In seinem knappen Überblick über die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte in Deutschland nach 1945 diskutiert Constantin Goschler drei zentrale Aspekte dieser Thematik: erstens Struktur und Ergebnisse der Wiedergutmachung, zweitens die Dynamik der Exklusion und Inklusion der NS-Verfolgten mit Blick auf die Wiedergutmachung und drittens die politischen Konjunkturen der Wiedergutmachung. Dabei versucht er vor allem zu zeigen, welche Schwierigkeiten bei der Übersetzung lebensweltlicher Gerechtigkeitsansprüche in juristische und politische Entschädigungsansprüche auftraten.
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Die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte wurde im Vergleich zu anderen Aspekten der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945 erst relativ spät zu einem Gegenstand der Zeitgeschichtsforschung. Nach einer ersten vorübergehenden Konjunktur in den späten 1980er-Jahren wurde dieses Thema im Grunde erst Ende der 1990er-Jahre in breiterem Umfang von der Geschichtswissenschaft aufgenommen. Beide Wellen der Wiedergutmachungsforschung - die ältere Ende der 1980er-Jahre und die gegenwärtig andauernde - wurden durch das gesellschaftliche Umfeld mit angeregt: Waren es im ersten Fall die Auseinandersetzungen um die 'vergessenen Opfer', so reagiert die gegenwärtige Forschungskonjunktur auf die gesteigerte politische Relevanz der Wiedergutmachung, die aus der Debatte um die Zwangsarbeiterentschädigung im Kontext eines globalisierten Entschädigungsdiskurses seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entstand. Ein signifikanter Unterschied dieser beiden Forschungskonjunkturen besteht überdies darin, dass es in der ersten Welle oftmals Nicht-Historiker waren, die Arbeiten vorlegten, die teils aus der praktischen Arbeit resultierten, teils unmittelbar auf gesellschaftlich-politische Wirkung zielten, während nun gewissermaßen eine Professionalisierung der Wiedergutmachungsforschung stattgefunden hat. Damit einher geht zugleich auch eine gewisse Historisierung der Wiedergutmachung.
Die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte wurde im Vergleich zu anderen Aspekten der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945 erst relativ spät zu einem Gegenstand der Zeitgeschichtsforschung. Nach einer ersten vorübergehenden Konjunktur in den späten 1980er-Jahren wurde dieses Thema im Grunde erst Ende der 1990er-Jahre in breiterem Umfang von der Geschichtswissenschaft aufgenommen. Beide Wellen der Wiedergutmachungsforschung - die ältere Ende der 1980er-Jahre und die gegenwärtig andauernde - wurden durch das gesellschaftliche Umfeld mit angeregt: Waren es im ersten Fall die Auseinandersetzungen um die 'vergessenen Opfer', so reagiert die gegenwärtige Forschungskonjunktur auf die gesteigerte politische Relevanz der Wiedergutmachung, die aus der Debatte um die Zwangsarbeiterentschädigung im Kontext eines globalisierten Entschädigungsdiskurses seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entstand. Ein signifikanter Unterschied dieser beiden Forschungskonjunkturen besteht überdies darin, dass es in der ersten Welle oftmals Nicht-Historiker waren, die Arbeiten vorlegten, die teils aus der praktischen Arbeit resultierten, teils unmittelbar auf gesellschaftlich-politische Wirkung zielten, während nun gewissermaßen eine Professionalisierung der Wiedergutmachungsforschung stattgefunden hat. Damit einher geht zugleich auch eine gewisse Historisierung der Wiedergutmachung.
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Was in der Geschichtswissenschaft allgemein zu den guten Sitten gehört, nämlich die kritische Erörterung von in die Forschungssprache übernommenen Quellenbegriffen, hat sich bei der Beschäftigung mit der 'Wiedergutmachung' fast zum Ritual entwickelt. Jeder sich mit diesem Gegenstand beschäftigende Autor fühlt sich zunächst einmal angehalten zu erklären, dass der Begriff der Wiedergutmachung angesichts der Inkommensurabilität der dahinter stehenden Verbrechen unangemessen sei. Am Ende wird dann jedoch der Begriff meist beibehalten, mal mit, mal ohne Anführungszeichen. Selbst ein so beherzter Verteidiger des Begriffes Wiedergutmachung wie Hans Günter Hockerts, der diesen weniger als einen Euphemismus denn als einen Erwartungsbegriff beurteilt [1], setzt im Titel eines von ihm mitherausgegebenen Sammelbandes zu diesem Thema ein Fragezeichen hinter diesen Begriff und signalisiert damit wenn schon nicht Distanzierung, so doch Vorsicht. [2] Denn auch wenn vor allem pragmatische Gründe dafür sprechen, an diesem Begriff festzuhalten, bleibt doch zu bedenken, dass er in erster Linie die Perspektive der 'Gesellschaft der Täter' und weniger die der Opfer zum Ausdruck bringt.
Was in der Geschichtswissenschaft allgemein zu den guten Sitten gehört, nämlich die kritische Erörterung von in die Forschungssprache übernommenen Quellenbegriffen, hat sich bei der Beschäftigung mit der 'Wiedergutmachung' fast zum Ritual entwickelt. Jeder sich mit diesem Gegenstand beschäftigende Autor fühlt sich zunächst einmal angehalten zu erklären, dass der Begriff der Wiedergutmachung angesichts der Inkommensurabilität der dahinter stehenden Verbrechen unangemessen sei. Am Ende wird dann jedoch der Begriff meist beibehalten, mal mit, mal ohne Anführungszeichen. Selbst ein so beherzter Verteidiger des Begriffes Wiedergutmachung wie Hans Günter Hockerts, der diesen weniger als einen Euphemismus denn als einen Erwartungsbegriff beurteilt [1], setzt im Titel eines von ihm mitherausgegebenen Sammelbandes zu diesem Thema ein Fragezeichen hinter diesen Begriff und signalisiert damit wenn schon nicht Distanzierung, so doch Vorsicht. [2] Denn auch wenn vor allem pragmatische Gründe dafür sprechen, an diesem Begriff festzuhalten, bleibt doch zu bedenken, dass er in erster Linie die Perspektive der 'Gesellschaft der Täter' und weniger die der Opfer zum Ausdruck bringt.
