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Fragen zu Bildern und Bildlichkeit haben inzwischen auch die Historiker erreicht, nachdem sich Nachbardisziplinen seit Jahren mit der Bedeutung des Visuellen für die Kultur auseinandersetzt haben. So stand der Deutsche Historikertag 2006 unter dem Motto “GeschichtsBilder“, was als Anerkennung der Zentralität von kulturwissenschaftlichen Fragestellungen für die Geschichte zu deuten ist. Seit langem regt sich Kritik an Historikern, die primär mit Textquellen arbeiten und Bilder allzu oft nur als Illustration oder als Ausdruck schriftlich fixierter ’Wahrheiten’ betrachten. Diese hat ihre Berechtigung, auch wenn das Bewusstsein des eigenen Quellenwertes bildlicher Darstellung in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Die Kritik an einem solchen, wenn auch unreflektierten methodischen Umgang mit visuellen Dokumenten postuliert gleichzeitig eine Polarität zwischen Bild und Text, die die Frage nach dem Verhältnis der jeweils einen diskursiven Ordnung der beiden Quellengattungen aufwirft. Um wie viel komplexer muss dieses Verhältnis aber sein, wenn überdies zwei unterschiedliche kulturelle Systeme beteiligt sind, wie es bei Berichten von Europäern über außereuropäische Welten der Fall ist. Und welche Rolle spielen Bilder bei der Vermittlung von Wissen über andere Länder, Menschen und Kulturen? Gerade in Berichten über fremde Kulturen kommt der Kombination von Bild und Text eine große Bedeutung zu, die bislang jedoch kaum untersucht wurde. Einen Beitrag hierzu soll das vorliegende Themenheft leisten, indem es Berichte über unterschiedliche Kulturen und aus unterschiedlichen Epochen auf das Verhältnis von Bild und Text hin untersucht und dabei auch methodische Fragen aufwirft. Die Beiträge untersuchen auf unterschiedliche Weise die vielschichtige Beziehung, die zwischen der textlichen Vermittlung fremder Welten und ihrer visuellen Repräsentation besteht. Die meisten davon wurden im August 2006 auf einem von den Herausgeberinnen konzipierten Panel des Konstanzer Historikertags vorgestellt.
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Wie gehen wir mit Dokumenten um, die Wissen über Außereuropa sowohl textlich als auch bildlich vermitteln? Mit anderen Worten: Wie stehen Text und Bild zueinander in Reise- Eroberungs-, Missions- und Pilgerberichten, in denen Bilder – etwa Holzschnitte, Kupferstiche, Zeichnungen oder Fotografien – eingesetzt wurden, um zusammen mit Texten eine Botschaft zu vermitteln, die die Aussage des Textes bestätigt und bekräftigt oder vielleicht auch variiert? Welche Konsequenzen hat diese Zusammenstellung für die historische Analyse von Bildern, die weder passive Objekte der Betrachtung sind noch als statische Bedeutungsträger gelesen werden können, sondern stets an der Stiftung von Sinn und damit sozialer Wirklichkeit beteiligt sind. Auf der Ebene der Wissenschaft wird darüber hinaus der Sinn von Bildern über das wissenschaftliche Verfahren ’Bildinterpretation’ in Sprache übersetzt, die das visuelle Medium in den kulturellen Kommunikationsprozess einbezieht. Auf welchen kanonischen Werten und zivilisatorischen Annahmen beruhen jedoch die Begriffe, die herangezogen werden, um Bilder durch Texte zu erschließen?
