Das Paradigma des Raumes in der Osteuropäischen Geschichte
urn:nbn:de:0009-9-12362
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden Forschungsfelder bzw. neuere Debatten innerhalb der Osteuropäischen Geschichte vorgestellt, die im weitesten Sinne als Indikatoren für ein wachsendes Interesse an räumlichen Zusammenhängen in historischer Perspektive gewertet werden können. Es finden sowohl Arbeiten Berücksichtigung, die sich für die Geschichte von Raumdiskursen und für die Verortung von Osteuropa und seiner Teilräume auf entsprechenden kognitiven Landkarten ('mental maps') interessieren, als auch Forschungsprojekte, die sich im Kontext der Stadt-, Verkehrs-, Technik-, Kommunikations- oder Tourismusgeschichte mit Praktiken befassen, die zur Gestaltung und Ausgestaltung und Veränderung sozialer Räume beitragen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf neuere Arbeiten zur russischen und sowjetischen Geschichte gelegt.<1>
Raumfragen, so sollte man meinen, bestimmen das Arbeitsprogramm einer regional ausgerichteten Teildisziplin der historischen Wissenschaften, wie das der Osteuropäischen Geschichte, in einem ganz besonderen Maße. Dass dem nicht bzw. nicht mehr so ist, hat nicht zuletzt mit der 'Karriere' von Kampfbegriffen wie 'Lebensraum', 'Ostraum' oder 'Volk ohne Raum' in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus zu tun, die sich ohne den Hinweis auf die entsprechenden ideologischen Handreichungen von Vertretern der so genannten 'Ostforschung' nicht adäquat verstehen oder beschreiben lässt. Zum Prozess der inhaltlichen Abgrenzung von den 'Ostwissenschaften' der NS-Zeit und der Neuprofilierung des Faches der Osteuropäischen Geschichte seit den 1960er Jahren gehörte auch die Abkehr von geo-deterministischen bzw. geo-politischen Denkmustern, die den Fachdiskurs der Ostforschung in den 1930er bis 1950er Jahren zum Teil maßgeblich bestimmt hatten. In diesem Kontext verschwand in der Nachkriegszeit die Vokabel des 'Raumes' fast vollständig aus den Debatten der mit Osteuropa befassten Geschichts- und Sozialwissenschaften, die sich in Zeiten des Kalten Krieges auf das Studium der Historie und der Strukturen des politischen 'Systems' innerhalb des 'Ostblocks' konzentrierten. Nach der Implosion des sozialistischen Machtblocks ist das Thema der 'Raumes' jedoch wieder – in ganz unterschiedlicher Gestalt – in die Fachdebatten der Osteuropa-Wissenschaften zurückgekehrt. Mancherorts wird gar von einem 'spatial turn' auch innerhalb der Osteuropäischen Geschichte gesprochen bzw. ein solcher vorsichtig angemahnt. [1]
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Ziel dieses Beitrages ist es, einige Forschungsfelder bzw. neuere Debatten innerhalb der Osteuropäischen Geschichte vorzustellen, für die das Paradigma des 'Raumes' eine mehr oder weniger große Bedeutung hat, bzw. die im weitesten Sinne als Indikatoren für ein wachsendes Interesse an räumlichen Zusammenhängen in historischer Perspektive in diesem Fach gewertet werden können. Dabei sollen sowohl Arbeiten Berücksichtigung finden, die sich für die Geschichte von Raumdiskursen und für die Verortung von Osteuropa und seiner Teilräume auf entsprechenden kognitiven Landkarten ('mental maps') interessieren, als auch Forschungsprojekte vorgestellt werden, die sich im Kontext der Stadt-, Verkehrs-, Technik-, Kommunikations- oder Tourismusgeschichte mit Praktiken befassen, die zur Gestaltung und Veränderung sozialer Räume beitragen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf neuere Arbeiten zur russischen und sowjetischen Geschichte gelegt, Forschungen aus dem Kontext der Ostmittel- bzw. Südosteuropäischen Geschichte werden am Rande mit berücksichtigt. Dass bei einem so breit angelegten Forschungsüberblick kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und angestrebt werden kann, versteht sich vermutlich von selbst, sei an dieser Stelle jedoch nochmals ausdrücklich betont.
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Ein neu erwachtes Interesse an der Kategorie des 'Raumes' lässt sich gegenwärtig nicht nur innerhalb der auf Osteuropa bezogenen Geschichtswissenschaften beobachten. Auch in anderen historischen Teildisziplinen zeigt sich jene Tendenz deutlich. Als die Organisatoren des 45. deutschen Historikertages im Jahre 2004 die Fachkonferenz in Kiel unter das Motto "Raum und Kommunikation" stellten, wollten sie dieser allgemeinen Entwicklung offenbar Rechnung tragen. [2]
Dass sich Historiker und andere Gesellschaftswissenschaftler momentan verstärkt für die Bedeutung räumlicher Zusammenhänge für und innerhalb sozialer Prozesse interessieren, hängt vermutlich auch mit eigenen Raum-Erfahrungen im Zeitalter der Globalisierung und Kommunikationsrevolution zusammen. Nicht nur das Erlebnis der Neukonfiguration der politischen Landkarten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der damit verbundenen Migrationsbewegungen innerhalb Europas haben uns die Bedeutung von realen und imaginierten Grenzen in ganz neuer Art und Weise bewusst gemacht. Auch die wachsende globale Vernetzung und die damit verbundene Belebung des internationalen Informations- und Warenverkehrs rückten das Thema des Raumes und seiner Überwindung (wieder) in den Mittelpunkt politischer und öffentlicher Debatten.
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Die gegenwärtige Karriere der Kategorie des 'Raumes' innerhalb der Geschichts- und Sozialwissenschaften vollzieht sich vor dem Hintergrund einer gänzlich neuen Definition dieses Begriffes. Während noch die Schulen der Geopolitik und der klassischen Geographie davon ausgingen, dass 'Raum' – vor allem begriffen als (staatliches) Territorium – unabhängig vom Menschen existiert, sich historische Prozesse im 'Raum' wie in einem Container oder einem fest gefügten Behälter entfalten oder der 'Raum' gar bestimmte historische Entwicklungen determiniert, beschreiben heute Raumsoziologen und Raumplaner wie z.B. Dieter Läpple, Martina Löw oder Gabriele Sturm – in Anlehnung an Arbeiten von Georg Simmel, Pierre Bourdieu, Henri Lefebvre, Michel Foucault, Anthony Giddens oder Benno Werlen – gesellschaftlich und historisch relevanten Raum primär als das Produkt menschlicher Handlung und Wahrnehmung. [3] In Abgrenzung von älteren, essentialistischen Raumvorstellungen hat der Berliner Geographie-Historiker Hans-Dietrich Schultz diesen neuen, dekonstruktivistischen Ansatz einmal auf die einprägsame Formel gebracht: "Räume sind nicht, Räume werden gemacht!" [4] Dieser Paradigmenwechsel lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes als 'spatial turn' bezeichnen. Während – vereinfacht gesprochen – Theoretiker der Geopolitik wie Karl Haushofer darüber reflektierten, wie der Raum gesellschaftliche Prozesse gleichsam erzwang, denken Raumsoziologen heute darüber nach, wie der Mensch räumliche Ordnungen schafft und welche Bedeutung diese wiederum für soziale Prozesse entfalten. Dabei rücken Fragen der aktiven Gestaltung des dreidimensionalen physischen Raumes, seiner Bebauung und Erschließung ebenso in den Blick wie solche nach Raum strukturierenden Regeln und Normen, nach sozialen Praktiken im Raum und der Wahrnehmung und symbolischen Codierung von Räumen durch den Menschen.
