Bürokratie des Kreativen.
Perspektiven und Desiderate der Förderpolitik für die Geisteswissenschaften
urn:nbn:de:0009-9-18221
Zusammenfassung
“Die deutsche geisteswissenschaftliche Forschung besitzt nach wie vor auch im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau, wenn auch nicht in allen Disziplinen und an allen Hochschulstandorten.“ Mit diesem Befund erregte die Stellungnahme des Wissenschaftsrats (WR) zur Lage der deutschen Geisteswissenschaften einige Aufmerksamkeit, und nahezu durchweg Zustimmung (Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland, Januar 2006 [Drs. 7068/06]). Der Vorschlag, geisteswissenschaftliche Forschungskollegs zu schaffen, wurde von der DFG wie vom BMBF praktisch aufgenommen; auch die Förderung der sogenannten Kleinen Fächer ist seitdem deutlich stärker geworden. Allerdings beinhaltete die Stellungnahme des WR auch deutliche Kritik an der Austrocknung der Grundausstattung und der Überbetonung der Drittmittel, an der Vernachlässigung der Lehre, aber auch an dem immer wieder zu hörenden Gerede von der “Krise der Geisteswissenschaften“ in Deutschland. Dieser Beitrag betrachtet einige dieser Aspekte: die Entwicklung der Geisteswissenschaften seit der Jahrhundertwende um 1900, das Gerede von der Krise, die allfälligen und die notwendigen Reformen sowie die Frage, wie man forscherische Exzellenz am besten fördert.<1>
In vielen Bereichen besitzt die deutsche geisteswissenschaftliche Forschung nach wie vor – oder auch: wieder – sehr hohes Niveau. In der Archäologie etwa, in der Kunstgeschichte, in den klassischen Philologien, in der Alten Geschichte und anderen Fächern. Zwar ist von einer Monopolstellung, wie sie bis in die 1950er Jahre in manchen Bereichen konstatiert werden konnte, keine Rede mehr, aber es ist doch unübersehbar, dass die handwerkliche Meisterschaft, die gewaltigen Sammlungen, der hohe Ausbildungsstandard, vor allem auch die hohe gesellschaftliche Akzeptanz der Geisteswissenschaften nach wie vor als deutsche Besonderheit anzusehen ist.
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Dies ist aber nur die eine Seite. Die andere verweist auf das Spannungsfeld der zwischen universalistischer Antikenrezeption und bürgerlichem Nationalismus oszillierenden Entwicklung dieser Disziplinen; mit der Idee der bürgerlichen Verbesserung durch Bildung, Kunst und Beschäftigung mit den antiken Traditionen auf der einen Seite, der Denunziation der bürgerlichen Kulturidee durch die nationalistische Instrumentalisierung von Kunst und Wissenschaft in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts auf der anderen. Und eine zweite Ambivalenz wird sichtbar: einerseits der elitäre Gestus der Geisteswissenschaften, ihr Postulat, die erste, die Universität im eigentlichen Sinne definierende Disziplin zu sein, nur Auserwählten zugänglich, den Besten und Begabtesten, andererseits das sich wie ein roter Faden durch die vergangenen 100 Jahre ziehende Klagen über Vermassung und Verflachung und die immer weiter ausgreifende Zurückdrängung der Geisteswissenschaften durch die Nützlichkeitswissenschaften.
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Die fachliche Institutionalisierung der Geisteswissenschaften fand in Deutschland erst spät, nämlich seit den 1880er Jahren statt, dann aber mit erheblicher Geschwindigkeit und entsprechenden Auswirkungen. Die Zahl der Fakultäten stieg an, noch stärker diejenige der Seminare. In dieser Zeit bildeten die Geisteswissenschaften wissenschaftliche Methoden und Standards aus, die in den historischen und philologischen Disziplinen in Teilen bis heute weltweit als traditionsstiftend und maßstabsetzend gelten. [1]
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Die außerordentliche Bedeutung, die den Geisteswissenschaften in den Jahrzehnten des Kaiserreiches von Seiten der Gesellschaft beigemessen wurde, war aber auch darin begründet, dass sie in dem 1871 gegründeten und seiner Identität und Legitimität unsicheren deutschen Nationalstaat vielfach die Rolle der Legitimationsproduzenten einnahmen und sich auch so verstanden. Das bezog sich auf die historische Herleitung des neuen Nationalstaates aus der Tradition des Alten Reiches; auf die Inkorporierung einer Tradition der Nationalkultur und den Bezug zur Antike durch den Neuhumanismus als bildungsbürgerlichem Leitbild. Auf diese Funktion als Legitimationsproduzent gründete sich die herausragende Stellung der Geisteswissenschaften zu allererst. Es waren die Natur- und Ingenieurwissenschaften, die um ihre Legitimation ringen mussten und deren Bezug zum herrschenden Bildungskonzept umstritten blieb – und das in einer Gesellschaft, die in dieser Zeit den Sprung zur führenden Wirtschaftsnation Europas vor allem ihren Leistungen in den Naturwissenschaften, der Medizin und der Technik verdankte.