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Der Begriff Wiedergutmachung zielt weniger auf eine umfassende Rehabilitierung der NS-Verfolgten, sondern fasst ein weites Bündel rechtlicher und finanzieller Maßnahmen zusammen, die nur in der amtlichen Statistik des Bundesfinanzministeriums, wo alle irgendwie dokumentierten staatlichen Leistungen für NS-Verfolgte aufaddiert werden, ein Ganzes bilden. Was auf diese Weise vielleicht als ein geschlossenes rechtliches 'System' erscheint, ist tatsächlich das Ergebnis einer über fünfzigjährigen politischen Auseinandersetzung. Dabei lassen sich systematisch verschiedene Bereiche unterscheiden: erstens individuelle Entschädigung für persönliche Schäden, zweitens die Rückerstattung von Eigentum und drittens globale Abkommen mit ausländischen Regierungen oder Nicht-Regierungs-Organisationen.
Der Begriff Wiedergutmachung zielt weniger auf eine umfassende Rehabilitierung der NS-Verfolgten, sondern fasst ein weites Bündel rechtlicher und finanzieller Maßnahmen zusammen, die nur in der amtlichen Statistik des Bundesfinanzministeriums, wo alle irgendwie dokumentierten staatlichen Leistungen für NS-Verfolgte aufaddiert werden, ein Ganzes bilden. Was auf diese Weise vielleicht als ein geschlossenes rechtliches 'System' erscheint, ist tatsächlich das Ergebnis einer über fünfzigjährigen politischen Auseinandersetzung. Dabei lassen sich systematisch verschiedene Bereiche unterscheiden: erstens individuelle Entschädigung für persönliche Schäden, zweitens die Rückerstattung von Eigentum und drittens globale Abkommen mit ausländischen Regierungen oder Nicht-Regierungs-Organisationen.
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Das Herzstück des Wiedergutmachungsprogramms bildet das Bundesentschädigungsgesetz, kurz: BEG, das erstmals 1953 erlassen und bis 1965 mehrfach novelliert wurde. [3] Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, eine individuelle Entschädigung erhalten. Allerdings kamen verschiedene Einschränkungen hinzu, die vor allem bewirkten, dass in erster Linie nur Deutsche Ansprüche besaßen. Zu den Auswirkungen des aus dem Sozialrecht übernommenen Territorialitätsprinzips trat im Zuge des Kalten Krieges die Forderung, dass die Antragsteller in einem westlichen Land leben mussten. Aufgrund dieser 'diplomatischen Klausel' blieben NS-Verfolgte aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang vom BEG ausgeschlossen.
Das Herzstück des Wiedergutmachungsprogramms bildet das Bundesentschädigungsgesetz, kurz: BEG, das erstmals 1953 erlassen und bis 1965 mehrfach novelliert wurde. [3] Auf der Grundlage dieses Gesetzes konnten Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, eine individuelle Entschädigung erhalten. Allerdings kamen verschiedene Einschränkungen hinzu, die vor allem bewirkten, dass in erster Linie nur Deutsche Ansprüche besaßen. Zu den Auswirkungen des aus dem Sozialrecht übernommenen Territorialitätsprinzips trat im Zuge des Kalten Krieges die Forderung, dass die Antragsteller in einem westlichen Land leben mussten. Aufgrund dieser 'diplomatischen Klausel' blieben NS-Verfolgte aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang vom BEG ausgeschlossen.
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Die Rückerstattung des unter NS-Herrschaft geraubten wieder auffindbaren Vermögens wurde zunächst durch alliierte Militärregierungsgesetze geregelt, die zwischen 1947 und 1949 in den westlichen Besatzungszonen erlassen wurden. Diese Gesetze betrafen vor allem jüdisches Eigentum, aber auch das Eigentum politischer Parteien, Gewerkschaften, Wohltätigkeitsorganisationen usw. Wichtige Aspekte der Enteignung im 'Dritten Reich' blieben davon freilich unberührt, und zwar vor allem die Frage desjenigen Eigentums, das durch das Reich oder NS-Parteiorganisationen entzogen worden war. Diese Fragen regelte schließlich erst 1957 das Bundesrückerstattungsgesetz. [4] Unter der dritten Kategorie - den globalen Abkommen - ragen zunächst die Vereinbarungen mit Israel und der Jewish Conference on Material Claims against Germany (kurz: Claims Conference) aus dem Jahre 1952 heraus, die lange Zeit als Symbol der deutschen Wiedergutmachung überhaupt galten. In den späten 1950er- bzw. frühen 1960er-Jahren folgte diesen Abkommen eine Serie von elf Abkommen mit westlichen Staaten. [5] Erst nach dem Ende des Kalten Krieges wurden ähnliche Abkommen mit den Staaten hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang abgeschlossen. Die Errichtung der Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft' im Jahr 2000 bedeutete den vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung. [6] Diese gewährt sowohl individuelle Entschädigungen für frühere Zwangsarbeiter der deutschen Kriegswirtschaft als auch zusätzliche Leistungen für individuelle Vermögensverluste.
Die Rückerstattung des unter NS-Herrschaft geraubten wieder auffindbaren Vermögens wurde zunächst durch alliierte Militärregierungsgesetze geregelt, die zwischen 1947 und 1949 in den westlichen Besatzungszonen erlassen wurden. Diese Gesetze betrafen vor allem jüdisches Eigentum, aber auch das Eigentum politischer Parteien, Gewerkschaften, Wohltätigkeitsorganisationen usw. Wichtige Aspekte der Enteignung im 'Dritten Reich' blieben davon freilich unberührt, und zwar vor allem die Frage desjenigen Eigentums, das durch das Reich oder NS-Parteiorganisationen entzogen worden war. Diese Fragen regelte schließlich erst 1957 das Bundesrückerstattungsgesetz. [4] Unter der dritten Kategorie - den globalen Abkommen - ragen zunächst die Vereinbarungen mit Israel und der Jewish Conference on Material Claims against Germany (kurz: Claims Conference) aus dem Jahre 1952 heraus, die lange Zeit als Symbol der deutschen Wiedergutmachung überhaupt galten. In den späten 1950er- bzw. frühen 1960er-Jahren folgte diesen Abkommen eine Serie von elf Abkommen mit westlichen Staaten. [5] Erst nach dem Ende des Kalten Krieges wurden ähnliche Abkommen mit den Staaten hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang abgeschlossen. Die Errichtung der Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft' im Jahr 2000 bedeutete den vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung. [6] Diese gewährt sowohl individuelle Entschädigungen für frühere Zwangsarbeiter der deutschen Kriegswirtschaft als auch zusätzliche Leistungen für individuelle Vermögensverluste.