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Neben neueren theoretischen Ansätzen aus der Raumsoziologie und der Geographie haben insbesondere Arbeiten, die dem Feld der 'postcolonial studies' zugerechnet werden können, den Blick der Osteuropäischen Geschichte auf das Paradigma des Raumes in den letzten zwanzig Jahren maßgeblich verändert. An vorderster Stelle ist hier vermutlich Edward Saids bahnbrechende Studie über den "Orientalism" zu nennen, die auch zahlreiche Arbeiten über die Wahrnehmung Osteuropas und seiner Teilregionen durch den Westen inspiriert und beeinflusst hat, so z.B. Larry Wolffs "Inventing Eastern Europe" oder Maria Todorovas "Imagining the Balkans", die heute zur Standardlektüre im Grundstudium der Osteuropäischen Geschichte gehören. [5]
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Die Debatte der vergangenen Jahre über die Geschichte und die Konstruktion kognitiver Landkarten ('mental maps'), hat das Verständnis vom regional gefassten Untersuchungsgegenstand der Osteuropäischen Geschichte stark beeinflusst. [6] Dies zeigt sich z.B. daran, dass die Geschichtsräume mit denen innerhalb des Faches gearbeitet wird, wie z.B. 'Osteuropa', 'Ostmitteleuropa' oder 'Südosteuropa' heute noch stärker als Konstrukte und heuristische Hilfsmittel angesehen werden als noch vor wenigen Jahren. [7] Interessanterweise haben diese als menschliche Entwürfe oder Erfindungen 'enttarnten' Raumbegriffe jedoch wenig von ihrer Attraktivität als Orientierungshilfen innerhalb der Fachdebatten verloren. Trotz der Erkenntnis, dass es sich z.B. bei 'Osteuropa' in vielfacher Hinsicht primär um einen 'Wahrnehmungsraum' handelt, dessen Wurzeln ins späte 18. und frühe 19. Jahrhundert reichen, geht die Suche nach dem 'Strukturraum' Osteuropa und seinen entsprechenden Teilregionen weiter. [8] Das Konzept der 'Geschichtsregion', das maßgeblich von Arbeiten der Osteuropahistoriker Oskar Halecki, Jenö Szücz und Klaus Zernack geprägt wurde, ist zwar innerhalb des Faches nicht unumstritten, spielt jedoch weiter eine wichtige Rolle für die Beschreibung des eigenen, regional gefassten Untersuchungsgegenstands der Osteuropäischen Geschichte, für die Auswahl von Vergleichsobjekten der komparativen historischen Forschung und für geschichtswissenschaftliche Synthesen, die den engen Rahmen der Nationalhistoriographie überwinden wollen. [9]
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Gerade das Spannungsverhältnis zwischen der Betrachtung einer Geschichtsregion als Erfindung, Konstruktion und Produkt von Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozessen und dem Verständnis dieser Einheit als Strukturraum bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte zu vergleichbaren Arbeitsfeldern der europäischen Geschichte wie z.B. der Erforschung 'Südeuropas', 'Nordeuropas', 'des Westens' oder des 'Mittelmeerraums'. Während die 'allgemeine' Geschichte immer stärker darum bemüht ist, die überkommenen Narrative der einzelnen Nationalgeschichten zu überwinden und zu einem Verständnis von Süd-, Nord- oder Westeuropäischer Geschichte zu gelangen, sind die Analyserahmen für eine komparativ angelegte Geschichtsschreibung innerhalb der Osteuropäischen Geschichte bereits vorhanden. [10] Auch das Projekt einer europäischen Geschichte (oder Geschichte Europas), das darauf abzielt, die Europäische Union als den (vermeintlich) zwangsläufigen Fluchtpunkt einer Jahrhunderte währenden Entwicklungslinie zu stilisieren, könnte von den Einsichten der Osteuropäischen Geschichte in die Konstrukthaftigkeit von Geschichtsregionen eindeutig profitieren. [11]
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Der diskursgeschichtliche Ansatz, der die programmatischen Arbeiten von Larry Wolff und Maria Todorova auszeichnet, ist in jüngeren Studien zur Geschichte von Raumbildern und Raumvorstellungen vom östlichen Europa und seinen Teilregionen vielfach modifiziert und weiterentwickelt worden.
Erstens hat sich in diesem Zusammenhang der Ansatz des historischen Vergleichs als besonders fruchtbar erwiesen. So konnte beispielsweise Bernhard Struck in seinem Berliner Dissertationsvorhaben über Reiseberichte aus dem deutsch-französischen und deutsch-polnischen Grenzland im 18./19. Jahrhundert eindrucksvoll zeigen, dass Wahrnehmungsmuster von ökonomischer und kultureller Rückständigkeit, die Larry Wolff noch als Charakteristika des westlichen Osteuropa-Bildes an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert betrachtete, in wesentlichem Maße auch den Blick deutscher Reisender auf ländliche Regionen an und jenseits der eigenen Westgrenze bestimmten. [12] Aus dieser Diagnose leitet sich die Frage ab, ob nicht viele Elemente des (vermeintlich) spezifisch westlichen Osteuropa-Diskurses nicht eher als Bausteine polarer Wahrnehmungsmuster von Zentrum/Peripherie oder Stadt/Land interpretiert werden müssten, die sich in ähnlicher Form auch in anderen Konstellationen wechselseitiger Rezeption innerhalb Europas beobachten lassen. Aus diesem vergleichenden Blickwinkel sollten die Quellentexte, in denen Wolff die 'Erfindung' Osteuropas beobachtete, nochmals genauer analysiert werden.
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Neben dem historischen Vergleich hat zweitens auch die verstärkte Auseinandersetzung mit den Akteuren der wechselseitigen Wahrnehmungsprozesse zwischen Ost und West, den Grenzgängern, Emigranten und Reisenden zu einem besseren Verständnis der Genese und Spezifika entsprechender 'mental maps' beigetragen. Insgesamt lässt sich seit einiger Zeit innerhalb der Osteuropäischen Geschichte ein wachsendes Interesse an der Geschichte des Reisens als 'kultureller Praxis' beobachten. [13] So sind in den vergangenen Jahren nicht nur im englischen Sprachraum zahlreiche innovative Studien zur Geschichte des russischen und sowjetischen Tourismus entstanden. [14] Auch in der deutschsprachigen Russland- und UdSSR-Forschung wird das Themenfeld der Geschichte des Reisens mittlerweile intensiv bearbeitet. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Tourismus-Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu der beispielsweise Matthias Heeke, Christian Noack oder Eva Maurer gearbeitet haben bzw. arbeiten. [15] Demgegenüber scheint die Geschichte des Reisens von Westeuropäern in das östliche Europa in der vorrevolutionären Zeit indes noch viel Raum für neuere Forschungen zu bieten. Das Themengebiet westlicher Reiseberichte über das Moskauer bzw. Russische Reich vom 16. bis ins 18. Jahrhundert ist zwar relativ gut erforscht. [16] Gleiches lässt sich über entsprechende Reisebeschreibungen aus dem 19. Jahrhundert allerdings nicht sagen. [17] Gerade aus dieser Zeit, in der sich eine zunehmende Vernetzung der Infrastruktur und eine Intensivierung der Kontakte zwischen Ost und West auf politischer, ökonomischer und kultureller Ebene beobachten lässt, stammen faszinierende Reiseberichte, in denen – auch am Beispiel Osteuropas – die Neuvermessung der Welt in der ersten Phase der Globalisierung studiert werden kann.