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Zugleich stieg aber auch die Zahl der Studierenden und mit ihr die Zahl der Professoren steil an. Damit verbunden war die, allerdings nur sehr leichte, soziale Öffnung der Universitäten für die Mittelschichten und die Zulassung des Frauenstudiums im Jahre 1908. Beides ging einher mit der Kritik am Zerfall der erreichten Qualität des Studiums der Geisteswissenschaften und dem Niedergang der tradierten Gelehrsamkeit, oft verbunden mit der Kritik an den neuen Technischen Hochschulen, deren einseitige Ausrichtung auf Naturwissenschaften und Technik als ungeistig, ja barbarisch kritisiert wurde. Es gehörte zu den Paradoxien der Zeit, dass in einer Phase, in der in Deutschland die kapitalistische Wirtschaft und die moderne Wissenschaft, mithin die hervorragenden Betätigungsfelder des Bürgertums, eine nie gekannte Blüte erreichten, dieses Bürgertum in tiefe Selbstzweifel verfiel und zu den kulturellen Auswirkungen der eigenen Erfolge immer stärkere Distanz fand.
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Zudem ging die innere Diversifizierung und Pluralisierung der Universitäten einher mit scharfen Auseinandersetzungen über die methodischen Grundlagen und fachlichen Gegenstände der Disziplinen. Die sich hier zeigende Verunsicherung von Wissenschaft und Gesellschaft über die zunehmende Relativierung von bewährtem Wissen und tradierten Normen war eingebunden in eine umfassende Krisenwahrnehmung der deutschen Gesellschaft um die Jahrhundertwende insgesamt. Die “Krise der bürgerlichen Gesellschaft“ als Ausdruck der Irritation über das Ausmaß der Veränderungsdynamik der beiden Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende schlug sich vor allem in den Geisteswissenschaften nieder, die die Kritik der Moderne zu einem erheblichen Teil in ihr Selbstverständnis einschrieben und zum Sachwalter der Opposition gegen Materialismus und die Macht des Geldes, gegen den “kalten” Intellekt, gegen Arbeitsteilung und Spezialistentum, Entfremdung und Vermassung wurden.
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Besonderen Ausdruck fand diese wissenschaftliche Befeuerung der Kulturkritik in der Herausbildung von Theorieentwürfen des Ganzen. “Ganzheit“ wurde zum Kampfbegriff gegen Spezialisierung, Diversifizierung und Analyse. Die Konzeption des “allseitig gebildeten Menschen“ sollte das Gegenbild zum technischen Spezialisten bilden. Der Gegensatz zwischen “Kultur“ und “Zivilisation“, der dann in der Entgegensetzung von “Gemeinschaft“ und “Gesellschaft“ seine innere, in der von “deutsch“ und “westlich“ seine außenpolitische Zuspitzung fand, war im hier postulierten Widerspruch zwischen den auf Ganzheit gerichteten Geisteswissenschaften und den auf Spezialisierung, Zersplitterung und Gelderwerb gerichteten Naturwissenschaften bereits grundiert.
