Prähistorische Archäologie: Von der 'Wissenschaft des Spatens' zur historischen Cyberwissenschaft?
urn:nbn:de:0009-9-6507
Zusammenfassung
Am Beispiel der Prähistorischen Archäologie – eines genuin geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Faches – soll das Verhältnis von Wissenschaft und Neuen Medien thematisiert werden. Als theoretische Bezugsebene dient dabei das bisher vor allem in der Soziologie erörterte Konzept 'Cyberscience'. Darunter versteht man die zunehmende Verlagerung in der Wissenschaftskommunikation, Wissensproduktion und Wissensdistribution in den Bereich der Neuen Medien; sämtliche akademische Aktivitäten werden zukünftig mit Hilfe des Computers und der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ausgeführt. Der vorliegende Beitrag möchte zeigen, wie sich der Wandel von der traditionellen Wissenschaft zur Cyberwissenschaft in der Prähistorischen Archäologie vollzieht.
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Mit dem Aufkommen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich auch in weiten Teilen der Wissenschaft Grundlegendes verändert. Heute ist der Einsatz des Computers im wissenschaftlichen Alltag nicht mehr wegzudenken, immer mehr akademische Tätigkeiten verlagern sich auf die digitalen Medien. So wird wie selbstverständlich über die elektronische Post kommuniziert, das WWW avanciert zunehmend zum Recherchemedium Nr. 1 und immer häufiger wird das Internet zu Publikationszwecken genutzt. Dies betrifft nicht nur die technik- und naturwissenschaftlichen oder medizinischen, sondern auch die häufig als ‚lebensfremd' bezeichneten kultur- bzw. geisteswissenschaftlichen Fächer. Zu diesen gehört als "historische Kulturwissenschaft" [1] auch die Prähistorische Archäologie [2].
Bevor nun im Einzelnen auf die angedeuteten Veränderungen in der Wissenschaftskommunikation, Wissensproduktion und Wissensvermittlung speziell in der Prähistorischen Archäologie ausführlicher eingegangen wird, sollen zuerst das Arbeitsgebiet sowie die Arbeitstechniken der Ur- und Frühgeschichtswissenschaft umrissen werden. Daran anschließend erfolgt die begriffliche Klärung des Terminus 'Cyberscience'. [3]
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Unter den Oberbegriff 'Archäologie' lassen sich verschiedene archäologische Einzelfächer mit ganz unterschiedlichem regionalem oder zeitlichem Forschungsschwerpunkt subsumieren. So ist beispielsweise zwischen Biblischer, Klassischer und Provinzialrömischer Archäologie – um nur drei archäologische Fächer anzuführen – zu unterscheiden. [4] Auch die Prähistorische Archäologie gehört zu diesen Einzelarchäologien. Was die diversen Archäologien eint, sind – neben ihrem Selbstverständnis als historische Wissenschaften – ihre Quellen: Es handelt sich dabei ausnahmslos um materielle Hinterlassenschaften vergangener Zeiten, wobei der größte Teil dieser Quellen nicht-schriftlicher Natur ist. [5] Während jedoch Einzelarchäologien wie Biblische, Vorderasiatische, Klassische, Provinzialrömische, Christliche Archäologie und die Archäologie des Mittelalters eine mehr oder weniger reiche schriftliche Überlieferung ergänzend zu den nicht-schriftlichen Quellen besitzen, unterscheidet sich die Prähistorische Archäologie von den genannten vor allem dadurch, dass sie nur in Ausnahmefällen Schriftzeugnisse hinzuziehen kann. Dies betrifft speziell den frühgeschichtlichen Teil der Ur- und Frühgeschichtswissenschaft (Abb. 1). Der urgeschichtliche Abschnitt der Prähistorischen Archäologie dagegen verfügt ausschließlich über materielle, nicht-schriftliche Zeugnisse. Neben dieser Unterscheidung gegenüber den anderen Archäologien ist ein weiterer Punkt von besonderer Bedeutung. Während etwa die Klassische Archäologie ein klar abgegrenztes räumliches Arbeitsgebiet (Griechenland, Ägäisraum und Italien) besitzt, fehlt der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie eine räumliche Begrenzung: Sie ist eine "'grenzenlose' Wissenschaft" [6].