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Wie lassen sich die quantitativen und qualitativen Ergebnisse dieser Bemühungen um materielle Wiedergutmachung bilanzieren? Auf der Makroebene lässt sich feststellen, dass bis heute mehr als 50 Milliarden Euro für diese Zwecke geleistet wurden, und aufgrund laufender Rentenzahlungen wird sich diese Zahl noch beträchtlich erhöhen. Ungewöhnlich dabei ist freilich, dass jährlich wiederkehrende Leistungen aufaddiert werden. Dies dient einem doppelten politischen Zweck: Zum einen sollen die dadurch entstehenden Gesamtsummen die öffentliche Meinung beeindrucken. Auf der anderen Seite soll die Nennung einer Globalsumme von der Frage der Verteilung des Geldes ablenken, die von großen Ungleichheiten gekennzeichnet war.
Wie lassen sich die quantitativen und qualitativen Ergebnisse dieser Bemühungen um materielle Wiedergutmachung bilanzieren? Auf der Makroebene lässt sich feststellen, dass bis heute mehr als 50 Milliarden Euro für diese Zwecke geleistet wurden, und aufgrund laufender Rentenzahlungen wird sich diese Zahl noch beträchtlich erhöhen. Ungewöhnlich dabei ist freilich, dass jährlich wiederkehrende Leistungen aufaddiert werden. Dies dient einem doppelten politischen Zweck: Zum einen sollen die dadurch entstehenden Gesamtsummen die öffentliche Meinung beeindrucken. Auf der anderen Seite soll die Nennung einer Globalsumme von der Frage der Verteilung des Geldes ablenken, die von großen Ungleichheiten gekennzeichnet war.
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Aufgrund der Natur der deutschen Wiedergutmachungsstatistik kann nur wenig über die Verteilung der Leistungen gesagt werden. Der Löwenanteil wurde auf Grundlage des BEG bewilligt. Etwa 80 Prozent der BEG-Zahlungen gingen an individuelle jüdische NS-Verfolgte in den USA und Israel. Etwa 360.000 frühere NS-Verfolgte erhielten monatliche Pensionen, etwa 650.000 erhielten einmalige Zahlungen nach dem BEG. [7] Aufgrund kürzlich erfolgter Verbesserungen für frühere Zwangsarbeiter und NS-Verfolgte aus Ost- und Mittelosteuropa, die bis vor kurzem von allen Leistungen ausgeschlossen waren, erhalten nun Zehntausende von ihnen einmalige Zahlungen bzw. monatliche Renten. Gleichwohl haben viele NS-Verfolgte niemals eine Entschädigung erhalten - oder haben keine akzeptiert.
Aufgrund der Natur der deutschen Wiedergutmachungsstatistik kann nur wenig über die Verteilung der Leistungen gesagt werden. Der Löwenanteil wurde auf Grundlage des BEG bewilligt. Etwa 80 Prozent der BEG-Zahlungen gingen an individuelle jüdische NS-Verfolgte in den USA und Israel. Etwa 360.000 frühere NS-Verfolgte erhielten monatliche Pensionen, etwa 650.000 erhielten einmalige Zahlungen nach dem BEG. [7] Aufgrund kürzlich erfolgter Verbesserungen für frühere Zwangsarbeiter und NS-Verfolgte aus Ost- und Mittelosteuropa, die bis vor kurzem von allen Leistungen ausgeschlossen waren, erhalten nun Zehntausende von ihnen einmalige Zahlungen bzw. monatliche Renten. Gleichwohl haben viele NS-Verfolgte niemals eine Entschädigung erhalten - oder haben keine akzeptiert.
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Was bedeuten solche Zahlen auf der Mikroebene? Aufgrund der großen Unterschiede der einzelnen Fälle sowie der auf Länderebene organisierten Bearbeitung lassen sich hier kaum verallgemeinernde Urteile treffen. Die Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren waren kein neutraler Sozialtransfer an ehemalige NS-Verfolgte. Jedes einzelne Verfahren - und es handelte sich um viele Millionen - bildete eine kritische Begegnung zwischen ehemaligen Verfolgten und den Repräsentanten jener Gesellschaft, die das Erbe und die Bürde der Verfolger übernommen hatte. Diese Verfahren zwischen Verfolgten einerseits und deutschen Behörden und Gerichten andererseits zogen sich oftmals über viele Jahre hinweg. Sie waren von einer fundamentalen Spannung zwischen bürokratisch-rechtlicher Abstraktion einerseits und den individuellen Erfahrungen der Opfer andererseits geprägt. Auch für die Frage, wie erfolgreiche Entschädigung oder Rückerstattung das Leben früherer NS-Verfolgter beeinflusste, spielten Zeit und Raum eine erhebliche Rolle. Natürlich machte es einen großen biografischen Unterschied, ob eine Wiedergutmachung nach 5, 10, 20 oder 50 Jahren geleistet wurde. Dies gilt sowohl in unmittelbar materieller Hinsicht als auch in symbolischer, ist doch Geld auch eine Form der Anerkennung des widerfahrenen Unrechts, die für viele der Verfolgten eine zentrale Forderung darstellte.
Was bedeuten solche Zahlen auf der Mikroebene? Aufgrund der großen Unterschiede der einzelnen Fälle sowie der auf Länderebene organisierten Bearbeitung lassen sich hier kaum verallgemeinernde Urteile treffen. Die Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren waren kein neutraler Sozialtransfer an ehemalige NS-Verfolgte. Jedes einzelne Verfahren - und es handelte sich um viele Millionen - bildete eine kritische Begegnung zwischen ehemaligen Verfolgten und den Repräsentanten jener Gesellschaft, die das Erbe und die Bürde der Verfolger übernommen hatte. Diese Verfahren zwischen Verfolgten einerseits und deutschen Behörden und Gerichten andererseits zogen sich oftmals über viele Jahre hinweg. Sie waren von einer fundamentalen Spannung zwischen bürokratisch-rechtlicher Abstraktion einerseits und den individuellen Erfahrungen der Opfer andererseits geprägt. Auch für die Frage, wie erfolgreiche Entschädigung oder Rückerstattung das Leben früherer NS-Verfolgter beeinflusste, spielten Zeit und Raum eine erhebliche Rolle. Natürlich machte es einen großen biografischen Unterschied, ob eine Wiedergutmachung nach 5, 10, 20 oder 50 Jahren geleistet wurde. Dies gilt sowohl in unmittelbar materieller Hinsicht als auch in symbolischer, ist doch Geld auch eine Form der Anerkennung des widerfahrenen Unrechts, die für viele der Verfolgten eine zentrale Forderung darstellte.
