Museumsschlösser als Orte kultureller Überlieferung
urn:nbn:de:0009-9-13159
Zusammenfassung
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es notwendig, den Begriff des `Museumsschlosses´ einer kritischen Revision zu unterziehen. Verwendet wurde er ab den 1920er Jahren für die Residenzen, die die damals gegründete Preußische Schlösserverwaltung aus dem Erbe der abgedankten Hohenzollern-Monarchie übernommen hatte. Von der Auffassung von homogen überlieferten Gesamtkunstwerken, die bereits damals nur mit Einschränkung Geltung besaß, ist heute noch deutlicher Abstand zu nehmen: Die enormen politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts haben infolge zweier Weltkriege, der Besetzung und Teilung Deutschlands, durch traditionsfeindliche Haltungen, Umnutzung und Verfall zu so großen Verlusten geführt, dass der Bestand der heute von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg verwalteten Museumsschlösser differenziert betrachtet und kategorisiert werden muss: vom seltenen Fall des nahezu vollständig mit seiner bauzeitlichen Ausstattung überkommenen Schlosses bis hin zu wiederaufgebauten Häusern mit rekonstruierten Raumfolgen und der Ersatz-Aufstellung von Mobiliar.<1>
Die bis heute erhaltenen Residenzen der preußischen Könige in Berlin und Brandenburg gelten in ihrem Ensemble von Schlössern und Gärten, mit ihrer künstlerischen Ausstattung sowie ihrer räumlichen Umgebung gleichsam als Prototyp für die komplexen, historisch gewachsenen Gesamtkunstwerke, die in Ostdeutschland nach 1945 vielerorts verloren gingen. Für diese kompakten Denkmalensemble von großer Authentizität und Identifikationskraft prägten deutsche Denkmalpfleger um 1924 den Begriff des "Museumsschlosses“. [1] Diesem liegt das Verständnis zugrunde, "daß es sich bei den Schlössern um "organisch Gewachsenes“ an historischer Stelle handelt“, wobei es in der Diskussion über die Zukunft der Fürstenschlösser nach dem Ende der Monarchie vor allem um die Rettung des Inventars und der Innenausstattung ging. [2] Mit der Betonung des historischen Werts dieser "organisch gewachsenen“ Gesamtheiten wollte man verhindern, dass Kunstwerke aus den Schlössern in die Museen abgegeben werden oder den Fürstenfamilien quasi als Ersatz für die verstaatlichten Immobilien zugesprochen werden. Nicht nur in Preußen gab es eine lebhafte Diskussion darüber, was den vormals regierenden Herrscherhäusern als privates Eigentum verbleiben bzw. was als öffentliches Eigentum in der Verantwortung des Staates verwaltet werden sollte. Die Schlösser- und Parkanlagen nahmen dabei eine zentrale Stellung ein, waren sie doch einerseits von den jeweiligen Dynastien als private Residenzen errichtet und ausgestattet worden, andererseits aber auch zugleich Orte und Dokumente staatlicher Herrschaft und Repräsentation.
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Die denkmalpflegerische Praxis des 19. Jahrhunderts hatte vorrangig bei Sakralbauten zu purifizierenden Wiederherstellungen "originaler“, das heißt vor allem "mittelalterlicher“ Zustände geführt. Ihnen waren oft wertvolle Ausstattungen späterer Zeiten, zum Beispiel des Barock, mit dem Ziel einer ästhetischen Vereinheitlichung und stilistischen Reinheit zum Opfer gefallen. Diese Zerstörung bedeutender Kunstwerke und der damit einhergehende Verlust historischer Zeugniswerte beförderte ein neues Denkmalverständnis, dessen bedeutendster Exponent Georg Dehio war. Sein Credo, "Konservieren, nicht Restaurieren“ (im Sinne einer Neuschöpfung gestalterischer Einheitlichkeit), bezog sich auf die Definition von Denkmälern als historischen Sachzeugnissen mit all den Veränderungen, die sie im Laufe der Zeit – "organisch“ – erfahren hatten. Diese moderne Auffassung setzte sich um 1900 durch und wurde nach 1918 eine der methodischen Grundlagen für die Diskussion über die Zukunft der fürstlichen Schlösser und Gärten. Historischen Stadtkernen, Rathäusern oder Kirchen vergleichbar verstand man die meist über Jahrhunderte hinweg entstandenen Schlösser und Gärten quasi exemplarisch als geschichtliche und künstlerische Dokumente und nicht mehr nur als künstlerisch-ästhetische Phänomene. Damit hoben sich die Schlösser samt ihrer Ausstattung als historische Sachgesamtheiten deutlich von den Kunstwerken und Sammlungen in den Museen ab, die zwar auch oft fürstlichen Ursprungs waren und kontinuierlich gewachsen bzw. verändert worden waren, wo aber weiterhin die ästhetische Existenz des einzelnen Kunstwerks im Fokus stand.
