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Natalie Scholz
«Quel spectacle!»
Der Tod des Herzogs von Berry und seine melodramatische Bewältigung
Abstract
Das Attentat auf den Herzog von Berry bedeutete eine Zerreißprobe für das labile Gleichgewicht der französischen Restauration und ließ die virulenten politischen Gegensätze in offene Konflikte ausbrechen. Doch der Tod Berrys war auch eines der großen Medienereignisse der Epoche. Druckgraphiken, Oden und Zeitungsartikel schilderten das Sterben des Herzogs in einem melodramatischen Stil. Die These des Aufsatzes ist, dass diese auf emotionale Identifikation angelegte Darstellungsweise des Ereignisses nicht nur quer zu den politischen Kämpfen lag, sondern auch ein integratives Potential entfaltete, indem sie den Akt der Aggression gegen die Monarchie hinter die Gefühle der beteiligten Personen zurücktreten ließ. Die offizielle Repräsentation der Monarchie war in dem erinnerungspolitischen Dilemma gefangen, der königlichen Opfer revolutionär motivierter Verbrechen gedenken zu müssen, zugleich aber die politische Angreifbarkeit der Monarchie vergessen machen zu wollen. Demgegenüber zeigt die mediale Verarbeitung des Attentats, dass es andere Möglichkeiten monarchischer Selbstinszenierung gegeben hätte, welche dieses Dilemma in den Hintergrund zu drängen vermochten.
Prolog
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Am Abend des 13. Februar des Jahres 1820 verlässt der Herzog von Berry die Pariser Oper und begleitet seine Frau zur Kutsche. Als er wieder in seine Loge zurückkehren will, nähert sich ihm ein Mann und sticht ihm mit einem spitzen Gegenstand in die rechte Brust. Der Mann flüchtet. Der Herzog sinkt zusammen. Seine Frau fällt ihm in die Arme und wird von seinem Blut überschwemmt. In einem Saal der Oper wird eilig ein Krankenlager für den Verwundeten errichtet. Dort verbringt er die letzten Stunden seines Lebens, umringt von der versammelten bourbonischen Familie sowie weiteren Personen. Vor der Tür hat sich eine große Menge versammelt, die auf Nachrichten über den Verletzten wartet. Unter den Augen dieser Öffentlichkeit lässt Berry mehrere Aderlässe über sich ergehen, obwohl er seine Wunde selbst als tödlich einschätzt. Er legt die Beichte ab und lässt seine Tochter holen, um sie zu segnen. Wiederholt bittet er den hinzu gerufenen König um Gnade und Vergebung für seinen Mörder. Seine Frau bittet er, auf sich Acht zu geben, wegen des Kindes, das sie unter ihrer Brust trage. In den frühen Morgenstunden schließt Ludwig XVIII. die Augen seines verstorbenen Neffen. So stellen sich nach einer Lektüre der zeitgenössischen Tagespresse die Ereignisse jener Nacht vom 13. auf den 14. Februar dar, in welcher mit dem Herzog von Berry die einzige Hoffnung der bourbonischen Familie auf männliche Nachkommen aus dem Leben schied.
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Das Attentat auf den Herzog fand in einer Phase der Restauration statt, die bereits von politischen Verunsicherungen geprägt war. Im Inneren sah sich die gemäßigte Politik des Innenministers Decazes, des Lieblings Ludwigs XVIII., einem immer stärkeren Druck beider Lager, der Linksliberalen wie der Ultra-Royalisten, ausgesetzt. [1] Zugleich wurde Europa von politischen Erschütterungen heimgesucht, die eine neue große revolutionäre Bewegung wieder möglich erscheinen ließen. Im März 1819 war der Dichter Kotzebue in Mannheim von einem fanatischen Studenten ermordet worden, in Spanien kam es im Frühjahr 1820 zu einer Revolution, die den König zwang, die Verfassung zu akzeptieren.
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In dieser allgemeinen Situation musste die Attacke auf den Herzog von Berry, den Garanten für den Fortbestand der herrschenden bourbonischen Linie, wie ein Angriff auf die politische Ordnung der Restauration erscheinen. Der unmittelbar nach der Tat gefasste Täter, ein einfacher Arbeiter namens Louvel, gab zudem offen zu, dass er die königliche Familie hatte auslöschen wollen, bestritt jedoch zugleich, einen Auftrag erfüllt oder mit Komplizen zusammengearbeitet zu haben. Nichts desto weniger vermuteten die Ultra-Royalisten sofort ein allgemeines revolutionäres Komplott hinter dem Attentat, das sie geschickt zu instrumentalisieren verstanden. Sie beschuldigten lautstark ebenso die liberale Presse wie den Innenminister Decazes, am Tod des Herzogs mitschuldig zu sein. Decazes versuchte, die Gemüter der Ultras durch die Vorlage zweier 'lois d'exception' zu beruhigen, die zum einen die bestehende Zensur erheblich verschärfen und zum anderen die individuellen Freiheitsrechte einschränken sollten. [2] Doch die Taktik ging nicht auf, da sich die Kammer dem Ansinnen verweigerte. Decazes musste zurücktreten und wurde durch den Herzog von Richelieu abgelöst, der die Gesetze schließlich durch die Kammern brachte. [3]
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Der 13. Februar 1820 liegt an einem politischen Scheidepunkt der Restauration. Der von Ludwig XVIII. unterstützte Versuch, moderate Liberale und moderate Royalisten zusammenzuführen, hatte sich bereits kurz zuvor praktisch als gescheitert erwiesen. Das Attentat war dafür zwar nicht verantwortlich, beschleunigte aber die Gegenreaktion einer Regierungspolitik, die sich zunehmend dem Kurs der Ultra-Royalisten annäherte. [4] Diese Tendenz prägte die Restauration bis zu ihrem Ende. Sie sollte erst unter Karl X. ihr volles Ausmaß erreichen und die Vertiefung jener gesellschaftlichen Gräben wesentlich mitverantworten, welche letztlich zum Zusammenbruch des Regimes führten.
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Das Attentat auf den Herzog von Berry wurde und wird auch wegen dieser Nachgeschichte in der Forschung nicht zu Unrecht als ein Ereignis geschildert, das eine Zerreißprobe für das labile Gleichgewicht der Restauration darstellte, da es die virulenten politischen Gegensätze aufbrach. [5] Der Tod des Herzogs eignete sich, so könnte man deshalb folgern, gerade deshalb nicht zu einem integrativen Totenkult, der mit den Mitteln von Ritualen und Erinnerungsformen, die Gesellschaft hätte zusammenführen oder einen können. [6] Zugleich war er aber ein für die Zeit herausragendes 'Medienereignis'. Eine enorme Fülle von Publikationen, von Zeitungsartikeln über Oden, Elogen und anderen gelegenheitslyrischen Texten bis hin zu einer großen Anzahl von Druckgraphiken stellten die Geschehnisse jener Nacht dar, interpretierten und verarbeiteten sie. Diese Darstellungen des Todes, die eigentlich Darstellungen des Sterbens waren, sollen im Folgenden näher unter die Lupe genommen werden. Meine These ist, dass die hier zum Vorschein tretende Repräsentationsweise des Attentats trotz der politischen Krise, die es zugleich auslöste, ein großes integratives Potential entfaltete. Die melodramatische Schilderung des Attentats lag nicht nur quer zu den politischen Kämpfen, sondern vermochte prinzipiell auch das mit der Ermordung Berrys ebenfalls aufbrechende erinnerungspolitische Dilemma der Restauration in den Hintergrund zu drängen.