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'Die' Archäologie – so wie sie in weiten Teilen der Bevölkerung angesprochen wird – gibt es also nicht. Dass die archäologischen Einzelfächer häufig trotzdem als Einheit aufgefasst werden, mag daran liegen, dass sie ihre Quellen – mehr oder weniger stark – durch systematische Ausgrabung gewinnen. Häufig wird daher 'Archäologie' auch mit 'Ausgrabung' gleichgesetzt und der 'Archäologe' ausschließlich auf die Funktion des 'Ausgräbers' reduziert. Diese Beschränkung auf die so genannte 'Spatenwissenschaft' geht auf die Anfänge der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie im 19. Jahrhundert zurück und ist auf das Engste mit dem Namen Heinrich Schliemann verbunden. Der Kaufmann und Abenteurer erlangte in den 1870er-Jahren mit seinen sensationellen Entdeckungen auf dem Ruinenhügel Hisarlık (Troia) großes öffentliches Interesse und prägte ganz entscheidend die Vorstellung von der Archäologie als einer 'Spatenwissenschaft', [7] die eine rätselhafte Vergangenheit in entbehrungsreicher Arbeit zu entschlüsseln vermag.
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Neuerdings scheint sich aber diese Metaphorik zu ändern. Ulrich Veit ist der Ansicht, die 'Spatenwissenschaft' wandle sich mehr und mehr zur 'High-Tech-Archäologie', in der das Notebook als pars pro toto den Spaten ablöse. [8] Zwar hat sich die eigentliche Technik des Ausgrabens in den letzten Jahrzehnten nicht grundlegend geändert. Das Freilegen und Bergen von Funden ist, wie erst kürzlich wieder festgestellt wurde, "nach wie vor nur in langwieriger Handarbeit durchführbar" [9]. Allerdings hat der technische und mediale Fortschritt neue Prospektions-, Mess- und Analyseverfahren ermöglicht und damit vornehmlich die Art der Grabungsdokumentation maßgeblich verändert. Der Prähistoriker Manfred Eggert spricht daher von einem "weitverbreiteten 'technizistischen' Verständnis des Ausgrabens" [10] in der Archäologie. Inwieweit tatsächlich eine Wandlung von der 'Spatenwissenschaft' hin zu einer 'High-Tech-Archäologie', wie sie Veit auszumachen glaubt, stattgefunden hat, wird im Folgenden zu erörtern sein. Dabei soll nicht nur die Situation im Ausgrabungsalltag umrissen werden, sondern insbesondere der Einsatz des Computers im akademischen Alltag.
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Der aus der Soziologie stammende Begriff Cyberscience ist ein relativ neuer Terminus und umschreibt ein vor allem in der Techniksoziologie bzw. den 'Science and Technology Studies' verbreitetes Forschungskonzept. Die neueste und umfassendeste Analyse legte Michael Nentwich 2003 vor. Nentwich definiert Cyberscience folgendermaßen: "All scholarly research activities in the virtual space generated by the networked computers and by advanced information and communication technologies, in general". [11] Bei den Forschungen zur Cyberscience handelt es sich demnach sowohl um eine Ausweitung als auch gleichzeitig um eine Eingrenzung des bis in die 1970er-Jahre zurückreichenden Forschungsfeldes der 'Computervermittelten Kommunikation' (computer-mediated communication). [12] Computervermittelte Kommunikation ist als Oberbegriff für unterschiedliche Anwendungsformen der elektronischen Übermittlung, Speicherung und Verarbeitung von Nachrichten zu verstehen, "die – überwiegend in schriftlicher Form – an einem vernetzten Computer erstellt, versendet und an einem anderen vernetzten Computer empfangen werden" [13]. Im Mittelpunkt von Analysen zu CvK stehen speziell die Kommunikation per elektronischer Post (E-Mail) sowie diejenige mittels diverser elektronischer Diskussionsforen. Die zentralen Fragestellungen richten sich dabei vornehmlich an das Rezeptionsverhalten (z. B. Nutzungsintensität, Nutzungsweise) und die Wirkungsweise (z. B. Veränderungen im Kommunikationsverhalten). Während Untersuchungen zu CvK prinzipiell auf computerbasierte Kommunikationsformen abzielen und dabei alle gesellschaftlichen Bereiche mit einschließen, werden mit der Erweiterung zu Cyberscience alle mittels des Computers ausgeführten Tätigkeiten in den Vordergrund gestellt und das Forschungsobjekt auf das Wissenschaftssystem eingegrenzt.
