Adel an der Peripherie?
Kultur und Herrschaft des niederen Adels in Nordwestdeutschland
Bericht über ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt der Universität Osnabrück und des Niedersächsischen Freilichtmuseums Museumsdorf Cloppenburg
urn:nbn:de:0009-9-2406
Zusammenfassung
Der Beitrag skizziert den Inhalt und die Perspektiven eines Forschungs- und Ausstellungsprojekts zur Kultur und Herrschaft des niederen Adels in Nordwestdeutschland. Dabei werden zunächst die drei Adelslandschaften Osnabrück, Münster und Ostfriesland in ihren sehr heterogenen Strukturen und der Entstehungsgeschichte des Adels skizziert und in aller Kürze die Bedeutung des Adels als Herrschaftsstand und kultureller Impulsgeber erörtert. Anschließend werden die projektierten Untersuchungsfelder der seit Juni 2005 laufenden zweiten, wiederum zweijährigen Projektphase vorgestellt. Hierzu gehört auch das Thema eines Dissertationsvorhabens von Olga Sommerfeld, das im Rahmen des Gesamtprojektes durchgeführt wird. Anschließend wird mit kurzen Erläuterungen zu ausgewählten Exponaten ein Einblick in die neue Dauerausstellung "Adel auf dem Lande" im Museumsdorf Cloppenburg gegeben. Ein Tagungsbericht über den erst kürzlich an der Universität Osnabrück abgehaltenen Workshop "Frühneuzeitliche Adelsforschung in Niedersachsen und angrenzenden Regionen " rundet den Beitrag schließlich ab.<1>
Die Geschichte des landsässigen Adels in Nordwestdeutschland bildete lange Zeit ein weitgehend vernachlässigtes Forschungsfeld. Das heutige Niedersachsen galt nicht als "Adelsland". Der Adel war weithin landsässig und er habe, so die Forschungsmeinung noch Ende der neunziger Jahre, weder quantitativ noch im Hinblick auf seine politische Rolle, ökonomische Bedeutung oder seinen kulturellen Wirkungsbereich eine allzu große Rolle gespielt. [1] Es war eben der Adel an der Peripherie - weitab von den Kernregionen des Reiches, in denen sich auch der reichsunmittelbare Adel konzentrierte, und weitab von den großen Fürstenhöfen, an denen der Hofadel die Pracht höfischer Dignität genießen durfte. Gleichwohl bildete auch der Adel in den nordwestdeutschen Territorien einen Stand, der sich nicht nur durch bestimmte Vorrechte und Privilegien von den Menschen in seinem Wirkungsbereich abhob, sondern dessen Lebensweise sich signifikant von derjenigen seiner bäuerlichen Umgebung unterschied.
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Seit gut einem Jahrzehnt haben die Forschungen zum Adel im niedersächsischen Raum einen spürbaren Aufschwung erfahren und es zeichnet sich ein breites Spektrum an Themen und in unterschiedlichen Disziplinen ab. [2] Im Kontext ständegeschichtlicher Forschungen sind die Ritterschaften in einzelnen Territorien, ihre Zusammensetzung und ihre politischen Wirkungs- und Einflussmöglichkeiten untersucht worden. Einen Überblick hierzu bietet das kürzlich erschienene "Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte", das zeigt, welche Bedeutung die Stände im niedersächsischen Raum hatten und wie gering hier – mit wenigen Ausnahmen – die Spielräume für die Entfaltung eines fürstlichen Absolutismus waren. [3] Im Zusammenhang mit der Rolle des Adels innerhalb der geistlichen Territorien – etwa als Mitglieder der Domkapitel (Hildesheim und Osnabrück) – sind auch interdisziplinäre Forschungsansätze wie die Rechts- und Kirchengeschichte zum Tragen gekommen. [4] Sozial- und kulturgeschichtliche Untersuchungen, etwa zum "berüchtigten" hannoverschen Adel, nehmen sich der kulturellen Formen- und Zeichensprache an, in der sich die kulturelle und herrschaftliche Überlegenheit des Adels manifestierte. [5] Neuere Forschungen zum Hochadel im Kontext der Residenzenforschung haben der Beschäftigung mit dem niederen Adel wichtige Impulse geliefert und neue Perspektiven eröffnet. Dies gilt im Besonderen für geschlechtergeschichtliche Fragestellungen, etwa die Bedeutung von Frauen in der adligen Familie und adligen Ökonomie. [6] Schließlich sind biographische Untersuchungen zu nennen, die sich die Fülle der in den Adelsarchiven überlieferten Materialien zu einzelnen Personen und deren autobiographische Aufzeichnungen zunutze machen und die wegen ihrer dichten Überlieferung besonders aufschlussreich im Hinblick auf die engen Verflechtungen des niedersächsischen Adels im deutschen und europäischen Rahmen sind. Hier hat man es mit einem weitgespannten adligen Netzwerk zu tun, in das einzelne Familien und Personen in variierender Intensität eingebunden waren. [7]
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Die mittlerweile vorliegenden Arbeiten haben bestätigt, dass es schwierig ist, "den" Adel als soziale Gruppe in den Blick zu nehmen. Die große Vielfalt und Heterogenität innerhalb dieser Gruppe, die Vielschichtigkeit der Orientierungen und sozialen Existenzformen lassen eine kollektive Biographie dieser Bevölkerungsgruppe nicht zu. Das Spektrum der sozialen Erscheinungsformen des Adels in den nordwestdeutschen Territorien reicht vom kleinen Rittergut, das sich von einem gutsituierten Bauernhof kaum unterscheidet, bis zu Schlössern und ganzen Herrlichkeiten. Grundlagenforschungen zu kleinräumigen Adelslandschaften, zu einzelnen Adelsfamilien und bestimmten Aspekten adeliger Lebenswelten bilden die Basis für eine noch zu erstellende Typologisierung bestimmter Adelslandschaften im Nordwesten des Reiches.
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Das Forschungsprojekt, das hier vorgestellt wird, widmet sich dem Adel in den Regionen des ehemaligen Fürstbistums Osnabrück, des Niederstifts Münster und der Grafschaft Ostfriesland. Weit über 200 Adelssitze sind in diesen Regionen in der Frühen Neuzeit nachweisbar. Nicht alle Adelsfamilien vermochten ihren im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts entfalteten adligen Status und Lebensstil zu halten. Einige sahen sich aus ökonomischen Gründen gezwungen, ihre Güter zu veräußern und sich mit einer weitaus bescheideneren Existenz zufrieden zu geben, sich in bürgerlichen Berufen zurechtzufinden oder auch in den Bauernstand ‚zurückzufallen’. Wie auch immer dieser Statusverlust im Einzelfall ausgesehen haben könnte, bleibt noch weiteren Untersuchungen vorbehalten. Gleichwohl gab es eine Reihe von adligen Familien in den genannten Territorien, die in diesen Zeiten den Anschluss an die europäische Adelskultur suchten und auch fanden, die die Strategien adliger Selbstbehauptung erfolgreich entwickelten und nutzten, um ihren Stand und Status zu erhalten. Diese Adligen fühlten sich keineswegs in einer peripheren Lage. Ihrem Selbstverständnis entsprach es, sich als eine traditionelle Elite zu verstehen, die über ein erhebliches Maß an politischem, sozialem und kulturellem Kapital verfügte und dieses einzusetzen vermochte. Sie wirkten in ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich, bewegten sich aber auch weit über diesen Horizont hinaus und pflegten vielfältige personelle, materielle und kulturelle Verbindungen im europäischen Kontext.
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Dass die Geschichte des landsässigen Adels in den nordwestdeutschen Territorien zum Thema eines von zwei Institutionen – nämlich der Universität Osnabrück und des Niedersächsischen Freilichtmuseums Museumsdorf Cloppenburg – getragenen Forschungsprojektes geworden ist, resultierte aus drei Beweggründen. Zum einen war es die Erkenntnis, dass diese Territorien keinesfalls ‚adelsarm’ waren, was allein schon im Umfang der archivalischen wie auch sachkulturellen Überlieferung zum Ausdruck kommt. Die Staatsarchive in Osnabrück, Oldenburg, Münster und Aurich verfügen über zahlreiche Deposita von Familienarchiven adliger Provenienz mit einer nicht nur umfangreichen, sondern auch qualitativ ausgezeichneten Quellenlage, die bis vor wenigen Jahren kaum Beachtung von Seiten der historischen Forschung gefunden hat. Hinzu kommt, dass die adligen Familien selbst zu einem Teil noch heute in der Region ansässig sind, Schlösser und Herrenhäuser bewohnen und mit ihrer Geschichte in Räumen leben, die zuweilen schon seit Jahrhunderten von ihren Vorfahren bewohnt wurden. In diesen Häusern wird trotz der in der Regel sehr modernen Lebensweise Geschichte auf eine beharrliche und kontinuierliche Weise bewahrt. Hier lassen sich Familiengeschichten rekonstruieren über Ahnengalerien, wappenverzierte Möbel und Gobelins. Hier wird Familienbesitz, seien es nun die Häuser selbst, die oftmals aus barocker Zeit stammenden Gartenanlagen oder das Interieur, zu dem nicht selten auch eine kostbare Privatbibliothek gehört, mit teilweise erheblichem finanziellen Aufwand erhalten. In den Archiven sind umfangreiche Korrespondenzen überliefert, denn der Adel, so hat es Marcus Weidner in seiner Studie zum münsterischen Adel festgestellt, "besaß ein gegenüber anderen sozialen Gruppen nahezu unerschöpfliches Reservoir an Zeit" [8], Zeit, die er zu intensivem Schreiben in Form von Briefen, Tagebüchern, Aufzeichnungen der Familiengeschichte etc. nutzte. Aus der überlieferten Korrespondenz können einzelne Personen und ganze Familien in dem vielfältigen Spektrum ihrer Beziehungen sichtbar gemacht werden. Die Quellen in den großenteils öffentlich zugänglichen Familienarchiven zeigen nicht nur die exklusive und privilegierte Lebensweise des Adels, sondern auch die Konfliktfelder, die aus dieser Lebenswelt über die Jahrhunderte hinweg immer wieder zum Vorschein kamen. Sie zeigen den gegenüber seinen Untertanen gewalttätigen Junker ebenso wie den Briefe schreibenden Verehrer eines adligen Fräuleins. [9]
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Das zweite Motiv, den nordwestdeutschen Adel in den Blick zu nehmen, liegt in der Bedeutung des Adelssitzes für die ländliche Welt begründet. Die meisten Menschen lebten in der Frühen Neuzeit auf dem Lande. Sie waren zum überwiegenden Teil eingebunden in die Strukturen von Grundherrschaft und der Abhängigkeit von Herrschaft über Land und Leute. Der ländliche Adelssitz spielte in diesem Kontext eine existentielle Rolle, ohne ihn ist das gesamte ländliche Sozialgefüge kaum denkbar. Er ist gleichsam Herrschaftsmittelpunkt wie auch wirtschaftliches und kulturelles Zentrum eines Territoriums und daher in ein komplexes Gefüge von Beziehungen und Verbindungen innerhalb der ländlichen Bevölkerung eingebunden. Doch waren es im westlichen Niedersachsen nicht gutsherrschaftliche Verhältnisse, wie sie etwa den ostelbischen Raum prägten. Im Rahmen ihrer Einbindung in die Grundherrschaften des Adels, der Kirche oder des Landesherrn leisteten die abhängigen, eigenbehörigen Bauern Geld- und Naturalabgaben, Hand- und Spanndienste sowie eine Reihe von unregelmäßigen Gefällen. Im Gegenzug dazu standen sie unter dem persönlichen Schutz ihres Grundherrn, waren häufig auch dessen Rechtsprechung unterworfen und besaßen ein erbliches Wohnrecht auf ihren Höfen. Diese Rechtsgarantie für Haus und Hof, überhaupt eine umfassende Verschriftlichung von Herrschaftspraxis, unterschied die Bauern im Niederstift Münster und Hochstift Osnabrück beispielsweise von ihren Standesgenossen in Schleswig-Holstein. [10] In Ostfriesland hingegen, wo die Adelsfamilien zum Teil aus dem spätmittelalterlichen Häuptlingsadel hervorgegangen sind und deutliche Parallelen zur Entwicklung und Sozialstruktur der benachbarten niederländischen Regionen zu konstatieren sind, lagen die Verhältnisse wieder anders. Gerade die Heterogenität und die Besonderheiten der Adelslandschaften im westlichen Niedersachsen ließen die Erforschung dieses Raumes als lohnend erscheinen.