Die Ermordung Berrys im Kontext restaurativer Erinnerungspolitik
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Die Achillesferse der Repräsentation der bourbonischen Monarchie bestand ohne Frage in der revolutionären (und napoleonischen) Vergangenheit, insbesondere aber in dem Akt des Königsmordes. Sheryl Kroen hat in ihrer Arbeit dargelegt, dass von der Monarchie und ihren Befürwortern zwei grundsätzlich verschiedene Umgangsweisen mit dieser Vergangenheit ausgebildet wurden. [7] Die erste ist die vor allem von Ludwig XVIII. verfolgte Politik des 'Oubli', des Vergessens. Sie verband eine relativ moderate rituelle Umsetzung der traditionell-dynastischen Legitimation der Monarchie mit dem Versuch, die revolutionäre Vergangenheit – und das bedeutet letztlich die Existenz politischer Alternativen zur Monarchie – aus der Öffentlichkeit zu entfernen und so die Herrschaft der bourbonischen Familie als quasi natürlichen Zustand zu vermitteln. Dieses Vorhaben, verwirklicht unter anderem in öffentlichen Verbrennungen revolutionärer und napoleonischer Symbole, stieß in vielerlei Hinsicht an Grenzen. Die Vergangenheit blieb nicht nur in den Köpfen, sondern etwa auch in Gestalt der napoleonischen Triumphbögen und der Siegessäule im öffentlichen Raum präsent, Monumente, die die Monarchie nicht zu zerstören wagte. [8]
<7>
Der Tod Ludwigs XVI. barg nun das besondere Dilemma in sich, die Monarchie einerseits vor die Verpflichtung zu stellen, dieses Ereignis gebührend zu würdigen, andererseits damit unweigerlich eben jene revolutionäre Vergangenheit heraufzubeschwören, die Ludwig XVIII. eigentlich vergessen machen wollte. Der gewählte Ausweg aus diesem Dilemma bestand darin, dass der 21. Januar zwar zum nationalen Trauertag erklärt, die offizielle Gedenkmesse aber sehr zurückhaltend inszeniert wurde. Es wurde nur das Testament Ludwigs XVI. verlesen, und es gab zudem, wie Kroen beobachtet hat, keinen direkten Hinweis auf den Akt der Hinrichtung oder den angegriffenen physischen Körper des Königs und der Königin. [9] Dieser Politik entsprach auch, dass Ludwig XVIII. den Bau der geplanten Gedenkstätten für seinen ermordeten Bruder nur mit äußerster Zurückhaltung verfolgte und darauf achtete, dass sie fern der Öffentlichkeit errichtet wurden.
<8>
Diese Zurückhaltung, insbesondere das Verbot von Grabreden bei den Gedenkgottesdiensten, zeugte nicht nur von der Taktik des 'Oubli', sondern war auch eine Reaktion auf die zweite Umgangsweise mit der revolutionären Vergangenheit, die die Restauration prägte. Diese wurde in Form der ultra-royalistischen Sühne-Rhetorik entwickelt, welche vor allem von 1814 bis 1816 in Grabreden zum Tod Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes publizistische Verbreitung fand. [10] Die Revolution mit ihrer Zerstörung religiöser Prinzipien stellt sich in diesem Diskurs als die kollektive Sünde der Franzosen dar, eine Sünde, die von Gott durch die 'Terreur' und den Krieg bestraft worden ist. Die Exekution des königlichen Paares wird darüber hinaus zu einem göttlichen Drama stilisiert, die Leiden des Königs und der Königin als übermenschlich beschrieben und sie selbst dadurch in quasi göttliche Sphären entrückt. Vor allem aber wird das ganze französische Volk für das 'crime ultime' des Königsmordes verantwortlich gemacht. Dieser radikale religiös-royalistische Diskurs konterkarierte die Politik des 'Oubli', welche den hier ins Zentrum gestellten Akt des Königsmordes verdrängte, auch um jene exzessiven Schuldzuweisungen der Sühne-Rhetorik zu vermeiden. Solche Schuldzuweisungen hätten in letzter Konsequenz den von Ludwig gewollten politischen Ausgleich unmöglich gemacht.
<9>
Die vielen, anlässlich des Todes des Herzogs von Berry publizierten 'oraisons funèbres' knüpften in ihrer Interpretation des Ereignisses an diese Sühne-Rhetorik an, wie Bettina Frederking in einem jüngst erschienenen Aufsatz darlegt. [11] Ähnlich wie im Sühne-Diskurs der Königsmord wird nun die Ermordung Berrys zu einem Verbrechen der ganzen Nation, einem 'crime national', erklärt und so das Postulat der Kollektivschuld wieder aufgegriffen. Das vorbildliche Sterben des Herzogs, insbesondere seine Bitte um Gnade für seinen Mörder, werden zum Anlass genommen, ihn als 'neuen Christus' oder 'Heiligen' zu bezeichnen, der als Märtyrer für die Sache des Glaubens und der Monarchie gestorben ist.
<10>
Unter Bezugnahme auf Martin Papenheims Analyse der Sühne-Rhetorik weist Frederking darauf hin, dass dieser ultra-royalistische Diskurs, so sehr er auch von sich behauptete, die Traditionen eines alten Frankreich zu verteidigen, tief geprägt war von Formen, die sich erst während der Revolution herausgebildet hatten. Dies äußert sich im Falle Berrys etwa in einer exklusiven Definition der nationalen Zugehörigkeit, die sich an der "Zustimmung zu bestimmten Wertvorstellungen" manifestiert. Franzose konnte, diesem Prinzip folgend, nur sein, wer "Katholik und Royalist" war, was auf den Attentäter natürlich nicht zutraf. [12]
<11>
Ein weiteres Beispiel für die formale Ähnlichkeit zum revolutionären Diskurs, kann in solchen Modellen für ein Gedenkmonument gesehen werden, die den Herzog von Berry mit weit entblößtem Oberkörper und mit deutlich sichtbarer Wunde zur Schau stellten (Abb. 1). Diese Ikonographie erinnert stark an den Totenkult der radikalen Phase der Revolution, etwa an die Bilder der aufgebahrten Leiche des ermordeten Revolutionshelden Michel Lepeletiers (Abb. 2). Antoine de Baecque beschreibt diese Ausstellung des verwundeten Körpers als ein notwendiges Element des radikalen Diskurses der Revolution, das darauf setzte, starke Emotionen in einer Weise hervorzurufen, die den Hass gegen die Feinde der Revolution schürte. [13] Auch Avner Ben-Amos betrachtet die visuelle Betonung der Wunden revolutionärer Märtyrer während der Terreur als Zeichen für den ausschließenden Charakter jener Begräbnisrituale. [14]

Abb. 1
Abb. 2

<12>
An diesem Beispiel wird der Zusammenhang offenbar zwischen einem der christlichen Formensprache – sei es explizit, sei es implizit – entlehnten Märtyrer-Kult und dem politischen Ziel einer Exklusion bestimmter definierter Feinde oder feindlicher Haltungen aus der nationalen Gemeinschaft. Beide Formen des Kultes, der revolutionäre wie der ultra-royalistische, beruhen also darauf, im doppelten Sinn des Wortes 'den Finger auf die Wunde zu legen', die Bedrohung der nationalen Einheit bzw. die Zerrissenheit der Nation zu betonen, immer wieder heraufzubeschwören und ins Zentrum des Diskurses zu stellen, mit dem politischen Ziel, die Einheit auf eine bestimmte, nämlich radikale, das heißt den politischen Gegner ausschließende Weise wiederherzustellen.
