Navigation

  3 (2004), Nr. 3: Inhalt
Peter Oestmann
Rechtsquellen und Verfahren
<1>
Die oberste Reichsgerichtsbarkeit des Heiligen Römischen Reiches veranschaulicht auf doppelte Weise die Rezeption des gelehrten römisch-kanonischen Rechts. Zentrale Quellen für den Kameralprozess sind die Kammergerichtsordnungen von 1495 und 1555. Darin wurde der im mittelalterlichen Italien entstandene schriftliche Prozess für das Alte Reich übernommen. Die Parteien erschienen also nicht persönlich vor dem Gericht, um dort ihre Streitigkeiten auszutragen. Vielmehr verfassten rechtsgelehrte Advokaten Schriftsätze, die dann von am Gerichtsort ansässigen Prokuratoren in so genannten Audienzen an das Gericht übergeben wurden. In den Reichskammergerichtsordnungen war festgeschrieben, dass die Hälfte der Gerichtsmitglieder rechtsgelehrt, die andere Hälfte adlig sein musste. In der Praxis bestand das Kollegium aber fast nur aus studierten Juristen. Im Einklang mit der älteren deutschen Rechtstradition war der Gerichtsvorsitzende, der Kammerrichter, nicht selbst an der Entscheidungsfindung beteiligt. Die Urteile fällten ausschließlich die Beisitzer, die Assessoren des Gerichts.

Abb. 1

<2>
Die Entscheidungen der Reichsgerichte sollten nach Maßgabe der Kammergerichtsordnung nach den gemeinen Rechten ergehen, also nach dem subsidiär geltenden rezipierten römisch-kanonischen Recht. Ob die Reichsgerichtsbarkeit damit einseitig zur Romanisierung des deutschen Rechtslebens beigetragen hat, ist aber fraglich. Vielfach stützen sich die Urteile nämlich auch auf partikulare Gewohnheiten und Landesrecht. Teilweise mussten die Parteien die Geltung dieser speziellen Rechtsnormen jedoch beweisen, weil sie nicht immer vom Gericht von Amts wegen ermittelt wurden.
<3>
Das Verfahren des Reichshofrats und seine Rechtsanwendung lehnten sich im Wesentlichen an das kammergerichtliche Vorbild an. Wegen der engeren Anbindung an den Kaiser und des deutlich geschwächten ständischen Einflusses war das Prozessrecht des Hofrats aber erheblich freier. Statt strenger Bindung an eine Prozessordnung lässt sich hier eine stärkere Anlehnung an den eigenen Gerichtsgebrauch, den so genannten 'stilus curiae', erkennen. Für die Tradition Deutschlands als formaler Rechtsstaat war das Reichskammergericht also das wegweisende Beispiel, wenn auch der Reichshofrat seit dem frühen 17. Jahrhundert das politisch mächtigere Gericht war.
Literatur
Peter Oestmann: Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (= Rechtsprechung. Materialien und Studien 18), Frankfurt a.M. 2002.

Autor:
Prof. Dr. Peter Oestmann
Westfälische Wilhelms-Universität
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Institut für Rechtsgeschichte
Universitätsstr. 14-16
48143 Münster
oestmann@uni-muenster.de

Empfohlene Zitierweise:

Peter Oestmann: Rechtsquellen und Verfahren, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse. Zum Zitieren einzelner Passagen nutzen Sie bitte die angegebene Absatznummerierung.

historicum.net Editorial Abonnement Archiv Richtlinien Impressum