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Als dritte Erweiterung des Forschungsansatzes des 'mental mapping' als (westlicher) Strategie der räumlichen Klassifizierung des 'anderen', kann das gesteigerte fachliche Interesse an der Geschichte von Raumdiskursen innerhalb osteuropäischer Gesellschaften und an der Frage nach deren Bedeutung für regionale, nationale oder imperiale Identitätsdiskurse gewertet werden. Viele der Arbeiten, die sich für die Beteiligung der gesellschaftlichen Elite des jeweils (von außen) wahrgenommenen Landes am Prozess des 'mental mapping' interessieren, greifen damit einen der zentralen Kritikpunkte auf, die nach dem Erscheinen von Edward Saids "Orientalism" formuliert worden waren. [18] Die Verortung eines Landes auf entsprechenden kognitiven Karten ist in den seltensten Fällen das alleinige Produkt von Wahrnehmungsprozessen von 'außen'. Blendet man die Beteiligung der Menschen des jeweiligen Landes an diesen Diskursen aus, wiederholt sich – post factum – jener Prozess der Exotisierung des 'anderen', den z.B. Said den 'Orientalisten' des 18. und 19. Jahrhunderts zum Vorwurf machte. Gerade das russische Beispiel zeigt, dass der Frage der Außenwahrnehmung des eigenen Landes – als integraler Bestandteil oder als Gegenüber "Europas" – im 18. und 19. Jahrhundert eine Schlüsselfunktion innerhalb der russischen gesellschaftlichen Debatten über den Kurs der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung des Zarenreiches zukam. Die Frage der Position Russlands auf den kognitiven Landkarten Europas tangierte so in erheblichem Maße die Diskurse über unterschiedliche Konzepte kollektiver Identität innerhalb des Landes. [19]
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Dass der Vorstellung von einem eigenen 'homeland' eine zentrale Rolle innerhalb entsprechender Projekte des 'nation building' zukommt, ist der Nationalismusforschung seit längerem bekannt. [20] Welche Bilder vom 'eigenen' Territorium bzw. dessen Grenzen in verschiedenen osteuropäischen Gesellschaften in unterschiedlichen Epochen miteinander konkurrierten und wie z.B. regionale und nationale Konzepte, gesellschaftliche und staatliche Entwürfe oder Modelle einzelner ethnischer oder kultureller Gruppen jeweils um Gültigkeit rangen, hat die historische Osteuropaforschung jedoch erst in den vergangenen Jahren intensiver in den Blick genommen. [21] So untersuchte beispielsweise Peter Haslinger in seinem Freiburger Habilitationsprojekt "Imagined Territories" die Konstruktion von 'Nation' und 'Territorium' im tschechischen politischen Diskurs 1839-1938. [22] In diesem Kontext analysierte er nicht nur Debatten über die imaginierten und angestrebten territorialen Grenzen des tschechischen bzw. tschechoslowakischen Nationsprojektes und die Praktiken ihrer Absicherung, sondern auch die Frage nach der Binnenstrukturierung des Landes, die für die einzelnen nationalen Gruppen innerhalb dieses Territoriums entsprechende Räume vorsah.
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Auch im Sammelband "The Landscape of Stalinism", herausgegeben von Evgeny Dobrenko und Eric Naiman, wird aus unterschiedlicher Perspektive die Frage nach der Imagination von Territorium – am Beispiel der UdSSR – in Literatur, Kunst, Film, Architektur und Objekten der sowjetischen Alltagskultur analysiert. [23] Die Autorinnen und Autoren der Anthologie diagnostizieren dabei in den sowjetischen Diskursen der 1930er Jahre ein relativ statisches Bild des staatlichen Territoriums, das geprägt ist von einer strikt gedachten Dichotomie von Zentrum und Peripherie und sich zudem durch eine hermetische Abgeschlossenheit auszeichnet. Der Grenze bzw. der Figur des Grenzwächters kam sowohl im populärwissenschaftlichen geographischen Diskurs als auch im sowjetischen Massenlied eine herausragende Bedeutung zu. Jenseits der Grenze lag ein Raum, der als 'antispace' beschrieben wurde, wobei insbesondere dem 'Westen' die Funktion des spatialen Gegenbildes zukam.
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Der zuletzt erwähnte Aspekt macht deutlich, dass das Thema des Raumes bzw. des Territoriums nicht getrennt von dem der Grenze gedacht werden kann. Dies gilt auch in einem ganz besonderen Maße für die Geschichte Osteuropas. Aus diesem Grund ist die Literatur über die Verschiebungen und Politisierung von Grenzen in Ostmittel- und Südosteuropa auch kaum mehr zu überschauen. [24] Gleiches lässt sich über die Forschungsliteratur zur Geschichte der Kartographie Ostmittel- und Osteuropas und zur Politisierung von Raumbildern im Medium der Landkarte (noch) nicht sagen. Diese Themenfelder warten im Großen und Ganzen noch auf eine intensive Bearbeitung. [25]
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Als vierte Erweiterung bzw. Modifikation der Debatten über 'mental maps' der 1990er Jahre lässt sich in den vergangenen Jahren eine intensivierte Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Regionen beobachten, die innerhalb der Grenzen eines Staates bzw. Reiches im östlichen Europa liegen. Neben dem Interesse an der Konstruktion von (transnationalen) Geschichtsregionen sowie von imperialen und nationalen Räumen gewinnt dieser regionale Ansatz innerhalb der Osteuropäischen Geschichte zunehmend an Profil. [26] Als Beispiel kann in diesem Zusammenhang auf die wachsende Forschungsliteratur über die Geschichte der Rezeption Sibiriens innerhalb und außerhalb Russlands hingewiesen werden. Insbesondere der Historiker und Geograph Mark Bassin hat mit seinen Studien zum russischen Sibirienbild unsere Kenntnis vom Wandel der Wahrnehmung dieser gewaltigen Region – vom 'Hort der Kälte' und 'größten Gefängnis der Welt' zum Raum der Hoffung und gesellschaftlicher Utopien – entscheidend erweitert. [27] Arbeiten von Claudia Weiss über das Sibirien-Bild der Kaiserlichen Russländischen Geographischen Gesellschaft, von Susi Frank über die Wahrnehmung der Region in der russischen 'Geokulturologie' oder von Eva-Maria Stolberg über die sibirische 'frontier' knüpfen in der einen oder anderen Weise an die Arbeiten Bassins an. [28] Auch in Russland ist ein wachsendes Interesse an der systematischen Untersuchung des Wandels von Sibirien-Bildern und -Diskursen zu beobachten, wie neuere Studien von Anatolij Remnev und seiner Tomsker Kolleginnen und Kollegen eindrucksvoll belegen. [29]
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Alle vier skizzierten Forschungsansätze, die sich als Reaktion auf Arbeiten über die Verortung des östlichen Europa und seiner Teilregionen auf unseren kognitiven Landkarten interpretieren lassen – der Vergleich, der Blick auf die Akteure, die Analyse der Binnenwahrnehmung und die Frage nach der Wahrnehmung von Regionen – fokussieren, wie die Arbeiten von Wolff und Todorova, auf die Repräsentation von Räumen in politischen bzw. gesellschaftlichen Diskursen. Dass sich sozialer Raum jedoch nicht nur als Objekt von Wahrnehmungsprozessen und als Konstrukt diverser Diskurse beschreiben lässt, gehört vermutlich zu jenen, banal anmutenden Einsichten, die die Wende von einem 'linguistic' zu einem 'spatial turn' in den Geschichts- und Sozialwissenschaften der vergangenen Jahre markieren.
Dass ein wachsendes Interesse an der Bedeutung räumlicher Zusammenhänge für historische Prozesse indes nicht zu einer Rückkehr zu geo-deterministischen Sichtweisen der klassischen Geographie oder der Geopolitik des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts führen darf, scheint in den gegenwärtigen Raum-Debatten der Sozial- und Geschichtswissenschaften weitgehender Konsens zu sein. [30] In diesem Zusammenhang lenken die meisten der an 'Raumfragen' interessierten Historiker den Blick auch weniger auf 'naturräumliche' Zusammenhänge und auf deren Bedeutung für bestimmte geschichtliche Prozesse, sondern interessieren sich eher für die aktive Gestaltung und Strukturierung (sozialer) Räume, in denen sich gesellschaftliche Prozesse entfalten bzw. für die Geschichte der Aneignung und Erschließung von Naturräumen durch menschliches Handeln. Diese Tendenz lässt sich besonders gut an Arbeiten aus den Themenfeldern der Stadtgeschichte bzw. der Geschichte der Verkehrswege und Infrastruktur verdeutlichen.