<13>
Auf welche Resonanz der radikale Sühne- und Märtyrer-Diskurs außerhalb der ultra-royalistischen Kreise stieß, ist ungewiss. Frederking verweist zwar zu Recht auf die durchaus vorhandene Popularität der Sühne-Rhetorik im Rahmen der Missionen in der Provinz. Jedoch hat Kroens Arbeit über die politische Kultur der Restauration gezeigt, welches enorme Konfliktpotential diese häufig sehr erfolgreichen Missionen zugleich in sich bargen. [15] Die offizielle Politik der Monarchie jedenfalls distanzierte sich auch nach dem Attentat von der Sühne-Rhetorik und versuchte, ihrem Grundsatz des 'Oubli' treu zu bleiben, indem sie von öffentlichen Schuldzuweisungen absah, anordnete, dass bei den landesweiten Trauergottesdiensten für den Herzog von Berry keine Reden gehalten wurden, und dass das letztlich nie vollendete offizielle Pariser Monument zu Ehren Berrys statt an einem öffentlichen Platz in einer Kirche errichtet werden sollte. [16]
<14>
Auch die Monarchie selbst knüpfte also in ihren Reaktionen an ihre Umgangsweisen mit dem revolutionären Königsmord an. Der Bedeutung des Ereignisses konnte sie so jedoch nicht gerecht werden. Die Ermordung des Herzogs von Berry rief auf sehr drastische Weise die revolutionäre Vergangenheit ins Gedächtnis. Auch jenen, die der tatsächlich unbegründeten Theorie des Komplotts nicht folgten, führte diese Tat vor Augen, dass eben jene Vergangenheit potentiell jederzeit zu einer existentiellen Bedrohung für die Monarchie werden konnte. Die offizielle Politik hatte in letzter Konsequenz keine positiven symbolischen oder rituellen Bewältigungsformen zur Verfügung, die eine angemessene, die Gesellschaft integrierende Antwort auf eine solche Situation hätten bereit stellen können. Im Gegenteil war das Attentat nach der Rückkehr Napoleons 1815 zum zweiten Mal ein Anlass, die geplante Krönungszeremonie Ludwigs XVIII. abzusagen, offenbar weil befürchtet wurde, dass diese Zeremonie gerade nicht zu einer Beruhigung und Integration der gespaltenen Gesellschaft beitragen würde. [17]
Das 'soziale Drama' und seine (kulturellen) Bewältigungsformen
<15>
Der von dem Ethnologen Victor Turner geprägte Begriff des 'sozialen Dramas' eröffnet eine Sichtweise auf die Erschütterung nach der Ermordung Berrys, die herausführt aus der simplen Annahme, dass das, was die Gesellschaft trennt, sie niemals einen könne. Turner versteht unter einem 'sozialen Drama' eine bestimmte Art von sozialer Krise, die meist von einer öffentlichen Regelverletzung ausgelöst wird, welche die bestehende Machtstruktur in Frage stellt. [18] Diese Regelverletzung verursacht heftige emotionale Reaktionen, aktiviert die bestehenden Gegensätze innerhalb einer Gruppe, etwa Parteibildungen, und verwandelt sie in offene Konflikte. Die Mitglieder der Gruppe ergreifen für die eine oder andere Seite Partei und lassen den offen gelegten Bruch zur Krise reifen. Kritiker dieser Krise wiederum versuchen, Bewältigungsmechanismen in Gang zu setzen. Diese können beispielsweise auf Rechtsverfahren oder religiösen Institutionen beruhen. Sie können auch auf die Durchführung eines großen Rituals hinauslaufen, das "die Werte, gemeinsamen Interessen und die moralische Ordnung der die Zersplitterung in Lokalgruppen transzendierenden kulturellen und moralischen Gemeinschaft insgesamt" zelebriert. [19] Das Ende eines sozialen Dramas ist offen. Es kann mit der Versöhnung der Konfliktparteien beschlossen werden oder die Gegensätze als unüberwindbar festschreiben, was häufig zum Auseinanderbrechen der Gemeinschaft bzw. zum Exodus einer der Parteien führt.
<16>
Dieser Begriff des 'sozialen Dramas' wird von Turner so allgemein konzipiert, dass er prinzipiell auf alle Zeiten und eine sehr große Palette von sozialen Konflikten anwendbar ist, von Kleingruppen- und Familienkonflikten bis hin zu nationalen und internationalen Krisen. Das Attentat auf den Herzog von Berry und seine Folgen erscheint bei näherem Hinsehen geradezu wie ein Paradebeispiel für ein soziales Drama auf der Ebene der Nation bzw. der national verfassten Gesellschaft. Was das Konzept für die Interpretation dieses Ereignisses und der Formen seiner symbolischen Bearbeitung aber besonders interessant macht, ist, dass Turner zugleich eine stufenweise Veränderung der Verstehens- und Bewältigungsformen sozialer Dramen ausmacht. Nach einer ersten, nicht näher gekennzeichneten Phase bringen die Menschen kulturelle Formen der Auseinandersetzung hervor, die sich vor allem im Einflussbereich des Rechts und der Religion bewegen. In der dritten Phase verlagern sie sich in den Einflussbereich der verschiedenen Künste und reagieren damit auf die zunehmende Komplexität einer Gesellschaft, die sich über die alten Formen nicht mehr zusammenführen lässt. Allen voran nennt Turner hier die Kunstform des Theaters als kulturelle Darstellungsform sozialer Dramen, die sowohl richterliche wie sakrale Elemente in sich aufnimmt. Wie Rituale und Zeremonien entwickeln Theater und auch Dichtung eine eigene Weise 'imaginativen Verstehens', die jedoch hier nicht Teil eines fest gefügten Deutungsrahmens ist, sondern von der stärker ausgeprägten expressiven Mehrdeutigkeit der Kunst profitiert und die Konfliktlinien der Gesellschaft 'spielerisch' darstellen und manchmal stellvertretend 'lösen' oder miteinander versöhnen kann.
<17>
Die Epoche der Französischen Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nach der Implosion des alten kulturellen Rahmens permanent auf der verzweifelten und lange erfolglosen Suche nach dauerhaften rituellen und symbolischen Formen befand, die die politisch zersplitterte Gesellschaft hätten zusammenhalten können. [20] In gewisser Weise könnte man also auch die Revolution als soziales Drama und die darauf folgenden Jahrzehnte als eine der Tiefe der Krise angemessen sehr ausgedehnte Phase der Bearbeitung und der Suche nach Bearbeitungs- und Bewältigungsformen interpretieren.
<18>
Unter Napoleon kristallisierte sich die Sphäre des Militärischen als mögliche Integrationsklammer der revolutionären Nation aus. [21] Das Ausmaß dieser symbolischen Mobilmachung hing jedoch eng zusammen mit dem permanenten kriegerischen Mobilisierungszustand der Gesellschaft unter der Herrschaft Napoleons. Mit der Rückkehr der Bourbonen war nicht nur dieser Mobilisierungszustand erst einmal beendet. Die Monarchie konnte an diese symbolische Legitimationsklammer auch sonst schwerlich anknüpfen, verdankte sie doch ihre Restitution einer Niederlage der französischen Armee. Es war und blieb primär Napoleon, der mit der militärisch-heroischen Nationalsymbolik identifiziert wurde, welche halb offen, halb versteckt über die gesamte Zeit der Restauration als wohl wichtigster symbolischer Gegendiskurs zur Monarchie weite Verbreitung fand. [22]
<19>
Parallel zum Aufstieg des 'militärischen Helden' begann jedoch abseits der Politik ein Genre seinen Siegeszug durch die Pariser Boulevardtheater, das spätestens seit Peter Brooks 1976 erschienenem Buch 'Melodramatic Imagination' [23] von Literaturwissenschaftlern als eine Art theatralischer Aufarbeitung der revolutionären Wirren, insbesondere der radikalen Zuspitzung während der Terreur betrachtet wird. [24] Die Melodramen mit ihrer simplen Struktur und ihrer emphatischen, übersteigerten Emotionalisierung des Geschehens erfüllten, so Brooks, das Bedürfnis, die in der Revolution verloren gegangene moralische Klarheit im abgegrenzten und außeralltäglichen Raum des Theaters wieder zum Vorschein zu bringen. Es ist ihm zufolge also gerade der Mangel eines allgemein akzeptierten sozialen Codes oder metaphysischen Weltbildes, der die typischen Elemente des Melodrams hervorgebracht hat.