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Bezogen auf die Schlossanlagen bedeutete dieser denkmalpflegerische Ansatz, dass deren mobiles Interieur in ihrem bisherigen historischen und kulturellen Kontext belassen werden sollte, weil es nur in diesem zu verstehen und zu interpretieren sei. [3] Konsequenterweise führte das zur Absage an die von verschiedenen Museumsdirektoren verlangte Überführung von Spitzenwerken aus den Schlössern in die Museen. Im Ergebnis dieser bis weit in die 1920er Jahre hinein engagiert geführten Auseinandersetzung setzte sich ein Verständnis der ehemaligen Fürstenschlösser und –gärten als "selbständige geistige Organismen ... unersetzliche Monumente ... und künstlerische Vermächtnisse“ durch, "in deren Zusammenhang und Lebensbedingungen ohne Verletzung wichtigster allgemeiner Interessen nicht eingegriffen werden darf“. [4] Um diese als `Museumsschlösser´ zu erhalten und öffentlich zugänglich zu machen, wurde in Preußen, wie in anderen deutschen Ländern, 1926 eine eigene Verwaltung der nunmehr staatlichen Schlösser und Gärten gebildet, in deren Tradition die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin – Brandenburg (SPSG) bis heute arbeitet. Grundlage dafür war das vom preußischen Landtag am 15. Oktober 1926 verabschiedete "Gesetz über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staate und den Mitgliedern des vormals regierenden Preußischen Königshauses“. Danach verblieben dem Königshaus 39 Schlösser und Grundstücke, während 75 Schlösser mit allen dazu gehörenden Parkanlagen, Nebengebäuden und Ausstattungen preußisches Staatseigentum wurden, darunter die größten und bedeutendsten Residenzen. [5]
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Aber bedeutet diese Traditionslinie und das Selbstverständnis der SPSG auch, dass sich die preußischen Königsschlösser bis heute als `Museumsschlösser´, das heißt als "organisch gewachsene“ Komplexe erhalten haben? Die landläufige Vorstellung, die in der SPSG vereinten königlichen Schlösser seien Museumsschlösser im Sinne der in den 1920er Jahren geprägten Definition, die vier Jahrhunderte Hohenzollernherrschaft in Berlin und Brandenburg dokumentierten und von denen viele seit 1990 mit dem UNESCO-Welterbetitel geadelt sind, hält einer genaueren Analyse nicht stand. Vielmehr handelt es sich heute um einen Verbund von Schlössern und Gärten höchst unterschiedlicher historischer Überlieferungsdichte, Authentizität, Einzigartigkeit und damit auch differierender Denkmalwertigkeit.