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Die empirische Grundlage von Nentwichs Studie bilden neben eingehenden Internetrecherchen vor allem 50 Tiefeninterviews mit Wissenschaftlern aus 36 Fächern. Bei seiner Auswahl der Fächer beschränkt er sich nicht nur auf naturwissenschaftliche (z. B. Hochenergiephysik, Biologie), sondern bezieht auch zahlreiche sozialwissenschaftliche (z. B. Empirische Sozialforschung, 'European Studies') und geisteswissenschaftliche Fächer (z. B. Slawistik, Papyrologie, Ur- und Frühgeschichtswissenschaft) in die Untersuchung ein. Es wurden jeweils mindestens drei Vertreter eines Faches interviewt. Im Mittelpunkt des über 70 Fragen enthaltenden Interviews standen die persönlichen Erfahrungen der Forscher mit den neuen Informations- und Kommunikationsmedien; darüber hinaus sollten die Befragten ihre Einschätzung sowohl zum Status quo als auch zur zukünftigen Entwicklung des Einsatzes neuer Informations- und Kommunikationsmedien innerhalb ihres Faches äußern.
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Nentwich konnte zeigen, dass mittlerweile in allen Disziplinen die Kommunikation per E-Mail zum Alltag des Wissenschaftlers gehört und auch Datenbanken nahezu in allen Fächern ein gängiges Werkzeug darstellen. Diskussionsforen spielten derzeit in den meisten Fächern zwar noch keine herausragende Rolle, ihre Bedeutung werde aber in Zukunft steigen. Völlig unbekannt seien dagegen 'Groupware'-Anwendungen und die Möglichkeit zur Schaffung "virtueller Institute". [14] Der vorgenommene Vergleich Nentwichs zwischen den Disziplinen und Fächern macht freilich deutlich, dass sowohl die jeweiligen Disziplin-/Fachstrukturen als auch die disziplin-/fachimmanenten Methoden und Theorien für die Herausbildung bzw. Nicht-Existenz einzelner Cyberscience-Komponenten verantwortlich sind. [15] Die häufig gängige Praxis, allein die Zugehörigkeit zu einem der großen Wissenschaftsbereiche – wie etwa Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften oder Sozialwissenschaften – für eine Zuweisung eines Faches oder einer Disziplin als 'fortgeschritten' in der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien heranzuzuiehen, ist nach den Analysen Nentwichs nicht mehr zulässig. Von der immer wieder angeführten Diskrepanz bezüglich des Gebrauchs der Neuen Medien zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften könne keine Rede mehr sein. [16] Im Vergleich der Disziplinen schneiden beispielsweise die Geschichtswissenschaften sehr gut ab und besitzen nach Nentwich gar – mit einigen Vorbehalten – das höchste Level an "cyberness" [17].
Aus den Analysen Nentwichs wird deutlich, dass die vermeintlich technikfeindlichen geisteswissenschaftlichen Fächer den digitalen Medien durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen und sich eben nicht, wie allzu häufig angenommen wird, neuen technischen Möglichkeiten entgegenstellen.
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Wie bereits ausgeführt, begreift Nentwich Cyberscience als Wissenschaftsform, in der alle akademischen Tätigkeiten über die neuen Informations- und Kommunikationsmedien ablaufen. Für die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie wäre also zu fragen, ob die neuen Technologien Eingang in den wissenschaftlichen Alltag gefunden haben und auf welche Weise und in welcher Häufigkeit sie genutzt werden. Nentwich kommt zu dem Ergebniss, dass die Prähistorie, was den Grad an 'cyberness' im Vergleich aller 36 analysierten Fächer betrifft, im Mittelfeld liegt. [18]
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Im Folgenden soll auf einige Ergebnisse Nentwichs ausführlicher eingegangen und diese mit einer im Jahr 2004 durchgeführten Untersuchung zur Internetnutzung unter Ur- und Frühgeschichtswissenschaftlern verglichen werden. [19]
Bei der im Januar 2004 erfolgten schriftlichen Umfrage von an deutschen Universitäten tätigen Ur- und Frühgeschichtswissenschaftlern wurden insgesamt 321 Personen angeschrieben. Für die Auswertung der Fragen konnten 145 Fragebögen herangezogen werden. Gegenstand des Fragebogens waren unter anderem Fragen zum Gebrauch der E-Mail und zur Internetnutzung, zur Kenntnis von elektronischen Diskussionsforen (Newsgroups und Mailinglisten) sowie zu elektronischen Zeitschriften.