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Schließlich, drittens, war es das Anliegen beider wissenschaftlicher Einrichtungen – Universität und Museum –, eine neue und innovative Form der Kooperation einzugehen und gemeinsam ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt zu initiieren, das sich langfristig und nachhaltig dem Adel in Nordwestdeutschland widmen sollte. Das Niedersächsische Freilichtmuseum Museumsdorf Cloppenburg verfügt mit der "Burg Arkenstede" über einen Adelssitz aus dem Ende des 17. Jahrhunderts, der Jahrhunderte lang im Besitz von adligen Familien aus dem Niederstift Münster und dem Osnabrücker Raum gewesen ist und ursprünglich im Grenzgebiet zwischen diesen Territorien lag. Zu Beginn der 1990er-Jahre reifte, "getragen von dem Erkenntniszuwachs, dass Strukturen, Phänomene und Prozesse der bäuerlichen Kulturgeschichte ohne die Einbeziehung der Geschichte des ländlichen Adels kaum (...) erschöpfend interpretiert werden können" [11], im Museum der Plan heran, im Rahmen einer Neukonzeption des Hauses Arkenstede seiner ehemaligen Funktion und Bedeutung wieder Rechnung zu tragen.
Abb. 1
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Bereits 1999 startete ein zweijähriges Pilotprojekt mit dem Ziel, den Forschungsstand und die Quellenlage zu sondieren und mit den noch ansässigen adligen Familien in der Region Kontakt aufzunehmen. Dies war vor allem im Hinblick auf die sachkulturelle Überlieferung zur Kulturgeschichte des Adels von besonderer Bedeutung. Im Anschluss daran förderte dann das Land Niedersachsen ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt, das an der Universität Osnabrück im Fach Geschichte der Frühen Neuzeit (damals unter der Leitung von Ronald G. Asch, inzwischen Siegrid Westphal) angesiedelt war. Ziel des Vorhabens war es, die Geschichte und Kultur des landsässigen Adels im westlichen Niedersachsen zu erforschen und dabei den Adel als soziale Gruppe in seiner jeweiligen Umgebung zu beschreiben wie auch seinen Einfluss auf die regionalen und lokalen Prägungen, auf die politische Verfassung und die wirtschaftliche Entwicklung zu ergründen. Von Beginn an war geplant, die Ergebnisse in einer Museumsausstellung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Ausstellung konnte im September 2004 eröffnet werden. Sie zeigt neben den Leihgaben aus Museen und Archiven zahlreiche Exponate aus privatem Besitz, aus Adelshäusern der beteiligten Regionen, die das Projekt großzügig unterstützt haben.
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Dass zwei Institutionen – Universität und Museum – sich des Projektes angenommen haben, hat eine Reihe von positiven Synergieeffekten bewirkt. Der Universität bzw. der Projektleitung im Fach Frühe Neuzeit oblag es, ein weitgehend vernachlässigtes Forschungsfeld zu bearbeiten und damit auch für den westniedersächsischen Raum den Anschluss an die seit einigen Jahren im Aufschwung begriffene Adelsforschung zu suchen und neue Fragestellungen aufzugreifen. Das Museum bekam den unmittelbaren Zugriff auf aktuelle Forschungsergebnisse und konnte diese gezielt in die Ausstellungskonzeption einbringen. Der Kontakt zu einzelnen in der Region noch ansässigen adligen Familien hat auch den Blick in die Adelshäuser und die darin bewahrte Kulturgeschichte des Adels ermöglicht.
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Die Untersuchungsregionen unterscheiden sich in ihren politischen, verfassungsgeschichtlichen, sozialen und konfessionellen Strukturen in der Frühen Neuzeit zum Teil erheblich, und entsprechend disparat waren auch die Lebensformen und das Selbstverständnis des Adels. Die rund 140 Adelsgüter im frühneuzeitlichen Hochstift Osnabrück waren Ministerialenburgen, die ältesten von ihnen angelegt im 13. und 14. Jahrhundert im Zuge der Entstehung des bischöflichen Territorialstaates. Sie lagen in den Niederungen, an strategisch bedeutsamen Punkten, Handelsstraßen, wichtigen Verkehrswegen, und ermöglichten dadurch deren Kontrolle. Auch die Nähe zum wirtschaftlich genutzten Land und zu den in der Umgebung liegenden Siedlungsplätzen spielte eine Rolle, denn in der grundherrschaftlichen Verfügungsgewalt über dienst- und abgabenpflichtige Untertanen lag eine wesentliche Existenzgrundlage des landsässigen Adels.
Abb. 2
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Sowohl im Osnabrücker Land als auch im Niederstift Münster war adliger Streubesitz vorherrschend. Nicht ein ganzes Dorf, sondern einzelne, zuweilen weit verstreut liegende Höfe gehörten zu einer Grundherrschaft. In einzelnen Kirchspielen trafen somit verschiedene Grundherren aufeinander. Die adlige Territorialherrschaft umfasste die niedere Gerichtsbarkeit und in manchen Fällen auch das Patronat über Pfarrkirchen und Kapellen und damit die Einflussnahme auf die Besetzung geistlicher Ämter. Wenn auch bei den meisten der 52 Pfarrkirchen im Hochstift Osnabrück das Kirchenpatronat bei den geistlichen Instanzen, in der Regel beim Domkapitel oder beim Fürstbischof, aber auch bei Stiften und Klöstern lag, so hatte der Adel gleichwohl eine besondere Position in der Kirche inne. Die familieneigenen Kirchstühle, die Erbbegräbnisse und Epitaphien innerhalb des Kirchenraumes und das Stiftungsgut adliger Herkunft verschafften dem Adel eine sichtbare und dauerhafte Präsenz im sakralen Raum und signalisierten seinen jeweiligen Stand im Herrschaftsgefüge. Auch als Versorgungsinstitution spielte die Kirche für den Adel eine elementare Rolle. Dies galt in besonderer Weise in den geistlichen Territorien, denn der Zugang zu Domherrenämtern, Pfründen und Stiftspräbenden war eine Möglichkeit, den nicht mit der Führung des Stammgutes betrauten oder den unverheirateten Nachkommen eine standesgemäße Lebensführung und Versorgung zu gewährleisten.
Abb. 3
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Der katholische Adel im Niederstift Münster gehörte zum westfälischen Stiftsadel und somit zu einer innerhalb der Adelslandschaften im Alten Reich ohnehin durch eine besondere Exklusivität sich auszeichnende Gruppe. Ahnenproben, die den Nachweis adliger Vorfahren bis in die vierte Generation verlangten, bildeten das Regulativ für die Stiftszugehörigkeit, und diese war im geistlichen Territorium das Ausschlusskriterium für die Teilnahme an Herrschaft und den Zugang zu den Spitzenpositionen in Staat, Kirche, Militär und Verwaltung. Geistliche Korporationen wie das Münsterische Domkapitel setzten seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer strengere Maßstäbe für die Stiftsfähigkeit und damit auch für den Zugang zu Pfründen durch. [12] Eine komplexe Familienpolitik auf der Basis strenger Ahnenproben diente dem Adel zur Sicherung von Ämtern, Grundbesitz und zahlenmäßigem Bestand. Züge regionaler, sozialer, vor allem aber konfessioneller Endogamie zeichneten diese Adelslandschaft aus, denn nur die Kombination von Einkünften aus Grundherrschaften und Ämtern schuf eine stabile, standesgemäße Vermögensgrundlage aller Familienangehörigen. Diese Familienordnung gründete auf einem familienintern, standesintern und institutionell vielfach abgesicherten, ungleichgewichtig verteilten Erb-, Heirats- und Berufswahlverzicht umfassenden System, das jedem einzelnen – von der Geburt bis zum Tod – seine Rolle im Familienzusammenhang zuwies. Von aufgeklärten Kritikern seit der Mitte des 18. Jahrhunderts als hoffnungslos rückständig charakterisiert, blieb der katholische Adel im Niederstift Münster fest in die feudal-ständischen Strukturen und Institutionen eines geistlichen Territoriums eingebunden und bildete auch nach 1800 eine von breiten Teilen der Bevölkerung anerkannte soziale Oberschicht der Provinz. [13]
Abb. 4
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Im Hochstift Osnabrück lagen die konfessionellen Verhältnisse anders. Die meisten adligen Familien hatten sich nach der Reformation von der alten Kirche abgewandt. [14] Die mehrheitlich protestantische Ritterschaft bildete demzufolge stets ein Gegengewicht gegen das überwiegend katholische Domkapitel. Ihr kam daher eine ganz spezifische politische Rolle zu, denn der Kampf für den protestantischen Glauben verlieh ihren Ansprüchen auf politische Mitsprache und Privilegien stets eine höhere Legitimität und trug schließlich zum Wiedererstarken der Stände im 18. Jahrhundert bei. [15] Besondere Bedingungen, die in dieser Form im Reich einmalig waren, wurden zudem durch die im Rahmen des Westfälischen Friedens gefassten Bestimmungen für Osnabrück geschaffen. Festgelegt wurde, dass fortan abwechselnd ein katholischer und ein protestantisch-welfischer Bischof das Hochstift regieren sollten. Osnabrück wurde infolgedessen zu einem gemischt-konfessionellen Territorium, es gab protestantische, katholische und simultan besetzte Pfarreien. Die konfessionellen Verhältnisse im Hochstift Osnabrück schränkten die Karrierechancen für den protestantischen Adel im Lande erheblich ein, zumal das Domkapitel nicht vom landsässigen Adel dominiert wurde, sondern eher von landesfremden katholischen Familien. [16] Der Osnabrücker Adel konzentrierte sich daher vor allem auf den Staatsdienst, auf die Übernahme von Ämtern in der Territorialverwaltung oder beim Militär.
Abb. 5
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Während im Fürstbistum Münster der katholische Stiftsadel die Adelslandschaft prägte und im gemischt-konfessionellen Hochstift Osnabrück eine überwiegend protestantische Ritterschaft sich politisch zu behaupten suchte, sind die Strukturen in Ostfriesland, in den friesischen Regionen an der Nordseeküste, gänzlich anders. Der Adel in Ostfriesland ist im Wesentlichen aus dem spätmittelalterlichen Häuptlingswesen entstanden. Häuptlinge waren in diesen Zeiten lokale Machthaber, die Reichtum, der Besitz eines eigenen, festen Steinhauses, hohe Einkünfte, gewonnen aus der Verfügung über selbstbewirtschaftete oder verpachtete Höfe, aber auch aus kontrollierender oder aktiver Teilnahme am Handel und Warenverkehr, auszeichnete. Reichtum und eigenständiger Besitz waren auch die Kriterien, die ihnen Autorität und die mehr oder weniger freiwillige Gefolgschaft anderer sicherten, die sie als "hovetlinge", Häuptlinge eben, ansahen. Die ältesten Häuptlingssitze lagen in den fruchtbaren Marschengebieten, in der Nähe zum Meer und mit einem unmittelbaren Zugang dorthin. Von hier aus gelangten die Produkte der Viehzucht und -haltung zum Verkauf. Wer hier zu wirtschaften verstand, konnte reich und mächtig werden, und genau dies wurden die Häuptlinge – natürlich auch durch die Möglichkeiten, die die Seeschifffahrt bot, und von dieser war es dann nicht allzu weit bis zum Seeraub, zu den Vitalienbrüdern, die in mehr oder weniger engem Kontakt auch zu den friesischen Häuptlingen an der Küste standen. Durch Eindeichungen und Entwässerungsmaßnahmen, die sie initiierten und teilweise wohl auch selbst finanzierten, waren die Häuptlinge direkt am Prozess der Landgewinnung beteiligt und profitierten davon, indem sie damit Anrecht auf Land erwarben. [17]
Abb. 6
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In engem Zusammenhang mit dem Häuptlingswesen stehen die genossenschaftlichen Organisationsformen in den friesischen Landesgemeinden, in denen Grundherrschaft, Hörigkeit oder Leibeigenschaft fremd waren. Mit dem Selbstverständnis des Adels in diesen Regionen verband sich eine antifeudalistische Grundhaltung, die auf der vermeintlichen Legitimation durch Karl den Großen gründete. Die ‚friesische Freiheit’, die Friesland als eine Einheit betrachtete und damit das gesamte Nordseeküstengebiet von der Zuiderzee bis zum Mündungstrichter der Weser umfasste, führte ihre Legitimation auf die der Sage nach den Friesen von Karl dem Großen den Friesen zugesicherte Unabhängigkeit und persönliche Freiheit zurück und prägte zumindest in ihren mentalen Folgewirkungen Geschichte und Gegenwart dieser Region. [18]
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Eingeteilt war Ostfriesland in der gräflichen Zeit, vor 1744, in Ämter und Herrlichkeiten. In den Herrlichkeiten regierten weitgehend autonom die Nachfahren der ehemaligen Häuptlingsfamilien und die seit dem 16. Jahrhundert zugewanderten auswärtigen Adelsfamilien, die sich in die vorgefundenen Strukturen einfügten. Dies bedeutete unter anderem das Zusammenleben mit einer bäuerlichen Bevölkerung, die durchweg freien Standes und weder einem Adligen noch dem Klerus gegenüber dienst- und abgabenpflichtig war. Die bäuerliche Oberschicht bildete in Ostfriesland einen eigenen politischen Stand, den der Hausleute. Die Hausleute hatten, und auch dies kennzeichnet die Besonderheiten der politischen Strukturen in Ostfriesland, Zugang zu den Landtagen und waren zur Stimmabgabe berechtigt. Der Klerus hingegen spielte als Stand überhaupt keine Rolle. Konfessionell war das Land gespalten in einen reformierten westlichen Teil mit der Stadt Emden als Zentrum und einen überwiegend lutherischen Landesteil in den Geestregionen um die Stadt Aurich, die Mitte des 16. Jahrhunderts Residenzstadt und Sitz des (lutherischen) Grafenhauses geworden war. Der Hof in Aurich bildete zwar für die Adligen einen Ort, an dessen Geschehnissen und Festivitäten sie partizipierten, jedoch nicht eine Umgebung, die ihnen ein standesgemäßes Vorankommen sicherte oder gar Karrierechancen in Aussicht stellte. [19] Diese Chancen ergaben sich vielmehr aus auswärtigen Verbindungen, die die führenden ostfriesischen Adelsfamilien vielfältig und intensiv pflegten, und hier gab insbesondere die reformierte Konfession die Richtung vor, in die man sich orientierte.