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Zugleich verloren die Geisteswissenschaften nach 1918 ihre Rolle als affirmative Deuter von Geschichte und nationaler Gegenwart und als Kritiker der kulturellen Moderne. Die exklusive Bindung von Gelehrtentum und Obrigkeitsstaat löste sich auf, was mit dazu führte, dass die weitaus überwiegende Mehrheit der geisteswissenschaftlichen Professoren ebenso wie des Nachwuchses, und zwar sicherlich mehr als drei Viertel, seit 1919 im Lager der nationalkonservativen Gegner der Republik standen. [2]
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Hier lagen auch die wesentlichen Faktoren für die reibungslose Einpassung der Geisteswissenschaften in den nationalen Staat nach 1933. Nun verstummte auch die Rede von der “Krise der Geisteswissenschaften“. Das lag vor allem daran, dass, wie mein Freiburger Kollege Jan Eckel formuliert hat, “die willentliche Bindung an feste Wertpositionen (so verschwommen sie in der Praxis auch sein mochten)“ den an den Universitäten verbliebenen Geisteswissenschaftlern nun “als ein Ausweg aus der verunsichernden Vielfalt der Programme, Methoden und Forschungsergebnisse“ erschien, als eine “Wiedergewinnung der ‘Einheit’ der Wissenschaft.“ [3]
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Nach 1945 gelang es den personell kaum veränderten deutschen Geisteswissenschaften erstaunlich schnell, so etwas wie eine erneute Meinungsführerschaft in der Nachkriegs-Bundesrepublik zu erlangen. Gemeinsamer Anschlusspunkt quer durch die Disziplinen war dabei die Wiederaufnahme der kulturpessimistischen Modernekritik, welche die bereits vor 1933 und vor 1914 entwickelten Kategorien wieder aufnahm, insbesondere die Kritik der “Vermassung“ der Lebenswelt, der Notwendigkeit der Erhaltung “unentfremdeter“ Bereiche wie der Familie, gegenüber der gleichmacherischen Kraft der modernen städtischen Zivilisation, die Kritik der Technisierung sowie vor allem des aus den USA herüberschwappenden Lebensstils der aufsteigenden Konsumgesellschaft. Wie schon in den 1920er Jahren wurde hier der Bedrohung durch die moderne Zivilisation die Betonung tradierter Werte, jetzt vor allem in der Figur des “Abendlands“ entgegengehalten, und mit ihnen die Heraushebung der sittenbildenden Kraft des neuhumanistischen Bildungsideals und der klassischen deutschen Geisteswissenschaften.
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In dieser Rolle äußerst erfolgreich, gelang den Geisteswissenschaften in der Bundesrepublik in kurzer Zeit ein enormer Aufschwung, wobei das vermeintlich klassische Ideal deutscher Universitätsbildung erneut als Widerlager gegen eine im Wirtschaftswunder eskalierende kulturelle Verflachung und Kommerzialisierung instrumentiert und emphatisch propagiert wurde. Erneut hatten die Geisteswissenschaften eine Sonderstellung inne, und erneut wurden sie darin von Politik und Gesellschaft durchaus getragen, die in den alten Sprachen und der Goethe-Ausgabe nicht mehr nur ein Antidotum gegen westliches Nützlichkeitsdenken, sondern auch eine Art rückwirkender Opposition gegen den Totalitarismus erblickte. Man schuf sich den Widerstand, den man nun gern geleistet hätte und fand ihn in der nachholenden Entgegensetzung von Geist und Diktatur.
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Aus dieser Konstruktion resultierte die Legitimation, ja der Auftrag, die deutsche und die abendländischen Gesellschaften vor ihrer Zerstörung durch den geistfremden Lebensstil der westlichen Moderne zu bewahren. Da die Universitäten in Personal und Strukturen nicht verändert worden waren, da der Anteil der Studierenden auf dem niedrigen Niveau der 1930er Jahre verblieb und sich auch keine methodischen Herausforderungen ausmachen ließen, wurden die 1950er Jahre im Rückblick zur besten Zeit der deutschen Geisteswissenschaften, jedenfalls im Selbstverständnis ihrer Protagonisten. Das begann sich aber bereits in den späten 1950er Jahren zu ändern, als eine intensive Diskussion um die Notwendigkeit von Reformen im Bildungsbereich anhob, die insofern durchaus effektiv war, als sie in relativ kurzer Zeit einen gewaltigen Ausbau der Hochschulen und zahlreiche Neugründungen mit sich brachte, wenngleich zunächst in steter Pfadtreue der deutschen Ordinarienuniversität. [4]
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Gegen die weitere Öffnung der Universitäten, das Ansteigen der Studierendenzahlen, die Hereinnahme bisher bildungsferner Schichten und die Angriffe auf die traditionelle Ordinarienuniversität wurde jedoch sogleich erneut die Krise der deutschen Universitäten und des Bildungssystems insgesamt ausgerufen. Aber zunächst durchaus nicht die Krise der Geisteswissenschaften! Denn nicht nur stieg die Zahl der geisteswissenschaftlichen Professuren in den 1960er und frühen 1970er Jahren wie noch nie zuvor in der Geschichte, die Geisteswissenschaften wurden zusammen mit den Sozialwissenschaften auch erneut zu den Leitwissenschaften der Universitätsreform bestimmt, nun aber unter den Auspizien der “Demokratisierung“.