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Bereits vor 1918 wechselten regelmäßig Kunstwerke zwischen den verschiedenen Residenzen, von denen einige, wie zum Beispiel Schloss Oranienburg oder Schloss Caputh schon im 18. bzw. 19. Jahrhundert nicht mehr höfisch genutzt, das heißt leergeräumt und in Gewerbebetriebe umgewandelt worden waren. Schenkungen und Verkäufe dezimierten auch die Ausstattung. Ebenso konnte es zu partiellem, in einigen Fällen sogar völligem Verlust des Inventars nach dem Tod eines Monarchen oder eines Mitglieds der königlichen Familie kommen. So wurde zum Beispiel nach dem Tod des kinderlosen Prinzen Heinrich 1802 die Einrichtung seines Schlosses Rheinsberg komplett versteigert. Nach dem Tod Friedrichs II. 1786 wurden die Möbel aus seinem Arbeits- und Schlafzimmer im Schloss Sanssouci an Bedienstete und Vertraute verschenkt. Zu den quantitativ größten Veränderungen in der Ausstattung der Schlösser führte allerdings die Abgabe umfangreicher Bestände an antiken Skulpturen und Gemälden aus den königlichen Sammlungen und Wohnungen an die 1830 gegründeten königlichen Museen in Berlin. Allein aus der Bildergalerie im Park von Sanssouci wählte eine Kommission, der u. a. Alexander von Humboldt, Alois Hirth und Karl Friedrich Schinkel angehörten, 53 der wichtigsten Gemälde für das neue Museum am Lustgarten aus. [6] Auch nach dem Ende der Monarchie 1918 wurde vieles aus den Schlössern verlagert, zum Beispiel in den 59 Eisenbahnwaggons, die der vormalige Kaiser Wilhelm II. bis 1921 zur Ausstattung seines Exilsitzes in Doorn in die Niederlande kommen ließ.
Angesichts dieser mehr oder minder kontinuierlichen, von den Königen und Kaisern veranlassten, teilweise doch schroffen Veränderungen mag die Definition der Schlösser als "historisch gewachsene“ bzw. "organische“ Einheiten in der Diskussion über die Zukunft der Fürstenschlösser nach 1918 überraschen. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass diese Einschätzung und Bewertung zum einen aus dem Verständnis der dynastischen Kontinuität erklärt werden kann und zum anderen aus der vornehmlichen Betrachtung der Hauptresidenzen, wie des Berliner Schlosses oder des Potsdamer Stadtschlosses, herrührt.
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Die preußische Schlösserverwaltung begann in den 1920er Jahren mit Eingriffen in die überlieferte Ausstattung im Interesse einer Wiederherstellung "originaler Zustände“ etwa durch die Rücknahme von Veränderungen der Kaiserzeit (zum Beispiel im Schloss Sanssouci oder im Neuen Palais). In den Schlössern, die auch nach 1918 im Besitz von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern verblieben, kam es in den 1920er Jahren ebenfalls zu Ausstattungsanpassungen bzw. –verlusten zum Beispiel durch die Versteigerung des Mobiliars und Kunstbesitzes von Schloss Glienicke aus dem Besitz des Prinzen Friedrich Leopold 1930/31. Schlösser wie Grunewald oder Schönhausen wurden in den 1930er Jahren in Schlossmuseen umgewandelt. Dies ging mit einer teilweise erheblichen baulichen Umgestaltung der Anlagen und ihrer kompletten Neueinrichtung nach rein musealen Gesichtspunkten einher. So richtete Georg Poensgen im Jagdschloss Grunewald eine Galerie mit 182 Gemälden ein und verlieh dem Schloss mit Möbeln des 17. - 19. Jahrhunderts "einen wohnlichen Charakter“. [7]
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Die massivsten Verluste und Zerstörungen brachte zweifellos der Zweite Weltkrieg mit sich, der zu einer umfassende Auslagerung des mobilen Kunstguts aus den Schlössern veranlasste. Durch unmittelbare Kriegseinwirkungen sowie die Plünderungen, Unachtsamkeiten und Notsituationen der Nachkriegszeit kam es in allen Schlössern zu Schäden an der baulichen Substanz, in den Gärten sowie an der Ausstattung. Was in den Auslagerungsorten und den Schlössern in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) den Krieg überstanden hatte, wurde bis auf wenige Ausnahmen von der Trophäenkommission der Roten Armee beschlagnahmt und kehrte zwischen 1955 und 1958 nur teilweise in die DDR zurück. [8]