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Verbindungen in die calvinistischen Niederlande, aber auch Beziehungen zum reformierten brandenburgisch-preußischen Hof sowie nach Dänemark, an den Hof in Kopenhagen, entsprachen einer in protestantischen Adelsfamilien häufig anzutreffenden stärkeren Außenorientierung. Hier spielte der kirchliche Ämtererfolg keine wesentliche Rolle für den Statuserhalt einer adligen Familie und die kollektiven Familienziele. Relativ losgelöst von konfessionellen Bindungskräften konnten sie sich stärker militär- und auslandsorientiert verhalten, was sowohl in der Berufswahl als auch im Heiratsverhalten seinen Niederschlag fand. Eine konfessionelle Prägung der Heiratskreise war für den Statuserhalt einer adligen Familie hier nicht zwingend notwendig, gemischtkonfessionelle Eheschließungen bildeten keinesfalls eine Ausnahme. Die Militär- und Auslandsorientierung brachte unweigerlich ein hohes Maß an Mobilität und damit das Zustandekommen vielfältiger Kontakte mit sich, in deren Folge nicht zuletzt auch Ehen befördert und geschlossen wurden. Die Bereiche Mobilität und Sesshaftigkeit sind im Übrigen neben der Konfession ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Adelsfamilien und Adelslandschaften, sie könnten als ein Kriterium für die Typologie des Adels herangezogen werden.
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Trotz der Vielzahl struktureller Unterschiede, die die untersuchten Adelslandschaften kennzeichneten, zeigten sich innerhalb der adligen Standeskultur zahlreiche Gemeinsamkeiten und parallele Entwicklungen. Trotz der großen Heterogenität innerhalb des Adels – schon in einer Familie konnte es ein breites Spektrum von sozialen Existenzformen geben – war allen gemeinsam ein kollektiver Fundus an Kultur und Mentalität, an Einstellungen, Verhaltensweisen und Merkmalen adliger Existenz, der weitestgehend von der Herkunft und der Zugehörigkeit zu einem adligen Geschlecht bestimmt war. Dieses gemeinsame kulturelle Fundament aus Herkunft und Tradition war tief im Bewusstsein verankert und prägte einen Habitus, der sichtbar und wahrnehmbar war.
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Zur adligen Standeskultur gehörte eine bestimmte Lebensweise, ein Alltag, der sich von demjenigen seiner ländlichen Umgebung unterschied, was sich schon in der Einteilung des Tages bemerkbar machte. Die weitgehende Freistellung von einem geregelten, auch obrigkeitlich normierten Verbrauch von Zeit wird nicht zuletzt deutlich bei den Festen und Geselligkeiten des Adels. Die überlieferten Inventare von Adelshäusern belegen eine Vielzahl von Stand- und Kronleuchtern, von Spiegeln und goldverzierten Flächen, die dazu dienten das nur begrenzt einsetzbare, von den Kerzen ausgehende Licht zu streuen. Auf diese Weise konnte der Adel den natürlichen Tag- und Nachtrhythmus aushebeln. Damit schuf er Distanz und Prestige, und so bündelten sich in der Nutzung der Nacht die vielfältigen Formen von Ungleichheit der Sozialgruppen. Im Adelshaus fanden sich bestimmte Möbel, die als Prunk- und Schaustücke fungierten und sich damit deutlich von der Wohnsituation anderer sozialer Gruppen absetzten. Allein die Anzahl der in Inventaren genannten Stühle verstärkten den Eindruck herrschaftlichen Lebens in den für Geselligkeiten vorgesehenen Räumen. So befanden sich etwa im Speisezimmer des adligen Hauses Füchtel im Niederstift Münster in den 1770er Jahren neben einer Kommode mit drei Schubladen, einem "eisserner Ofen mitt einem Fayencen aufsatz" und einer "schlagg-Uhr" auch ein großer, von zwölf Stühlen umgebener "Speisetisch". Die nebenan gelegene "Saalkammer" war mit einem Tisch, zwei Gueridons, einem Spiegel mit gläsernem Rahmen, sechs kleinen Wandleuchtern, einem Canapé, zwei Lehnstühlen und zehn weiteren "stühlen mit küssen", einem Teetisch, einem Flügel und einem Clavecin ausgestattet. [20]
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Auf dem südwestlich von Groningen gelegenen Schloss Nienoord, das der ostfriesische Adelige Georg Wilhelm zu Inn- und Knyphausen mit seiner Frau Anna von Ewsum im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bewohnte, gab es einen Tanzsaal, dessen Wände mit Szenen aus der Mythologie verziert waren. Der Künstler, der die Szenen auf Holz gemalt hatte, war Hermann Collenius, einer der am meisten gefragten Maler in Groningen. Im angrenzenden Esssaal malte Collenius die sieben Wochentage, symbolisiert durch Göttergestalten an die Decke, und an der Wand des Saales prunkten die 32 Ahnenwappen Georg Wilhelms und Anna von Ewsums, getragen von 16 gemalten Putten. Die Auftraggeber, Anna von Ewsum und ihr Ehemann Georg Wilhelm zu Inn- und Knyphausen, beherbergten Hermann Collenius in der Zeit seines Wirkens um 1680 auf ihrer Burg Nienoord und verfolgten seine Arbeit nicht nur, sondern nahmen Einfluss auf die Inhalte und die Gestaltung der Gemälde. Die Szenen, die Colenius an den Wänden des Tanzsaales von Nienoord gestaltete, waren den "Metamorphosen" Ovids entlehnt; der Maler war geprägt von seinen Aufenthalten in Italien. Viele der Szenen hatten das Verhältnis zwischen den "guten" und den "gewöhnlichen" Menschen zum Inhalt, und die Auftraggeber und auch deren Gäste auf Nienoord werden die Aussagen der Malereien gut verstanden haben. Georg Wilhelm zu Inn- und Knyphausen zeichnete ebenso wie viele der männlichen Mitglieder dieser Familie eine tiefe Religiosität aus, und mit den gemalten Szenen im Tanzsaal gab er seinen Gästen zu verstehen, dass auch in diesem Raum der Geselligkeit und der Feste die Tugend eine Rolle spielen und kein Platz für sündige Gedanken sein sollte. [21]
Abb. 7
Abb. 8
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Zum Adelshaus gehörten eben spezifische Räumlichkeiten, deren Ausstattungselemente ein vielschichtiges Zeichensystem zum Ausdruck brachten. Dessen Deutungskategorien waren den Zeitgenossen bekannt und wurden von ihnen aufmerksam wahrgenommen. Porträts und kostbare Gemälde, exklusive Möbel, gefertigt aus exotischen Hölzern, Spiegel, Gobelins und Wandteppiche, farbenprächtige Vorhänge und Wandbespannungen, erlesenes Geschirr in großem Umfang waren im Adelshaus die Merkmale adliger Standeskultur, mit denen dem steigenden Repräsentationsbedürfnis Rechnung getragen wurde. Für die ländlich-bäuerliche Oberschicht gab der Adel ein kulturelles Leitbild vor, an dem man sich orientierte. Viele Impulse und Neuentwicklungen in der ländlichen Kultur und Lebensweise hatten ihren Ursprung im Adelshaus, deren Bewohner wiederum an der Rezeption europäischer Kultureinflüsse mehr oder weniger aktiv partizipierten.