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Damit gewannen die Geisteswissenschaften nun eine erneut herausgehobene Stellung, die nicht durch wissenschaftliche Leistungen in Forschung und Lehre, sondern in ihrer Bedeutung als Hilfsinstrument für politische Ziele begründet war. Dem hielten die Konservativen die Stellung der Geisteswissenschaften als Hüter des bildungsbürgerlichen Erbes, als Damm gegen die Flut der westlichen Moderne, als Hausschatz der traditionellen Werte entgegen. Aber bei allen Unterschieden, die sich politisch zwischen den alten Ordinarien und ihren Nachfolgern in der prä- und post-68er Zeit ergeben, die Vorstellung von der besonderen Mission der Geisteswissenschaften, ihrer Vorrangstellung an den Universitäten hatten sie gemein.
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Als epistemologische Grundlage war hierbei die bei den Linken wie den Konservativen grassierende Kategorie der “Entfremdung“ zu erkennen, als der Abwesenheit des eigentlichen, nämlich ganzheitlichen Zustands in der Vormoderne bzw. nach der Revolution. Objekt der Kritik beider Gruppierungen war gleichermaßen die moderne, an den USA orientierte westliche Gesellschaft und mit ihr alle Versuche der Bildungs- und Hochschulreform. Es ist insofern auch kein Wunder, dass die schroffste und nicht mehr voneinander zu unterscheidende Kritik an der gegenwärtigen Hochschulreformphase von Konservativen und Alt-68ern gemeinsam und ununterscheidbar ertönt. [5]
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Erst nach Überwindung des “roten Jahrzehnts“ zwischen 1967 und 1977 entstand eine neue Situation. Sie gewann ihre besondere Dramatik daraus, dass die Emphase der Bildungsreform dieses Jahrzehnts entschwand, die gründlich veränderte Ausgangslage aber bestehen blieb: zum einen ein Aufwuchs der Studierendenzahlen von 15 auf 25 Prozent eines Jahrgangs innerhalb eines Jahrzehnts, die rasante Zunahme der Zahl der Universitätslehrer, die komplizierten Statusveränderungen, die Gründung zahlreicher neuer Universitäten, und zum anderen die rasche Verwandlung der Forschungsfelder und -methoden, nicht zuletzt durch den erst jetzt wieder gewonnenen Anschluss an die internationalen Fach-Communities, die Pluralisierung der disziplinären Ansätze sowie die Erschütterung gesicherter Kenntnisse und Dichotomien etwa durch das Heraufdämmern der Postmoderne: Die Parallelen zur Umbruchssituation der Jahrhundertwende sind ganz offenkundig.
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Dieser Wandlungsprozess wurde darüber hinaus dadurch noch beschleunigt, dass die Ergebnisse der Hochschulreform der 1970er Jahre zwar beibehalten und die quantitative Ausdehnung der Universitäten fortgesetzt, die Finanzierung aber eingefroren wurde, in der Hoffnung, der Studentenberg der 1980er Jahre sei ein vorübergehendes Phänomen, das man, so der Begriff der Wissenschaftspolitik jener Zeit, “untertunneln“ könne, bis wieder “normale Zeiten“ herrschten. In dieser Zeit, von den späten 1970er bis in die späten 1990er Jahre, sind die deutschen Universitäten in vielen Bereichen in Rückstand geraten. Unterfinanzierung, Bürokratisierung, mangelnde Qualitätssicherung und eine katastrophale Unterschätzung der zukünftigen Bedeutung des Bildungsbereichs durch die Politik waren hier die wichtigsten Faktoren.