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Auf Veranlassung der SED wurde das Schloss in Berlin, Schloss Monbijou und das Potsdamer Stadtschloss nach den Kriegsbeschädigungen nicht wieder aufgebaut, sondern vollständig abgerissen. Die verbliebenen Schlösser nutzte man in der SBZ bzw. der DDR auch vielfach für fremde Zwecke wie zum Beispiel als Flüchtlingsunterkunft, Schulungs- und Studentenwohnheim, Sanatorium, Kulturhaus oder Armeemuseum. Die Folgen waren schwere Schäden bzw. Verluste an raumfester und mobiler Ausstattung wie auch unterschiedlich massive Eingriffe in die bauliche Struktur. Das betraf unter anderem Schloss Cecilienhof, das Marmorpalais, das Neue Palais, Schloss Babelsberg, Schloss Sacrow, Schloss Rheinsberg, Schloss Paretz, Schloss Caputh, Schloss Oranienburg und Schloss Königs Wusterhausen. In Westberlin kämpfte Margarete Kühn unterdessen erfolgreich für den Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg und die Wiederherstellung der Gartenanlage mit ihren Parkbauten, eine der großen Leistungen der deutschen Denkmalpflege in der Nachkriegszeit. Aus heutiger Sicht muss dabei allerdings nüchtern konstatiert werden, dass dies auch mit Veränderungen und teilweise sogar Verlusten an überlieferter Substanz einherging, die sich aus den schwierigen Umständen der Nachkriegszeit und aus den damals verfolgten denkmalpflegerischen Zielsetzungen erklären. Der gravierende Umbau von Schloss Glienicke in den 1950er Jahren zum Sportlerhotel ist ein Beispiel dafür, dass es auch in der Bundesrepublik zu schädigenden Umnutzungen von bedeutenden Schlossanlagen kam. [9]
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Die hier nur kurz erinnerten historischen Umstände führten im Ergebnis dazu, dass man heute auch bei den Schlössern und Gärten der preußischen Könige nicht mehr unvoreingenommen und unkritisch von Museumsschlössern im Sinne "organisch gewachsener“ Einheiten sprechen kann. In den meisten Fällen handelt es sich vielmehr um historisch begründete Konglomerate, das heißt Mischzustände, die in ihrer Genese einer genauen Analyse bedürfen.
Die folgenden sechs Kategorien versuchen die verschiedenen Überlieferungs- und Befundsituationen zu systematisieren. Anhand dieser lassen sich die bis heute erhaltenen königlichen Schlösser in Berlin und Brandenburg wie folgt unterscheiden:
Museumsschlösser, die sich in Architektur und Ausstattung seit ihrer Entstehungszeit wenig oder kaum verändert haben (zum Beispiel Schloss Pfaueninsel, Schloss Charlottenhof, Orangerieschloss in Park Sanssouci).
Schlösser mit einem hohen Bestand an bauzeitlicher Substanz einschließlich der raumfesten Ausstattung und mit umfangreichem dazu gehörendem mobilem Inventar ( zum Beispiel Schloss Sanssouci, Neues Palais, Neue Kammern).
Abb. 1.1 u. 1.2
Schlösser mit einem hohen Bestand an bauzeitlicher Substanz und raumfester Ausstattung ohne oder mit wenig erhaltenem dazu gehörendem mobilem Inventar ( zum Beispiel Schloss Cecilienhof, Schloss Grunewald, Jagdschloss Stern).
Schlösser, deren Bausubstanz und raumfeste Ausstattung nach denkmalpflegerischen Grundsätzen tiefgreifend in Stand gesetzt und restauriert wurde, eingerichtet mit Originalinventar und Ersatzstücken (zum Beispiel Schloss Rheinsberg, Schloss Caputh, Schloss Paretz, Schloss Königs Wusterhausen, Schloss Oranienburg, Schloss Glienicke).
Schlösser, die in ihrer tragenden baulichen Substanz weitgehend rekonstruiert wurden ohne oder nur mit Resten der originalen Ausstattung und heute überwiegend musealer Präsentation dienen ( zum Beispiel Belvedere Klausberg, Belvedere Charlottenburg, Neuer Pavillon, Casino Glienicke).
Schloss Charlottenburg, wo entsprechend der unterschiedlichen Bereiche die zuvor genannten Kategorien wechseln.