Abb. 9
Abb. 10
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Die kulturellen Impulse, die aus den nördlichen Niederlanden auf Ostfriesland wirkten, standen zunächst in einem engen Zusammenhang mit den gleichartigen Verfassungs- und konfessionellen Strukturen. Wegen der hohen wirtschaftlichen und kulturellen Blüte der Niederlande in dieser Zeit fand Kulturgut aus den Niederlanden auch seinen Weg zum Adel im Niederstift Münster und im Fürstbistum Osnabrück. Die niederländische Porträt- und Genremalerei des 17. Jahrhunderts war berühmt, und die Tendenz des Adels, Konsumgüter zunehmend über das Ausland zu beziehen und sich an den städtischen Handels- und Gewerbezentren in Flandern und Brabant zu orientieren, machte sich auch in diesen Regionen bemerkbar. Vor allem die führenden Adelsfamilien lösten sich seit dem 17. Jahrhundert zunehmend von ihren regionalen Bindungen und suchten den Kontakt zur städtischen und auch höfischen Welt. Sie schickten ihre Söhne auf Universitäten in Italien, Frankreich oder den Niederlanden, nachdem diese von Hofmeistern im privaten Unterricht mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten für den weiteren Bildungsweg vorbereitet worden waren. Kurze und auch längerfristige Aufenthalte am Hof, eine temporäre Ansässigkeit in Berlin oder Wien prägten die Ansprüche an die eigene Umgebung und die Gestaltung des eigenen Landsitzes. Das Stadthaus, das die ostfriesische Familie von Frydag in Emden besaß, wurde in den Jahren zwischen 1693 und 1695 renoviert. Anschließend diente es als Witwensitz der Gräfin Sophie Elisabeth von Aldenburg, die dort zusammen mit ihrer Tochter und zwei Brüdern ihres verstorbenen Mannes, dem Johanniterritter und Großprior von Ungarn, Carl Philipp, und dem Jesuiten Johann Ernst von Frydag zu Gödens, einzog. Kostbare Wandteppiche aus Brabant und Wien, rotgeblümter indischer Taft und Damastbezüge schmückten die Räume des Gödenser Hauses. [22]
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Was die Einrichtung und Möblierung der Adelshäuser betrifft, waren die adligen Besitzer stets bestrebt, modisch eingerichtet zu sein – und offensichtlich waren sie auch über Neuigkeiten und die modischen Zeitströmungen gut informiert. Die dem Adel vorbehaltene Anwesenheit am landesherrlichen Hof verhalf ihm zu Weltläufigkeit und Kontakten zu Kunst und Kultur im überregionalen, ja internationalen Rahmen. Doch nicht nur auf Reisen wurde Kulturgut gesammelt. Auch mit dem Ankauf von Gemälden, Stichen und Büchern zur Einrichtung einer Privatbibliothek holte man sich das Wissen und den Geschmack der Zeit ins eigene Haus. Die überlieferten Kataloge adliger Privatbibliotheken belegen die jeweiligen Interessen und Orientierungen und das intensive Studieren der Bücher – zu erkennen an der Auswahl der Bücher und an den Unterstreichungen und Kommentaren, die in den noch vorhandenen Exemplaren zu finden sind. [23] Die Bibliothek auf der Burg Grimersum in Ostfriesland, die im Besitz der adeligen Familie Beninga war, umfasste nach einem Katalog aus dem 18. Jahrhundert über 800 Bücher, das Bücherverzeichnis der Bibliothek des Häuptlings Hero von Oldersum aus dem Jahr 1589 nannte insgesamt 89 Werke, darunter juristische, theologische, historische Bücher, ein Wörterbuch sowie ein Buch der Astrologie. Die Werke der Kirchenhistoriker waren vertreten, so etwa Eusebius von Caesarea, aber auch die Schriften der Reformatoren und eine niederdeutsche Übersetzung der "Laus stultitiae" von Erasmus von Rotterdam. Die zahlreichen theologischen Bücher dokumentieren das ausgeprägte Interesse an den religiösen Themen des Reformationsjahrhunderts. Eine konfessionelle Festlegung lässt sich dabei jedoch nicht erkennen, die Schriften Luthers und Bucers wurden von der reformierten Familie ebenso rezipiert wie diejenigen Calvins, die Züricher Bibel, Ursinus’ Lehre vom Abendmahl und die Schriften des für die reformierte Lehre eintretenden Herdesianus, und selbst die Werke des Sekretärs von Papst Leo X., Pietro Bembo, finden sich in der Oldersumer Bibliothek. Viele Bücher waren in Latein und Französisch geschrieben: den Adeligen waren diese Sprachen also geläufig. [24]
Abb. 11
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Über den Bücherbesitz bzw. das Interesse an Büchern im 17. und 18. Jahrhundert informieren die überlieferten Bibliotheksverzeichnisse aus Adelshäusern, aber auch Auktionskataloge sind aufschlussreich. [25] Im Jahre 1655 gab es in Emden bereits 13 Buchbinder und Buchhändler, die Buchauktionen durchführten. Für Ostfriesland selbst sind erst aus dem frühen 18. Jahrhundert Auktionskataloge erhalten. Es gibt jedoch in der British Library in London einen Leidener Auktionskatalog über die Bibliothek von Feye van Heemstra von 1692, der 184 Seiten umfasste. Van Heemstra war Kommandant der niederländischen Garnison in Emden und ist in Ostfriesland gestorben. Träger der Buchkultur in Ostfriesland waren jedoch nicht allein die Adligen, sondern auch bürgerliche Personen, der protestantische Pastor, der Jurist, Ärzte, Lehrer, die Räte in den Städten und natürlich auch der Landesherr selbst. Sie kauften einen großen Teil ihrer Bücher auf Buchauktionen, die in Ostfriesland ebenso wie in den benachbarten Niederlanden im 17. Jahrhundert eine Blütezeit erlebten, „wo ein florierender Buchdruck und ein aufstrebendes Universitätsleben mit einer entfalteten Stadtkultur und einer allgemeinen Blüte des Handels zusammenfielen.“ [26] In Emden fand im Februar 1655 die erste bislang bekannte Buchauktion auf dem Gebiet des Deutschen Reiches statt, erst zwei Jahre später, im Juni 1657, ist eine Buchauktion in Helmstedt belegt. In dem Zeitraum zwischen 1749 und 1780 lassen sich in Ostfriesland insgesamt 120 Buchauktionen nachweisen. Es gab also einen umfassenden Büchermarkt in Ostfriesland, der gleichzeitig auch ein Beleg für die Nachfrage nach Büchern und gelehrtem Wissen ist.
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Ein Bereich, an dem sich die Rezeption europäischer Kultureinflüsse ebenso deutlich erkennen lässt, ist die Gartengestaltung. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, also direkt nach dem Dreißigjährigen Krieg, gewann die Gartenkultur auch für den Landadel zunehmend an Bedeutung und wurde zum Merkmal seines Repräsentationsbedürfnisses. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren die französischen Vorlagen, der französische Stil. Die Gärten von Versailles waren ein prägendes Vorbild für die regierenden Herrscher in Mittel- und Nordeuropa. Deren gestalterische Elemente fanden schließlich auch Einzug in die Gartenanlagen des Adels auf dem Lande. Je nachdem, wie weit der eigene Radius reichte, brachte man Anregungen aus den großen und kleinen Residenzen mit, man sammelte sie auf Reisen oder holte sie sich beim nächsten adligen Nachbarn. Der Gartenentwurf wurde nicht selten einem fachkundigen Gartenarchitekten überlassen, ein Indiz dafür sind die vielfach in den Adelsarchiven überlieferten Gartenpläne und die Gartenbücher, etwa von André Le Nôtre und seinen Schülern. Doch nicht nur die größeren Schlösser und Herrenhäuser waren von Gartenanlagen umgeben, die den Status und Charakter des Hauses deutlich werden ließen.
Abb. 12
<26>
Die Prinzipien, nach denen die Gärten zu verschiedenen Zeiten angelegt und umgestaltet wurden, fanden sich überraschender Weise auch bei zahlreichen kleinen Adelshäusern wieder. Neben den Nutzflächen, in deren Nähe sich auch die Wirtschaftsgebäude in mehr oder weniger großer Anzahl befanden, waren Zierflächen vorgesehen, deren klares Wege- und Achsensystem, Laubengänge und Wasserbecken, Bosketts und Irrgärten auf kleinstem Raum den Barockgarten nach französischem Muster klar zu erkennen geben. Gerade bei den kleineren Adelssitzen bildet die gestaltete Natur um das Herrenhaus herum ein Betätigungsfeld für das adlige Repräsentationsbedürfnis, das mit geringerem finanziellen Aufwand zu bewältigen war, als es etwa die architektonische Gestaltung des Hauses selbst erfordert hätte.
<27>
Die Frage, ob aus dem offensichtlich ausgeprägten Interesse des landsässigen Adels an der Gartengestaltung und Gartenarchitektur auch auf eine spezifische Haltung zur Natur im Allgemeinen geschlossen werden kann, bedarf noch intensiverer Forschung. Dafür spricht unter anderem der Umstand, dass die Adelsgüter immer auch Wirtschaftsgüter – landwirtschaftliche Betriebe – und wirtschaftliche Zentren eines Territoriums waren. Das Interesse an Natur, Landschaft und Landwirtschaft stellte somit eine wesentliche Voraussetzung für die Führung eines Adelsguts dar. Speicher, Scheunen, Remisen und Viehställe gruppierten sich um das Herrenhaus als Zentrum, und nicht selten waren die Häuser der zum Gut gehörenden Bauern oder auch das Haus des Verwalters in die Anlage einbezogen. Die Adelsgüter waren zu einem großen Teil Selbstversorger. Gemüse und Kräuter kamen aus dem Küchengarten, das Bier wurde in einem eigens dazu angelegten Brauhaus hergestellt. Die Taubenhäuser belegten das exklusive Speisenangebot des Adels. Für den Obstbedarf wurden Obstgärten angelegt, und bis ins frühe 19. Jahrhundert waren Obst und Gemüse dem adligen Speiseplan vorbehalten, im bäuerlichen Haushalt dagegen kaum zu finden. Obst, Früchte, Gemüse und Kräuter benötigte man im adligen Haushalt für die Zubereitung der aufwändigen Speisen und Menus, vor allem an den Festtagen. Zu dem in der Nähe von Melle (Osnabrück) gelegenen Gut Bruche gehörte um 1800 ein großer Nutzgarten, in dem sich Obstbäume, Weinstöcke, "ausländische Gehölze", viele Gemüsesorten und auch "ein Stück mit Erdbeeren" befanden, diese waren jedoch ausdrücklich "der Herrschaft vorbehalten". [27] Noch 1799 notierte ein Reisender im ehemaligen Niederstift Münster: "Hier ist ein Obstbaum eine große Seltenheit, und es ist unverzeihlich, dass die Menschen (...) sich so wenig um die Baumzucht bekümmern." [28] Obstbaumzucht schien in dieser Zeit noch einem ungeschriebenen Standesprivileg des Adels zu entsprechen. Die Kultivierung von Obst erfolgte nicht nur aufgrund seines Nutzwertes, sondern auch aus Prestigegründen. Dabei zeigten sich einige Adlige durchaus als Agrarpioniere, die Neuerungen in die Garten- wie auch Landschaftsplanung einbrachten, sei es durch den Ankauf und die Kultivierung neuer Obst- und Gemüsesorten, durch Einflussnahme auf die Modernisierung der Landwirtschaft oder die Anwendung neuer, ertragreicher Anbaumethoden. [29]
<28>
Ebenso kennzeichnet die relativ große Anzahl von Orangerien und Menagerien, die auch bei den kleineren Adelshäusern zu finden waren, das Interesse an der Natur. Im Garten des adligen Hauses Füchtel bei Vechta im Niederstift Münster gab es ein Spielhäuschen mit Zwiebeldach und bunten, in Blei gefassten Fensterscheiben aus den Jahren 1655 und 1677, die vorwiegend gemalte Wappen zeigten. Sing- und Ziervögel wurden gehalten, für die der Stammherr auf Füchtel, Caspar Franz von Elmendorff, 1751 aus sehr praktischen Gründen eine Volière bauen ließ – "von Eisendraht gantz herum und unten durch die Erde mit gelb meßing draht (...), weiln die Ratten unten aus dem Grund gekommen seyndt und die Vögel aufgefressen haben." [30]
<29>
In diesem Sinne ließe sich auch der Reisebericht des ostfriesischen Adligen Freiherrn Franz Heinrich von Fridag deuten. In den 1670er Jahren führte ihn eine Reise nach Paris, wo er zwar beeindruckt war von den "remarquabelsten" Straßen, Plätzen und Gebäuden, es aber für "zu weitläuffig" hielt, diese im Einzelnen zu beschreiben. Auf sehr viel mehr Interesse hingegen stieß die Menagerie in den Versailler Gärten. Ausführlich beschrieb er ein dort vorhandenes " haußlein mit allerhandt frembde gedierten umbgeben, welche von ein ander ordentlich gesepariret und auch sie sich leiden können, zusammen gefügt", listete die einzelnen Tierarten auf und legte auf den letzten Seiten seines Tagebuches noch ein kleines französisch-deutsches Wörterbuch an, in das er vor allem Vogelnamen mit ihren jeweiligen Bezeichnungen aufnahm. [31]
<30>
In den Orangerien wurden nicht nur Zitrusfrüchte gezogen, sondern auch exotische Hölzer und Kräuter- und Gemüsepflanzen, die den adligen Speiseplan bereicherten. In den überlieferten Inventaren von Orangerien findet sich ebenso eine überraschende Vielzahl an Blumensamen, [32] und dies korrespondiert mit der in adligen Kreisen sehr verbreiteten Kommunikation über und mit Hilfe von Pflanzen. Sie fand ihren Niederschlag nicht nur in den Gartenanlagen, sondern in der Einrichtung, in Briefen, Stammbüchern und den vielen privaten Dingen, mit denen persönliche Vorlieben und Passionen zum Ausdruck gebracht werden konnten.
<31>
Die Bedeutung des landsässigen Adels als kultureller Impulsgeber und kulturelles Leitbild für die Bevölkerung auf dem Lande und in den Kleinstädten lässt sich an vielen Sachzeugnissen nachweisen. Sehr genau wurde der Landadel auf seinen Gütern, in seinen Häusern, auf den Wegen und öffentlichen Plätzen von den Menschen in seiner Umgebung beobachtet, und sie versuchten, mit kleinen und kleinsten Gesten und Accessoires die sozialen Distanzen zu überwinden. Die Bauern im Niederstift Münster oder im Osnabrücker Land brachten schließlich nicht nur ihre Geld- und Naturalabgaben ins Haus des adligen Grundherrn, sondern holten für ihn im Rahmen ihrer Hand- und Spanndienste auch manches Fass mit gutem Bordeaux-Wein vom Hafen in Bremen ab. Als Lieferanten der exklusiven Konsumgüter – Austern, "Confect" oder parfümierten Handschuhen zum Beispiel – nahmen sie für einen Moment zumindest Teil an den Lebensformen ihrer Herrschaft. Aber inwieweit dies ihre eigene Identität zu prägen vermochte, ist eine der vielen noch offenen Fragen.