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Man kann die Geschichte der Wiedergutmachung auch als eine Geschichte der Inklusion und Exklusion von NS-Opfern lesen: Von Anfang an gab es Diskussionen, wer entschädigungsberechtigt sein sollte und wer nicht. So argumentierte Hermann Brill 1953 anlässlich der parlamentarischen Beratungen des ersten bundeseinheitlichen Entschädigungsgesetzes im Deutschen Bundestag, dass im Konzentrationslager Buchenwald in den letzten Monaten 42.000 Insassen gewesen seien. "Von diesen seien in der Schlussphase noch etwa 35.000 im Lager gewesen, von denen 22.000 Russen gewesen seien. Unter den Häftlingen hätten sich in der Auflösungsphase nur 1.800 Deutsche befunden, von denen lediglich 700 politische Gefangene gewesen seien. Alle übrigen seien Asoziale, Homosexuelle, Sicherungsverwahrte, Berufsverbrecher usw. gewesen (....) Die letzteren fielen ja nicht unter das vorliegende Gesetz. Man müsse also von der Zahl von 42.000 heruntergehen auf 700. Ähnlich seien die Verhältnisse in Dachau, Ravensbrück und Sachsenhausen gewesen." [8]
Man kann die Geschichte der Wiedergutmachung auch als eine Geschichte der Inklusion und Exklusion von NS-Opfern lesen: Von Anfang an gab es Diskussionen, wer entschädigungsberechtigt sein sollte und wer nicht. So argumentierte Hermann Brill 1953 anlässlich der parlamentarischen Beratungen des ersten bundeseinheitlichen Entschädigungsgesetzes im Deutschen Bundestag, dass im Konzentrationslager Buchenwald in den letzten Monaten 42.000 Insassen gewesen seien. "Von diesen seien in der Schlussphase noch etwa 35.000 im Lager gewesen, von denen 22.000 Russen gewesen seien. Unter den Häftlingen hätten sich in der Auflösungsphase nur 1.800 Deutsche befunden, von denen lediglich 700 politische Gefangene gewesen seien. Alle übrigen seien Asoziale, Homosexuelle, Sicherungsverwahrte, Berufsverbrecher usw. gewesen (....) Die letzteren fielen ja nicht unter das vorliegende Gesetz. Man müsse also von der Zahl von 42.000 heruntergehen auf 700. Ähnlich seien die Verhältnisse in Dachau, Ravensbrück und Sachsenhausen gewesen." [8]
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Mit Hermann Brill wurde hier bewusst ein unverdächtiger Zeuge ausgewählt: Bereits 1936 hatte er im Untergrund ein erstes Wiedergutmachungsprogramm für die Zeit nach dem Ende des NS-Regimes entworfen, ähnliche Überlegungen in seiner Zeit als KZ-Häftling in Buchenwald fortgesetzt und schließlich maßgeblich beim Erlass des ersten deutschen Rückerstattungsgesetzes überhaupt, das in Thüringen erlassen wurde, mitgewirkt. Die Beschränkung des Kreises der Entschädigungsberechtigten lässt sich also nicht einfach auf eine prinzipielle Gegnerschaft zur Wiedergutmachung zurückführen, sondern muss in komplexeren Ursachen gesucht werden. Zunächst einmal ist die Kategorie 'NS-Verfolgte' selbst alles andere als eindeutig. Welche Verfolgungsmaßnahmen als spezifisch nationalsozialistisch angesehen werden, hängt von veränderlichen Auffassungen über das Verhältnis von Nationalsozialismus und deutschem Staat bzw. Gesellschaft ab. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Trennung zwischen Opfern der NS-Verfolgung und Opfern des Krieges. Zudem stellten NS-Verfolgte niemals eine Gruppe mit einer gemeinsamen Identität dar. Im Gegenteil enthält diese Kategorie verschiedene Gruppen mit Bezug auf Religion, sozialen Status, politische Präferenzen und Nationalität.
Mit Hermann Brill wurde hier bewusst ein unverdächtiger Zeuge ausgewählt: Bereits 1936 hatte er im Untergrund ein erstes Wiedergutmachungsprogramm für die Zeit nach dem Ende des NS-Regimes entworfen, ähnliche Überlegungen in seiner Zeit als KZ-Häftling in Buchenwald fortgesetzt und schließlich maßgeblich beim Erlass des ersten deutschen Rückerstattungsgesetzes überhaupt, das in Thüringen erlassen wurde, mitgewirkt. Die Beschränkung des Kreises der Entschädigungsberechtigten lässt sich also nicht einfach auf eine prinzipielle Gegnerschaft zur Wiedergutmachung zurückführen, sondern muss in komplexeren Ursachen gesucht werden. Zunächst einmal ist die Kategorie 'NS-Verfolgte' selbst alles andere als eindeutig. Welche Verfolgungsmaßnahmen als spezifisch nationalsozialistisch angesehen werden, hängt von veränderlichen Auffassungen über das Verhältnis von Nationalsozialismus und deutschem Staat bzw. Gesellschaft ab. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Trennung zwischen Opfern der NS-Verfolgung und Opfern des Krieges. Zudem stellten NS-Verfolgte niemals eine Gruppe mit einer gemeinsamen Identität dar. Im Gegenteil enthält diese Kategorie verschiedene Gruppen mit Bezug auf Religion, sozialen Status, politische Präferenzen und Nationalität.