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Jene oben erwähnten Kategorien können jedoch nur eine Hilfskonstruktion in Form eines groben Ordnungsrasters bilden, denn bei fast jeder genaueren Analyse der historischen Überlieferungsdichte ergibt sich im Detail ein weitaus differenzierteres Bild. Das setzt bereits bei den unter 1. als "Museumsschlösser“ definierten Anlagen ein: Auch dort ist die heute anzutreffende bauliche Substanz einschließlich ihrer Fassungen und wandfesten Ausstattung in der Regel das Resultat mehrfacher, zum Teil umfangreicher Reparaturen, Wiederherstellungs- und Sanierungsarbeiten sowie baulicher Veränderungen im Zuge wechselnder Anforderungen. So wurde zum Beispiel die immer wieder reparaturanfällige hölzerne Außenhaut des Schlosses auf der Pfaueninsel Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine Betonfassade ersetzt, die dann, als ungeeignet erkannt, Anfang der 1970er Jahre wieder einer Holzverkleidung weichen musste. Im Inneren wurde "erst von der Schlösserverwaltung“ [10] das Zimmer der Oberhofmeisterin Gräfin Voss als "Erinnerungszimmer der Königin Luise“ eingerichtet. Dafür trug man "entsprechende Gegenstände aus den anderen Räumen des Schlosses zusammen.“ [11] Auch an anderen Stellen gab es beim Inventar Veränderungen, so die im Wandschrank des Wohnzimmers (!) ausgestellten Strohhüte, "die mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Besitz der Königin Luise stammen“ [12] , oder eine von Jean Fréderic Schall gemalte Szene aus dem seinerzeit berühmten Roman "Paul et Virginie“, die nicht zur ursprünglichen Ausstattung zählt, "sondern erst 1964 aus didaktischen Überlegungen eingebracht“ [13] wurde. Unabhängig von diesen und weiteren Veränderungen im Interieur vermerkt der amtliche Führer: "Von außerordentlichem Reiz ist, dass die von der Gräfin Lichtenau bestimmte Innenarchitektur und Möblierung bis heute unverändert erhalten ist. Die Zeit Friedrich Wilhelms III. hat diesem Interieur nur einige Möbel, Bilder und biedermeierliche Erinnerungsstücke hinzugefügt.“ [14] Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Abb. 2.1 u. 2.2
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Der Staatsvertrag über die Gründung der SPSG definiert als ihren Auftrag: "die ihr übergebenen Kulturgüter zu bewahren, unter Berücksichtigung historischer, kunst- und gartenhistorischer und denkmalpflegerischer Belange zu pflegen, ihr Inventar zu ergänzen, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Auswertung dieses Kulturbesitzes für Interessen der Allgemeinheit insbesondere in Wissenschaft und Bildung zu ermöglichen“. [15]
Bei der Erfüllung dieses Stiftungsauftrags müssen wir konstatieren, dass die preußischen Schlösser und Gärten heute nicht mehr eine von den Hohenzollern unverändert übernommene "organische Einheit“ von Museumsschlössern sind. Vielmehr handelt es sich um einen historisch gewordenen, inhomogenen Komplex von Schloss- und Gartenanlagen, zu deren Geschichte, Bedeutung und Wertigkeit inzwischen auch immer die Zeitschichten des wechselvollen 20. Jahrhunderts hinzukommen. Insofern ist unser Gegenstand in seiner Gesamtheit nicht das unmittelbare Erbe der Hohenzollern, sondern auch das Resultat der Arbeit unserer Vorgänger und ihrer Entscheidungen im Umgang mit den 1918 verstaatlichten königlichen Residenzen.
Erhaltung im Sinne des Stiftungsauftrages kann unter diesen Voraussetzungen nicht nur konservierend sein, sondern schließt weitere Veränderungen und Entwicklungen ein, wie sie derzeit bei der Sanierung von Schloss Schönhausen oder der weiteren Entwicklung von Schloss Charlottenburg in der Planung sind.