<32>
Nicht nur die Adligen wollten mit der Zeit gehen, sondern auch die Bauern in ihrer Umgebung, zumindest diejenigen, die es sich leisten konnten. An vielen Details auf Möbeln und Geschirr, an der Art und Weise zu feiern, am Kirchgang und auch im Umgang mit Kunst, Musik und Literatur ist das Bestreben bäuerlicher Oberschichten zu erkennen, die Kultur des Adels aufzugreifen und auch für sich in Anspruch zu nehmen. Der Bauer, der eines Tages nicht mehr mit dem Ackerwagen zum sonntäglichen Gottesdienst fuhr, sondern für sich und seine Familie eine Kutsche anschaffte und sie benutzte, der den Spazierstock für sich entdeckte und den versilberten Knauf, den er beim Edelmann sah, auch für sich anfertigen ließ, orientierte sich nicht am Bürgertum in den Städten, sondern fühlte sich seinem adligen Herrn in seinem ganzen Umfeld näher als den Stadtbewohnern. Sowohl in der Bau- wie in der Sachkultur lässt sich nachweisen, dass die "Innovationen im ländlichen Raum in der Regel oberschichtig vorgeformt und später erst bauernspezifisch adaptiert wurden." [33]
Abb. 13
<33>
Erwies sich der Adel in der Sachkultur als ein wichtiger Impulsgeber, so zeichnete viele Adlige auch ein ausgeprägtes Interesse an Bildung und die Aufgeschlossenheit gegenüber Modernem aus. Sie waren vielfach kosmopolitisch orientiert und nutzten ihre Stellung, Kontakte und Verbindungen, um innovatives Kulturgut auch in die Region zu tragen. In der Ausstattung der Kirchen und dem Stiftungsgut adliger Provenienz kam dieses Bestreben, das dem Selbstverständnis adligen Standes entsprach, in sichtbarer Weise zum Ausdruck. Adliges Mäzenatentum spielte im sakralen Raum eine besondere, quasi multifunktionale Rolle. Die Stiftung eines kostbaren Altarretabels für eine Stiftskirche beispielsweise brachte Vorteile für das eigene Seelenheil, war Teil der adligen Erinnerungskultur und stellte zudem eine Kulturstiftung im öffentlichen Raum dar. Die in vielen kleinen Dorfkirchen vorhandenen Kanzeln, Taufbecken, Orgeln, Altargeräte oder sonstigen Gegenstände waren zu einem nicht geringen Teil Stiftungen derjenigen adligen Familien, die als Patronatsherren einen besonderen Bezug zu einer Kirche oder Kapelle hatten. Sie festigten ihren Herrschaftsanspruch nicht nur durch die Besetzung von kirchlichen Ämtern und die Unterhaltung der Kirche, sondern auch durch die Ausstattung der Kirche mit kostbarem liturgischen Gerät. [34] Zur Kirchenausstattung gehörten ebenso die aufwändig gestalteten Kirchenstühle des Adels. Hier fanden sich neue Ziersysteme im Beschlagstil, neue Formen und Ornamente als Möbeldekore, die rasch Eingang fanden in das ländliche Handwerk und von den Schnitzer- und Tischlerwerkstätten übernommen wurden.
<34>
Abschließend kann festgehalten werden, dass die nordwestdeutschen Adelslandschaften durch ihre geographisch bedingte Abgeschlossenheit zwar zur Peripherie gezählt haben mochten, dass sie sich in sozial- und kulturgeschichtlicher Hinsicht hingegen keineswegs rückständig zeigten. Der landsässige Adel spielte dabei eine wichtige Rolle. Er war es, der sich schon früh durch seine weit reichenden Verbindungen aus dem regionalen Bezugsrahmen herauslöste und Innovationen von außen in seinen Herrschaftsbereich trug. Er war es, dessen Gespür für die Bedeutung von Bildung und Wissen sich schließlich auch auf die Menschen in seinem jeweiligen Herrschaftsbezirk auswirkte. Beispiele hierfür lassen sich etwa in den adligen Initiativen zugunsten des Schul- und Armenwesens nachweisen: Der ostfriesische Häuptling Unico Manninga stiftete 1584 in seinem Testament ein Legat zugunsten der Schule in seiner Herrlichkeit, da, so heißt es wörtlich, "ick vernehme, dat myne Underdanen mehr Lust und Willen, ehren Kindern etwas lehren tho laten, bekomen." [35]
<35>
War es das Ziel der ersten Projektphase, die Genese und Kulturgeschichte des Adels in den drei untersuchten Regionen zu erforschen und zur Anschauung zu bringen, so konzentriert sich das Folgeprojekt auf den Adel in seiner Funktion als politischer und herrschaftlicher Stand. Das Projekt umfasst zwei Teilbereiche. Zum einen geht es um den Adel als herrschaftlicher Stand. Zum anderen wird im Rahmen eines Dissertationsvorhaben von Olga Sommerfeld das politische Selbstverständnis einer Osnabrücker Adelsfamilie in der Zeit um 1800 in den Blick genommen.
<36>
Das Arbeitsvorhaben widmet sich den Grundlagen, Handlungsspielräumen und Grenzen adliger Herrschaftsausübung am Beispiel ausgewählter Familien des landsässigen Adels im Niederstift Münster und der Grafschaft Ostfriesland. Die Forschungen aus der ersten Projektphase haben gezeigt, dass bei aller Asymmetrie von Herrschaftsbeziehungen auch den Untertanen gewisse Handlungsspielräume offen standen und sie sehr wohl Einfluss auf die Herrschaftspraxis nehmen konnten. Diese Ergebnisse, welche die neueren Forschungen zur Ständegeschichte und zu den Funktionsweisen ländlicher Gesellschaften in der Frühen Neuzeit [36] in der Tendenz bestätigen, sollen nun vertieft und mit Substanz versehen werden. Adlige Herrschaftspraxis ergab sich nicht ausschließlich im eindimensionalen Umgang zwischen Grundherren und Untertanen, sondern war in einen vielschichtigen Kommunikationsprozess eingebunden. In diesem Kontext ist die Durchsetzung von herrschaftlicher Praxis zu sehen, die häufig konsensual erreicht wurde. In vielen Fällen von Herrschaftsausübung ist von einem Mindestmaß an Konsensfähigkeit und Kooperation der Untertanen auszugehen. Ein konsensualer Herrschaftsbegriff und dessen konstituierende Faktoren bilden daher für die weiteren Forschungen Schlüsselbegriffe. [37]
<37>
Grundlage zur Untersuchung der Kommunikationsprozesse zwischen Herrschaft und Untertanen ist die Positionierung der adligen Familien in sozialer, wirtschaftlicher, politischer und mentaler Hinsicht und deren Wandel. Erst dann kann die Wahrnehmung und Auslegung von Abhängigkeit in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht aus der Perspektive der Untertanen in den Blick genommen und die Ebenen und Formen eines jeweiligen Zugehörigkeitsgefühls und geteilter Wertvorstellungen herausgearbeitet werden.
<38>
Die beiden Untersuchungsregionen – das Niederstift Münster und Ostfriesland – wiesen eine Vielzahl von strukturellen Unterschieden auf. Zu untersuchen ist, ob diese Unterschiede Auswirkungen auf die Herrschaftspraxis und die Beziehungen zwischen Herrschenden und Untertanen hatten und welche Gemeinsamkeiten sich in der Ausübung und Wahrnehmung von Herrschaft ergaben, wenn diese weitgehend losgelöst von den politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen betrachtet wird.
Für beide Untersuchungsregionen stellen sich folgende zentrale Fragen:
<39>
In welchem Verhältnis standen grundherrschaftlicher Paternalismus und bäuerliche Strategien der Lebensführung zueinander und in welchem Ausmaß und Umfang kam eine konsensuale Herrschaft zum Tragen?
Und welcher Art war das Zugehörigkeitsgefühl zur Herrschaft in den ostfriesischen Herrlichkeiten – den kleinen Territorien, in denen einzelne Adlige herrschaftliche Befugnisse über freie Bauern besaßen –, und in den adligen Grundherrschaften mit ihren eigenbehörigen Bauern in den Münsterischen Territorien?
Die Vielzahl symbolischer Kommunikationsformen, wie sie vor allem im Adel verbreitet waren und sich in der materiellen Kultur ebenso wie in der sozialen Praxis manifestierten, fand ihren Niederschlag auch im Umgang mit Nicht-Adligen. Wie kamen sie zur Anwendung, wurden ihnen andere Kommunikationsformen entgegengesetzt, welche Formen der Kommunikation wurden von beiden Seiten praktiziert und bildeten damit die Grundlage der Konsensfindung? Die Untersuchung konzentriert sich auf die Bereiche 1. Haus und Gesinde, 2. Herrschaft über die Natur, 3. Adel und Kirchenraum.
<40>
Den adligen Familien diente das Recht auf Ausübung von Herrschaft zur eigenen Legitimation und Identitätsstiftung, wie aber sahen dies die Untertanen? Sich einer Herrschaft – ob Grundherrschaft oder Herrlichkeit – zugehörig zu fühlen, bedeutete nicht nur, Untertan zu sein, sondern zugleich auch Schutz, ein gewisses Maß an Stabilität und die Einbindung in ein – akzeptiertes – Herrschaftssystem. In diesem Kontext bekommt die Frage nach der Identitätsstiftung durch Herrschaft ein besonderes Gewicht.
Projekt 2: Adel und Generationen um 1800.
Das politische Selbstverständnis der Osnabrücker Adelsfamilie von Vincke (Olga Sommerfeld)
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Die evangelische Familie von Vincke gehört zum westfälischen Uradel und hat ihren Stammsitz seit dem 13. Jahrhundert bis in die heutige Zeit auf dem Gut Ostenwalde im Osnabrücker Land. Ernst Idel Jobst von Vincke (1738-1813) nahm als Adjutant des Herzogs Ferdinand von Braunschweig am Siebenjährigen Krieg teil, quittierte 1759 jedoch den Militärdienst, um die Präbende des Domdechanten in Minden zu übernehmen. Diese Position sicherte ihm nicht nur das gesellschaftliche Ansehen in seiner neuen Wahlheimat, sondern verschaffte ihm den Zugang zum Landtag in Minden, an dem er bis zu seinem Schlaganfall 1810 aktiv teilnahm. Als Domdechant zu Minden machte er Bekanntschaft mit dem preußischen König Friedrich II., der Ernst von Vincke in den Jahren 1767 bis 1769 als Gesandten an den dänischen Hof nach Kopenhagen schickte.
<42>
Sein Sohn Ludwig von Vincke (1774-1844) erlebte eine außergewöhnliche politische Karriere. In den Jahren 1803-1806 war er Präsident der Kriegs- und Domänenkammer zunächst in Aurich und dann in Hamm und Münster. Während der französischen Besatzungszeit, aber auch danach setzte er sich verstärkt für seine Heimatregion Westfalen ein und wurde 1813 zum Zivilgouverneur zwischen Rhein und Weser ernannt, bevor er 1815 ins Amt des ersten Oberpräsidenten der preußischen Provinz Westfalen berufen wurde. In diesem Amt blieb er fast dreißig Jahre bis zu seinem Tod tätig.
<43>
In der historischen Forschung stieß bisher nur Ludwig von Vincke als Staatsbeamter auf großes Interesse, während das Leben von anderen Mitgliedern der Familie, darunter auch Ernst von Vincke, völlig unerforscht blieb. [38] Die Untersuchungen zu Ludwig von Vincke ordnen ihn in die Reihen der 'bürgerlichen' Adeligen ein, während sein Vater als Repräsentant eines frühneuzeitlichen Ständebewusstseins charakterisiert wird. Diese Forschungsmeinung bildet den Ausgangspunkt für das Projekt, in dem die durch die Forschungsliteratur erzeugten Kategorisierungen hinterfragt werden. Dabei sollen die Unterschiede und die Übereinstimmungen im politischen Selbstverständnis von Ernst und Ludwig von Vincke nicht mit den bisherigen sozialen Zuschreibungen untersucht, sondern als Phänomen der Generationenproblematik betrachtet werden.