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Die Auswirkungen waren überall sichtbar. Die äußere Verwahrlosung der deutschen Universitäten nur das augenfälligste Zeichen. In den geisteswissenschaftlichen Fächern stiegen die Zahlen der Studierenden scharf an, die Teilnehmerzahlen der Seminare wurden immer größer und erreichten an vielen Universitäten, etwa im Fach Geschichte der Humboldt-Universität, nicht selten 70, 80, ja mehr als 100 Studierende. Zur gleichen Zeit begannen die Standards zu fallen, und eine bipolare Struktur entwickelte sich: Während der große Teil der Studierenden schlecht und oftmals gar nicht betreut wurde, sich niedrigen Anforderungen gegenübersah und sich die Noten auf einen Durchschnitt besser als “gut“ einpendelten, wurden die Angehörigen der kleinen Leistungsspitze nach wie vor erstklassig betreut und gefördert. In der Folge stieg so die Zahl der Studienabbrecher in den Geisteswissenschaften auf sagenhafte 55 Prozent, in manchen Fächern auf bis zu 80 Prozent, auf der anderen Seite waren die Forschungsleistungen der Elite des wissenschaftlichen Nachwuchses weiterhin exzellent. [6]
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Offensichtlich nahmen die Geisteswissenschaften die Ausdehnung zur Massenuniversität nicht an, sondern betrieben ihr Prinzip der Elitenförderung im Umfang der Vor-Reformzeit weiter, eine Umstellung von Lehre und Studienbetrieb auf die neuen Bedingungen der Massenuniversität fand nicht oder in nicht zureichendem Maße statt. Die Überlastung der Universitäten durch die große Zahl von Studierenden schlug sich auch in der Forschung nieder. Ein wachsender Teil der Forschung emigrierte aus den Universitäten in die außeruniversitären Institute. Das traf allerdings auf die Natur- und Technikwissenschaften in stärkerem Maße zu, aber auch in den Geisteswissenschaften wurden die außeruniversitären Institute immer wichtiger, während es den Universitätsprofessoren immer schwerer fiel, neben der Lehre und Verwaltung noch große Forschungsvorhaben selbst durchzuführen.
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Vor allem auf diese Defizite reagierten die Reformen seit den 1990er Jahren, die zum Teil in europäischer Koordination, zum Teil in deutschem Alleingang in Angriff genommen wurden. Ich möchte sie hier anhand von vier der wichtigsten Reformprojekte etwas genauer untersuchen und in den bisher knapp skizzierten historischen Prozess einzuordnen versuchen. Die Durchsetzung des Bachelor-Master-Systems, eine Übernahme des Systems in den angelsächsischen Ländern, war in erster Linie als Reaktion auf die Überfüllungskrise der Universitäten zu verstehen. Der politische Wille, einen größeren Teil der Jahrgangskohorten zum Studium zu führen, avisierte Größenordnungen zwischen 35 und 40 Prozent. Damit aber war klar, dass es sich bei dem Studium für so große Studierendenzahlen auch in den Geisteswissenschaften nicht um das althergebrachte System der deutschen Universität handeln konnte, dessen Ziel der nach fünf oder sechs Jahren zum selbständigen wissenschaftlichen Forschen ausgebildete Absolvent war. Vielmehr sollte hier eine Art von akademischer Grundausbildung für etwa zwei Drittel der Studierenden geleistet werden, der sich eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit anschließen würde. Nur etwa ein Drittel der dafür besonders Befähigten sollte den zweijährigen Master (MA) und damit eine wissenschaftliche Vollausbildung erhalten.
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Diese Grundidee hat sich aber an den geisteswissenschaftlichen Seminaren bislang nur unzureichend umsetzen lassen. Die meisten geisteswissenschaftlichen Hochschullehrer orientieren ihre Lehre nach wie vor an der wissenschaftlichen Vollausbildung, und entsprechend schwierig und langwierig gestaltet sich die Umstellung. Es ist weiterhin ganz unklar, welche Berufsperspektiven ein 23jähriger Absolvent des BA-Studiums in Geschichte, Philosophie oder Romanistik besitzt – hier zeigt sich auch, dass es in Deutschland keine Tradition des Quereinstieges, etwa von einem geisteswissenschaftlichen BA in die Wirtschaft, gibt. Zusammen mit der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von neun auf acht Jahre erscheint dann der BA wie eine etwas ausgedehnte gymnasiale Oberstufe, etwas, das mit dem Selbstverständnis deutscher Hochschullehrer zumal in unseren Fächern, kaum vereinbar ist.