Dazu bedarf es zwingend einer vertieften historischen Analyse der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von Schloss und Garten sowie ihrer Inventare in den jeweiligen zeitlichen Schichten.
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Dabei stoßen wir neben den historischen Wendemarken des 20. Jahrhunderts - 1918, 1945 und 1989 – auch immer wieder auf bereits im 19. Jahrhundert einsetzende Musealisierungsprozesse in den preußischen Schlössern. Einerseits ist die Geschichte der preußischen Residenzen bis 1918 von Um- bzw. Neubauten geprägt, die veränderte persönliche, wirtschaftliche, politische, stilgeschichtliche oder auch praktische Bedürfnisse und Entwicklungen reflektieren. Andererseits sind Erhaltungs- und Musealisierungsprozesse sowie die bewusste Indienstnahme von Bauten aus dynastischen oder politischen Gründen bereits früh zu beobachten. Sie verstärken sich parallel zur Entwicklung der Denkmalpflege im 19. Jahrhundert. Ein prominentes Beispiel ist der Versuch der Wiederherstellung des Arbeits- und Sterbezimmers von Friedrich dem Großen im Schloss Sanssouci durch Friedrich Wilhelm IV. [16] Zur Inszenierung der eigenen Geschichte durch die Hohenzollern und ihre politische Instrumentalisierung im Kontext der Reichseinigung zählt auch die früh einsetzende touristische Vermarktung von Schlössern wie Sanssouci (Friedrich der Große) oder Paretz (Königin Luise) mit stark zunehmenden Besucherzahlen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. In diesen Zusammenhang gehört auch die von Kronprinz Friedrich (III.) aktiv betriebene Gründung des Hohenzollern-Museums im Schloss Monbijou, das neben der Ruhmeshalle im Berliner Zeughaus zu den bis zum Zweiten Weltkrieg meistbesuchten touristischen Attraktionen in Berlin gehörte. [17]
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Nach 1918 ist in der Arbeit der Preußischen Schlösser- und Gärtenverwaltung eine stärkere Orientierung an den historischen Befundlagen und denkmalpflegerischen Grundsätzen zu beobachten, die insbesondere im Bereich der Gartendenkmalpflege maßstabsetzend wurden. [18] In den Schlössern kam es zu Ansätzen einer kunsthistorischen Systematisierung der Präsentation zum Beispiel durch die "Bereinigung“ von Veränderungen der Kaiserzeit und die Rekonstruktion alter Hängungen. Für die Musealisierung nach 1945 ist das Schloss Charlottenburg zweifellos das prominenteste Beispiel. Sein Wiederaufbau erfolgte in dem Bewusstsein, dass es sich hier um das einzige erhaltene Residenzschloss in Berlin handelt. Nicht zuletzt deshalb sollten neben königlichen Interieurs auch verschiedene Spezialsammlungen präsentiert werden (KPM-Porzellan, Kunst der Schinkelzeit, Hoftafel- und Silberkammer usw.). Aber auch an anderen Stellen musste wegen der willkürlichen Teilung der Inventare in Ost und West und der großen Kriegsverluste in der Ausstattung der jeweiligen Schlösser improvisiert werden. So waren im Potsdamer Neuen Palais in der DDR Möbel und Gemälde aus den zerstörten Schlössern in Berlin und Potsdam ebenso ausgestellt wie solche aus dem Schloss Charlottenburg oder dem Schloss Wilhelmshöhe in Kassel, die beide unerreichbar im Westen lagen. Erst nach 1989 konnten dann viele Bestände an ihren jeweiligen Ursprungsort zurückgebracht werden. Zur Geschichte der preußischen Schlösser gehören auch Sonderfälle wie das Schloss Cecilienhof, das nach 1952 als Gedenkstätte für das Potsdamer Abkommen eingerichtet wurde, wobei die eher zufällige Einrichtung des Konferenzortes im Jahre 1945 mit Stücken aus anderen Schlössern nun beibehalten und mit eigenem Bedeutungswert präsentiert wurde. [19]
Abb. 3.1 u. 3.2