<44>
Das zentrale Untersuchungskonzept 'Generation' blieb bisher von der Adelsforschung weitestgehend unbeachtet. Dabei eröffnet es gerade für den Untersuchungszeitraum neue Deutungspotenziale für die Erforschung dieses Standes, weil in der Zeit um 1800 ein Generationendiskurs entsteht, der zum ersten Mal die Vater-Sohn-Beziehung diskutiert und überhaupt erst das Alter, die Familie und das Zusammenleben von den älteren und jüngeren Generationen thematisiert. [39]
<45>
Die neue Kulturgeschichte versteht darunter "ein Ensemble von altersspezifischen inhaltlichen Zuschreibungen, mittels derer sich Menschen in ihrer jeweiligen Epoche verorten" [40] oder verortet werden. Die Möglichkeiten des Generationenbegriffs liegen darin, dass Generation terminologisch nicht klar eingegrenzt werden kann, sondern dass sie die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschreibt. Daher erlaubt sie eine Verbindung zwischen scheinbar generationell getrennten Phänomenen und Ebenen, wie beispielsweise politisches Selbstverständnis. Da dieser Komplex erst seit den letzten Jahren konzeptionell und methodisch entwickelt wird, fehlen noch historische Detailstudien, die sich dem Phänomen 'Generation' in der Zeit um 1800 und früher nähern. Hier setzt die Promotionsstudie an, um die bisher theoretisch entwickelten Ansätze an einem konkreten Beispiel zu überprüfen und einen Beitrag zu der historischen Generationenforschung zu leisten.
<46>
Die weiteren deutungsrelevanten Konzepte für diese Studien 'Elite' und 'Adeligkeit' spielen eine untergeordnete Rolle in der Studie. [41] Das Konzept 'Elite' ermöglicht genauso wie das der 'Generation' eine Distanzierung von ständischen Zuordnungen, die den Blick auf zwischenständische Beziehungen und Einflüsse verdecken. Das Konzept der 'Adeligkeit' umfasst die Entwicklung von neuen statuserhaltenden und statusschaffenden Strategien durch den Adel, um den Anforderungen des 19. Jahrhunderts gerecht zu werden. Da das Verständnis von Adel und Bürgertum der generationellen Auffassung ihrer Zeitgenossen unterworfen war, gilt es für diese Studie, die Adelsforschung anhand der Generationengeschichte zu betreiben.
<47>
Die methodischen Grundlagen der Untersuchung basieren auf denen der Mentalitäts- und Erfahrungsgeschichte, in deren Zentrum das Individuum als Untersuchungsgegenstand steht. Die Auswahl der Quellen baut hauptsächlich auf freiwillig und unfreiwillig entstandene Selbstzeugnisse von Vater und Sohn, die qualitativ ausgewertet werden sollen. Die darin zum Ausdruck kommenden Selbstreflexionen von Ernst und Ludwig von Vincke bilden den zentralen Zugang zur Beantwortung der gestellten Fragen.
<48>
Im Zentrum des Projekts steht die Selbstverortung der Protagonisten.
Das politische Selbstverständnis von Vater und Sohn bezieht sich auf die Position in einem sozialen Ordnungsgefüge und auf die Teilhabe an der Aufrechterhaltung dieser Ordnung durch Gesetze und Verordnungen sowie ihrer Durchsetzung. Die Zugehörigkeit zum Adel als einer politisch partizipierenden Gruppe ist für das politische Selbstverständnis seiner Mitglieder konstitutiv, so auch für Ernst und Ludwig von Vincke. Hier soll zunächst nach Aspekten und Faktoren gefragt werden, die das politische Selbstverständnis der beiden bestimmten. Darüber hinaus sollen auch die Orientierungsmuster herausgearbeitet werden, welche die Protagonisten in ihrem politischen Handeln motivierten und leiteten.
<49>
Im Anschluss daran sollen mit Hilfe der erzielten Ergebnisse die Hintergründe der Konflikte zwischen Vater und Sohn analysiert werden. Es zeichnet sich bereits bei der ersten Lektüre der Briefe und Tagebücher ab, dass eher ein generationell bedingter Konflikt anzunehmen ist als eine ständische Differenzierung zwischen Vater und Sohn. Wo aber verlaufen in diesem Zusammenhang die Hauptlinien des Generationenkonflikts? Welche Strategien entwickeln Vater und Sohn für seine Bewältigung? Wo zeigt sich im Verhältnis zum Vater, dass Ludwig von Vincke ein Vertreter einer neuen Adelsgeneration ist, die zwar tradierten Vorstellungen verbunden ist, gleichwohl ein durch die gesellschaftlichen Veränderungen um 1800 bedingtes modifiziertes Adelsverständnis propagiert?
Die Dauerausstellung "Adel auf dem Lande" im Niedersächsischen Freilichtmuseum – Museumsdorf Cloppenburg (Heike Düselder)
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Das Haus Arkenstede im Niedersächsischen Freilichtmuseum Museumsdorf Cloppenburg gehört zu den ältesten Gebäuden innerhalb des Museums. Ursprünglich in der Nähe von Quakenbrück im Grenzgebiet zwischen den Territorien Münster und Osnabrück gelegen, diente es mindestens seit dem Ende des 17. Jahrhunderts als adliger Frauen- und Witwensitz. Seit September 2004 zeigt das Museumsdorf im Haus Arkenstede die neue Dauerausstellung zur Kulturgeschichte des Adels in Nordwestdeutschland in der Frühen Neuzeit. Die Ausstellungsfläche verteilt sich auf die sechs Räume des Hauses, das selbst größtes Exponat ist. Architektur und Wohnen, Traditionen und Privilegien, Kultur und Bildung, Religiosität und Frömmigkeit, Privates und Persönliches und die Berührungswelten des Adels mit der übrigen Bevölkerung, das tägliche Sich-Wahrnehmen und Begutachten und deren Folgewirkungen, bilden die Themen dieser ersten, kulturgeschichtlich ausgerichteten Ausstellung zum Adel auf dem Lande. Die Ausstellung ist als Dauerausstellung konzipiert, in die wechselnde Schwerpunkte eingebaut werden sollen, um so den Adel zwischen Weser und Ems in der ganzen Vielfalt der mit seinem Stand verbundenen Aspekte und Themen langfristig und nachhaltig zu erforschen und zu dokumentieren.
Einblicke in eine Ausstellung und ihre herausragenden Exponate:
Abb. 14-22
Workshop "Frühneuzeitliche Adelsforschung in Niedersachsen und angrenzenden Regionen" am 8. Oktober 2005 in Osnabrück
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Wie breit das thematische Spektrum der Forschungen zum Adel in nordwestdeutschen Territorien bereits ist, hat ein Workshop zur "Adelsforschung in Niedersachsen und angrenzenden Regionen" deutlich gemacht, der am 8. Oktober 2005 in Osnabrück vom Fach Geschichte der Frühen Neuzeit initiiert und veranstaltet wurde. Historiker, Kunsthistoriker und Volkskundler, WissenschaftlerInnen von Universitäten, Museen und Archiven trafen sich zu einem Austausch über aktuelle Forschungsvorhaben zum Adel in Nordwestdeutschland und angrenzenden Territorien, zu denen auch die Niederlande gehören. Gerade wegen der vielfältigen Verbindungen adliger Familien in die Niederlande waren die Fragen und Perspektiven der Adelsforschung in den Niederlanden von besonderem Interesse.
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Heike Düselder gab zu Beginn einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung zum niedersächsischen Adel und skizzierte die Schwerpunkte der jüngst erschienenen Untersuchungen. Redmer Alma, Historiker und Vorsitzender der Stichting Werkgroep Adelsgeschiedenis, berichtete über die Adelsforschung in den Niederlanden, die sich wegen des hier fehlenden Hochadels so gut wie ausschließlich auf den niederen Adel konzentriert. Bis in die 1980er-Jahre entstanden zahlreiche prosopographische Arbeiten, ebenso sind einzelne Ritterschaften untersucht worden. Als ein wichtiges Ziel für die laufenden und projektierten Vorhaben zur Adelsgeschichte wird die Verflechtung verschiedener Disziplinen – Geschichte, Kunstgeschichte, Baugeschichte – angesehen. Die Werkgroep Adelsgeschiedenis widmet sich seit einigen Jahren verstärkt dem adeligen Selbstverständnis und versucht, Adelskultur "von innen heraus" zu erforschen. Die betrifft auch einen neuen Zweig der Adelsforschung, der sich auf das 19. und 20. Jahrhundert konzentriert und in diesem Kontext nicht primär nach der politischen und ökonomischen Bedeutung des Adels fragt, sondern nach der Adelskultur und dem adligen Selbstverständnis. [42]
Im Verlauf des Workshops wurden laufende Arbeitsvorhaben zum Thema Adel und Ökonomie, Adel und Landesherrschaft sowie Orientierungen und Selbstverständnis des Adels in der Frühen Neuzeit vorgestellt. Die Beiträge im Einzelnen:
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Gerd van den Heuvel, Hannover, sprach über "Grundherr, Bauer, Territorialstaat: Die Freiheit Gesmold im späten 18. Jahrhundert". Die Freiheit Gesmold nahm unter den adligen Gütern des Fürstbistums Osnabrück eine Sonderstellung ein. Aufgrund der mit dem Gut verbundenen Hoheitsrechte beanspruchten die Mitglieder der adligen Familie von Hammerstein eine weitgehend autonome Stellung gegenüber der Landesherrschaft und gleichzeitig Herrschaftsgewalt über ihre Untertanen, die eigenbehörigen Bauern des Freien Hagen. Folge dieses konfliktreichen Dreiecksverhältnisses von Grundherr, Bauer und Staat waren nicht nur zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen, sondern auch Bauerunruhen, die zur Zeit der Französischen Revolution eskalierten.
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Sonja Michaels, Osnabrück, stellte ihr Promotionsvorhaben zum Thema "Bauen, Wohnen, Leben auf der Burg Dinklage", eine volkskundliche Untersuchen in mikrohistorischer Perspektive vor. Dinklage war eine Herrlichkeit, die sich seit 1664 im Besitz der Familie von Galen befand und eine eigenständige Verwaltung und Gerichtsbarkeit besaß. Die Untersuchung zum Leben auf der Burg Dinklage wertet u.a. einen beinahe lückenlosen Bestand an Rechnungsbüchern aus der Zeit zwischen 1674/75 und dem späten 19. Jahrhundert sowie Ausgaberegister, Küchenzettel, die Notiz- und Quittungsbücher der Dienstboten und dergleichen mehr aus. Im Zentrum der Untersuchung steht zum einen die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen Herrschaft und den direkt auf der Burg lebenden Hausangestellten, zum anderen die Untersuchung historischer Bauakten, um daraus Erkenntnisse zur Rekonstruktion der Raumfolge und Raumfunktionen zu gewinnen.
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Nicolaus Rügge, Osnabrück, gab einen Überblick zur Entwicklung der Adelsgüter in Lippe, einer Adelslandschaft, deren Ursprünge erst im 16. und frühen 17. Jahrhundert lagen. Die meisten Gutshöfe und Eigenbetriebe entwickelten sich relativ spät aus bisherigen bäuerlichen Kolonaten und erreichten nur einen begrenzten Umfang an Land und Rechten. Ein förmliches Aufschwörungsverfahren und die Entwicklung des "landtagsfähigen Guts" als Rechtsbegriff konsolidierten sich erst im 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert schließlich erlebten viele Adelsgüter in Lippe im Zuge der Agrarkonjunktur und -reformen eine Prosperität, die der Kompensation des allmählichen Privilegienverlustes diente. Dabei bildete sich eine adlig-bürgerlich-großbäuerliche agrarische Oberschicht mit gemeinsamer Interessenwahrnehmung heraus.
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Maren Siems, Jever, befasste sich mit den Funktionen von fürstlichen Porträts im Kontext von Herrschaftspraxis am Beispiel der kürzlich umfangreich restaurierten und rekonstruierten Ahnengalerie im Schloss Jever. Die kleine Herrschaft Jever wurde im 17. und 18. Jahrhundert von den "fernen Fürsten" aus Anhalt-Zerbst regiert. Sie war eine Nebenresidenz, hatte jedoch eine starke symbolhafte Bedeutung im Kontext von Herrschaftspraxis und Repräsentation. Die Ahnengalerie im Schloss wurde unter der Regentschaft des Oldenburger Herzogs Paul Friedrich August zwischen 1838 und 1840 angelegt mit dem Ziel, in Jever eine vollständige Abfolge der Porträts der Regenten zu zeigen. Dauer und Kontinuität der Dynastie wurden hier sinnfällig zur Schau gestellt. Dabei wurde auf eine legitime Erbfolge verwiesen. Die Ahnengalerie gewann damit eine besondere Bedeutung und Gedächtnisfunktion als Vergegenwärtigung der dargestellten Fürsten.