<20>
Als der Herzog von Berry am 14. Februar 1820 starb, gab es zwar keine konsensfähigen Rituale und Zeremonien, um den Bruch innerhalb der Gesellschaft zu überdecken, aber es gab eine andere kulturelle Form, die bereit stand, um für die Bewältigung dieses Ereignisses herangezogen zu werden, und die allen Bevölkerungsschichten gut bekannt war. [25]
Die Einheit der Nation in der Trauer
<21>
Am 15. Februar begann die Verarbeitung und mediale Bearbeitung dieses Ereignisses, das offensichtlich eine Welle starker Emotionen bei vielen Franzosen hervorrief. Dies suggerieren bereits die ersten Zeitungsberichte über das Attentat, vor allem aber über das, was sich in den folgenden Stunden am Sterbebett des Herzogs abspielte. Die verschiedenen von mir gesichteten Zeitungen bewegen sich politisch in einem Spektrum von der regierungstreuen politischen Mitte des 'Journal de Paris' bis zum Ultra-Royalismus des 'Drapeau Blanc'. Alle betonen in den ersten Kommentaren das Gefühl allgemeiner Trauer, alle berichten in den folgenden Tagen von der außerordentlichen Anteilnahme und öffentlichen Trauerbekundung der Bevölkerung quer durch alle Klassen.
<22>
"La France est en deuil. [...] Berry n’est plus" heißt die Parole des 'Journal des Débats', das in seinem ersten Kommentar vom 15. Februar von einer "douleur générale" spricht. Das Journal de Paris nennt das Ereignis am selben Tag ein "grand malheur national" und lässt sich zu emotionalen Sätzen hinreißen, die typisch sind für die Reaktionen auf das Attentat: "Combien l’image présente de cette douleur royale n’est elle pas cruelle pour tous les cœurs français. Cet auguste monarque, rendu à son peuple après vingt-cinq ans de malheurs, communs à ce peuple et à lui, [...] recevant les derniers soupirs du fils de son adoption, du second espoir du trône et de la France, combien ce spectacle ne doit-il point parler à tous les cœurs français, [...]!" [26]
<23>
Dieses Zitat zeigt, wie durch geschicktes Formulieren das Gefühl von Trauer und Mitleid verbunden wird mit der Andeutung eines spezifischen symbolischen Konzepts der Einheit von Volk und König. Zugleich basiert diese Deutung auf einer besonderen ästhetischen Wahrnehmung des Todes Berrys als 'image' oder 'spectacle'. "Alle französischen Herzen" leiden mit dem König, heißt es da, denn das "Bild", ("l’image") des sterbenden Berry ist für sie grausam, und das "Schauspiel" ("ce spectacle") des trauernden Monarchen spricht sie an. Diese Sätze suggerieren die Einheit der Nation in der Trauer, sie gehen aber auch darüber hinaus, indem sie auf der Grundlage des nachempfundenen 'spectacle' eine Leidensgemeinschaft von Volk und König heraufbeschwören. Bestätigt wird diese Lesart durch die Bezeichnung der revolutionären und napoleonischen Vergangenheit als "25 Jahre des Unglücks, die dem König und dem Volk gemeinsam sind" ("communs à ce peuple et à lui").
<24>
Wo der Sühne-Diskurs der Ultras Volk und Königtum zunächst trennt, indem Frankreich an den revolutionären Verbrechen schuldig gesprochen und zur Wiedervereinigung ein Akt der Buße verlangt wird, vereint der Autor dieses Zitates beide Seiten von vornherein in einer gemeinsamen Leidensgeschichte, an der, so wird suggeriert, niemand schuldig ist. Dieses Mitfühlen und Mitleiden sowie die hierfür notwendige Identifikation mit der königlichen Familie stehen im Zentrum des von einer Flut von Publikationen konstituierten visuellen und sprachlichen Diskurses um den Tod des Herzogs.
Das Sterben Berrys als heroisches Melodram
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Die amerikanische Historikerin Jo Burr Margadant hat in einem Aufsatz über die Herzogin von Berry wohl als erste darauf hingewiesen, dass die Sterbeszene Berrys in einem melodramatischen Stil inszeniert worden sei. [27] Das Melodram hatte gegen Ende des 18. Jahrhunderts das neoklassische Drama abgelöst und entwickelte sich zu dem dominierenden populären Theatergenre des frühen 19. Jahrhunderts schlechthin. Guilbert de Pixérécourt, der 'Vater des Melodrams’, schrieb in seinen Stücken den Tugendkult des Jahrhunderts der Aufklärung in einer von der Empfindsamkeit und dem frühen bürgerlichen Drama beeinflussten Weise fort. [28] Auch im 18. Jahrhundert hatte das Theater im Umfeld dieses Tugendkultes einen pädagogischen Auftrag erfüllt, indem es moralische Vorbilder auf die Bühne brachte. Dieser Vorbildcharakter blieb im populären Melodram Pixérécourts grundsätzlich erhalten, allerdings setzten seine Stücke wesentlich stärker auf eine einfache dichotomische Struktur von Gut versus Böse sowie insbesondere darauf, dass sich das Publikum mit den 'Gefühlen' von Figuren identifizierte, welche sich in zugespitzten emotionalen Situationen befanden. Obwohl sich das Geschehen bei Pixérécourt häufig in einer historischen Szenerie abspielte, war eine Identifikation möglich, da emotionale Situationen gewählt wurden, die dem Publikum vertraut waren. Selbst wenn die Helden der Melodramen manchmal Adelige oder Könige waren, standen doch vor allem ihre Gefühle im Zentrum des Interesses, Gefühle, die jeder Theaterzuschauer aus eigener Erfahrung nachvollziehen können sollte. In seinem 1832 publizierten Essay über das Melodram legt Pixérécourt einer Frau den Ausspruch in den Mund: "Faites-nous pleurer, messieurs, vous serez toujours certains de réussir". [29] In einem der unzähligen Verse zum Tod des Herzogs von Berry heißt es parallel dazu: "Princesse, pleurez; Princes, versez des pleurs; [....] Pleurez, peuples, pleurez, Français, fondez en larmes!". [30]
<26>
Die Religion und der Glaube spielten bei der Macht der Gefühle als erzieherischer Technik im Melodram eine nicht unerhebliche Rolle. Die französische Literaturwissenschaftlerin Le Hir bezeichnet die Dramaturgie Pixérécourts als eine 'philosophie du renoncement', die der unterdrückten Unschuld und der Erlösung durch den Glauben ein Denkmal setzte und in welcher die größte Tugend darin bestand, sich ergeben in ein ungerecht erlittenes Leiden zu fügen.[31] In dem für das klassische Melodram typischen dramatischen Pathos gruppieren sich außerdem um den mit allen Qualitäten ausgestatteten Helden weitere gute Charaktere, deren körperliche oder der Situation geschuldete Schwäche jedoch tiefes Mitleid erregt. [32]
<27>
Schon anhand dieser kurzen und zugespitzten Darstellung der wesentlichen Elemente des Melodrams lässt sich zeigen, wie frappierend die Ähnlichkeit zur Sterbeszene des Herzogs von Berry ist. Berry wird durchgängig geschildert als ein Sterbender, der sich ergeben in sein Schicksal fügt, einen heroischen, weil unerschrockenen Tod stirbt und in beinah stoisch wirkender Gelassenheit all jene Handlungen vollzieht, die ihm moralisch geboten erscheinen, von der Beichte und der Segnung seiner Tochter sowie, was seltener erwähnt wird, einer zweiten unehelichen Tochter, über den ausgiebig zelebrierten Abschied von den verschiedenen Familienangehörigen bis hin zur Bitte um Gnade für seinen Mörder.