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In der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchte zudem die amerikanische Militärregierung zu verhindern, dass sich eine dauerhafte Gruppenidentität der NS-Verfolgten entwickelte. [9] Dies entsprach zum Teil auch einem verbreiteten Gefühl unter den Verfolgten selbst, die nicht an jener Opferidentität festhalten wollten, mit der sich doch in aller Regel intensive demütigende Erfahrungen verbanden. Zudem setzten sich nach 1945 manche älteren Animositäten unter der ehemaligen KZ-Häftlingsgesellschaft fort, und dies richtete sich insbesondere gegen die Einbeziehung der ehemaligen Kriminellen und 'Asozialen' in die Gruppe der 'Verfolgten des Nationalsozialismus'. Nach 1945 existierte ein breiter Konsens, wonach lediglich Personen, die aus rassischen, religiösen, politischen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt worden waren, als NS-Verfolgte betrachtet werden sollten. Andere Gruppen, die ebenfalls Verfolgungen und Misshandlungen in der NS-Zeit erlitten hatten, etwa Kriminelle, 'Asoziale', Opfer der Zwangssterilisation, aber auch Zwangsarbeiter, wurden dagegen generell aus der Gruppe der NS-Verfolgten ausgeschlossen. Von Anfang an existierte eine "Konkurrenz der Opfer". [10] Dabei veränderte sich freilich in den letzten Jahrzehnten zumindest in den westlichen Gesellschaften die Rolle des 'Opfers' an sich. In zunehmenden Maße entwickelte sich dort eine Kultur der Viktimisierung. Gemeint ist die Entpolitisierung von Konflikten, indem eine Gruppe von Menschen zu 'Opfern' erklärt wird. [11] Erst seit dieser Zeit verwandelte sich auch der 'Holocaust Survivor' zu einer quasi-sakralen Figur, während in der Nachkriegszeit zunächst der - politische - 'Kämpfer' als Leitbild gedient hatte.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchte zudem die amerikanische Militärregierung zu verhindern, dass sich eine dauerhafte Gruppenidentität der NS-Verfolgten entwickelte. [9] Dies entsprach zum Teil auch einem verbreiteten Gefühl unter den Verfolgten selbst, die nicht an jener Opferidentität festhalten wollten, mit der sich doch in aller Regel intensive demütigende Erfahrungen verbanden. Zudem setzten sich nach 1945 manche älteren Animositäten unter der ehemaligen KZ-Häftlingsgesellschaft fort, und dies richtete sich insbesondere gegen die Einbeziehung der ehemaligen Kriminellen und 'Asozialen' in die Gruppe der 'Verfolgten des Nationalsozialismus'. Nach 1945 existierte ein breiter Konsens, wonach lediglich Personen, die aus rassischen, religiösen, politischen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt worden waren, als NS-Verfolgte betrachtet werden sollten. Andere Gruppen, die ebenfalls Verfolgungen und Misshandlungen in der NS-Zeit erlitten hatten, etwa Kriminelle, 'Asoziale', Opfer der Zwangssterilisation, aber auch Zwangsarbeiter, wurden dagegen generell aus der Gruppe der NS-Verfolgten ausgeschlossen. Von Anfang an existierte eine "Konkurrenz der Opfer". [10] Dabei veränderte sich freilich in den letzten Jahrzehnten zumindest in den westlichen Gesellschaften die Rolle des 'Opfers' an sich. In zunehmenden Maße entwickelte sich dort eine Kultur der Viktimisierung. Gemeint ist die Entpolitisierung von Konflikten, indem eine Gruppe von Menschen zu 'Opfern' erklärt wird. [11] Erst seit dieser Zeit verwandelte sich auch der 'Holocaust Survivor' zu einer quasi-sakralen Figur, während in der Nachkriegszeit zunächst der - politische - 'Kämpfer' als Leitbild gedient hatte.
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Der Prozess der Inklusion und Exklusion der NS-Verfolgten war eng verbunden mit wechselnden Ansichten über die spezifische Natur des Nationalsozialismus und ebenso mit zunehmendem Wissen und veränderlichen Interpretationen der NS-Verbrechen. Während wir heute gewöhnlich 'Auschwitz' in das Zentrum der Geschichte der NS-Verbrechen stellen, standen die Bemühungen um Wiedergutmachung in der unmittelbaren Nachkriegszeit stärker unter dem Einfluss der Erfahrung der Emigration aus Deutschland und Österreich bzw. der Verfolgung innerhalb des Deutschen Reiches. Innerhalb dieses Horizonts wurde die Struktur der deutschen Wiedergutmachung geprägt, und die Wirkungen halten bis zum heutigen Tage an. Als Ergebnis entstand eine strenge Trennung zwischen Kriegsreparationen für die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten und verwüsteten Länder und individueller Entschädigung und Rückerstattung für - im Prinzip deutsche - NS-Verfolgte. Letzteres wurde als notwendig erachtet, da man der Auffassung war, dass deutsche NS-Verfolgte ebenso wie Staatenlose sich in einer ungünstigeren Position gegenüber denjenigen befänden, die ihre Forderungen gegenüber Deutschland mit Hilfe ihrer Heimatstaaten vorbringen könnten. Tatsächlich entwickelte es sich später aber gerade umgekehrt.
Der Prozess der Inklusion und Exklusion der NS-Verfolgten war eng verbunden mit wechselnden Ansichten über die spezifische Natur des Nationalsozialismus und ebenso mit zunehmendem Wissen und veränderlichen Interpretationen der NS-Verbrechen. Während wir heute gewöhnlich 'Auschwitz' in das Zentrum der Geschichte der NS-Verbrechen stellen, standen die Bemühungen um Wiedergutmachung in der unmittelbaren Nachkriegszeit stärker unter dem Einfluss der Erfahrung der Emigration aus Deutschland und Österreich bzw. der Verfolgung innerhalb des Deutschen Reiches. Innerhalb dieses Horizonts wurde die Struktur der deutschen Wiedergutmachung geprägt, und die Wirkungen halten bis zum heutigen Tage an. Als Ergebnis entstand eine strenge Trennung zwischen Kriegsreparationen für die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten und verwüsteten Länder und individueller Entschädigung und Rückerstattung für - im Prinzip deutsche - NS-Verfolgte. Letzteres wurde als notwendig erachtet, da man der Auffassung war, dass deutsche NS-Verfolgte ebenso wie Staatenlose sich in einer ungünstigeren Position gegenüber denjenigen befänden, die ihre Forderungen gegenüber Deutschland mit Hilfe ihrer Heimatstaaten vorbringen könnten. Tatsächlich entwickelte es sich später aber gerade umgekehrt.
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Ohnehin war nicht beabsichtigt, sämtliche Schäden wieder 'gut' zu machen, da dies angesichts der ungeheuren Dimensionen der menschlichen und materiellen Verwüstungen durch Krieg und Verfolgung als jenseits aller Möglichkeiten galt. Hinzu kam, dass die Ansprüche der NS-Verfolgten stets intensiv mit anderen Forderungen konkurrierten, von denen sich viele auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs bezogen. Die deutsche Gesetzgebung schuf und zerstörte gleichzeitig Entschädigungsansprüche. Wie schon Otto Küster und Adolf Arndt in den 1950er-Jahren eindringlich hervorhoben, ersetzte diese zivilrechtliche durch öffentlich-rechtliche Klageansprüche und reduzierte dabei zugleich erheblich den Gesamtumfang dieser Klagen. [12] Dies diente der Stabilisierung der deutschen Gesellschaft nach innen und nach außen: Nicht nur, dass mögliche zivilrechtliche Klagen gegen die einstigen Träger der Verfolgung abgewendet wurden, dieses Vorgehen schützte auch die finanzielle Leistungskraft der Bundesrepublik. Dazu gehörte auch der weitgehende Ausschluss ausländischer NS-Verfolgter aus der Entschädigung, der vor allem durch das alliierte 'Geschenk' des Artikels 5(2) des Londoner Schuldenabkommens von 1953 erreicht wurde. Die Struktur der Wiedergutmachung reflektiert also nicht nur veränderliche Bewertungen der spezifischen Natur der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern auch die Muster der politischen Macht, die mit den jeweiligen Forderungen der NS-Verfolgten tatsächlich oder eingebildet verbunden waren.