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Der Beitrag von Jessica Cronshagen, Osnabrück, widmete sich den Beziehungen zwischen dem ostfriesischen Adel und Friedrich dem Großen, dem neuen Landesherrn, der 1744 nach dem Aussterben des ostfriesischen Grafengeschlechts der Cirksena die Herrschaft übernommen hatte. Sie stellte die Frage nach den preußischen Integrationsmaßnahmen auf der einen und der Integrationsbereitschaft des Adels auf der anderen Seite. Hierbei zeigte sich, dass die preußische Regierung um eine möglichst einvernehmliche Zusammenarbeit mit dem Adel bemüht war. In Ostfriesland blieben die preußischen Ambitionen zur Schaffung eines vereinheitlichten Untertanenverbands indes begrenzt. Dies resultierte nicht zuletzt aus der traditionell starken Stellung der Stände und dem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis des ostfriesischen Adels.
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Um Orientierungen und das Selbstverständnis des Adels ging es auch bei den Kurzvorträgen im dritten Teil des Workshops. Britta Spies aus Münster stellte am Beispiel des Tagebuchs einer fränkischen Adligen, Caroline von Lindenfels (1774-1850), die Möglichkeiten der Konstruktion und Rekonstruktion adeliger Lebenswelten vor. Bereits im Alter von 16 Jahren begann die Offizierstochter Tagebuch zu schreiben und führte dies bis kurz vor ihrem Tod ununterbrochen weiter. Lohnenswert für eine intensive Mikroanalyse erscheint das Tagebuch wegen des Umfangs (etwas 5.000 Folio-Seiten), des Entstehungszeitraums und der vielfältigen Kontakte, die die Protagonistin in ihrer Zeit pflegte. Neben dem Leben einer Kleinadeligen mit all seinen Alltagsaspekten steht auch das "Erleben", die Reflexionen und die Selbststilisierung der Autorin im Zentrum der Untersuchung.
Im Anschluss daran stellte Olga Sommerfeld ihr kürzlich begonnenes Dissertationsvorhaben zum politischen Selbstverständnis der Osnabrücker Adelsfamilie von Vincke vor (siehe dazu oben die Abschnitte).
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Mit der Frage nach "Regionaler contra konfessioneller Identität des Osnabrücker Adels am Ende des 18. Jahrhunderts" beschäftigte sich Benedikt Holz aus Osnabrück. Die Regelungen des Westfälischen Friedens hatten für das Hochstift Osnabrück einen Zustand der paritätischen Bikonfessionalität festgeschrieben. Während sich den katholischen Adelsfamilien im Domkapitel zu Osnabrück eine gute Versorgungsmöglichkeit für die nachgeborenen Söhne bot, waren Militär und landesherrliche Dienste die ersten Optionen für die evangelischen Adelsfamilien. Für das 18. Jahrhundert ist festzuhalten, dass weder die wechselnde Landesherrschaft noch die ständischen Institutionen aufgrund der konfessionellen Spaltung in der Lage waren, eine gemeinsame regionale Identität zu befördern. Das Konfessionelle blieb hier auch nach dem Westfälischen Frieden – vielleicht sogar mehr als vor dem – bestimmend für das Selbstverständnis der Osnabrücker Adelsfamilien.
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Schließlich stellte Dorothea Nolde aus Bremen ihr Forschungsvorhaben zum Thema "Adelige Reisende und adelige Gastegeber als Akteure des Kulturkontaktes im frühneuzeitlichen Europa" vor. Ihr Beitrag, der auf der Auswertung von deutsch- und französischsprachigen Reisezeugnissen basiert, brachte in besonderer Weise die Außenorientierungen des Adels und die damit in engem Zusammenhang stehenden Fremdheitserfahrungen zum Ausdruck. Reisende Adelige bewegten sich keineswegs nur in der Adelswelt, sondern waren wie andere Reisende von Fremdheitserfahrungen betroffen. Die Frage, nach welchen Kategorien kulturelle Grenzen und Grenzerfahrungen konstituiert werden, ist hier von zentraler Bedeutung.
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Die intensiven Diskussionen im Anschluss an die Vorträge haben verschiedene Perspektiven künftiger Adelsforschung eröffnet. Zum einen ist deutlich geworden, dass Grundlagenforschung, die mikrohistorische Erforschung einzelner Adelsgüter "vom Keller bis zum Dachboden" nach wie vor eine wichtige Basis bildet, um Adelslandschaften erfassen zu können. Dabei sollten auch die subjektiven Dispositionen und Interessenlagen einzelner Adliger im Familienverbund nicht aus dem Blick geraten. Gerade für die Adelsgüter in den nordwestdeutschen Territorien, die zu einem nicht geringen Teil seit dem 18. Jahrhundert veräußert werden und in bürgerlichen Besitz gerieten, stellt sich die Frage nach dem Umgang der bürgerlichen Gutsbesitzer mit ihrem Besitz und den daran hängenden Rechten. Diese Aspekte bilden auch für die niederländische Adelsforschung einen wichtigen Ansatzpunkt. Mit Blick auf das 19. Jahrhundert sind die Regenerationsleistungen des Adels, die häufig über die Landwirtschaft liefen, von besonderem Interesse. Die generelle Frage nach den raumprägenden Faktoren adeliger Existenz und Lebensformen wurde im Verlauf des Workshops immer wieder thematisiert, wobei jedoch auch Konsens darüber herrschte, dass der Adel an der Peripherie vor allem in seinen raumübergreifenden Funktionen und Bewegungen stärkere Berücksichtigung erfahren sollte.
Abbildung 1
Das Haus Arkenstede im Freilichtmuseum Museumsdorf Cloppenburg, Präsentationsort der neuen Dauerausstellung "Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems, 16. – 18. Jahrhundert".
Der ehemalige Ministerialensitz lag ursprünglich auf dem Grenzgebiet zwischen dem Niederstift Münster und dem Fürstbistum Osnabrück. Das Gebäude wurde in der jetzigen Form 1684 von Otto Kaspar von Kobrinck und Agnes Sophie von Bar als Witwensitz für die Frauen der Familie von Bar angelegt.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 2
Adelssitze im Fürstbistum Osnabrück in der Frühen Neuzeit.
Karte erstellt von Dietrich Hagen, Universität Oldenburg.
Abbildung 3
Kirchenstuhl der adligen Familien von Voss und von Dumpstorf mit barocker Wappenbekrönung und Allianzwappen aus der evangelischen Sylvesterkirche in Quakenbrück. Die Teile stammen aus verschiedenen Epochen, der untere Teil aus dem 16. Jh., die Wappenbekrönung ist auf das Jahr 1718 datiert. Mit dem Konfessionswechsel der Familie zum katholischen Glauben wurde auch der Kirchenstuhl Anfang des 18. Jahrhunderts in die katholische St. Marien-Kirche umgesetzt.
Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 4
Aufschwörungstafel für die Osnabrücker Adelige Wilhelmine de Baer (Bar) zum Nachweis der adligen Abstammung bis in die vierte Generation als Voraussetzung für die Aufnahme in das evangelische Stift Börstel, frühes 18. Jahrhundert.
Stift Börstel, Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 5
Rüstung für die Kavallerie aus dem Besitz einer Osnabrücker Adelsfamilie, 1. Hälfte 17. Jahrhundert.
Kreismuseum Bersenbrück, Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 6
Häuptling in höfischer Tracht, aus dem 1561 begonnenen Hausbuch des Unico Manninga, Häuptling zu Lütetsburg. Das Hausbuch enthält chronikalische Aufzeichnungen, Testamente, Rezepte und Darstellungen von Kleidung und Schmuck der Adligen wie auch der bäuerlichen Bevölkerung.
Privatbesitz, Foto Soltau-Kurier-Norden.
Abbildung 7
Grabmal der niederländischen Adeligen Anna von Ewsum und ihren beiden Ehegatten, die aus der ostfriesischen Adelsfamilie zu Inn-und Knyphausen auf Lütetsburg stammten, in der Kirche in Midwolde bei Groningen (Niederlande). Das Grabmal aus schwarzem und weißem Marmor wurde von einem der bekanntesten niederländischen Bildhauer der Zeit, Rombould Verhulst, 1669 geschaffen.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 8
Das Detail aus dem Grabmal zeigt die adlige Auftraggeberin, Anna von Ewsum, als Trauernde - tief dekolletiert und im Nachgewand - über ihrem verstorbenen Gatten Carl Hieronymus zu Inn- und Knyphausen. Mit diesem Grabmal schuf sie ihr Ebenbild in unvergänglicher Jugend und konnte sich als Stifterin und Mäzenin eines der Hauptwerke der nordniederländischen Barockplastik rühmen.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 9
Grundriss des Häuptlingssitzes Schloss Lütetsburg bei Norden in Ostfriesland, Erdgeschoss, 17. Jahrhundert.
Nds. Staatsarchiv Aurich.
Abbildung 10
Grundriss des Häuptlingssitzes Schloss Lütetsburg bei Norden in Ostfriesland, Obergeschoss, 17. Jahrhundert.
Nds. Staatsarchiv Aurich.
Abbildung 11
Vorlage für Spiegelrahmen und Tische, Jean Le Pautre, Livre de Miroirs, Tables et Gueridons, Nachdruck um 1700.
Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 12
Vorlage für den Grundriss eines Gartens mit Springbrunnen, um 1710.
Diese Stichvorlage stammt aus einem Konvolut von rund 90 Blättern, die ein Osnabrücker Adliger im 18. Jahrhundert ankaufte, eigenhändig zusammen nähte, um daraus Ideen für die Gestaltung seiner Gestaltung zu schöpfen oder einfach auch nur "abzukupfern".
Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 13
Zuckerstreuer aus Silber mit dem Allianzwappen der adligen Familien von Dorgelo und von Schele aus der Werkstatt des Quakenbrücker Meisters Bockstöver um 1750 und ein ähnlich gearbeitetes, die Formensprache aufgreifendes Stück aus Zinn aus bäuerlichem Besitz – ein Zeichen für den sozialen Kulturtransfer in der Region.
Silberner Zuckerstreuer, Stadtmuseum Quakenbrück.
Zuckerstreuer aus Zinn, Museumsdorf Cloppenburg.
Fotos Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 14
Blick in die Abteilung "Adelssitze und Herrenhäuser" in der Adels-Ausstellung im Haus Arkenstede.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 15
Blick in die Abteilung "Erziehung und Bildung" in der Adels-Ausstellung im Haus Arkenstede.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 16
Blick in die Abteilung "Traditionen und Privilegien" in der Adels-Ausstellung im Haus Arkenstede.
Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 17
Blick in die Abteilung "Privatheit und Persönlichkeit" in der Adels-Ausstellung im Haus Arkenstede; in der Vitrine Liebesbriefe aus einer adligen Romanze im 18. Jahrhundert.
Abbildung 18
Kostümzeichnung aus dem Album Amicorum des niederländischen Studenten Cornelius van der Myle, Sohn Adriaans van der Myle, der als Präsident des Hofes von Holland zum engsten Kreis um Wilhelm von Oranien gehörte. Das seit 1594 geführte Album enthält 162 Eintragungen aus Leiden, Heidelberg, Genf, Saumur, Toulouse, Den Haag und Amsterdam. In dieses Album trugen sich auch die Söhne ostfriesischer Adelsfamilien während ihres Aufenthalts in Genf mit kostbaren Kostümzeichnungen ein.
Johannes a Lasco Bibliothek Emden.
Abbildung 19
Reisenécessaire mit Flakons und einem Glas aus dem Besitz einer Osnabrücker Adelsfamilie.
Privatbesitz, Foto Museumsdorf Cloppenburg.
Abbildung 20
Porträt des Kindes Almuth von Diepholt, Tochter des ostfriesischen Häuptlings Folkmar von Diepholt und Susanna Meckema, 1622, unbekannter Künstler.
Groninger Museum, Foto Groninger Museum.
Abbildung 21
Ailt Beninga, Probst zu Hinte und Häuptling zu Grimersum, Wirdum und Jennelt, gest. 1483. Das Holztafelbild gilt als die älteste Abbildung eines Adeligen in Ostfriesland.
Landkreis Leer, Foto Landkreis Leer.
Abbildung 22
Schloss Gesmold im Fürstbistum Osnabrück. Der älteste Teil der Schlossanlage ist der Wehr- und Wohnturm. Das Wohnhaus wurde in den Jahren 1544-1549 angebaut. Ihre heutige, annähernd symmetrische, rechteckige Form erhielt die Anlage im frühen 18. Jahrhundert.
Aquarell von Carl Ludwig Alpers, 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück / Felix Nussbaum-Haus.
Dr. Heike Düselder
Universität Osnabrück
FB 2; Geschichte der Frühen Neuzeit
Neuer Graben 19/21
49069 Osnabrück
projektadel.museumsdorf@ewetel.net
Olga Sommerfeld, M.A.