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Angesichts der wachsenden Bedeutung von Großstädten, die sich gegenwärtig in fast allen Ländern der Welt beobachten lässt, ist in den vergangenen Jahren in den historischen Wissenschaften auch das Interesse für die Geschichte des Urbanen erneut gestiegen. [31] Diese Tendenz gilt in gleichem Maße für die allgemeine, wie für die Osteuropäische Geschichte. In der letzten Zeit hat die historische Osteuropa-Forschung eine Reihe neuer Arbeiten zur Geschichte der Stadt bzw. zur Geschichte von Stadtplanung und des Städtebaus hervorgebracht, die nach der Gestaltung urbaner Strukturen und nach deren Bedeutung für gesellschaftliche, politische und soziale Prozesse fragen. Dass der zeitliche Fokus dabei meist auf dem Zeitraum zwischen 1850 und 1950, d.h. der Hochzeit der Urbanisierung im Zeitalter der klassischen Moderne, liegt, und die Stadtgeschichte der Vormoderne kaum Berücksichtigung findet, liegt in gewisser Weise in der Natur der Sache selbst. [32]
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Die Sensibilisierung des historischen Blicks für die Bedeutung des Urbanen ist in der deutschsprachigen Osteuropaforschung nicht zuletzt ein Verdienst von Karl Schlögel, der bereits in den 1980er Jahren in seinem Buch über St. Petersburg als "Laboratorium der Moderne" die Stadt um die Jahrhundertwende als sozialen Mikrokosmos zum Gegenstand einer facettenreichen historischen Studie gemacht hat. [33] In fast allen Büchern Schlögels, die in der Folgezeit erschienen, spielen Städte oder urbane Kontexte eine zentrale Rolle. [34] Schlögels Ansatz, die Geschichte der Städte im östlichen Europa zu erkunden, ist nicht ohne den Betrachter (bzw. den von ihm beschworenen 'Flaneur') zu denken, der den urbanen Raum der Gegenwart genau beobachtet. Die Verzahnung von genauer Beschreibung gegenwärtiger räumlicher Strukturen und eingehender historischer Analyse erklärt in einem großen Maße den Erfolg, den Schlögels Stadt-Geschichten auf dem deutschen Buchmarkt haben. Gleichzeitig hat sie sich fast zu einem Art 'Markenzeichen' entwickelt, die seine Texte deutlich von den Arbeiten anderer Autoren der Stadtgeschichte Ostmittel- und Osteuropas unterscheiden.
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Das Arbeitsfeld der Stadtgeschichte in Osteuropa im langen 19. Jahrhundert ist in den vergangenen Jahren vor allem von der englischsprachigen Forschung bestellt worden. Als Beispiele können hier die Studien von Daniel R. Brower "The Russian City between Tradition and Modernity, 1850-1900" (Berkeley 1990), von Michael F. Hamm "Kiev. A Portrait, 1800-1917" (Princeton 1993) oder von W. Bruce Lincoln "Sunlight at Midnight. St. Petersburg and the Rise of Modern Russia" (Oxford 2001) angeführt werden. [35] Auch in Russland sind in der letzten Zeit faszinierende Arbeiten zur modernen Stadtgeschichte entstanden, in denen versucht wird, eine Brücke über die Fächergrenzen der Geschichte, der Architektur und der Stadtplanung zu schlagen. [36] Die deutschsprachige auf Osteuropa bezogene Stadtgeschichtsforschung scheint sich demgegenüber vor allem auf die Zeit des 20. Jahrhunderts zu konzentrieren. [37] So hat sich neben Monica Rüthers, die in ihrem Baseler Habiliationsprojekt den Umbau Moskaus in der Zeit des Stalinismus analysierte, insbesondere Thomas Bohn mit Arbeiten zum Typus der 'sozialistischen Stadt' profiliert und eine Studie zum Fall Minsk in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt. [38] Einen spezifischen Zugang zum Themengebiet der Stadtgeschichte im östlichen Europa im 20. Jahrhundert haben schließlich jene Arbeiten, die sich für die Transformation ehemals von Deutschen geprägter Städte nach den Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen in der Zeit nach 1945 interessieren, wie die Studien von Gregor Thum zu Breslau/Wroc?aw oder von Bernd Hoppe zu Königsberg/Kaliningrad. [39]
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Auch jene historischen Studien, die sich in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Osteuropaforschung der Geschichte spezifischer Orte bzw. Räume innerhalb urbaner Kontexte im östlichen Europa zugewandt haben, konzentrieren sich weitgehend auf das 'kurze 20. Jahrhundert'. Als Beispiele können hier die Dissertationen von Julia Obertreis über das Wohnen und Wohnraumpolitik in Petrograd / Leningrad zwischen 1917 und 1937 bzw. von Katharina Kucher über den Moskauer Gorki-Park in der Zeit des Stalinismus genannt werden. Beide Fallstudien befassen sich insbesondere mit dem Problem der Abgrenzung, Definition und des Wandels privater und öffentlicher Räume im städtischen Kontext. [40] Während die Geschichte des Urbanen im östlichen Europa im 20. Jahrhundert somit als ein relativ intensiv bearbeitetes Feld gelten kann, weist die Erforschung von Städtebau und Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert in dieser Region offenbar noch zahlreiche Forschungslücken auf.
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Ein weiteres Themenfeld, in dem die Frage nach der Erschließung von Territorien und Neustrukturierung von sozialen Räumen eine besondere Rolle spielt, ist die Geschichte von Verkehrswegen bzw. Infrastrukturprojekten. Während früher die Geschichte der Transport- und Versorgungswege vor allem im Kontext der Technik- bzw. der Wirtschaftsgeschichte behandelt wurde, lässt sich gegenwärtig – auch in der Osteuropäischen Geschichte – ein wachsendes Interesse an der gesellschaftlichen und kulturellen Dimension der infrastrukturellen Erschließung staatlicher Gebiete in der Neuzeit beobachten. [41] Dabei rückt ins Blickfeld, dass der Bau von Kanälen, Chausseen, Eisenbahnen, Telegrafenleitungen, Metrotrassen und Staudämmen nicht nur die Folge entsprechender technischer Innovationen und der Konzentration gewaltiger Finanzvolumina war, sondern dass Großprojekte dieser Art nur vor dem Hintergrund entsprechender gesellschaftlicher Mobilisierungsprozesse verstanden werden können und sie gleichzeitig zu einer vielfältigen Neukonfigurierung sozialer Räume beitrugen.