Ohnehin war nicht beabsichtigt, sämtliche Schäden wieder 'gut' zu machen, da dies angesichts der ungeheuren Dimensionen der menschlichen und materiellen Verwüstungen durch Krieg und Verfolgung als jenseits aller Möglichkeiten galt. Hinzu kam, dass die Ansprüche der NS-Verfolgten stets intensiv mit anderen Forderungen konkurrierten, von denen sich viele auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs bezogen. Die deutsche Gesetzgebung schuf und zerstörte gleichzeitig Entschädigungsansprüche. Wie schon Otto Küster und Adolf Arndt in den 1950er-Jahren eindringlich hervorhoben, ersetzte diese zivilrechtliche durch öffentlich-rechtliche Klageansprüche und reduzierte dabei zugleich erheblich den Gesamtumfang dieser Klagen. [12] Dies diente der Stabilisierung der deutschen Gesellschaft nach innen und nach außen: Nicht nur, dass mögliche zivilrechtliche Klagen gegen die einstigen Träger der Verfolgung abgewendet wurden, dieses Vorgehen schützte auch die finanzielle Leistungskraft der Bundesrepublik. Dazu gehörte auch der weitgehende Ausschluss ausländischer NS-Verfolgter aus der Entschädigung, der vor allem durch das alliierte 'Geschenk' des Artikels 5(2) des Londoner Schuldenabkommens von 1953 erreicht wurde. Die Struktur der Wiedergutmachung reflektiert also nicht nur veränderliche Bewertungen der spezifischen Natur der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern auch die Muster der politischen Macht, die mit den jeweiligen Forderungen der NS-Verfolgten tatsächlich oder eingebildet verbunden waren.
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Welches waren also die treibenden politischen Kräfte hinter der Wiedergutmachung? Vier Phasen lassen sich unterscheiden:
Welches waren also die treibenden politischen Kräfte hinter der Wiedergutmachung? Vier Phasen lassen sich unterscheiden:
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Erstens die Besatzungszeit, während der die Westmächte und namentlich die USA beträchtlichen Druck auf Westdeutschland ausübten. Diese Periode dauerte bis 1952/53. Zu dieser Zeit existierten unter den Deutschen starke Gefühle, dass sie selbst Opfer des Krieges seien, und solche Empfindungen wogen oftmals stärker als die Forderungen der ehemaligen NS-Verfolgten. Zwar hätte es auch ohne alliierten Druck deutsche Bemühungen um eine Wiedergutmachung für diese Gruppe gegeben, doch wäre die Reichweite gewiss geringer ausgefallen als es tatsächlich der Fall war. Dabei wäre es den Alliierten lieber gewesen, wenn die Deutschen die Aufgabe selbst übernommen hätten, da sie sich sorgten, indirekt finanzielle Verantwortung für die NS-Verfolgten übernehmen zu müssen. Doch zögerten die deutschen Regierungen, solche Verantwortung zu übernehmen - nicht zuletzt, weil sie dies im Erfahrungshorizont des Versailler Friedensvertrags bewerteten.
Erstens die Besatzungszeit, während der die Westmächte und namentlich die USA beträchtlichen Druck auf Westdeutschland ausübten. Diese Periode dauerte bis 1952/53. Zu dieser Zeit existierten unter den Deutschen starke Gefühle, dass sie selbst Opfer des Krieges seien, und solche Empfindungen wogen oftmals stärker als die Forderungen der ehemaligen NS-Verfolgten. Zwar hätte es auch ohne alliierten Druck deutsche Bemühungen um eine Wiedergutmachung für diese Gruppe gegeben, doch wäre die Reichweite gewiss geringer ausgefallen als es tatsächlich der Fall war. Dabei wäre es den Alliierten lieber gewesen, wenn die Deutschen die Aufgabe selbst übernommen hätten, da sie sich sorgten, indirekt finanzielle Verantwortung für die NS-Verfolgten übernehmen zu müssen. Doch zögerten die deutschen Regierungen, solche Verantwortung zu übernehmen - nicht zuletzt, weil sie dies im Erfahrungshorizont des Versailler Friedensvertrags bewerteten.
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Nachdem die Alliierten im Austausch für weitere Souveränitätsfortschritte Garantien für Mindeststandards im Bereich der Wiedergutmachung erhalten hatten, zogen sie sich aus dieser Angelegenheit weitgehend zurück. Es folgte eine zweite Phase, die von einem ausgeprägten Bilateralismus zwischen der Bundesrepublik und der Claims Conference gekennzeichnet war. Letztere hatte 1952 in den Haager Protokollen das Recht zugesichert bekommen, beim Ausbau und der Durchführung der deutschen Entschädigungsgesetzgebung mitzuwirken. Sie erlangte zeitweilig großen Einfluss auf diese Materie, der allerdings nach der Verabschiedung des Bundesentschädigungs-Schlussgesetzes 1965 stark zurückging. Auf der anderen Seite stand in dieser Phase die Vorherrschaft des Bundesfinanzministeriums, die in der Zeit von 1953 bis 1965 nur zum Teil durch den Wiedergutmachungsausschuss des Deutschen Bundestags austariert werden konnte. In dieser Zeit zogen es sowohl die Bundesregierung als auch die Claims Conference vor, die deutsche Öffentlichkeit nicht allzu sehr mit diesen Fragen zu belästigen, da sie bei dieser nur geringe Sympathien für die Wiedergutmachung vermuteten.
Nachdem die Alliierten im Austausch für weitere Souveränitätsfortschritte Garantien für Mindeststandards im Bereich der Wiedergutmachung erhalten hatten, zogen sie sich aus dieser Angelegenheit weitgehend zurück. Es folgte eine zweite Phase, die von einem ausgeprägten Bilateralismus zwischen der Bundesrepublik und der Claims Conference gekennzeichnet war. Letztere hatte 1952 in den Haager Protokollen das Recht zugesichert bekommen, beim Ausbau und der Durchführung der deutschen Entschädigungsgesetzgebung mitzuwirken. Sie erlangte zeitweilig großen Einfluss auf diese Materie, der allerdings nach der Verabschiedung des Bundesentschädigungs-Schlussgesetzes 1965 stark zurückging. Auf der anderen Seite stand in dieser Phase die Vorherrschaft des Bundesfinanzministeriums, die in der Zeit von 1953 bis 1965 nur zum Teil durch den Wiedergutmachungsausschuss des Deutschen Bundestags austariert werden konnte. In dieser Zeit zogen es sowohl die Bundesregierung als auch die Claims Conference vor, die deutsche Öffentlichkeit nicht allzu sehr mit diesen Fragen zu belästigen, da sie bei dieser nur geringe Sympathien für die Wiedergutmachung vermuteten.