<28>
Ein weiterer zentraler Bestandteil dieses theatralisierten heroischen Sterbens ist die Präsenz der Familie und der Freunde des Herzogs, deren tiefe Trauer und Verzweiflung durchweg beschrieben wird. Ich möchte hier nur eine Textstelle aus der Vielzahl von Beispielen zitieren, die all diese Aspekte exemplarisch zusammenfasst.
"O de Henri-le-Grand rejeton magnanime ! 
Poignardé comme lui, comme lui regretté, 
Qui pourra jamais peindre à la postérité 
De tes derniers momens l’héroïsme sublime ! 
Ton sang coule à grands flots ; toi seul es sans effroi : 
L’art impuissant gémit ; toi seul n’as point d’alarmes, 
Et ta souffrance unique est de voir fondre en larmes 
Et ta femme, et ta fille, et ton père et ton roi." [33]
<29>
Es ist diese moralische Vorbildlichkeit des sterbenden Berry, die ihn als Held, als ein herausragendes Individuum erscheinen ließ. Die Druckgraphiken, die das Sterben Berrys bildlich darstellten, nahmen deutlich erkennbar Anleihe bei der Heldenikonographie des 18. Jahrhunderts. Dies wird sichtbar, stellt man ein Beispiel aus dieser druckgraphischen Produktion (Abb. 3) dem hundertfach kopierten Gemälde 'Der Tod des General Wolfe' von Benjamin West gegenüber, das als eine Art Urbild der modernen heroischen Sterbeszene bezeichnet werden kann (Abb. 4). [34] Frappierend ist die Ähnlichkeit der triangulären Anordnung der Personen bis hin zu den Gardinen, die anstelle der Fahne bei West über der Gruppe in die Höhe ragt, sowie der Körper- und Handhaltung des Sterbenden und der nächststehenden Personen. Bei beiden Motiven idealisiert und überhöht die Komposition in der Tradition des neoklassizistischen 'grand style' die dargestellte Szene. Im Pathos von Haltung, Gestik und Mimik wird die Theatralik als Ausdrucksmittel erkennbar. Das 'Moderne' an Benjamin Wests 'General Wolfe' bestand vor allem darin, dass diese Stilelemente auf ein zeitgenössisches, reales Ereignis übertragen wurden, dass sachlicher Report der Geschehnisse und ästhetische Idealisierung miteinander verbunden wurden.

Abb. 3
Abb. 4

<30>
Paradoxerweise bedeutet diese visuelle und sprachliche Form der Heroisierung aber zugleich, dass der Herzog von Berry seine Sonderstellung in diesem Kontext gerade nicht seiner Position als 'prince', als Mitglied der königlichen Familie verdankt. "C’est à sa dernière heure / Que le héros s’est révélé." heißt es in der Ode des jungen Victor Hugo über den Herzog von Berry. [35] Der durch den Tod und dessen mediale Vermittlung errungene Heldenstatus Berrys bewegt sich vielmehr in der Tradition des 'culte des grands hommes' des 18. Jahrhunderts, der insofern einen fundamental demokratischen Charakter hatte, als er Individuen nach ihren moralischen Verdiensten beurteilte, völlig ungeachtet ihres sozialen Rangs. [36] Nur sehr wenige Könige der Vergangenheit fanden infolgedessen Eingang in den Kanon der großen Männer, allen voran Ludwig XII. und Heinrich IV. In dieser Perspektive zeichnete sich ein König (als Individuum) keineswegs schon allein dadurch vor seinen Zeitgenossen aus, dass er ein König war.
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Der Herzog von Berry musste also in gewisser Weise zunächst — wie General Wolfe — als ein 'normaler Bürger' betrachtet werden können, der genauso dachte und fühlte wie jeder seiner Zeitgenossen, um zur heroischen Identifikationsfigur des Melodrams aufzusteigen. Vor diesem Hintergrund erscheint es keinesfalls erstaunlich, dass Berry in einigen Texten als "bon" oder "grand citoyen" bezeichnet wird, zehn Jahre bevor das Wort vom Bürgerkönig in aller Munde war.
Das Sterben Berrys als melodramatische Familienszene
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In der Todesszene steckt jedoch nicht nur das Drama des heroischen Sterbens, das wiederum Elemente des klassischen Melodrams enthält, sondern auch jene von dem Autor Victor Ducange entwickelte Form des Melodrams, die die Familie als Ort intimer und empfindsamer Beziehungen ins Zentrum des Geschehens stellte. Ducange ersetzte damit die noch immer patriarchal funktionierenden Familienstrukturen der Stücke Pixérécourts durch solche, die vor allem auf Liebe basierten, was sowohl die väterliche und mütterliche als auch die zärtliche oder gar romantische Liebe von Ehepartnern meinen konnte. Seine ersten großen Erfolge feierte Ducange kaum ein Jahr vor der Ermordung Berrys. [37] Das Thema, das Ducange inszenierte, fand so zwar neue Ausdrucksformen, hatte seinen Ursprung jedoch, ähnlich wie dasjenige des Tugendkultes, im späten 18. Jahrhundert. Die darin enthaltene Vorstellung des Menschen als Wesen, dessen Individualität sich in authentischen Gefühlen zeigt, welche vornehmlich im privaten Raum der Familie zum Ausdruck kommen, ist eine der hervorstechendsten kulturellen und mentalen Veränderungen, die das 18. Jahrhundert hervorgebracht hat und die seit der Epochenschwelle um 1800 eine große Breitenwirksamkeit entfaltete. [38]
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Die Beschreibungen und bildlichen Darstellungen des sterbenden Berry führen die königliche Familie als in diesem Sinne 'moderne', im kulturellen Sinn 'bürgerliche' Familie vor. Der Herzog von Berry selbst bewies zugleich öffentliche wie private Tugenden, indem er nicht nur um Gnade für den Mörder bat und sein unglückliches Vaterland bedauerte, sondern auch eine geradezu zärtliche Sorge um seine Familie, insbesondere seine Frau, demonstrierte. Die Präsenz der verschiedenen Mitglieder der Familie wiederum erlangt in den Texten und Bildern seine wahre Bedeutung erst durch die Betonung ihrer Gefühle von Trauer, Verzweiflung und Schmerz. [39] Die Dramatik der Grenzsituation des Todes scheint es zu sein, die für die Authentizität der Gefühle, die sie zum Vorschein bringt, zugleich bürgt. [40]
<34>
Abbildung 4 zeigt, wie jede der beteiligten Personen deutlich mit Körperhaltung, Gestik und Mimik Gefühle des Unglücks und der Verzweiflung ausdrückt. Die Hände werden zum Kopf oder vor das Gesicht geführt oder in der Gebetshaltung zusammengepresst, die Stirn ist in tiefe Falten gelegt, der Blick ruht entweder auf dem Herzog oder geht mit einem klagenden Ausdruck gen Himmel oder in die Ferne. Die Herzogin von Berry kniet vor dem Bett, hält, wie es auch der König tut, die Hand ihres Mannes, und presst ihr Kind an sich. Das hier zu sehende Pathos ist natürlich weitaus plakativer als im Bild des General Wolfe. Es entspricht der Mode melodramatischer Theaterinszenierungen der Zeit, die das Bühnengeschehen auf körperliche Aktionen und Posen fokussierten. Es gab die Angewohnheit, am Ende eines Aktes den Zustand der Seelen mittels körpersprachlicher Zeichen in so genannten 'tableaux' darzustellen, in denen etwa Kummer durch eine Hand auf der Stirn, weibliche Verzweiflung durch aufgelöste Haare und Freude durch ein Bein in der Luft kenntlich gemacht wurde. [41]
<35>
Nicht jede Abbildung zelebrierte diese Körpersprache so ausgiebig wie dieses Beispiel, aber in beinah allen waren jene Gesten zu finden. Der König wurde allerdings auf den meisten Bildern in der Regel weniger emotional involviert als hier, sondern vielmehr beinah reglos in seinem Stuhl verharrend dargestellt. Auch die Texte enthalten widersprüchliche Vorstellungen von seiner Rolle. Einmal wird seine Trauer eher zurückhaltend beschrieben und die Betonung auf den 'letzten Dienst' gelegt, den er seinem Neffen erwies, indem er in seiner letzten Stunde an seinem Bett verharrte und ihm die Augen schloss. Ein anderes Mal ist gar die Rede von einem Monarchen, der über dem Körper des toten Berry in Tränen ausbricht. In dem unentschiedenen Schwanken zwischen repräsentativer und privater Rolle des Monarchen äußert sich eine Unsicherheit im Umgang mit einer ungewöhnlichen Repräsentationsform der königlichen Familie.