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Insbesondere auf dem Gebiet der Eisenbahngeschichte des östlichen Europa lassen sich momentan vielfältige Versuche beobachten, die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen der Vernetzung weitläufiger Territorien im 19. und 20. Jahrhundert zu beleuchten. So fragt z.B. Roland Cvetkovski in einer Kölner Dissertation nach der Dimension und Bedeutung von Beschleunigungsprozessen in Kommunikation und Fortbewegung im Zarenreich im 18. und 19. Jahrhundert. [42] Welche Formen der Kommunikation zwischen der Bevölkerung und der Reichsregierung der Eisenbahnbau in den 1860er Jahren im Russischen Reich anstieß bzw. bedingte, steht im Mittelpunkt der Bielefelder Doktorarbeit von Walter Sperling. [43] Der Autor dieses Artikels arbeitet an einem Forschungsprojekt zum Thema "Das Russländische Reich und die Eisenbahn: Mobilität und sozialer Raum im langen 19. Jahrhundert". In diesem Zusammenhang wird die Neukonfiguration sozialer Räume in Russland im 'Zeitalter der Eisenbahn' auf der Ebene des Imperiums, der großstädtischen Bahnhöfe und der Züge untersucht. Prozesse der rechtlichen Abgrenzung und Kontrolle sowie der architektonischen und technischen Gestaltung von Bahnhofsgebäuden und Eisenbahnwaggons spielen dabei ebenso eine Rolle wie Fragen nach Reise- und Migrationsverhalten der einzelnen Bevölkerungsgruppen sowie nach der Veränderung räumlicher Wahrnehmungsmuster bei den Passagieren. [44] Nach den Formen gesellschaftlicher Mobilisierung, den sozialen Bedingungen des Baus und der kulturellen Vermittlung des sowjetischen Großprojekts der Bajkal-Amur-Magistrale fragt schließlich Johannes Grützmacher in einer Tübinger Dissertationsarbeit. [45]
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Die Tendenz in der deutschen Osteuropa- bzw. Russlandforschung der letzten Jahrzehnte, sich vor allem der Geschichte des 20. Jahrhunderts und dabei speziell der Zeit der Herrschaft Stalins zuzuwenden, lässt sich auch bei jenen neueren Arbeiten beobachten, die Themen der Verkehrs- und Infrastrukturgeschichte gewidmet sind. Als Beispiele können hier die Forschungsprojekte von Klaus Gestwa über Großprojekte des Stalinismus – wie Wasserkraftwerke, Staudämme und Kanäle – oder von Julia Obertreis, Christian Teichmann und Daniela Bergelt über die Geschichte der Bewässerung Zentralasiens angeführt werden. [46] Auch die Habilitationsarbeit von Dietmar Neutatz über den Metrobau in Moskau kann als Indikator für ein gegenwärtig besonders lebhaftes Interesse der deutschen Russlandforschung an der Geschichte des 20. Jahrhunderts – auch in dem hier betrachteten Themenfeld – gelesen werden. [47]
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Die Vokabel des 'Raumes' – bzw. die des 'Ortes' – hat in den gegenwärtigen Debatten der allgemeinen wie der Osteuropäischen Geschichte zweifelsohne Konjunktur. Dies führt innerhalb des Faches gelegentlich auch zu Gegenreaktionen, die sich entweder in Polemiken gegen eine neue intellektuelle 'Mode', in dezidierter Kritik an der Unschärfe der Begriffe oder in Vorwürfen des Revisionismus bzw. der Rückkehr zu Denkmustern der Geopolitik äußern.
Ob das verstärkte Interesse an der Wahrnehmung, Gestaltung und Konstruktion von 'Räumen', das sich zurzeit in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften beobachten lässt, nur eine intellektuelle Mode-Erscheinung ist, sei dahin gestellt. Die vielfach beschworene paradigmatische Wende ('spatial turn') stellt sich in internationaler Perspektive ohnehin als etwas weniger spektakulär dar. Vor allem im deutschsprachigen Diskurs war das Sprechen über 'Raum' – aus oben genannten Gründen – über lange Zeit mit einem Tabu belegt und vor allem hier scheint die Beschreibung der gegenwärtigen Entwicklung als 'Wende' in gewisser Hinsicht zutreffend. Die Einsicht, dass sich historische Prozesse nicht nur in der Zeit, sondern auch in räumlichen Strukturen entfalten, ist in Wissenschaftskulturen anderer Länder indes seit langem ein Allgemeinplatz. So prägt z.B. in Frankreich die Schule der 'Annales' nach wie vor die Arbeit in den historischen Wissenschaften. Die enge Zusammenarbeit von Historikern und Geographen ist hier keine Seltenheit und Erdkunde ist ein elementarer Bestandteil des französischen Geschichtsstudiums.
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Dass der 'spatial turn' zu einer Renaissance Raum-fixierten Denkens in den Kultur- und Sozialwissenschaften im Stil der Schule der klassischen Geopolitik führen wird, erscheint aus zwei Gründen unwahrscheinlich. Zum einen zeichnet sich der gegenwärtige wissenschaftliche Diskurs über 'Orte' und 'Räume' durch eine beeindruckende Vielstimmigkeit aus, die mit einer großen Zahl unterschiedlicher Definitionen der entsprechenden Begriffe korrespondiert. Bereits dieser ausschnittartige Literaturüberblick über neuere Arbeiten aus dem Feld der Osteuropäischen Geschichte macht deutlich, dass sich die verschiedenen Forschungsansätze, die sich in der einen oder anderen Weise für 'Raumfragen' interessieren, nur schwer auf eine gemeinsame begriffliche Grundlage bringen lassen. Diese Diagnose fällt noch deutlicher aus, wenn man in der Umschau auch noch Arbeiten aus der aktuellen Erinnerungsforschung – Stichworte: 'Lieux de mémoire' (P. Nora) oder 'Erinnerungsräume' (A. Assmann) – berücksichtigt. [48]
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Zum anderen hat sich die theoretische Debatte über 'Raum' seit einiger Zeit weit von der Vorstellung weg entwickelt, dass dieser – vor allem gedacht als Territorium oder 'Naturraum' – als eine vorhistorische Kategorie und gleichsam neutrale Bühne für soziale Prozesse zu betrachten sei. Wenn heute in den historischen Wissenschaften nach der Geschichte und Abgrenzung 'öffentlicher' und 'privater' Räume, nach der Genese spezifischer Raumordnungen in modernen Großstädten, nach der Entstehung von 'homeland'-Vorstellungen und der Konstruktion von 'Grenzen im Kopf' gefragt wird, hat dies nichts mehr mit geo-deterministischem Denken à la Haushofer zu tun. Das neu erwachte Interesse an Raumfragen korrespondiert in den allermeisten Fällen mit der Erkenntnis, dass 'sozialer', d.h. für historische Prozesse relevanter 'Raum', in erster Linie ein Produkt menschlichen Handelns ist, und dass zahlreiche historische Prozesse nicht adäquat beschrieben werden können, wenn man diese Dimension sozialer Praxis ausblendet. Der 'spatial turn' erinnert somit weniger an eine neue Kurve in der Achterbahn des intellektuellen 'mainstream' als an eine relativ ruhige Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnishorizonts und dies im wahrsten Sinne des Wortes.
Frithjof Benjamin Schenk
Ludwig-Maximilians-Universität München
Historisches Seminar, Abteilung für Geschichte Osteuropas und Südosteuropas
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Benjamin.Schenk@lrz.uni-muenchen.de
[1] Karl Schlögel: Die Wiederkehr des Raums – auch in der Osteuropakunde, in: Osteuropa 3 (2005), 5-17; ders.: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003; ders.: Die Wiederkehr des Raumes. Die Konkretwerdung der Welt nach dem Verschwinden der Systeme, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 139 vom 16.9.1999, Beilage: "Bilder und Zeiten", I-II. Zum 'spatial turn' vgl. auch: Frithjof Benjamin Schenk: Der "spatial turn" und die Osteuropäische Geschichte, in: Themenschwerpunkt: "Zur Europäizität des östlichen Europa" auf H-Soz-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2006-06-001 .
[2] Vgl. z.B. die Querschnittsberichte des 45. Deutschen Historikertages, z.B. der Beitrag von Uffa Jensen: "Kommunikation und Raum" als Generalthema des Historikertages, in: Historisches Forum 4 (2004), http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/4/PDF/HistFor_4-2004.pdf . Bereits Ende der 1990er Jahre mahnte Jürgen Osterhammel eine stärkere Berücksichtung der Kategorie des 'Raumes' in den Geschichtswissenschaften an. Vgl. ders.: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistoire und historische Geographie, in: Neue Politische Literatur 43 (1998), 374-397. Vgl. auch die Sammelbände: Alexander C.T. Geppert / Uffa Jensen / Jörn Weinhold (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005; und Alexa Geisthövel / Habbo Knoch (Hg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2005.
[3] Dieter Läpple: Essay über den Raum, in: Hartmut Häußermann / Detlev Ipsen / Thomas Krämer-Badoni (Hg.): Stadt und Raum. Soziologische Analysen, Pfaffenweiler 1991, 157-207; Gabriele Sturm: Wege zum Raum. Methodologische Annäherungen an ein Basiskonzept raumbezogener Wissenschaften, Opladen 2000; Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001.