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Das Ergebnis hinsichtlich der E-Mail-Nutzung ist eindeutig. Bis auf zwei Wissenschaftler nutzen alle Befragten die elektronische Post, wobei die Mehrzahl täglich E-Mails versendet und empfängt (75,2 %). Dieses Resultat verdeutlicht, dass die E-Mail im wissenschaftlichen Alltag ihren Platz gefunden hat und nicht mehr wegzudenken ist. Nentwich ordnete in seiner Untersuchung die Ur- und Frühgeschichtswissenschaftler bei der E-Mail-Nutzung noch in seine Gruppe "used widely" ein. [20] In der Zwischenzeit ist hier eine leichte Änderung eingetreten. Heute ist auch für die Ur- und Frühgeschichtswissenschaftler festzustellen, dass sie zu derjenigen Kategorie Nentwichs gehört, die er mit "used by almost all" umschreibt.
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Bei der Kenntnis und Nutzung elektronischer Diskussionsforen zeigt sich ein gänzlich anderes Bild. Während die Begriffe Mailingliste und Newsgroup bei einer großen Anzahl von Wissenschaftlern bekannt sind, ist die Nutzung dieser Foren durch die Wissenschaftler ausgesprochen spärlich. Lediglich ein Forscher hatte sich schon einmal an einer Diskussion einer Newsgroup beteiligt; Subskribent einer Mailingliste sind lediglich 14 (9,7 %) der befragten Archäologen. Beide Resultate veranschaulichen, dass elektronische Diskussionsforen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als Möglichkeit zur Kommunikation unter Wissenschaftlern betrachtet werden. Der hier geschilderte Befund stimmt damit weitgehend mit den Erkenntnissen Nentwichs überein. Sein Ergebnis zu den Newsgroups ist eindeutig: "None of my interviewees reported regularly consulting, not to mention participating in, such newsgroups". [21] Bei den Mailinglisten ist die Situation ähnlich; laut Nentwich spielen diese Foren für Ur- und Frühgeschichtswissenschaftler ebenfalls keine nennenswerte Rolle. [22]
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Die Ursachen dafür sind vielfältig. Ein wichtiger Grund ist im geringen Niveau der Foren zu suchen, das wissenschaftlichen Ansprüchen nur bedingt genügt. Diese Annahme bestätigen die Antworten der Befragten, die in der Mehrheit mit dem Diskussionsniveau ihren Listen unzufrieden waren. Allerdings ist hier zu differenzieren. So wurden beispielsweise die Listen des amerikanischen 'H-Net' überdurchschnittlich gut bewertet. [23] Dies liegt sicherlich daran, dass es sich bei diesen Listen um moderierte Mailinglisten handelt, bei denen alle eingehenden Beiträge im Vorfeld von einem Moderator oder einer Redaktion auf Qualität und Relevanz hin geprüft werden. Insgesamt ist aber festzustellen, dass diese Kommunikationsform von der großen Mehrheit der Archäologen nicht angenommen wird. Das verdeutlichen auch die Antworten auf die Frage nach der Beteiligung an Diskussionen in den Listen. Auf einer Skala von eins (sehr hoch) bis sechs (sehr gering) liegt der Durchschnitt bei 4,9. Wie Ergebnisse anderer Analysen zeigen, bestehen die Listen durchschnittlich etwa aus 70 % passiven Teilnehmern, so genannten 'Lurkern'. [24] Die Listen werden demnach von einem Großteil der Subskribenten aus informatorischen Zwecken und nicht zum kommunikativen Austausch genutzt.
Abschließend lässt sich also festhalten, dass sowohl Newsgroups als auch Mailinglisten keine Bedeutung im wissenschaftlichen Alltag der Archäologen haben.
