als ein campusweiter Zugriff. Das ist
- so der Gedanke - immerhin ein Kompromiss. Es sei hier noch einmal
in Erinnerung gerufen, weshalb überhaupt dieser Aufwand betrieben
wird: Der Kreis der potentiellen Nutzer soll sich durch die Online-Ausgabe
zwar vergrößern (was ja auch den Wert der Zeitschrift hebt),
er darf sich aber - durch zu lasche Eingrenzung der Freischaltung
- nicht so vergrößern, dass die Zahl der institutionellen
Abonnenten dadurch spürbar sinkt. |
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Die Verwaltung der IP-Adressen |
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Es gibt aber noch ein weiteres kaufmännisches Problem: Die gemeldeten
IP-Adressen können nicht freischwebend verwaltet werden, sie
müssen den einzelnen Abonnements zugeordnet werden. Verwaltungstechnisch
gibt es dafür nur einen einfachen Weg, nämlich die Verknüpfung
der IP-Adresse mit der Lieferadresse. Bei den ausländischen Bibliotheken
ist das kein Problem, denn die internationalen Zeitschriftenagenturen
nennen den Verlagen schon seit vielen Jahren die Adressen, an die
sie die Zeitschriftenhefte liefern sollen. Aber im Inland? Leider
gibt es noch immer Buchhandlungen, die die Adressen ihrer Kunden nicht
herausgeben möchten. Sie sind in Sorge, der Verlag würde
den Handel übergehen und mit den Abonnenten direkt ins Geschäft
kommen wollen. |
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Fazit |
<16>
Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek und der
Verlag Vittorio Klostermann haben ein gemeinsames Ziel: einen Weg
zu finden zwischen der Hypertrophie der STM-Zeitschriften und der
Zurückhaltung, die die geisteswissenschaftlichen Verlage bislang
übten. Das skizzierte Geschäftsmodell ist jedoch nicht ohne
Risiko. Zum einen waren erhebliche Investitionen notwendig, auf Seiten
der Bibliothek wie auf Seiten des Verlags. Und zum anderen ist noch
nicht abzusehen, wie viele Abonnenten der gedruckten Ausgabe abspringen
werden, weil sie online ausreichend versorgt sind. Sollte das Pilotprojekt
aber gute Erfahrungen bringen, dann wäre es ein Modell, das auch
andere Verlage und Zeitschriften zum Mittun bringen könnte. |
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Vittorio E. Klostermann
Frauenlobstraße 22
40487 Frankfurt am Main
vek@klostermann.de,
vittorio.klostermann@t-online.de
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Anmerkung der Redaktion:
Wenn nicht anders vermerkt, gilt als Referenz-Datum für Inhalt und
Funktionalität aller im Text genannter Links der 17.10.2003.
Empfohlene Zitierweise:
Vittorio E. Klostermann: Die Online-Zeitschrift aus der Sicht eines
geisteswissenschaftlichen Verlags. Probleme und ein Lösungsmodell,
in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 2 [22.10.2003], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/klostermann.html>
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