[4] Hans-Dietrich Schultz: Räume sind nicht, Räume werden gemacht. Zur Genese "Mitteleuropas" in der deutschen Geographie, in: Europa Regional 5 (1997), 2-14; ders.: Raumkonstrukte der klassischen deutschsprachigen Geographie des 19./20. Jahrhunderts im Kontext ihrer Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 343-374.
[5] Edward W. Said: Orientalism, New York 1979, (dt.: Orientalismus, Frankfurt 1981); Larry Wolff: Inventing Eastern Europe: The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford 1994; Maria Todorova: Imagining the Balkans, New York 1997, (dt.: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt 1999).
[6] Frithjof Benjamin Schenk: Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 493-514.
[7] Vgl. z.B. Karl Kaser / Dagmar Gramshammer-Hohl / Robert Pichler (Hg.): Europa und die Grenzen im Kopf (= Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens 11), Klagenfurt 2004.
[8] Frithjof Benjamin Schenk: The Historical Regions of Europe – Real or Invented? Some Remarks on Historical Comparison and Mental Mapping, in: ders. (Hg.): Beyond the Nation. Writing European History Today, St. Petersburg 2004 (= Working Papers des Zentrums für Deutschland und Europastudien St. Petersburg 1), 15-24. Für die Working Papers vgl.allgemein: http://www.zdes.spb.ru/text/ZDES%20_Working%20Papers_2005.pdf
[9] Zum Konzept der 'Geschichtsregion' vgl. European Review of History / Revue Européenne d'histoire 10 (2003) 2: Themenheft: "Geschichtsregionen: Concept and Critique", darin insbes. die Einleitung von Stefan Troebst: What's in a Historical Region? A Teutonic Perspective, 173-188. Siehe auch: Arno Strohmeyer: Historische Komparatistik und die Konstruktion von Geschichtsregionen: der Vergleich als Methode der historischen Europaforschung, in: Jahrbücher für Geschichte und Kultur Südosteuropas 1 (1999), 39-55, und Holm Sundhaussen: Die Wiederentdeckung des Raums: Über Nutzen und Nachteil von Geschichtsregionen, in: Konrad Clewing / Oliver Jens Schmitt (Hg.): Südosteuropa. Von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinigung, München 2005, 13-33. Zur Kritik am Konzept der Geschichtsregion vgl. unter anderem: Karl Kaser: Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft, 2. Aufl., Wien / Köln / Weimar 2002.
[10] Zur Geschichtsregion 'Nordeuropa' vgl. Bernd Henningsen: Der Norden: Eine Erfindung. Das europäische Projekt einer regionalen Identität. Antrittsvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1995, sowie die zahlreichen Forschungsarbeiten, die in den letzten Jahren z.B. am Nordeuropa-Institut der HU Berlin erschienen sind: http://www2.hu-berlin.de/ni/publ/publikationen.html . Der 'Süden Europas' als Wahrnehmungs-, Struktur- und Handlungsraum war im Februar 2005 Gegenstand eines Workshops am Berliner Kolleg für vergleichende Geschichte Europas, vgl. Tagungsbericht unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=728. Die Ergebnisse der Tagung werden publiziert in: Frithjof Benjamin Schenk / Martina Winkler (Hg.): Der Süden. Neue Perspektiven auf eine europäische Geschichtsregion, Frankfurt a.M. 2007.
[11] Vgl. z.B. Gerald Stourzh (Hg.): Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung, Wien 2002; dazu meine Rezension für H-Soz-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3459&type=rezbuecher&sort=datum&order=down&search=Gerald+Stourzh .
[12] Struck, Bernhard: Nicht West – nicht Ost. Frankreich und Polen in der Wahrnehmung deutscher Reisender zwischen 1750 und 1850, Göttingen 2006; ders.: Von Sachsen nach Polen und Frankreich. Die These der 'Erfindung Osteuropas' im Spiegel deutscher Reiseberichte um 1800, in: Comparativ 14 (2004), 125-143.
[13] Vgl. zu diesem Ansatz: Hans Erich Bödeker / Arnd Bauerkämper / Bernhard Struck (Hg.): Die Welt erfahren. Reisen als kulturelle Erfahrung von 1780 bis heute, Frankfurt a.M. 2004; Hagen Schulz-Forberg: European Travel and Travel Writing. Cultural Practice and the Idea of Europe, in: ders. (Hg.): Unravelling Civilisation. European Travel and Travel Writing, Brussels 2005, 13-42.
[14] Christopher Ely: The Origins of Russian Scenery: Volga River Tourism and Russian Landscape Aesthetics, in: Slavic Review 62 (2003) 4, 666-682; ders.: The Picturesque and the Holy: Visions of Touristic Space in Russia, 1820-1850, in: James Cracraft / Daniel Rowland (Hg.): Architectures of Russian Identity. 1500 to the Present, Ithaca / London 2003, 80-89; Diane P. Koenker: Travel to Work, Travel to Play. On Russian Tourism, Travel and Leisure, in: Slavic Review 62 (2003) 4, 657-665; Louise McReynolds: Russia at Play. Leisure Activities at the End of the Tsarist Era, Ithaca 2002; Anne E. Gorsuch / Diane P. Koenker (Hg.): Turizm: The Russian and East European Tourist under Capitalism and Socialism, Ithaca 2006.
[15] Matthias Heeke: Reisen zu den Sowjets. Der ausländische Tourismus in der Sowjetunion 1921-1941. Mit einem bio-bibliographischen Anhang zu 96 deutschen Reiseautoren, Münster 2003; Christian Noack: Tourismus in Russland und der UdSSR als Gegenstand historischer Forschung. Ein Werkstattbericht, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), 477- 498; ders.: Von Wilden und anderen Touristen. Zur Geschichte des Massentourismus in der UdSSR, in: Werkstatt Geschichte 36 (2004), 24-41; Eva Maurer: Alpinizm as Mass Sport and Elite Recreation: Soviet Mountaineering Camps under Stalin, in: Gorsuch / Koenker (Hg.): Turizm (wie Anm. 14).
[16] Vgl. stellvertretend für eine umfangreiche Forschungsliteratur: Gabriele Scheidegger: Das Eigene im Bild vom Anderen. Quellenkritische Überlegungen zur russisch-abendländischen Begegnung im 16. und 17. Jahrhundert., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 35 (1987), 339-355; dies: Perverses Abendland, barbarisches Russland. Begegnungen des 16. und 17. Jahrhunderts im Schatten kultureller Missverständnisse, Zürich 1993.
[17] Eine Ausnahme bildet z.B. Regina Stürickow: Reisen nach St. Petersburg. Die Darstellung St. Petersburgs in Reisebeschreibungen (1815-1861), Frankfurt 1990.
[18] Zur Kritik an Said vgl. stellvertretend: John MacKenzie: Orientalism. History, Theory and the Arts, 2. Aufl., Manchester 1998; Jürgen Osterhammel: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001; ders.: Edward W. Said und die 'Orientalismus'-Debatte. Ein Rückblick, in: Asien-Afrika-Lateinamerika (Berlin) 25 (1997), 597-607.
[19] Alexander von Schelting: Rußland und Europa im russischen Geschichtsdenken, Bern 1948, [Nachdruck: Stuttgart 1997]; Iver B. Neumann: Russia and the Idea of Europe. A Study in Identity and International Relations, London 1996; Martin Melia: Russia under Western Eyes. From the Bronze Horseman to the Lenin Mausoleum, Cambridge 1999.
[20] Vgl. Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, 23. Zur Bedeutung der Landkarte als Medium zur Verbreitung von nationalen Raumbildern: Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflection on the Origin and Spread of Nationalism, 2. Aufl., London 1991, 170-178.
[21] Vgl. exemplarisch: George W. White: Nationalism and territory. Constructing Group Identity in Southeastern Europe, Lanham u.a. 2000.
[22] Peter Haslinger: Imagined Territories. Nation und Territorium im tschechischen politischen Diskurs 1889-1938. Habilitationsschrift, Freiburg 2004; ders.: Die "Arbeit am nationalen Raum". Kommunikation und Territorium im Prozess der Nationalisierung, in: ders. / Daniel Mollenhauer (Hg.): "Arbeit am nationalen Raum". Deutsche und polnische Rand- und Grenzregionen im Nationalisierungsprozess (= Comparativ 15/2 ), Leipzig 2005, 9-21.