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Wissenschaftliche Zeitschriften besitzen in allen akademischen Fächern eine wichtige Funktion. Die Neuen Medien haben in den vergangenen Jahren nicht nur im Bereich der Wissenschaftskommunikation, sondern auch auf dem Gebiet der Vermittlung und Verbreitung von Wissen zu Veränderungen geführt. Betroffen ist davon auch das Publikationswesen. Immer häufiger wird nun im WWW publiziert, was sich vor allem an der stetigen Zunahme von elektronischen Zeitschriften (E-Zeitschriften) erkennen lässt.
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Die Elektronische Zeitschriftenbibliothek Regensburg (EZB) gilt als wichtigstes Verzeichnis von E-Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Anhand der Entwicklung der EZB lässt sich gut die Rolle elektronischer Zeitschriften im Wissenschaftssystem nachzeichnen.
Innerhalb von sechs Jahren hat sich die Zahl der von der EZB gelisteten E-Zeitschriften mehr als verdreifacht. Waren im Jahr 2000 etwa 8.000 elektronische Zeitschriften verzeichnet, so sind heute weit über 27.000 abrufbar. [25] Von diesen Zeitschriften sind lediglich etwas mehr als 3.300 frei zugänglich, das heißt ein beträchtlicher Teil der E-Zeitschriften ist lizenz- bzw. kostenpflichtig.
Der Hauptanteil der über die EZB zugänglichen E-Zeitschriften ist dem naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Bereich zuzuordnen. Nur etwa 20 % aller Zeitschriften kann dem geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Sektor zugerechnet werden. Derzeit werden für die Archäologie 258 E-Zeitschriften nachgewiesen. Damit hat sich die Zahl archäologischer elektronischer Zeitschriften von 39 im Jahr 2001 mehr als versechsfacht. Beim Gros der Zeitschriften handelt es sich um so genannte Parallelausgaben, also elektronische Versionen von Printzeitschriften. Als reine E-Zeitschriften können nur etwa 20 % angesprochen werden. [26]
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Die Umfrage zur Internetnutzung unter Archäologen widmete sich mit einem Themenblock der Nutzungsweise elektronischer Zeitschriften. Hier zeigte sich, dass mehr als die Hälfte aller Befragten glaubte, elektronische Zeitschriften – gefragt war nach reinen E-Zeitschriften – zu kennen. Bei einer Überprüfung der genannten E-Zeitschriften offenbarte sich jedoch, dass dieses Ergebnis zu relativieren ist, da verschiedentlich Parallelausgaben sowie Webportale angeführt wurden. Nachweislich kennen 31 % der befragten Personen eine oder mehrere E-Zeitschriften; für die Forschung genutzt werden die E-Zeitschriften allerdings nur von 31 der 145 befragten Archäologen. Das heißt, dass nur etwas mehr als 20 % der Wissenschaftler tatsächlich die Zeitschriften zur Kenntnis nehmen. Der geringe Stellenwert elektronischer Journale in der Archäologie wird noch deutlicher, wenn man die Zitationshäufigkeit von E-Zeitschriften hinzuzieht. Nur zwölf Wissenschaftler (8,3 %) gaben an, aus E-Zeitschriften schon einmal zitiert zu haben. Elektronische Publikationen führen also offensichtlich ein eher stiefmütterliches Dasein in der Archäologie. Das bestätigen auch Analysen von Sven Feldmann, der die Zitierhäufigkeit von Internetressourcen generell in einschlägigen archäologischen Printzeitschriften der Jahre 1997 bis 2001 ermittelt hat. Für das Jahr 2001 machten die Internetzitate in den Texten gerade einmal 6 % aller Zitate aus. [27] Er folgert daher zutreffend, dass es noch ein weiter Weg bis zur Anerkennung des Internets als vollgültige Quelle für wissenschaftliche Informationen sei.