Universität Osnabrück
FB 2; Geschichte der Frühen Neuzeit
Neuer Graben 19/21
49069 Osnabrück
olga.sommerfeld@uni-osnabrueck.de
[1] Karl Heinrich Kaufhold: Städtische Bevölkerungs- und Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit, in: Christine van den Heuvel / Manfred von Boetticher (Hg.): Geschichte Niedersachsens, Band 3/1: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 36), Hannover 1998, 733-842, hier: 777.
[2] Der Forschungsüberblick beschränkt sich auf die Nennung neuerer Monographien und Sammelbände, die zentrale Aspekte der Adelsforschung im nordwestdeutschen Raum behandeln.
[3] Brage Bei der Wieden (Hg.): Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte, Band I: 1500-1806 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 216), Hannover 2004.
[4] Grundlegend hierzu u.a. Alexander Dylong: Das Hildesheimer Domkapitel im 18. Jahrhundert (= Quellen und Studien zur Geschichte des Bistums Hildesheim 4), Hannover 1997, sowie für Osnabrück: Christian Hoffmann: Ritterschaftlicher Adel im geistlichen Fürstentum. Die Familie von Bar und das Hochstift Osnabrück. Landständewesen, Kirche und Fürstenhof als Komponenten der adligen Lebenswelt im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung 1500-1651 (= Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen 39), Osnabrück 1996.
[5] Silke Lesemann / Annette von Stieglitz (Hg.): Stand und Repräsentation. Kultur- und Sozialgeschichte des hannoverschen Adels vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (= Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte 17), Bielefeld 2004.
[6] Wolfgang Petri: Fräulein Maria von Jever. Studien zur Persönlichkeit und Herrschaftspraxis (= Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 73), Aurich 1994; Heiko Ebbel-Janssen: Gräfin Anna von Ostfriesland – eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540/42-1575). Ein Beitrag zu den Anfängen der reformierten Konfessionalisierung im Reich, Münster 1998; Anke Hufschmidt: Adlige Frauen im Weserraum zwischen 1570 und 1700. Status – Rollen – Lebenspraxis (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 22 A), Münster 2001; aufschlussreich ist auch die Arbeit von Armgard Reden-Dohna: Die Rittersitze des vormaligen Fürstentums Hildesheim, Göttingen (2. Aufl.) 1996.
[7] Brage Bei der Wieden: Außenwelt und Anschauungen Ludolf von Münchhausens (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 32), Hannover 1993.
[8] Marcus Weidner: Landadel in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürstenhof, 2 Bde., Bd. 1, Münster 2000, 345.
[9] Auf die "Janusköpfigkeit von adligen Existenzen" im Zusammenhang mit dem aus dieser Bevölkerungsgruppe überlieferten reichhaltigen Quellenmaterial verweisen ausdrücklich Eckart Conze / Monika Wienfort: Einleitung. Themen und Perspektiven historischer Adelsforschung zum 19. und 20. Jahrhundert, in: dies. (Hg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2004, 1-16, hier: 8.
[10] Vgl. Jan Klußmann: Lebenswelten und Identitäten adliger Gutsuntertanen. Das Beispiel des östlichen Schleswig-Holstein im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2002.
[11] Uwe Meiners. Vorwort, in: Heike Düselder (Hg.): Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems 16. bis 18. Jahrhundert, Cloppenburg 2004, 7-9, hier: 7.
[12] Vgl. Andreas Ludwig Veit: Der stiftsmäßige deutsche Adel im Spiegel seiner Ahnenproben, Freiburg 1935, sowie Weidner, Landadel (wie Anm. 8), Bd. 1, 146-156.
[13] Heinz Reif: Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979; ders.: Väterliche Gewalt und "kindliche Narrheit". Familienkonflikte im katholischen Adel Westfalens vor der Französischen Revolution, in: ders. (Hg.): Die Familie in der Geschichte, Göttingen 1982, 82-113; vgl. auch Christoph Reinders-Düselder: Ständische Gesellschaft und "niedere Volksclassen". Zur sozialen Ungleichheit im Niederstift Münster um 1800, in: Ernst Hinrichs / Klaus Saul / Heinrich Schmidt (Hg.): Zwischen ständischer Gesellschaft und "Volksgemeinschaft". Beiträge zur norddeutschen Regionalgeschichte seit 1750, Oldenburg 1993, 31-53.
[14] Ausführlich hierzu: Hoffmann: Ritterschaftlicher Adel (wie Anm. 4).
[15] Vgl. Ronald G. Asch, "Wie die Fledermäuse"? Die Osnabrücker Ritterschaft im 18. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahrbuch 75 (2003), 161-184.
[16] Vgl. Johannes Frhr. von Boeselager, Die Osnabrücker Domherren im 18. Jahrhundert (= Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen 28), Osnabrück 1990.
[17] Ausführlich dazu: Hajo van Lengen: Geschichte des Emsigerlandes vom frühen 13. bis zum späten 15. Jahrhundert, Teil 1 und 2, Aurich 1973 und 1976.
[18] Heinrich Schmidt: Häuptlingsmacht, Freiheitsideologie und bäuerliche Sozialstruktur im spätmittelalterlichen Friesland, in: Kurt Andermann / Peter Johanek (Hg.): Zwischen Nicht-Adel und Adel, Stuttgart 2001, 285-309.
[19] Vgl. Bernd Kappelhoff: Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft? Landesherr und Landstände in Ostfriesland im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, Hildesheim 1982, sowie Hajo van Lengen: Politische Partizipation und frühmoderner Staat. Ostfriesland vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Hajo van Lengen (Hg.), Collectanea Frisica. Beiträge zur historischen Landeskunde Ostfrieslands, Aurich 1995, 267-290. Zum Hofleben in Aurich in der Zeit der letzten einheimischen Fürsten in Ostfriesland siehe die Arbeit von Martin Jhering: Hofleben in Ostfriesland. Die Fürstenresidenz Aurich im Jahre 1728 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 223), Hannover 2005.
[20] Niedersächsisches Staatsarchiv Oldenburg, Best. 272-17 Nr. 806 a.
[21] Vgl. Freerk J. Weldmann: Hermannus Collenius 1650-1723, Zwolle 1997, sowie Egge Knol: Gouden Eeuw in Groningen, Groningen 1997, 21.
[22] Ingeborg Nöldeke: Ein Altar im Zimmer des Priors gegenüber der Neuen Kirche. Neue Erkenntnisse über Bewohner und Inneneinrichtung des Gödenser Hauses am Ende des 17. Jahrhunderts, in: Emder Jahrbuch 73/74 (1993/1994), 72-98.
[23] Heike Düselder: Kultur und Herrschaft des Adels in der Frühen Neuzeit, in: dies., Adel (wie Anm. 11), 15-178, hier: 137-141.
[24] Erich von Reeken, Die Bibliothek der Häuptlinge von Oldersum im 16. Jahrhundert, in: Emder Jahrbuch 66 (1986), 112-119.
[25] Ausführlich dazu Martin Tielke: Bücherausverkauf in Ostfriesland. Auktionskataloge als kulturgeschichtliche Quelle, in: Emder Jahrbuch 75 (1995), 32-54.
[26] Ebd., 35.
[27] Zitiert nach Silke Krabbenschmidt / Anke Tebben: Typologie historischer Gartenanlagen im Oldenburger und Osnabrücker Land, Diplomarbeit (ungedr.), Osnabrück 2000, 67.
[28] Zitiert nach Hermann Kaiser: Gutshaus, Park und Straßenbäume – Entstehung und Verbreitung der Obstbaumkultur zwischen Weser und Ems 1750 bis heute, in: ders. (Hg.) Bauerngärten zwischen Weser und Ems, Cloppenburg 1998, 49-76, hier: 60f.
[29] Vgl. den Projektbericht über die Agrarpionierin Anna von Sachsen: Ursula Schlude / Heide Inhetveen: Kursachsen – agrargeschichtlich – weiblich. Ein Göttinger Forschungsprojekt über Kurfürstin Anna von Sachsen (1532-1585), in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 74/75 (2003/2004), 423-429.
[30] Niedersächsisches Staatsarchiv Oldenburg, Best. 272-17 Nr. 331.
[31] Niedersächsisches Staatsarchiv Aurich, Dep. 4 IX Nr. 88.
[32] So etwa in dem Inventar zur Orangerie des im Osnabrücker Raum gelegenen Adelsguts Ostenwalde aus dem Jahr 1804. Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Dep. 45 b Nr. 2264.
[33] Ausführlich dazu Heinrich Ottenjann: Identitätskultur des "Bauern-Volkes". Entfaltung und Ende in der Weser-Ems-Region, in: Karl-Heinz Ziessow (Hg.): Frühe Neuzeit. Festschrift für Ernst Hinrichs, Bielefeld 2004, 93-126, hier: 99.
[34] Vgl. dazu die Ausführungen zum "Dorfbarock" und der veränderten Raumstruktur der Kirchen im Zuge der katholischen Konfessionalisierung bei Andreas Holzem: Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570-1800 (= Forschungen zur Regionalgeschichte 33), Paderborn 2000, 250-260.
[35] Niedersächsisches Staatsarchiv Aurich, Dep. 4 III Nr. 6.
[36] Wichtige Impulse kamen aus den Forschungen der Max-Planck-Arbeitsgruppe "Ostelbische Gutsherrschaft als sozialhistorisches Phänomen" um Jan Peters an der Universität Potsdam. Vgl. die beiden jüngst erschienenen Sammelbände Heinrich Kaak / Martina Schattkowsky (Hg.): Herrschaft. Machtentfaltung über adligen und fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2003, sowie Jan Klußmann (Hg.): Leibeigenschaft. Bäuerliche Unfreiheit in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2003.
[37] Vgl. Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnungen im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig (Hg.): Reich, Regionen und Europa im Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, 53-87; Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850, Berlin 2001.
[38] Es handelt sich dabei um eine stark eingegrenzte Auswahl. Ältere Forschung: Ernst von Bodelschwingh: Leben des Oberpräsidenten Freiherrn von Vincke nach seinen Tagebüchern, Berlin 1853; Friedrich von Klocke: Die Ahnentafel des westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke, in: Westfälische Adelbilder 2 (1925), 156-180; Heinrich Kochendörffer, Vincke, 2 Bde., Soest 1932. Neuere Forschung: Ludger Graf von Westphalen: Der junge Vincke (1774-1809). Die ersten Lebensjahre des westfälischen Oberpräsidenten Ludwig Freiherr Vincke, hrsg. von Ruth Gräfin von Westphalen, Münster 1987; Hans-Joachim Behr / Jürgen Kloosterhuis (Hg.): Ludwig Freiherr Vincke. Ein westfälisches Profil zwischen Reform und Restauration in Preußen (= Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen: Reihe C, 34), Münster 1994. Eine interessante Kurzdarstellung des Vaters in den Jahren (1797-1800) siehe: Jürgen Kloosterhuis: "Westphalenfeind" und "Peines de Coeur" – Vorgaben für Vinckes Landratsamt, in: Vincke – Profil, 19-34, hier: 24 ff.
[39] Sigrid Weigel: Generation, Genealogie, Geschlecht. Zur Geschichte des Generationenkonzeptes und seiner wissenschaftlichen Konzeptualisierung seit Ende des 18. Jahrhunderts, in: Lutz Musner / Gotthard Wunberg (Hg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Rombach 2003, 177-208, hier: 200 ff.
[40] Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorie, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a.M. 2001, 331 ff.
[41] Die Ergebnisse des Mainzer Elite-Projektes siehe: Anja V. Hartmann / Malgorzata Morawiec / Peter Voss: Eliten um 1800. Erfahrungshorizonten, Verhaltensweisen, Handlungsmöglichkeiten, Mainz 2002. Die Ergebnisse des Berliner Elite-Projektes siehe: Heinz Reif (Hg.): Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert (= Elitenwandel in der Moderne, 1), Berlin 2000.
[42] Vgl. die Beiträge in dem neuen Jahrbuch der Werkgroep Adelsgeschiedenis: Virtus. Jaarboek voor Adelsgeschiedenis 11 (2005).
Empfohlene Zitierweise:
Heike Düselder / Olga Sommerfeld : Adel an der Peripherie? Kultur und Herrschaft des niederen Adels in Nordwestdeutschland , in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3, [13.12.2005], URL: https://www.zeitenblicke.de/2005/3/Dueselder/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-2406
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