[23] Evgeny Dobrenko / Eric Naiman (Hg.): The Landscape of Stalinism. The Art and Ideology of Soviet Space, Seattle, London 2003. Vgl. dazu meine Rezension für H-Soz-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-115 . Das Themenfeld "(politische) Macht und Raum (Territorium)" in der russischen bzw. sowjetischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beleuchtet aus unterschiedlicher Perspektive der Sammelband: Boris V. Ananic( (Hg.): Prostranstvo vlasti. Istoric(eskij opyt Rossii i vyzovy sovremennosti, Moskva 2001.
[24] Vgl. stellvertretend: Anssi Paasi: Territories, Boundaries and Consciousness. The Changing Geographies of the Finnish-Russian Border, Chichester u.a. 1996; Peter Haslinger (Hg.): Grenze im Kopf. Beiträge zur Geschichte der Grenze in Ostmitteleuropa, Frankfurt a.M. u.a. 1999; ders.: Grenze als Strukturprinzip und Wahrnehmungsproblem: Theorien und Konzepte im Bereich der Geschichtswissenschaften, in: Andreas Kappeler / Christoph Augustynowicz (Hg.): Die galizische Grenze 1772-1867: Kommunikation und Isolation, Wien 2006, 5-20; Waltraud Heindl / Edith Saurer (Hg.): Grenze und Staat: Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750-1867, Wien [u.a.] 2000; Michael G. Müller (Hg.): Die Nationalisierung von Grenzen. Zur Konstruktion nationaler Identität in sprachlich gemischten Grenzregionen, Marburg 2002; Hans-Christian Maner (Hg.): Grenzregionen der Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. Ihre Bedeutung und Funktion aus der Perspektive Wiens, Münster 2005.
[25] Zur Politisierung von Landkarten und Raumbildern der UdSSR und des postsowjetischen Raumes nach 1991 vgl. Gasan Gusejnov: Karta našej rodiny. Ideologema meždu slovom i telom, Moskva 2005.
[26] Zum wachsenden Interesse an der Geschichte von Imperien und Vielvölkerreichen vgl. den Beitrag von Ricarda Vulpius in dieser Ausgabe der Zeitenblicke.
[27] Mark Bassin: Inventing Siberia: Visions of the Russian East in Early Nineteenth Century, in: American Historical Review 96 (1991), 763-794; ders.: Imperial Visions. Nationalist Imagination and Geographical Expansion in the Russian Far East, 1840-1865, Cambridge 1999; ders.: Imperialer Raum / Nationaler Raum. Sibirien auf der kognitiven Landkarte Rußlands im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 378-403.
[28] Claudia Weiss: Wie Sibirien 'unser' wurde - Die Russische Geographische Gesellschaft und ihr Einfluss auf die Bilder und Vorstellungen von Sibirien im 19. Jahrhundert, Habilitationsschrift, Hamburg 2006; dies.: Die Kaiserliche Russische Geographische Gesellschaft und die russische Sibirienpolitik, in: Sibirienbilder. Konzeptualisierungen des russischen Nord-Ostens in den Kulturwissenschaften – Obrazy Sibiri. Konceptualizacija russkogo Severo-Vostoka v kul'turologii(zweisprachige Ausgabe), Irkutsk 2005, 167-178; Susi Frank: Dostoevskij, Jadrincev und C(echov als Geokulturologen Sibiriens, in: dies. (Hg.): Gedächtnis und Phantasma. FS für Renate Lachmann, München 2002, 32-47; dies.: Sibirien: Peripherie und Anderes der russischen Kultur, in: Wolfgang Weitlaner (Hg.): "Mein Russland". Literarische Konzeptualisierungen und kulturelle Projektionen, (= Sonderband Wiener Slawistischer Almanach 1997), 357-383; dies.: Überlegungen zum Ansatz einer historischen Geokulturologie, in: dies. / Igor P. Smirnov (Hg.) Zeit – Räume. Neue Tendenzen in der historischen Kulturwissenschaft aus der Perspektive der Slavistik, (= Wiener Slawistischer Almanach 49), München 2002, 55-75; Eva-Maria Stolberg (Hg.): The Siberian Saga. A History of Russia's Wild East, Frankfurt a.M. 2005; dies.: The Siberian Frontier between 'White Mission' and 'Yellow Peril', 1890s-1920s, in: Nationalities Papers 32 (2004), 165-182; dies.: Sibirien – Russlands Wilder Osten. Mythos und soziale Realität. Ein Beitrag zur Frontierdebatte, Habilitationsschrift, Bonn 2004. Zum Thema 'frontier' in der Geschichte Russlands vgl. auch Martin Aust: Rossia Siberica: Russisch-sibirische Geschichte im Vergleich zum mittelalterlichen Landesausbau und neuzeitlichen Kolonialismus, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 1 (2000), 39-63.
[29] Anatolij Viktorovic( Remnev: Rossija dal'nego vostoka. Imperskaja geografija vlasti XIX – nac(ala XX vekov, Omsk 2004; ders.: Vdvinut' Rossiju v Sibir'. Imperija i russkaja kolonizacija vtoroj poloviny XIX – nac(ala XX vv., in: Ab Imperio 2003, 135-158; Natalja G. Suvorova (Hg.): Aziatskaja Rossija. Ljudi i struktury imperii (FS für Anatolij Remnev), Omsk 2005; Natalija Nikolaevna Rodigina: 'Drugaja Rossija'. Obraz Sibiri v russkoj žurnal'noj presse vtoroj poloviny XIX – nac(ala XX veka, Novosibirsk 2006.
[30] Zur Kritik an der Geopolitik vgl. stellvertretend: R. Sprengel: Kritik der Geopolitik. Der deutsche Diskurs 1914-1944, Berlin 1996; Michael Fahlbusch / Mechthild Rössler / Hans-Dietrich Schultz: Geographie und Nationalsozialismus. Drei Fallstudien zur Institution Geographie im Deutschen Reich und in der Schweiz, Kassel 1989.
[31] Vgl. z.B. Forum H-Soz-Kult: "Das Ende der Urbanisierung? Wandelnde Perspektiven auf die Stadt, ihre Geschichte und Erforschung": http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=665&pn=texte .
[32] Vgl. z.B. Karl Schlögel / Frithjof Benjamin Schenk / Markus Ackeret (Hg.): St. Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte, Frankfurt 2007.
[33] Karl Schlögel: Jenseits des Großen Oktober. Das Laboratorium der Moderne. Petersburg 1909-1921, Berlin 1988. Als erstes erschien sein Städtebuch "Moskau lesen", Berlin 1984.
[34] Ders.: Das Wunder von Nishnij oder Die Rückkehr der Städte. Berichte und Essays, Frankfurt a.M. 1991; ders.: Promenade in Jalta und andere Städtebilder, München 2001; ders.: Marjampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte, München 2005.
[35] Eine der wenigen deutschen Arbeiten zu diesem Zeitraum ist die Studie von Kristina Küntzel: Von Nižnyj Novgorod zu Gorkij. Metamorphosen einer russischen Provinzstadt. Die Entwicklung der Stadt von den 1890er bis zu den 1930er Jahren, Stuttgart 2001.
[36] Vgl. z.B. Gradostroitel'stvo Rossii serediny XIX - nac(ala XX veka, Bde. 1 und 2, Moskva 2001 und 2003.