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Diese Ergebnisse machen deutlich, dass elektronische Zeitschriften derzeit ein geringes Prestige innerhalb des Faches genießen. Das bezeugen auch Aussagen, die einige Teilnehmer der Umfrage in diesem Zusammenhang geäußert haben. Befragt nach ihrer Publikationsabsicht – ob sie sich also vorstellen könnten, in Zukunft einmal in einer E-Zeitschrift zu veröffentlichen – bejahten dies zwar 62 % , knapp 25 % jedoch lehnten diese Veröffentlichungsart kategorisch ab. Zu den am häufigsten genannten Einwänden gehören die vermutete mangelnde Qualität der Beiträge sowie die geringe Verbreitung und Akzeptanz der E-Journale im Fach. Eine Wissenschaftlerin beispielsweise schrieb als Begründung: "Gedruckte Schriften haben auf der Schriftenreihe deutlich mehr 'wert' ". Daran wird ersichtlich, dass E-Zeitschriften in der Archäologie gegenwärtig eher geringe Akzeptanz genießen. Für die Zukunft ist aber durchaus mit einer Änderung zu rechnen, worauf unter anderem die Zunahme archäologischer E-Zeitschriften in der EZB und Neugründungen archäologischer E-Zeitschriften wie beispielsweise die erst kürzlich gegründete Zeitschrift 'Frankfurter elektronische Rundschau zur Altertumskunde (FeRA)' hinweisen. [28] Auch die Untersuchung Nentwichs zu den E-Zeitschriften lässt ähnliche Schlüsse zu. Sein Ergebnis bezüglich des Prestiges archäologischer E-Zeitschriften lautet: "low, but growing". [29]
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Die digitalen Medien in der Archäologie haben aber nicht nur in der akademischen 'Schreibtischarbeit' der Forscher Einzug gehalten, sondern sie bestimmen immer häufiger auch – wie bereits erwähnt – den Ausgrabungsalltag. Vor, während und nach der Grabung spielt der Computer eine außerordentlich wichtige Rolle in der Aufbereitung der Daten. Vor der eigentlichen Ausgrabung wird heute in zahlreichen Fällen das zu untersuchende Gebiet prospektiert, das heißt auf mögliche archäologische Strukturen erkundet. Dazu gibt es unterschiedliche Prospektionsmethoden. In den letzten Jahren wurden vor allem naturwissenschaftliche Verfahren wie etwa die Magnetprospektion, Geoelektrik oder das Bodenradar vermehrt genutzt. [30] Anders als bei den herkömmlichen Verfahren wie der Begehung oder Luftbildprospektion kann bei den naturwissenschaftlichen Prospektionsmethoden auf den Computereinsatz nicht verzichtet werden. Denn erst die Umwandlung der gemessenen Daten über bildgebende Verfahren in Bilder (z. B. Magnetogramme) macht eine Interpretation möglich.
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Auch auf der Grabung ist der Computer nahezu unersetzlich geworden. Vermessung und Befundaufnahme erfolgt mittlerweile wie selbstverständlich mittels eines Tachymeters und fotogrammetrischer Methoden. Darüber hinaus gibt es vereinzelt Projekte, die die neuen Technologien zur Darstellung bzw. Vermittlung ihrer Grabungsergebnisse einsetzen. Dazu gehört z. B. das britische Grabungsprojekt in Çatalhöyük in der Türkei. Seit 1996 gibt es eine Website zum Projekt, die über die seit 1993 wieder aufgenommenen Grabungen berichtet (Abb. 2). Dort finden sich derzeit Informationen zur aktuellen Grabungskampagne. Neben Textbeiträgen oder Ausgrabungsberichten kann man zusätzlich zahlreiche Bilder von der Ausgrabungssituation vor Ort betrachten. [31] Damit besteht die Möglichkeit, sich sowohl als Wissenschaftler als auch Laie einen Überblick über die jungsteinzeitliche Besiedlung und den Grabungsbefund zu verschaffen.