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In den 1980er-Jahren etablierten verschiedene andere, nicht-jüdische Verfolgtengruppen politische Lobbys, wodurch der bis dahin herrschende Bilateralismus auf dem Feld der Wiedergutmachung allmählich aufgebrochen wurde. Dies ging einher mit Veränderungen des politischen Stils in dieser dritten Phase: Die öffentliche Meinung wurde stärker als in den vorangegangenen Phasen zum direkten Adressaten. Die bisherige Dominanz der Claims Conference wurde nicht nur von anderen Verfolgtengruppen, sondern auch von Organisationen jüdischer 'Holocaust Survivors' attackiert. Zugleich kritisierten manche Teile der deutschen Gesellschaft den traditionell starken Fokus der Wiedergutmachung auf die jüdischen Opfer. Indem sie auf die bislang unerfüllten Wiedergutmachungsansprüche der so genannten 'vergessenen Opfer', also von Sinti und Roma, Homosexuellen, Opfern der Zwangssterilisation, Zwangsarbeitern usw. hinwiesen, schufen sie auch ein sozialpsychologisches Ventil für den deutschen Schuldkomplex gegenüber den Juden. Vor allem aber benutzten sie das Thema der Wiedergutmachung als Hebel zur Veränderung gesellschaftlicher Wertmaßstäbe, wobei eine eher antikapitalistische Grundstimmung eine wichtige Rolle spielte.
In den 1980er-Jahren etablierten verschiedene andere, nicht-jüdische Verfolgtengruppen politische Lobbys, wodurch der bis dahin herrschende Bilateralismus auf dem Feld der Wiedergutmachung allmählich aufgebrochen wurde. Dies ging einher mit Veränderungen des politischen Stils in dieser dritten Phase: Die öffentliche Meinung wurde stärker als in den vorangegangenen Phasen zum direkten Adressaten. Die bisherige Dominanz der Claims Conference wurde nicht nur von anderen Verfolgtengruppen, sondern auch von Organisationen jüdischer 'Holocaust Survivors' attackiert. Zugleich kritisierten manche Teile der deutschen Gesellschaft den traditionell starken Fokus der Wiedergutmachung auf die jüdischen Opfer. Indem sie auf die bislang unerfüllten Wiedergutmachungsansprüche der so genannten 'vergessenen Opfer', also von Sinti und Roma, Homosexuellen, Opfern der Zwangssterilisation, Zwangsarbeitern usw. hinwiesen, schufen sie auch ein sozialpsychologisches Ventil für den deutschen Schuldkomplex gegenüber den Juden. Vor allem aber benutzten sie das Thema der Wiedergutmachung als Hebel zur Veränderung gesellschaftlicher Wertmaßstäbe, wobei eine eher antikapitalistische Grundstimmung eine wichtige Rolle spielte.
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In der vierten Phase, die in den 1990er-Jahren einsetzte, wurde dieses antikapitalistische Sentiment jedoch durch den Aufschwung des Neoliberalismus beiseite geschoben. Überdies ersetzte - überspitzt gesagt - eine neue Form unilateraler Politik den Multilateralismus, der das bilaterale Politikmuster auf dem Feld der Wiedergutmachung in den 1980er-Jahren abgelöst hatte: Nach dem Ende des Kalten Krieges machten sich die Vereinigten Staaten im Zuge der globalisierten Menschenrechtspolitik der Clinton-Ära zum Anwalt der unerledigten Forderungen ehemaliger NS-Verfolgter, wobei sie sich freilich gelegentlich doppelter Standards nach innen und nach außen bedienten. Klar ist jedoch, dass ohne den ständigen Druck von Seiten der Vereinigten Staaten - und vor allem ohne die Möglichkeiten, die im Zeitalter wachsender ökonomischer Globalisierung aus dem US-Rechtssystem resultierten - die deutsche Seite sich kaum so weit bewegt hätte, wie sie es schließlich zu tun bereit war. Dies betrifft nicht nur die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der ehemaligen DDR, sondern vor allem auch die Forderungen ausländischer Zwangsarbeiter.
In der vierten Phase, die in den 1990er-Jahren einsetzte, wurde dieses antikapitalistische Sentiment jedoch durch den Aufschwung des Neoliberalismus beiseite geschoben. Überdies ersetzte - überspitzt gesagt - eine neue Form unilateraler Politik den Multilateralismus, der das bilaterale Politikmuster auf dem Feld der Wiedergutmachung in den 1980er-Jahren abgelöst hatte: Nach dem Ende des Kalten Krieges machten sich die Vereinigten Staaten im Zuge der globalisierten Menschenrechtspolitik der Clinton-Ära zum Anwalt der unerledigten Forderungen ehemaliger NS-Verfolgter, wobei sie sich freilich gelegentlich doppelter Standards nach innen und nach außen bedienten. Klar ist jedoch, dass ohne den ständigen Druck von Seiten der Vereinigten Staaten - und vor allem ohne die Möglichkeiten, die im Zeitalter wachsender ökonomischer Globalisierung aus dem US-Rechtssystem resultierten - die deutsche Seite sich kaum so weit bewegt hätte, wie sie es schließlich zu tun bereit war. Dies betrifft nicht nur die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der ehemaligen DDR, sondern vor allem auch die Forderungen ausländischer Zwangsarbeiter.
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Die Wiedergutmachung war mehr als bloße Realpolitik; vielmehr ging es hier zugleich um elementare Gerechtigkeitsansprüche. Diese waren jedoch auf dem Weg der Umwandlung in Rechtsansprüche auf einen politischen Vermittlungsprozess angewiesen. Und auch bei der Praxis der Wiedergutmachung, die zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung rückt, haben wir es mit einem Beispiel für die systemische Spannung zwischen lebensweltlichen Gerechtigkeits- und bürokratischen Rechtsansprüchen zu tun. Damit stellt sich zuletzt die Frage, was die Wiedergutmachung über ihre materiellen Dimensionen hinaus bedeuten konnte. Hat sie neben der Entschädigung mancher Opfer und der damit zum Teil einhergehenden Anerkennung ihrer Leiden auch zu einem symbolischen Ausgleich zwischen den ehemaligen Opfern und der 'Gesellschaft der Täter' beigetragen? Diente die Wiedergutmachung gar, wie Elazar Barkan argumentiert, als Medium der Entwicklung eines gemeinsamen Narrativs über die beide Seiten belastenden Elemente der Vergangenheit? Gibt die Wiedergutmachung damit vielleicht sogar ein Modell für die künftige Bewältigung von Konflikten zwischen verschiedenen Völkern ab, die ihre Wurzeln in historischen Opfer-Täter-Beziehungen besitzen? [13] Der Blick auf das deutsche Beispiel stimmt freilich skeptisch: Wie sollte es im Rahmen der Wiedergutmachung möglich sein, ein gemeinsames Narrativ zwischen den 'Opfern' und 'Tätern' historischen Unrechts zu etablieren, solange nicht einmal ein gemeinsamer Diskurs besteht, der alle Opfer einschließen würde? Die Forderung nach solchen gemeinsamen Narrativen birgt somit die Gefahr in sich, jene Exklusionsmechanismen, welche die Wiedergutmachung ohnehin geprägt haben, auf diskursiver Ebene fortzusetzen. So lässt sich das Beispiel der deutschen Wiedergutmachung gewiss mit Gewinn als Muster für die Bewältigung historischen Unrechts insbesondere im Rahmen einer 'transitional justice', wie sie weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt, untersuchen. Doch sollte der Blick dabei nicht nur auf die Chancen, sondern auch auf die Probleme gerichtet bleiben.