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Das hat auch mit einem weiteren Problem zu tun, dessen Nichtlösung sich nun bald zeigen sollte: Als Alternative stand nämlich ein anderes Modell zur Verfügung, das auf bestehenden Strukturen aufruhte: die Fachhochschulen. Ein deutlicher Ausbau der Fachhochschulen mit ihrem klar berufsausbildenden Profil hätte nämlich einen Großteil der Studierenden absorbieren und anschließend zu hohen Prozentsätzen in eine Berufslaufbahn entlassen können – allerdings gab es hierbei im geisteswissenschaftlichen Bereich nahezu keine Ressourcen. Ein berufsausbildendes Profil in einem Studium der Geisteswissenschaften aber war ein Widerspruch in sich, denn in den Geisteswissenschaften geht es ja nicht um berufsbezogene Spezial-, sondern um bildungsbezogene Generalkompetenzen. Der systematische Ausbau der Fachhochschulen wäre aber mit einer starken Reduktion der Studierendenzahlen an den Universitäten verbunden gewesen, die dann ihre traditionelle Aufgabe, Ausbildung von Eliten, wieder stärker hätten wahrnehmen können. In der politischen Diskussion aber gab es eine deutliche Opposition gegen den Ausbau der Fachhochschulen, und zwar vorwiegend aus finanziellen Gründen.
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Da also diese Alternative nicht zur Verfügung stand, wurden die Universitäten mit dem BA-MA für die bessere Bewältigung der Studierendenmassen ausgestattet, und man kann von heute aus keinesfalls sagen, dass diese Reform bereits gescheitert sei, wenn auch die Umstellung altgewohnte Traditionen an den Universitäten hat aufbrechen lassen. Gleichwohl entwickelte sich die Universität ohne den Ausbau der Fachhochschulen zu einer Art von Einheits-Hochschule mit sehr unterschiedlichen Profilen und Abschlüssen. Das brachte jedoch Probleme für die Forschung mit sich. Denn einerseits waren die Gefahren einer immer weiter reichenden Herauslösung der Forschung aus der Hochschule nicht zu übersehen, zum anderen würde eine weitere Ausdehnung der Studierendenzahlen an den Universitäten die Forschung dort beschädigen. Der logische Schluss aus dieser Konstellation war die Exzellenzinitiative. Sie hatte zwei Motive bzw. Ziele. Offenbar war es unmöglich, alle Universitäten in gleichem Maße so auszustatten, dass hier in großem Umfang und auf gutem Niveau geforscht werden konnte. Denn dazu waren deutlich reduzierte Studienrelationen, verringerte Lehrdeputate und mehr Geld für die Forschungsinfrastruktur nötig. Dann aber war es sinnvoll, das Geld nicht wie bislang gleichmäßig über die Universitätslandschaft zu verteilen, sondern es konzentriert an jene Universitäten zu geben, die in der Forschung international mithalten konnten und auch perspektivisch über die größten Forschungspotentiale verfügten.
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Zweitens bedurfte es aufgrund mangelnder äußerer Differenzierung in Folge des Nichtausbaus der Fachhochschulen nicht nur einer qualitativen Differenzierung unter den Universitäten, also der Benennung von in der Forschung besonders guten bzw. eher schwachen Universitäten, sondern auch einer funktionalen, also einer Spezialisierung auf bestimmte Fächer, Abschlüsse, Profile, Ausbildungsziele. Diesem Ziel, der Differenzierung der Universitäten, diente die Exzellenzinitiative ebenso wie die geplante aufwändige Erstellung eines leistungsbezogenen Forschungsratings. In der Exzellenzinitiative allerdings wurden, im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht, die Geisteswissenschaften anteilig nicht unter-, sondern eher leicht überrepräsentiert gefördert. Großflächige Cluster, Institutes for Advanced Studies, Forschungskollegs mit mehr als 20, 30 oder 50 Forschern entstanden, die nun über deutlich verbesserte Forschungsbedingungen verfügen, wenn auch nur für die Laufzeit der Exzellenzinitiative, also für fünf Jahre. Die Gelder werden bekanntlich nur für eine relativ kurze Zeit vergeben in der Hoffnung, dass sich in fünf Jahren bereits so eindeutige Strukturen ergeben, dass eine Auswahl der weiterhin zu Fördernden nach dem Leistungsprinzip möglich ist.