Ein ähnliches Projekt stellt eine seit Juni 2005 stattfindende Grabung in Hamburg dar. Auf dem Hamburger Domplatz werden Reste der angeblich von Wikingern im 9. Jahrhundert zerstörten Hammaburg gesucht. Mit Beginn der Ausgrabungen hat die Wochenzeitung die ZEIT einen Weblog eingerichtet – der so genannte 'Hammablog' –, in dem das Tagebuch des Ausgrabungsleiters abgerufen werden kann. Darüber hinaus wurde eine Webcam installiert, die die Ausgrabungstätigkeiten dokumentiert. [32]
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Eine immer wichtigere Funktion nimmt der Computer auch nach der Grabung im Zuge der Auswertung und Aufbereitung der gewonnenen Daten ein. An dieser Stelle sei lediglich auf die Erstellung digitaler Rekonstruktionen hingewiesen. Seit etwa einem Jahrzehnt hat die Rekonstruktion mittels neuer bildgebender Verfahren immens zugenommen. Am einfachsten lässt sich die Entwicklung wohl so umschreiben: 'Von der Strichzeichnung zur 3-D-Animation'. Vorteil dieser Methode ist es, dass auf sehr einfache Art und Weise mehrere Rekonstruktionsmöglichkeiten entworfen werden können, die man problemlos – je nach Forschungsstand – erweitern oder anpassen kann. Gerade im Hinblick auf die Darstellung und Vermittlung archäologischer Sachverhalte an eine große Öffentlichkeit besitzen die so genannten 'virtuellen Rekonstruktionen' eine enorme Bedeutung. [33]
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Die hier wiedergegebenen Resultate weisen darauf hin, dass die Ur- und Frühgeschichtswissenschaft in zunehmendem Maße einige cyberwissenschaftliche Züge aufweist. Dazu gehören der Einsatz der E-Mail im wissenschaftlichen Alltag und das stetige Anwachsen der Zahl von E-Zeitschriften. Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass der Computer einen wichtigen Platz im Grabungsalltag einnimmt. Es ist daher sicherlich zulässig zu behaupten, dass sich das Bild des 'grabenden Wissenschaftlers' derzeit hin zum 'High-Tech-Archäologen' verschiebt. Insgesamt betrachtet wäre es zum jetzigen Zeitpunkt aber unzutreffend, die Prähistorischen Archäologie im Sinne Nentwichs als 'Cyberwissenschaft' zu bezeichnen.
Abb. 1
Prähistorische und Frühgeschichtliche Archäologie. Quelle: Manfred K. H. Eggert, Archäologie: Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft, Tübingen / Basel 2006, 51, Abb. 4.2
Abb. 2
Website des Grabungsprojektes Çatalhöyük in der Türkei (12.09.2006)
Dr. Stefanie Samida
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
– Abteilung Jüngere Urgeschichte und Frühgeschichte –
Schloss Hohentübingen
72072 Tübingen
stefanie.samida@uni-tuebingen.de
[1] Manfred K. H. Eggert: Archäologie: Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft, Tübingen / Basel 2006.
[2] Synonym werden hier auch die Bezeichnungen 'Ur- und Frühgeschichtswissenschaft', 'Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie' und 'Prähistorie' benutzt.
[3] Aus formalen Gründen ab jetzt ohne Anführungszeichen.
[4] Ausführlich zur 'Archäologie' bzw. zu den verschiedenen archäologischen Einzelfächern Eggert: Archäologie (wie Anm. 1).
[5] Eggert: Archäologie (wie Anm. 1), hier: 190.
[6] Eggert: Archäologie (wie Anm. 1), hier: 52.
[7] In seinem 1881 erschienenen Werk zu den Ausgrabungen in Troia schreibt Schliemann u. a. von der "Forschung mit Spitzhacke und Spaten", Heinrich Schliemann: Ilios. Stadt und Land der Troianer, Leipzig 1881, hier: 747. Dass die archäologischen Wissenschaften nicht allein auf den Spaten zu beschränken sind, hat Eggert: Archäologie (wie Anm. 1), hier: 30f. ironisierend hervorgehoben: niemand, so Eggert, spreche beispielsweise von der 'Wissenschaft des Skalpells', wenn er die Chirurgie meine. Zur so genannten 'Spatenwissenschaft' und ihrer Bedeutung siehe neuerdings auch Svend Hansen: Archäologie ist keine Spatenwissenschaft. Erwägungen zur archäologischen Datengewinnung, in: Das Altertum 50 (2005)/ 3, 197-220.
[8] Ulrich Veit: Von der Schwierigkeit ein Fach zu bestimmen: Überlegungen zur kognitiven Identität der Ur- und Frühgeschichtsforschung, in: Saeculum 52 (2001)/ 1, 73-90, hier: 87.
[9] Manfred Nawroth / Rüdiger von Schnurbein / Rainer-Maria Weiss / Mathias Will: Von der Prospektion zur Präsentation. Neue Methoden der Archäologie, in: Wilfried Menghin / Dieter Planck (Hg.): Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland, Stuttgart 2002, 32-39, hier: 34.
[10] Eggert: Archäologie (wie Anm. 1), hier: 32.