[37] Die Arbeiten von Lutz Häfner über die Wolgastädte Kazan' und Saratov ("Gesellschaft als lokale Veranstaltung", Köln 2004) bzw. von Guido Hausmann über "Universität und städtische Gesellschaft in Odessa, 1856-1917" (Stuttgart 1998) sind zwar auch dem Gebiet der Stadtgeschichte zuzurechnen, widmen dem Faktor des städtischen 'Raums' jedoch nur in einem beschränkten Maße Aufmerksamkeit. Beide sind vor allem dem Feld der Gesellschaftsgeschichte verpflichtet, die 'Stadt' in erster Linie als Ort einer spezifischen Form von Vergesellschaftung und nicht primär als in besonderer Weise 'räumlich' organisiertes Gemeinwesen betrachtet. Vgl. auch: Manfred Hildermeier: Bürgertum und Stadt in Russland 1760-1870. Rechtliche Lage und Struktur, Köln / Wien 1986; Andreas R. Hofmann / Anna Veronika Wendland (Hg.): Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900-1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest, Stuttgart 2002.
[38] Monica Rüthers: Moskau bauen von Lenin bis Chrušc(ev. Öffentliche Räume zwischen Utopie, Terror und Alltag, Wien 2006; dies. / Carmen Scheide (Hg.): Moskau. Menschen, Mythen, Orte, Köln 2003; Thomas Bohn: Das 'Phänomen Minsk'. Stadtplanung und Urbanisierung in Weißrußland nach dem Zweiten Weltkrieg, Habilitationsschrift, Jena 2004; ders.: Das 'neue' Minsk – Aufbau einer sozialistischen Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Beyrau / Rainer Lindner (Hg.): Handbuch der Geschichte Weißrußlands, Göttingen 2001, 319-333. Vgl. auch: Harald Bodenschatz / Christiane Post (Hg.): Städtebau im Schatten Stalins. Die internationale Suche nach der sozialistischen Stadt in der Sowjetunion 1929-1935, Berlin 2003.
[39] Gregor Thum: Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003; Bert Hoppe: Auf den Trümmern von Königsberg. Kaliningrad 1946-1970, München 2000. Vgl. auch das Dissertationsprojekt von Jan Musekamp an der Viadrina in Frankfurt / Oder zur Wandlung Stettins nach 1945 und das Themenheft der Zeitschrift Nordost-Archiv: Thomas Serrier (Hg.): Die Aneignung fremder Vergangenheiten in Nordost-Mitteleuropa am Beispiel plurikultureller Städte (20. Jahrhundert), (im Erscheinen).
[40] Julia Obertreis: Tränen des Sozialismus. Wohnen in Leningrad zwischen Alltag und Utopie 1917-1937, Köln 2004; Katharina Kucher: Raum(ge)schichten. Der Gor'kij-Park im frühen Stalinismus, in: Osteuropa 3 (2005), 154-167; dies.: Der Moskauer Kultur- und Erholungspark. Formen von Öffentlichkeit im Stalinismus der dreißiger Jahre, in: Gabor T. Rittersporn / Malte Rolf / Jan C. Behrends (Hg.): Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs / Public Spheres in Soviet-Type Societies, Frankfurt a.M. 2003, 97-129. Zur Geschichte der "Kommunalka" (Gemeinschaftswohnung) als spezifisch sowjetischem Wohnungstypus vgl. Katerina Gerasimova: The Soviet Communal Apartment, in: Jeremy Smith (Hg.): Beyond the Limits. The Concept of Space in Russian History and Culture, Helsinki 1999, 107-130; Ilja Utechin: Oc(erki kommunal'nogo byta, 2. Aufl., Moskva 2004.
[41] Die Erschließung der Habsburger-Monarchie durch den Bau von Chausseen beleuchtet aus dem Blickwinkel der Modernisierungstheorie Andreas Helmedach: Das Verkehrssystem als Modernisierungsfaktor. Straßen, Post, Fuhrwesen und Reisen nach Triest und Fiume vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Eisenbahnzeitalter, München 2002.
[42] Roland Cvetkovski: Modernisierung durch Beschleunigung. Raum und Mobilität im Zarenreich, Frankfurt a.M. 2006.
[43] Walter Sperling: Stroit' železnuju dorogu, sozdavat' imperskoe prostranstvo: 'mestnost'', 'kraj', 'Rossija', 'imperija' kak politic(eskie argumenty v poreformennoj Rossii, in: Ab Imperio 2 (2006), 101-134; ders.: Torgovat'sja s vlast'ju: prošenija i žaloby kak forma politic(eskoj kommunikacii v poreformennoj Rossii, in: Mikhail Krom (Hg.): Novaja politic(eskaja istorija, St.-Peterburg 2004, 152-168.
[44] Frithjof Benjamin Schenk: Imperiale Raumerschließung. Die Beherrschung der russischen Weite, in: Osteuropa 3 (2005), 33-45; ders.: Russlands 'stählernes Band': Die Transsibirische Eisenbahn, in: Ost-West. Europäische Perspektiven 7 (2006), 219-226; ders.: Im Zug. Gesellschaftlicher Raum im Russland des Eisenbahnzeitalters, in: Transversale. Erkundungen in Kunst und Wissenschaft. Ein europäisches Jahrbuch 2 (2006), 258-264; ders.: Kommunikation und Raum im Jahr 1905. Die Eisenbahn in Krieg und Revolution, in: Martin Aust / Ludwig Steindorff (Hg.): Russland 1905 - Perspektiven auf die erste Revolution im Zarenreich (Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte 9), Frankfurt a. M. 2007, 47-67; ders.: Bahnhöfe. Stadttore der Moderne, in: Schlögel / Schenk / Ackeret: St. Petersburg (wie Anm. 32), 141-157.
[45] Johannes Grützmacher: Die Bajkal-Amur-Magistrale. Anspruch und Scheitern eines technischen Großprojekts in der Breznev-Ära, in: http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2001/206/ ; ders.: Die Baikal-Amur-Magistrale – Eine Eisenbahnlinie und ihre (Be-)Deutungen, in: Ost-West. Europäische Perspektiven. 7 (2006), 227-233.
[46] Klaus Gestwa: Die "Großbauten des Kommunismus". Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte 1948-1964 (Habilitationsprojekt); ders.: Das Besitzergreifen von Natur und Gesellschaft im Stalinismus. Enthusiastischer Umgestaltungswille und katastrophischer Fortschritt, in: Saeculum 1 (2005), 105-138; ders.: Sowjetische Landschaften als Panorama von Macht und Ohnmacht: Spurensuche auf den 'Stalinschen Großbauten des Kommunismus' und in dörflicher Idylle, in: Historische Anthropologie 11 (2003), 72-100. – Das ursprünglich von Julia Obertreis entwickelte Forschungsprojekt "Die Herren des Wassers: Künstliche Bewässerung und die Begegnung zwischen Zentrum und Peripherie. Das Beispiel Zentralasien im 19. und 20. Jahrhundert" beschäftigt mittlerweile auch die Berliner Historiker Daniela Bergelt, die zum 19. und Christian Teichmann, der zum 20. Jahrhundert arbeitet. Zum Thema vgl. Julia Obertreis: Faszinierende, zerstörerische sowjetische Moderne. Der Ausbau der Bewässerungssysteme in Zentralasien von heute aus gesehen, in: Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2006, 31 (Online-Version: http://www.nzz.ch/2006/02/11/zf/articleDAE3H.html ).
[47] Dietmar Neutatz: Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897-1935), Köln 2001; ders.: Zwischen Planung und Chaos. Moskaus Aufstieg zur Megastadt des Sozialismus, in: Wolfang Schwentker (Hg.): Megastädte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, 56-79. Zum sowjetischen Metro-Diskurs vgl. auch: Nancy Aris: Die Metro als Schriftwerk. Geschichtsproduktion und industrielles Schreiben im Stalinismus, Berlin 2005.
[48] Zum Themengebiet der Erinnerungsgeschichte im östlichen Europa vgl. der Beitrag von Peter Haslinger in dieser Ausgabe der Zeitenblicke.
Empfohlene Zitierweise:
Frithjof Benjamin Schenk : Das Paradigma des Raumes in der Osteuropäischen Geschichte , in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 2, [24.12.2007], URL: https://www.zeitenblicke.de/2007/2/schenk/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-12362
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