<36>
Man muss sich vor Augen führen, dass in der Restauration die Selbstdarstellung der bourbonischen Familie als eine durch emotionale Bande vereinigte Familie nicht vorkam, wohingegen einige andere europäische Königshäuser zumindest langsam begannen, die propagandistischen Vorteile einer solchen Repräsentation für sich zu entdecken. [42] Selbst in der druckgraphischen Produktion herrschte eine Darstellungsweise vor, die deutlich an die traditionelle Funktion des herrscherlichen Familienbildes anknüpfte, das die Einheit und Kontinuität der Dynastie demonstrieren sollte. Der Ausdruck persönlicher Zuneigung war in diesem Modell nicht vorgesehen. Einzige Ausnahme von diesem Prinzip bildete das bereits während der Revolution entstandene Motiv des Abschieds Ludwigs XVI. von seiner Familie, das zu Beginn der Restauration auf dem französischen Markt wieder auftauchte (Abb. 5).

Abb. 5

<37>
Die unbestrittene Heldin der Trauernden war die Herzogin von Berry. Schon ihre in den Zeitungen beschriebenen Handlungen gaben genug Material ab, um in ihrer Person das dramatische Pathos von Liebe, Fürsorge und Verzweiflung auf die Spitze zu treiben. Sie sei ihrem Mann unmittelbar nach dem Attentat in die Arme gefallen und dabei von Blut überströmt worden, habe die Wunde ihres Mannes mit demselben Stoff ihres blutverschmierten Kleides bedeckt, der später dazu diente, den Herzog zu verbinden, und sei bei der Ankündigung des Todes in Ohnmacht gefallen. All diese Taten und Reaktionen wurden ausführlich auf Druckgraphiken dargestellt. An Abbildung 6, die die Herzogin in ihrer Verzweiflung kurz vor der Ohnmacht zeigt, sind insbesondere die aufgelösten langen Haare hervorzuheben. Sie sind ein weiteres Element, das im Melodram verwendet wurde und in einer ganzen Reihe von Bildern eine Rolle spielte, in der die Herzogin am Bett ihres Mannes kniend gezeigt wird. Viele Oden und Gedichte zelebrieren diese verschiedenen Momente und lassen den Herzog und die Herzogin als zärtliches Liebespaar auftreten, in einigen Fällen gipfelnd in einem Dialog, in dem nicht nur das am Hof unübliche informelle 'tu' gebraucht wird, sondern die heroische Sterbeszene sogar zum Liebesdrama mutiert: "Si je ne puis echapper au trépas. [...] Ah! Que du moins j’expire dans tes bras." [43]

Abb. 6

Epilog
<38>
Die mediale Verarbeitung der krisenhaften Situation nach dem Attentat auf den Herzog von Berry hat eine Darstellungsweise seines Sterbens hervorgebracht, die es den Lesern und Betrachtern von Bildern ermöglichte, sich sowohl mit dem sterbenden Herzog als auch mit seiner trauernden Familie zu identifizieren. Dies wurde dadurch erreicht, dass bestehende kulturelle Muster, wie die moderne Heldendarstellung und vor allem das Melodram, Form und Inhalt der Darstellung prägten. Insbesondere in den Texten wurde das trauernde und mit leidende Volk zudem zum Bestandteil des geschilderten Dramas und königliche Familie und Volk auf diese Weise in einer Schicksals- und Leidensgemeinschaft vereinigt. Identifikation setzt allerdings eine bestimmte Form von Gleichheit voraus, was bedeutet, dass in dieser inszenierten Schicksalsgemeinschaft die trennenden Hierarchien tendenziell als aufgehoben erscheinen.
<39>
Im Unterschied zum ultra-royalistischen Diskurs, der die Verletzung oder Bedrohung der nationalen Einheit und die Zerrissenheit der Nation vor dem Hintergrund von Revolution und Königsmord betont, bietet diese Darstellungsform die Möglichkeit, jene Bedrohung hinter der inszenierten Schicksalsgemeinschaft verschwinden oder zumindest weniger stark hervortreten zu lassen. Die Darstellungen des sterbenden Herzogs von Berry können auf diese Weise als eine Art situativer Totenkult betrachtet werden, der eine versöhnende Bewältigungsform eines durch das Attentat ausgelösten 'sozialen Dramas', also einer krisenhaften gesellschaftlichen Situation, bereithielt. Nicht die tödliche Wunde und damit der Akt des Angriffs auf die Ordnung stehen hier im Vordergrund, sondern die Handlungen und Emotionen der beteiligten Personen.
<40>
Wie sich in einigen Texten zeigt, werden dadurch die politischen Differenzen jedoch nicht aufgehoben. Eine aggressive und ausgreifende Darstellung des politischen Feindes, der wie im Sühne-Diskurs zumindest indirekt für den Tod des Herzogs verantwortlich gemacht wird, geht durchaus manchmal zusammen mit der melodramatisch-pathetischen Schilderung des Sterbens, wie sie hier vorgestellt wurde. Die integrative Kraft dieser melodramatischen Darstellungsformen wird dadurch eher bestätigt als in Frage gestellt. Andererseits wird daran jedoch auch deutlich, dass natürlich auch diese Formen prinzipiell instrumentalisiert werden konnten.