Die Wiedergutmachung war mehr als bloße Realpolitik; vielmehr ging es hier zugleich um elementare Gerechtigkeitsansprüche. Diese waren jedoch auf dem Weg der Umwandlung in Rechtsansprüche auf einen politischen Vermittlungsprozess angewiesen. Und auch bei der Praxis der Wiedergutmachung, die zunehmend in den Mittelpunkt der Forschung rückt, haben wir es mit einem Beispiel für die systemische Spannung zwischen lebensweltlichen Gerechtigkeits- und bürokratischen Rechtsansprüchen zu tun. Damit stellt sich zuletzt die Frage, was die Wiedergutmachung über ihre materiellen Dimensionen hinaus bedeuten konnte. Hat sie neben der Entschädigung mancher Opfer und der damit zum Teil einhergehenden Anerkennung ihrer Leiden auch zu einem symbolischen Ausgleich zwischen den ehemaligen Opfern und der 'Gesellschaft der Täter' beigetragen? Diente die Wiedergutmachung gar, wie Elazar Barkan argumentiert, als Medium der Entwicklung eines gemeinsamen Narrativs über die beide Seiten belastenden Elemente der Vergangenheit? Gibt die Wiedergutmachung damit vielleicht sogar ein Modell für die künftige Bewältigung von Konflikten zwischen verschiedenen Völkern ab, die ihre Wurzeln in historischen Opfer-Täter-Beziehungen besitzen? [13] Der Blick auf das deutsche Beispiel stimmt freilich skeptisch: Wie sollte es im Rahmen der Wiedergutmachung möglich sein, ein gemeinsames Narrativ zwischen den 'Opfern' und 'Tätern' historischen Unrechts zu etablieren, solange nicht einmal ein gemeinsamer Diskurs besteht, der alle Opfer einschließen würde? Die Forderung nach solchen gemeinsamen Narrativen birgt somit die Gefahr in sich, jene Exklusionsmechanismen, welche die Wiedergutmachung ohnehin geprägt haben, auf diskursiver Ebene fortzusetzen. So lässt sich das Beispiel der deutschen Wiedergutmachung gewiss mit Gewinn als Muster für die Bewältigung historischen Unrechts insbesondere im Rahmen einer 'transitional justice', wie sie weltweit immer mehr an Bedeutung gewinnt, untersuchen. Doch sollte der Blick dabei nicht nur auf die Chancen, sondern auch auf die Probleme gerichtet bleiben.
Anmerkungen
[*] | Eine umfassende Studie des Autors zu diesem Thema erscheint unter dem Titel „Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945“ im April 2005 im Wallstein-Verlag, Göttingen. |
[1] | Hans Günter Hockerts: Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945-2000, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), 167-214, hier: 168. |
[2] | Hans Günter Hockerts / Christiane Kuller (Hg.): Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland?, Göttingen 2003. Dieser Sammelband dokumentiert den aktuellen Forschungsstand der 'zweiten Welle'. Exemplarisch für die 'erste Welle' siehe dagegen Ludolf Herbst / Constantin Goschler: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989; Constantin Goschler: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus, 1945-1954, München 1992; sowie Christian Pross: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer, Frankfurt a.M. 1988 (2. Aufl. Berlin 2001). Während Pross die kritische Kombattantenperspektive vertritt, organisierte Walter Schwarz eine sechsbändige Buchreihe, in der sich vor allem die Hausperspektive des Bundesfinanzministeriums geltend macht: Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, hg. vom Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz, Bd. 1-6, München 1984ff. In dieser Tradition bewegt sich auch die Darstellung von Josef Brodesser / Bernd Fehn / Tilo Franosch / Wilfried Wirth: Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation. Geschichte - Regelungen - Zahlungen, München 2000. |
[3] | Siehe dazu Goschler: Wiedergutmachung; Cornelius Pawlita: "Wiedergutmachung" als Rechtsfrage? Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990), Frankfurt a.M. 1993. |
[4] | Siehe dazu Constantin Goschler / Jürgen Lillteicher (Hg.): "Arisierung" und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen 2002; Jürgen Lillteicher: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland. Eine Studie über Rechtsstaatlichkeit, Vergangenheitsbewältigung und Verfolgungserfahrung, Diss. Universität Freiburg 2002. |
[5] | Siehe dazu den Beitrag von Claudia Moisel. |
[6] | Siehe dazu Stuart E. Eizenstat: Unvollkommene Gerechtigkeit. Der Streit um die Entschädigung der Opfer von Zwangsarbeit und Enteignung, München 2003; Susanne-Sophia Spiliotis: Verantwortung und Rechtsfrieden. Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Frankfurt a.M. 2003. |
[7] | Karl Heßdörfer: Die finanzielle Dimension, in: Herbst / Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 55-59. |
[8] | Bundesarchiv Koblenz, B 141/618, Protokoll der 254. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen am 5.5.1953. |
[9] | Siehe dazu ausführlich Goschler: Wiedergutmachung, 75. |
[10] | Siehe dazu Jean-Michel Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Anerkennung, Lüneburg 2001. |
[11] | Slavoj Zizek: Du sollst Dir Bilder machen! Der Holocaust zwischen Schweigen und Lachen, in: Süddeutsche Zeitung vom 31.8.2000. |
[12] | Siehe dazu Otto Küster: Das andere Grundgesetz, in: Die Gegenwart 8 (1953), 295-297; Adolf Arndt: Warum und wozu Wiedergutmachung?, in: Juristenzeitung 11 (1956), 7, 211-213, hier: 211f. |
[13] | Elazar Barkan: Völker klagen an. Eine neue internationale Moral, Düsseldorf 2002. |