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Der Ausgangspunkt vieler Berichte über andere Kulturen war die Vorstellung, die neben den Text gesetzten Bilder könnten helfen, das Ungesehene sichtbar zu machen und so dem Leser bildlich vor Augen zu führen, wovon der Text ’nur’ erzählt. Die scheinbare Einheit von Text und Bild suggeriert, dass Textaussage und Bildinhalt kongruent sind. Das Bild gibt wieder, was im Text ausgedrückt wird. Der Text wird im Bild repräsentiert. In einem weiteren Schritt der Vereinheitlichung wird der Prozess des ’Sinnentnehmens’ eines Bildes dem Historiker über den wissenschaftlichen Diskurs vermittelt, der ebenso für sich die Macht der Repräsentation fremder Kulturen beansprucht. Wie eindeutig sind Bilder und Texte, die beabsichtigen, Wissen über außereuropäische Welten zu produzieren und zu vermitteln? Neuere Forschungen zur Analyse von Text und Bild im historischen Kontext verweisen auf die Polysemie von Text und Bild und ihre Beziehungen zueinander. Zugleich sensibilisiert der Appell, “Europa zu provinzialisieren“ (Dipesh Chakrabarty) dafür, die kanonisch gewordenen Schemata europäischer Geschichtserfassung mit dem Eigensinn nicht-europäischer Kulturen zu konfrontieren. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge dieser Themenausgabe gehen unterschiedlich an die Fragen um das Bild-Text Verhältnis heran. Welche Rolle spielen die vielfältigen Beziehungen und Bedeutungen, die Text und Bild miteinander eingehen und erzeugen können, für die Wissensproduktion? Welche ’GeschichtsBilder’ anderer Kulturen vermitteln sie? Mit welchem wissenschaftlichen Instrumentarium, mit welcher Begrifflichkeit können wir heute die Polyvalenz von Bildern, die in einem transkulturellen, von asymmetrischen Machtverhältnissen gekennzeichneten historischen Rahmen entstanden sind, in Sprache umsetzen?
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Im Beitrag von Monica Juneja geht es um historiographische Fragen zur indischen Kunstgeschichte. Unser Wissen zu Bildern entsteht oft über schriftliche Narrative – in diesem Fall über kunstwissenschaftliche Paradigmen und Begriffe, die selbst Ergebnis der kolonialen Wissensproduktion zu indischer Kultur waren und bis in die Gegenwart oft unhinterfragt geblieben sind. Hier entsteht also eine Disjunktion zwischen der kulturspezifischen und mehrdeutigen Visualität und dem akademischen Diskurs, der anhand der ’Textualisierung’ von Wissen auch zur Kanonisierung von Wissen über indische Bilder geführt hat. Die Geschichte der Bilder dagegen hat sich über mehrere Jahrhunderte in vielfältigen sozialen und kulturellen Zusammenhängen entfaltet und so immer wieder neuere Schichten von Bedeutung angeeignet. Ein Bild könnte, zum Beispiel, Bedeutungsträger ritueller Praktiken, zugleich Herrschaftszeichen, Ausstellungsobjekt oder Stifter nationaler Identität werden. Wie geht der wissenschaftliche Diskurs mit der Polyvalenz um, die über die stets neu geknüpften Beziehungen zwischen Bildern und Gemeinschaften erzeugt wird, wenn ein Bild von sakralem Charakter in ein ’Götzenbild’ und anschließend in ein Kunstwerk umgewandelt wird?
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Anja Bröchler analysiert die Beziehung von Bild und Text im “Florentiner Codex“ des Franziskaners Fray Bernardino de Sahagún (1499? - 1590). Das zwölfbändige Werk entstand in Tlatelolco in Mexiko zwischen 1547 und 1569 in Zusammenarbeit von Sahagún und indigenen Helfern. Der Text bedient sich zweier Sprachen, Nahuatl und Spanisch, die parallel nebeneinander stehen. In die Textkolumnen sind Bilder eingearbeitet. Die Bilder wiederum sind in ihrer Darstellung hybrid: Sie bedienen sich der traditionellen indigen Bildsprache und mischen diese mit für sie neuen europäischen Darstellungsweisen. Gegenstand der Analyse ist das 12. Buch des Florentiner Codex, das von der Eroberung Mexikos handelt. Gefragt werden soll, welche Geschichte der Eroberung die Bilder erzählen und wie sich diese Geschichte zur Geschichte der Eroberung in den beiden Texten verhält.
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Der Beitrag von Susanna Burghartz untersucht die Dynamik der europäischen Text- und Bildproduktion in Reisesammlungen über die ’Neuen Welten’ um 1600. In diesen Repräsentationen wurde eine außereuropäische Welt imaginiert, die zwischen konträren Polen oszillierte: Die Faszination durch paradiesische Zustände paarte sich mit Abscheu vor indigener Wildheit, die Gewissheit westlicher Superiorität war begleitet von Ängsten vor dem Verschlungenwerden durch das Fremde, der abendländische Führungsanspruch stand in Konkurrenz zu nationaler Selbstbehauptung gegenüber anderen Kolonialmächten. Trotz dieser Gegensätze und der damit verbundenen Dynamik stützte die so entstehende schillernde Polysemie der Sammlungen als diskursives Gesamtphänomen die erfolgreiche Behauptung der europäischen Überlegenheit, die immer wieder aufs Neue der eigenen Selbstvergewisserung diente.