<41>
Der Versuch der Ultra-Royalisten, mit jährlich stattfindenden Gedenkfeiern und Monumenten einen dauerhaften Toten- bzw. Märtyrerkult um den Herzog von Berry zu errichten, war als eine solche Instrumentalisierung letztlich zum Scheitern verurteilt. Die Herzogin von Berry aber profitierte von der Welle emotionaler Identifikation mit der Rolle, die der Tod ihres Mannes ihr eröffnet hatte. Ihre Trauer wurde ähnlich melodramatisch inszeniert wie der vorangehende Tod, etwa wenn Druckgraphiken zeigten, wie sie in einer bedeutungsschwangeren Geste der Verzweiflung und des Unglücks ihre langen Haare abschnitt. Es ist anzunehmen, dass diese für die bourbonische Monarchie ungewöhnliche Form der Popularisierung zu der Begeisterung über das 'enfant du miracle', den postum geborenen Sohn des Herzogs von Berry, beigetragen hat. Während die Berry-Monumente nach der Juli-Revolution der wütenden Zerstörung anheim fielen, [44] wurde die Herzogin von Berry von den Attacken verschont, denen die meisten anderen Mitglieder der königlichen Familie ausgesetzt waren. Die tobenden revolutionären Massen rührten jene Geschäfte nicht an, die ihre Insignien trugen. [45]
<42>
Bernd Weisbrod hat für die mediale Darstellung Queen Victorias den Begriff der 'theatralischen Monarchie' verwandt. Diese eröffne über das Mittel der 'Rührung' die Möglichkeit der 'Teilhabe' und damit eine 'demokratische Illusion'. [46] Am Beispiel der medialen Verarbeitung des Attentats auf den Herzog von Berry wird deutlich, dass Elemente einer solchen theatralischen Monarchie auch während der Restauration entstanden, ohne jedoch in das Repertoire der offiziellen Selbstdarstellung aufgenommen zu werden. Ob sie, hätte die Monarchie sich offener für diese Formen gezeigt, eine Erfolg versprechende Alternative zu den traditionell-dynastischen Repräsentationsweisen hätte werden können, ob sie dann stärker integrierend gewirkt und nachhaltig das erinnerungspolitische Dilemma der Monarchie überlagert oder gar überwunden hätte, bleibt fraglich. Schließlich waren die Widersprüche dieses Regimes erheblich, insbesondere der Widerspruch zwischen einer Monarchie, die sich ungebrochen auf Legitimationsquellen des 18. Jahrhunderts berief, und einer 'Nation', die aus einer gegen eben diese Monarchie erkämpften Revolution entstanden war. Indes trägt es zu einem tieferen Verständnis der französischen Restauration bei, die prinzipielle Kontingenz historischer Entwicklung im Bewusstsein zu halten.
Anmerkungen
[1] Die links-liberale Opposition hatte bei den Teilwahlen im September 1819 35 von 55 Sitzen gewonnen, vgl. Guillaume de Bertier de Sauvigny: La Restauration, Paris 1999 (zuerst 1955), 162. Vgl. zum Folgenden auch Emmanuel de Waresquiel / Benoît Yvert: Histoire de la Restauration, 1814-1830. Naissance de la France moderne, Paris 2002 (zuerst 1996), 295-299.
[2] Die 'loi de sûreté générale' erlaubte es der Regierung, jede Person für drei Monate einzusperren, die des Komplotts gegen den König oder die Sicherheit des Staates verdächtigt wurde. Das neue Zensurgesetz unterwarf jede periodische Publikation einer vorherigen Autorisierung. Beide Gesetze wurden allerdings auf die Dauer eines Jahres begrenzt, vgl. Bertier de Sauvigny: La Restauration, 168.
[3] Vgl. Waresquiel / Yvert: Histoire de la Restauration, 288-293.
[4] So sieht es auch Frederick B. Artz: France under the Bourbon Restoration, 1814-1830, New York 1963, 22f.
[5] Bertier de Sauvigny bezeichnet das Attentat etwa als "ligne de partage" in der Geschichte der Restauration, das Frankreich nunmehr in "deux peuples ennemis" aufteilte, vgl. Bertier de Sauvigny: La Restauration, 165f.
[6] Ich beziehe mich hier auf das Buch von Avner Ben-Amos: Funerals, Politics, and Memory in Modern France, 1789-1996, Oxford 2000, der in Anlehnung an Durkheim und einige Historiker der revolutionären Feste zwischen Festen oder Begräbnisses der Integration und der Exklusion unterscheidet, siehe ebd., 28f.
[7] Vgl. Sheryl Kroen: Politics and Theater. The Crisis of Legitimacy in Restoration France, 1815-1830, Berkeley u.a. 2000.
[8] Vgl. hierzu auch Edgar Schmitz: Das trojanische Pferd und die Restauration. Die Auseinandersetzung um die Colonne de la Place Vendôme als Paradigma der gescheiterten Restauration, in: Gudrun Gersmann / Hubertus Kohle (Hg.): Frankreich 1815-1830. Trauma oder Utopie? Die Gesellschaft der und das Erbe der Revolution, Stuttgart 1993, 187-197.
[9] Vgl. Kroen: Politics and Theater, 63-75.
[10] Vgl. hierzu vor allem Martin Papenheim: Les oraisons funèbres de Louis XVI et de Marie-Antoinettes des années 1814/15/16: La rhétorique expiatoire, in: Roger Bourderon (Hg.): Saint-Denis ou le jugement dernier des rois, Paris 1993, 315-323.
[11] Vgl. Bettina Frederking: Auf der Suche nach dem 'wahren' Frankreich: Das Attentat auf den Duc de Berry am 13. Februar 1820, in: Michael Einfalt u.a. (Hg.): Konstrukte nationaler Identität. Deutschland, Frankreich und Großbritannien (19. und 20. Jahrhundert), Würzburg 2002, 35-57.
[12] Frederking: Auf der Suche nach dem 'wahren' Frankreich, 45.
[13] Vgl. Antoine de Baecque: Le corps de l'histoire. Métaphores et politique (1770-1800), Paris 1993, 345-351.
[14] Vgl. Ben-Amos: Funerals, Politics, and Memory, 37-47.
[15] Kroen: Politics and Theater, hier vor allem das Kapitel 6: "Tartufferie".
[16] Vgl. Frederking: Auf der Suche nach dem 'wahren' Frankreich, 53-55.
[17] Vgl. Kroen: Politics and Theater, 118.
[18] Vgl. zum folgenden Victor Turner: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, Frankfurt/M. / New York 1989, insbesondere 10-27.
[19] Turner: Vom Ritual zum Theater, 12.
[20] Eine solche Sichtweise reflektiert die These Furets, dass die Französische Revolution eine lange Phase des Ringens um die politische Verfasstheit Frankreichs einleitete, vgl. François Furet: La Révolution, I. De Turgot à Napoléon (1770-1814), 7-9.
[21] Vgl. Annie Jourdan: Napoléon. Héros, Imperator, Mécène, Paris 1998; dies.: Images de Napoléon — un 'imperator' en quête de légitimité, in: Modern & Contemporary France 8 (2000)/ 4, 433-444; Susan Locke Siegfried: Naked History: The Rhetoric of Military Painting in Postrevolutionary France, in: Art Bulletin 75 (1993)/ 2, 235-258; All the Banners Wave. Art and War in the Romantic Era 1792-1851, List Art Center, Providence 1982; neuerdings ist erschienen Daniel Moran / Arthur Waldron (eds.): The People in Arms: Military Myth and National Mobilization since the French Revolution, Cambridge 2003.
[22] Vgl. Jean Tulard: Le Mythe de Napoléon, Paris 1971; Robert S. Alexander: The Hero as Houdini. Napoleon and 19th-century Bonapartism, in: Modern & Contemporary France 8 (2000)/ 4, 457-467; Nina Maria Athanassoglou-Kallmyer: Sad Cincinnatus. 'Le Soldat Laboreur' as an Image of the Napoleonic Veteran after Empire, in: Arts Magazine 60 (1986), 65-77; Barbara Ann Day-Hickmann: Napoleonic Art. Nationalism and the Spirit of Rebellion in France (1815-1848), Newark, London 1999; Bernard Ménager: Les Napoléon du peuple, Paris 1988.