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Die große Leistung der Wiederherstellung der märkischen Königsschlösser nach 1989 basierte auf der eingehenden Untersuchung der Gebäude sowie intensiver Erforschung der alten Inventare. Da sowohl die Bauten wie auch die Ausstattung verändert und nur lückenhaft überliefert waren, wurde jeweils eine Herrscherpersönlichkeit und die Kunst seiner Zeit als Leitmotiv des jeweiligen Wiederherstellungsprojektes definiert, so dass quasi die Abfolge der Hohenzollernherrscher und die künstlerische Entwicklung ihrer Zeit im Reigen der Schlösser erfahrbar wurde (zum Beispiel Großer Kurfürst und Luise-Henriette im Schloss Oranienburg, Friedrich Wilhelm II. im Marmorpalais, Friedrich Wilhelm III. im Schloss Paretz usw.). Unter der Prämisse, jeder Anlage "eine durch den ehemaligen Bauherrn beziehungsweise Bewohner sowie durch die jeweiligen Künstler bestimmte Individualität zu geben“, richtete man die restaurierten Innenräume mit Originalausstattung oder Analogiestücken nach alten Inventaren ganz oder teilweise (wieder) ein. [20] Die großen Verluste und die lückenhafte Inventarüberlieferung hatten zur Folge, dass die Ausstattung häufig nach ästhetischen Kriterien erfolgte oder in Einzelfällen raumbestimmende Möbel rekonstruiert wurden (zum Beispiel das Bett des Prinzen Heinrich in der Heinrich-Wohnung im Schloss Rheinsberg).
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Welche Aufgaben und Konsequenzen für die Zukunft lassen sich aus dieser heterogenen Befundlage ableiten, die in vielen Teilen inzwischen selbst eine jüngere Zeitschicht des jeweiligen Schloss- und Gartenensembles bildet? Getreu dem Grundsatz "Wir können alles tun, wir müssen nur sagen, was und warum.“ gilt es die Dokumentationslage und die wissenschaftliche Erforschung der Bestände zu verbessern. Ebenfalls müssen konzeptionelle Arbeiten insbesondere für die "großen, alten Häuser“ wie das Schloss Charlottenburg, das Schloss Babelsberg oder das Neue Palais fortentwickelt werden und es gilt den Besucher besser über die vielschichtigen Ebenen zu informieren, die er in den Schlossräumen vorfindet.
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Inhalt und Verständnis von dem Begriff bzw. dem Topos `Museumsschloss´ haben sich im 20. Jahrhundert gewandelt. Er kann daher nicht weiterhin unkritisch im Sinne seiner Erstdefinition in den 1920er Jahren verwendet werden, sondern muss neu bestimmt werden: Die preußischen Residenzen sind als "Museumsschlösser“ Orte verdichteter kultureller Überlieferung. Sie bilden komplexe Strukturen von baulichen, gärtnerischen und künstlerischen Zeugnissen, die in wechselnden historischen Beziehungen entstanden sind und sich diskontinuierlich fortentwickelt haben. Eingriffe und Veränderungen in diese Struktur aus Gründen der Erhaltung oder Erschließung des kulturellen Erbes sollten daher nicht isoliert, sondern nur im Kontext des historischen Prozesses insgesamt konzipiert und realisiert werden.
Prof. Dr. Hartmut Dorgerloh
Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin – Brandenburg
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin – Brandenburg
Postfach 60 14 62
14414 Potsdam
e-mail:
generaldirektion@spsg.de
[1] Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Fassung meines Aufsatzes: Schlossmuseum oder Museumsschloss? Die Musealisierung der Hohenzollernresidenzen vor und nach 1918, in: Markus Jager (Hg.): Schlösser und Gärten der Mark. Festgabe für Sibylle Badstübner-Gröger, Berlin 2006, hier11-18. Ein genauer Nachweis, wann und von wem der Begriff "Museumsschloss“ eingeführt wurde, liegt bislang nicht vor.
[2] Paul Hübner: in: Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz, Potsdam 4. und 5. September 1924, Stenographischer Bericht, hier 38.
[3] Siehe dazu Tilo Eggeling: Königsschlösser – Museumsschlösser, Entstehung, Geschichte und Konzeption der preußischen Schlösserverwaltung, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, hier 13 f.