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Michael Zeuske vergleicht in seinem Beitrag bildliche Darstellungen von Sklaven und Sklaverei in Brasilien und Kuba sowie Saint-Domingue in ihren Beziehungen zu Texten über die Sklaverei und zur Sklavereihistoriographie. Die realhistorische ’Konstruktion’ der Bilder durch Maler und Illustratoren sowie Sklaven selbst (sofern möglich), aber auch ihre Besitzer, steht im Mittelpunkt des Beitrags. Er versucht die Frage zu klären, inwieweit Sklaven und Sklavinnen (auch) Subjekte ihrer ’Ver-Objektivierung’ im Bild sein konnten und inwieweit die Bilder, ihre Akteure, aber auch die unterschiedlichen Kontexte der Plantagengesellschaften in Saint-Domingue, Kuba und Brasilien für einen Vergleich der Sklaverei im atlantisch-amerikanischen Raum fruchtbar gemacht werden können.
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Im letzten Aufsatz lenkt Jens Jäger die Aufmerksamkeit auf das jüngere Medium der Fotografie, das im frühen 20. Jahrhundert, neben, aber auch im Tandem mit Texten, breiten Bevölkerungsschichten des deutschen Kaiserreichs die ’Identifikation’ mit den Kolonien ermöglichte. Indem der Beitrag zeigt, auf welche Weise sich die Bilder von fremden Orten vertrauten visuellen Semantiken und ikongrafischen Formeln bedienten, thematisiert er die kulturelle Bedingtheit des Sehens selbst. Da besonders das fotografische Medium den Eindruck von Authentizität und direkter Erfahrung vermittelt, ließen sich dieselben Kolonialfotos, anders als bei den Texten, in eine Vielzahl von Zusammenhängen einfügen und wurden zum Bestandteil der alltäglichen Bilderwelt in den Metropolen. Die Gesellschaft der Kolonialmacht schuf sich über die Fotografie eine ’domestizierte’ Wahrnehmung der Kolonialgebiete – fern aber erschließbar, exotisch und zugleich zivilisierbar sowie vor allem ein fester Bestandteil der eigenen Heimat.
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Das Forschungsprojekt von Barbara Potthast und Kathrin Reinert wird ebenfalls mit Fotografien arbeiten, es wird jedoch versuchen, diese oft aus dem Zusammenhang gerissenen Bilddokumente in ihren Entstehungskontext einzuordnen, was dank der guten Überlieferung des Nachlasses des deutschen Gelehrten und Forschungsreisenden Robert Lehmann-Nitsche möglich sein dürfte. Die bibliothekarische und wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Nachlasses ist aber vor allem deshalb besonders interessant, da sich hier schriftliche, bildliche und auditive Quellen miteinander verknüpfen lassen und es somit ermöglichen, die unterschiedliche Umsetzung bestimmter Themen in unterschiedlichen Medien und Kontexten zu untersuchen.
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Das Interview mit Bernard Jussen, einem renommierten Mediävisten, der sich nicht mit der außereuropäischen Welt befasst, aber seit längerem über Fragen der textlichen und bildlichen Semantiken arbeitet und den “Atlas des historischen Bildwissens“ mit initiiert hat, spricht schließlich eine Reihe grundsätzlicher methodischer Fragen an, die die Beschäftigung mit historischen Bildquellen mit sich bringt. Darüber hinaus kommt ein Problem zur Sprache, das in diesem Themenheft nur beiläufig angesprochen, aber gerade für den Umgang mit Bildquellen wichtig ist: die Frage nach dem Verhältnis von Historiografie und Kunst bzw. nach den Möglichkeiten des Dialogs zwischen Historikern und historisch arbeitenden Künstlern.
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Wir hoffen, dass die Leser dieses Themenheftes einige Anregungen sowohl aus den Aufsätzen als auch aus dem Interview und der Vorstellung des Forschungsprojektes ziehen können und möchten uns bei den Beiträgern sowie bei der Redaktion der “zeitenblicke“, die diese editorisch aufwendige Publikation hervorragend betreut hat, ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Atlanta und Köln, im Juni 2008
Monica Juneja und Barbara Potthast
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Potthast / Monica Juneja : Editorial , in: zeitenblicke 7, Nr. 2, [01.10.2008], URL: https://www.zeitenblicke.de/2008/2/editorial/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-14327
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