[11] Michael Nentwich: Cyberscience. Research in the age of the internet, Wien 2003, hier: 22; A-19.
[12] Häufig finden sich in der Literatur auch nur die Kürzel CvK, CVK oder CMC.
[13] Wolfgang Scholl / Jan Pelz / Jörg Rade: Computervermittelte Kommunikation in der Wissenschaft, Münster / New York / München u. a. 1996, hier: 205.
[14] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 145.
[15] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 148-181.
[16] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: XX; 107-147.
[17] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 147, Fig. 3-6. Unter "cyberness" versteht er (ebd. A-19): "the level of ICT [information and communication technologies] use of an academic field, speciality or discipline".
[18] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 146, Fig. 3-5.
[19] Dazu ausführlich Stefanie Samida: Wissenschaftskommunikation im Internet. Neue Medien in der Archäologie (= Internet Research 26), München 2006, hier: 27ff.
[20] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 129 unterscheidet fünf Kategorien: 'used by almost nobody', 'used by a small minority', 'used by more than a minority', 'used widely', 'used by almost all'.
[21] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 137.
[22] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 139, Tab. 3-6.
[23] Das 'H-Net' ist ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern der Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem Ziel, über die neuen Informationstechnologien wissenschaftliche Kommunikation und internationalen Austausch zu fördern. Es wurde bereits 1992 gegründet und stellt derzeit über 170 moderierte Listen zum wissenschaftlichen Austausch zur Verfügung. Siehe die Website von H-Net http://www.h-net.org/ <http://www.h-net.org/> [31.08.2006].
[24] Christian Stegbauer / Alexander Rausch: Die schweigende Mehrheit – "Lurker" in internetbasierten Diskussionsforen. Zeitschrift für Soziologie 30 (2001)/1, 48-64.
[25] Siehe dazu den Jahresbereicht der EZB von 2005 (erreichbar über die Website der EZB < http://rzblx1.uni-regensburg.de/ezeit/ > [30.08.2006]) sowie die aktuellen Zahlen in der Rubrik "Unser Angebot".
[26] Ausführlicher dazu siehe Samida: Wissenschaftskommunikation (wie Anm. 19), hier: 118ff. oder dies.: Elektronische Zeitschriften in der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie. Bestandsaufnahme und Analyse, in: Bibliotheksdienst 40 (2006)/8&9, 1003-1014.
[27] Sven Feldmann: Prähistoriker publizieren im Internet – eine Sondage. Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 44 (2003)/1, 1-10, hier: 7f.
[28] Zu FeRA siehe http://www.fera-journal.eu/ <http://www.fera-journal.eu/> (31.08.2006).
[29] Nentwich: Cyberscience (wie Anm. 11), hier: 134, Tab. 3-3.
[30] Näheres zu Prospektionsmethoden in der Archäologie siehe Benno Zickgraf: Geomagnetische und geoelektrische Prospektion in der Archäologie. Systematik – Geschichte – Anwendung (= Internationale Archäologie: Naturwissenschaft und Technologie 2), Rhaden/Westf. 1999; Helmut Becker (Zusammenstellung): Archäologische Prospektion. Luftbildarchäologie und Geophysik (= Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 59), München 1996.
[31] Siehe die Website des Grabungsprojektes von Çatalhöyük http://www.catalhoyuk.com/ <http://www.catalhoyuk.com/> [31.08.2006]. Ausführlich zu einer älteren Version der Website Samida: Wissenschaftskommunikation (wie Anm. 19), hier: 207ff.
[32] Siehe die Website 'Hammablog' http://blogg.zeit.de/hammaburg/ <http://blogg.zeit.de/hammaburg/> [31.08.2006].
[33] Dazu ausführlich beispielsweise Anita Rieche / Beate Schneider (Hg.): Archäologie virtuell. Projekte, Entwicklungen, Tendenzen seit 1995 (= Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 6), Bonn 2002; kritisch zur virtuellen Rekonstruktionstechnik Samida: Wissenschaftskommunikation (wie Anm. 19), hier: 158ff.
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Samida : Prähistorische Archäologie: Von der 'Wissenschaft des Spatens' zur historischen Cyberwissenschaft? , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 3, [2006-12-03], URL: https://www.zeitenblicke.de/2006/3/Samida/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-6507
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