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Es ist aber nun völlig offen, ob die hier geschaffenen neuen Strukturen tatsächlich leistungsfähiger sind als die alten. An den meisten Universitäten kommt, so mein Eindruck, die Schaffung großer Forschungszentren in den Geisteswissenschaften nur sehr zäh und gegen große Widerstände voran. Ferner ist zu bezweifeln, dass diese Großstrukturen durchweg erfolgreiche Forschung befördern. Mein Eindruck ist vielmehr, dass die besten Forschungsansätze jedenfalls in meinem Fach der Geschichtswissenschaft aus solchen Bereichen kommen, die seit Jahren oder Jahrzehnten über gewachsene Strukturen verfügen, nachhaltig arbeiten können und dabei den Forschern die Aussicht eröffnen, sich mit sehr guten Leistungen auch sehr gute und vor allem dauerhafte Positionen verschaffen zu können.
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Forschungsförderung geschieht aber in Deutschland mittlerweile vorrangig durch die Vergabe von zeitlich befristeten Projektmitteln durch Dritte, in der Regel durch die DFG. Die Umstellung vom Prinzip der Grundausstattung auf das Prinzip der leistungsbezogenen, zeitlich begrenzten Mittel für die Forschungsförderung hat seit etwa 15 Jahren eine weitgehende Veränderung der Strukturen an den deutschen Universitäten nach sich gezogen. In den Geisteswissenschaften hat sich der Anteil der sogenannten Drittmittel seit 1990 etwa verdreifacht. Demgegenüber ist die Grundausstattung an den Universitäten bei stark wachsenden Studierendenzahlen in etwa gleich geblieben oder gesunken. Die Forschung in den Geisteswissenschaften wird in Deutschland mittlerweile ganz überwiegend nicht von Forschern in festen Positionen erledigt, sondern von Personen mit auf zwei, drei oder maximal fünf Jahre befristeten Verträgen. Das hat dazu geführt, dass nachhaltige, langfristige Arbeiten, wie sie für die Geisteswissenschaften kennzeichnend sind, dem in den Naturwissenschaften üblichen System der koordinierten, zeitlich begrenzten Forschungsgruppen gewichen sind. Die Zahl der Forscher mit befristeten Verträgen ist so immer weiter angestiegen, zudem bestehen sie ganz überwiegend aus Nachwuchswissenschaftlern unter 35 oder 40 Jahren. Da die Zahl der Professuren aber nicht angestiegen ist, ist der Status eines immer größer werdenden Teils der jungen Wissenschaftler in den Geisteswissenschaften prekär bis verzweifelt, zumal ihnen in der Regel die Möglichkeiten der Naturwissenschaftler, nämlich jederzeit in die Industrie wechseln zu können, nicht zur Verfügung stehen.
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Hinzu kommt, dass das alte deutsche Universitätssystem mit dem “Assistenten“ ein patriarchalisches Klientelsystem etabliert hatte, das jahrzehntelang gut funktionierte, weil die jeweilige fachliche Zunft darauf achtete, dass die Zahl der Assistenten nur unwesentlich größer war als die Zahl der vakant werdenden Professuren. Mit der Massenuniversität ist dies anders geworden; eine informelle Gesamtplanung wie im tradierten System gibt es nicht und ist auch gar nicht mehr möglich. Aber so wie die deutschen Professoren in ihrer Mehrheit an dem alten System der Elitenausbildung festhalten möchten und sich gegen Massenuniversität und die daraus abzuleitenden Reformen wehren, so wehren sie sich gegen ein Laufbahnsystem, das es ähnlich wie in den angelsächsischen Ländern auch Historikerinnen oder Germanistinnen erlaubte, im Alter von unter 40 zu heiraten und womöglich auch Kinder zu bekommen, ohne den eigenen Ruin und den der Familie zu riskieren.