[23] Peter Brooks: The Melodramatic Imagination. Balzac, Henry James, Melodrama, and the Mode of Excess, New Haven / London 1976.
[24] Vgl. etwa J. Paul Marcoux: Guilbert de Pixérécourt: the people's conscience, in: James Redmond (ed.): Melodrama, Cambridge 1992 (Themes in Drama 14), 47-59 und Gabrielle Hyslop: Pixérécourt and the French melodrama debate: instructing boulevard theatre audiences, in: ebd.: 61-85.
[25] Zur Popularität des Genres und der breiten sozialen Zusammensetzung der Zuschauer von Melodramen siehe Maurice Descotes: Le public de théatre et son histoire, Paris 1964, 209-243; Julia Przybos: L'Entreprise mélodramatique, Paris 1987, 33-45.
[26] "[...] wie ist doch das gegenwärtige Bild dieses königlichen Schmerzes grausam für jedes französische Herz. Dieser erhabene Monarch [...] nimmt den letzten Atemzug seines Adoptivsohnes entgegen, der letzten Hoffnung für den Thron und für Frankreich, wie muss doch dieses Schauspiel nicht jedes französische Herz [...] ansprechen." Diese wie alle folgenden Übersetzungen ins Deutsche stammen von mir.
[27] Jo Burr Margadant: The Duchesse de Berry and Royalist Political Culture in Postrevolutionary France, in: History Workshop Journal 43 (1997), 23-52.
[28] Vgl. neben der bereits zitierten Literatur zum Melodram außerdem Jean-Marie Thomasseau: Le melodrame sur les scènes parisiennes de Coelina (1800) à l'auberge des adrets (1823), Diss., Lille 1987; Marie-Pierre Le Hir: La représentation de la famille dans le mélodrame du début du dix-neuvième siècle: de Pixérécourt à Ducange, in: Nineteenth-Century French Studies 18 (1989/90), 15-24.
[29] "Bringen Sie uns zum weinen, Messieurs, sie werden damit immer Erfolg haben.", Guilbert de Pixérécourt: Le Mélodrame, Paris 1832, 347, zit. nach Hyslop: Pixérécourt and the French melodrama, 73.
[30] "Prinzessin, weinen Sie; Prinzen, vergießt Tränen; [...] Weint, weint, weint, Franzosen, zerschmelzt in Tränen!", La France désolée, poëme, consacré à la mémoire de son Altesse Royale Monseigneur le duc de Berri, dédié à l'auguste famille des Bourbons et à la patrie, Paris 1820, 10.
[31] Le Hir: La représentation de la famille, 16f.
[32] Vgl. Thomasseau: Le mélodrame, 31. Die Melodramen endeten zwar nur selten mit dem Tod ihrer Helden, dies änderte sich jedoch ab etwa 1820, vgl. ebd. 292.
[33] "O großmütiger Sproß Heinrichs des Großen, / Wie er erdolcht, wie er beklagt, / Wer wird jemals der Nachwelt / Den erhabenen Heroismus deiner letzten Momente schildern können! / Dein Blut fließt in Strömen; du allein bist ohne Furcht: / Die machtlose Kunst [der Ärzte, N.S.] stöhnt; du allein hast keine Angst, / Und dein einziges Leid ist es, in Tränen aufgelöst zu sehen / Deine Frau, deine Tochter, deinen Vater, deinen König.", Le Chevalier de Piis: Stances élégiaques sur la mort de son Altesse Royale le duc de Berri, Paris (1820).
[34] Vgl. zum Heldenbild in der Kunst Ekkehard Mai: Verklärung. Zur Ikonographie des Heldenbildes, in: Kursbuch 108. Heroisierungen, hg. von Karl Markus Michel und Tilman Spengler, Berlin 1992, 88-102; siehe zum 'General Wolfe' und seiner Wirkungsweise in der europäischen Kunst auch Alan McNairn: Behold the Hero. General Wolfe and the Arts in the Eighteenth Century, Liverpool 1997.
[35] "In seiner letzten Stunde hat sich der Held offenbart.", V.-M. Hugo: Ode sur la mort de son Altesse Royale Charles-Ferdinand d'Artois, duc de Berri, fils de France, Paris 1820, 6.
[36] Vgl. hierzu David Bell: The Cult of the Nation in France. Inventing Nationalism, 1680-1800, Cambridge 2001, vor allem 107-139; Jean-Claude Bonnet: Naissance du Panthéon. Essai sur le culte des grands hommes, Paris 1998.
[37] Vgl. Le Hir: La représentation de la famille, 17-22.
[38] Vgl. Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M. 1986; Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus, in: ders.: Gesellschaftstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, 149-258; Philippe Ariès / Roger Chartier (Hg.): Geschichte des privaten Lebens, Bd. 3: Von der Renaissance zur Aufklärung, Frankfurt/M. 1991; Richard Rand u.a.: Intimate Encounters. Love and Domesticity in Eighteenth-Century France, Hood Museum of Art, Princeton (N.J.) 1997.
[39] "C'est un père à genoux, c'est un frère en alarmes, / Une sœur qui n'a point de larmes / Pour calmer ses sombres douleurs". V.-M. Hugo: Ode sur la mort de son Altesse Royale Charles-Ferdinand d'Artois, duc de Berri, fils de France, Paris 1820, 4. Ich zitiere wieder Hugo, jedoch nicht weil sein Text außergewöhnlich, sondern weil er im Gegenteil sehr typisch ist.
[40] Man finde in seinem Gedicht "la franchise, la vérité, et le sentiment d'une douleur profonde" erklärt ein anderer Autor in seiner Einleitung und meint damit wohlgemerkt sowohl die Gefühle der königlichen Familie als auch diejenige der Franzosen eingeschlossen seiner eigenen. La France désolée, poëme, consacré à la mémoire de son Altesse Royale Monseigneur le duc de Berri, dédié à l'auguste famille des Bourbons et à la patrie, Paris 1820, 6.
[41] Beth S. Wright: Painting and History during the French Restoration. Abandoned by the Past, Cambridge 1997, 85f.
[42] Vgl. für England Linda Colley: The Apotheosis of George III. Loyalty, Royalty and the British Nation 1760-1820, in: Past & Present 102 (1984), 94-129.
[43] "nähere dich, zärtliche Freundin [...] Dass ich, wenn ich dem Tod nicht entrinnen kann, wenigstens in deinen Armen sterbe." , J. F. C. B. Boyer: Nuit du 13 Février 1820 ou Derniers momens de son Altesse Royale Charles-Ferdinand-d'Artois, fils de France, duc de Berry, assassiné à Paris, par Louvel, de Versailles, à 11 heures du soir , à la porte de l'Opéra, élégies, suivies de notes, Puy 1820, 14.
[44] Vgl. Frederking: Auf der Suche nach dem 'wahren' Frankreich, 57.
[45] Margadant: The Duchesse de Berry and Royalist Political Culture, 39.
[46] Bernd Weisbrod: Die theatralische Monarchie. Victoria als 'Family Queen', in: Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin, Frankfurt/M. / New York 2002, 236-253, hier 236.

Autorin:
Natalie Scholz
Bismarckallee 23
48151 Münster
natalie.scholz@gmx.net

Empfohlene Zitierweise:

Natalie Scholz: «Quel spectacle!». Der Tod des Herzogs von Berry und seine melodramatische Bewältigung, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 1 [09.06.2004], URL: <http://zeitenblicke.historicum.net/2004/01/scholz/index.html>

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