[4] Eingabe von Wilhelm von Bode, Adolf von Harnack, Hans Lutsch u.a. an die Gesetzgebende Preußische Landesversammlung vom 15. Juli 1920, zit. nach: Eggeling: Königsschlösser – Museumsschlösser (wie Anm. 3), hier 12.
[5] Eggeling: Königsschlösser – Museumsschlösser (wie Anm. 3), hier 18-21, führt die einzelnen Anlagen auf.
[6] Insgesamt wurden 353 Gemälde aus den königlichen Schlössern für die neue Gemäldegalerie ausgewählt.
[7] Helmut Börsch-Supan: 450 Jahre Jagdschloß Grunewald 1542-1992, Bd. II Aus der Gemäldesammlung, Berlin 1992, hier 5.
[8] Burckhardt Göres: Das Schicksal der Gemälde im Zweiten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren, in: Zerstört – Entführt – Verschollen. Die Verluste der preußischen Schlösser im Zweiten Weltkrieg, Gemälde I, hrsg. v. der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam 2004, hier 13-29.
[9] Jürgen Julier: Glienicke im 20. Jahrhundert, in: Glienicke. Bewohner – Künstler – Parklandschaft, hrsg. v. der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Berlin 1987, hier 185-190.
[10] Michael Seiler, Die Pfaueninsel, Amtlicher Führer, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, 2. neubearbeitete Auflage, Potsdam 2000, hier 77.
[11] Börsch-Supan: Jagdschloß Grunewald (wie Anm. 7), hier 77.
[12] Börsch-Supan: Jagdschloß Grunewald (wie Anm. 7), hier 78.
[13] Börsch-Supan: Jagdschloß Grunewald (wie Anm. 7), hier 82.
[14] Börsch-Supan: Jagdschloß Grunewald (wie Anm. 7), hier 76.
[15] Staatsvertrag vom 23. August 1994 über die Errichtung der einer "Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg“, GVBl. Brandenburg vom 9. Januar 1995, hier 2.
[16] Hartmut Dorgerloh: Das Arbeits- und Schlafzimmer Friedrichs des Großen im Schloss Sanssouci – ein Palimpsest, in: Barbara Schneider-Kempf, Klaus G. Saur, Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): Wissenschaft und Kultur, Bibliotheken, Museen und Archive, Klaus-Dieter Lehmann zum 65. Geburtstag, München 2005, hier 47-56.
[17] Thomas Kemper: Schloss Monbijou. Von der königlichen Residenz zum Hohenzollern-Museum, Berlin 2005; Die Kaiser und die Macht der Medien, hrsg. von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, bearbeitet von Franziska Windt, Jürgen Luh und Carsten Dilba, Berlin 2005.
[18] Hartmut Dorgerloh: Hofgärten zu Volksgärten? Die königlichen Gärten nach dem Ende der Monarchie und die Anfänge der Gartendenkmalpflege von 1918 bis 1927, in: Wege zum Garten, gewidmet Michael Seiler zum 65. Geburtstag, hrsg. von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Leipzig 2004, hier 255-261.
[19] Schloß Cecilienhof und die Potsdamer Konferenz 1945. Von der Hohenzollernwohnung zur Gedenkstätte, hrsg. von Chronos-Film und Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Berlin, Kleinmachnow, Potsdam 1995, hier 197-220.
[20] Hans-Joachim Giersberg: Zur Pflege und Erhaltung des UNESCO-Welterbes der Potsdam-Berliner Kulturlandschaft in den zurückliegenden zehn Jahren, in: Zehn Jahre UNESCO-Welterbe der Potsdam-Berliner Kulturlandschaft, hrsg. v. der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam, Großbeeren 2000, hier 20.
Empfohlene Zitierweise:
Hartmut Dorgerloh : Museumsschlösser als Orte kultureller Überlieferung , in: zeitenblicke 7 (2008), Nr. 1, [05.06.2008], URL: https://www.zeitenblicke.de/2008/1/dogerloh/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-13159
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