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Es ist daher kein Wunder, dass die weitaus größte Zahl der an ausländische Universitäten, vor allem in Großbritannien und in den USA, gewechselten deutschen Nachwuchswissenschaftler als Begründung für ihren Wechsel die fehlende Aussicht auf eine feste Stelle in Deutschland angibt. Die sich verschlechternden Aussichten für Nachwuchswissenschaftler sind aber nur die eine problematische Auswirkung der Umstellung auf Drittmittelfinanzierung an Universitäten. Die andere liegt in der Forschung selbst. Eine riesige Bürokratie ist entstanden, in welcher hunderte und tausende von Forschungsanträgen geprüft, begutachtet, entschieden, bewilligt oder abgelehnt, organisiert, abgerechnet und am Ende auf das Ergebnis hin bewertet werden. Der Aufwand ist so groß, dass mehr und mehr zu Großprojekten übergegangen wird, etwa den Sonderforschungsbereichen, in denen aber der Koordinierungsaufwand zwischen den beteiligten Hochschullehrern ebenso groß ist wie der forscherische Ertrag gering. Daraus wiederum ist die Konsequenz gezogen worden, mehr Geld auf der Basis von Vertrauen an besonders exzellente Wissenschaftler zu geben, ohne aufwändige Prüfsysteme der einzelnen Vorhaben, etwa beim Leibniz-Preis oder auch bei den neuen Forschungskollegs für Geisteswissenschaftler, die die DFG und das BMBF ausschreiben und mit acht bis zehn Millionen Euro üppig ausstatten.
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Damit aber ist der Kreis nahezu geschlossen. Denn nach einem meritokratischen System funktionierte auch die traditionelle Grundausstattung: Wer als Professor besonders gute Leistungen zeigte, konnte erheblich bessere Bedingungen für seine Forschungen erreichen, und überprüft wurde dies mit einem ebenso einfachen wie plausibel funktionierendem System, nämlich einem Ruf an einer andere Hochschule. Zudem wird sichtbar, dass Kreativität, wie sie die Geisteswissenschaften nicht weniger dringend benötigen als die Natur- und Technikwissenschaften, in der Regel nicht von oben bestimmt werden kann. Das System der Drittmittel funktioniert nach dem Prinzip der Planwirtschaft. Kommissionen entscheiden über Anträge aufgrund der Forschungspläne, die die Antragsteller vorlegen, nicht aufgrund der bereits gezeigten Leistungen. Zudem werden die Fachkommissionen der DFG etwa von den Wissenschaftlern der einzelnen Disziplinen gewählt, sie repräsentieren, wer immer ihnen angehört, per definitionem den Mainstream.
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Auf der anderen Seite ist auch nicht zu erwarten, dass etwa durch eine Rückkehr zum Prinzip von Lehrstuhl und Ordinariat die forscherischen Leistungen verbessert würden. Aber die einseitige Betonung der Drittmittel schafft mittlerweile in großem Umfang Fehlallokationen auf der einen, Überausstattung auf der anderen Seite. Der größte Anreiz für einen Forscher besteht nicht darin, ein Drittmittelprojekt zu ergattern, sondern durch sehr gute Leistungen die Voraussetzung für eine sehr gute, gesicherte berufliche Position zu erhalten. Der weitaus überwiegende Anteil der herausragenden forscherischen Arbeiten in meinem Fach, der Neuesten Geschichte, ist in Qualifikationsarbeiten, insbesondere den so viel kritisierten Habilitationsschriften entstanden; während unter den Drittmittelprojekten, die keine Qualifikationsarbeiten enthalten, der Anteil der gescheiterten oder schwachen Abschlussarbeiten – oder der ganz ausbleibenden Resultate, immer größer wird.
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Was folgt daraus? Fünf Punkte mögen dies zusammenfassend zuspitzen.
Erstens: Die deutschen Universitäten sind nach wie vor massiv unterfinanziert; und daran wird auch kein Exzellenzwettbewerb etwas ändern. Der Universität Freiburg steht pro Studierendem etwa ein Viertel der Finanzmittel zur Verfügung, welche die Top-Unis in den USA, in Großbritannien, aber auch in Skandinavien oder der Schweiz einsetzen können. In den Geisteswissenschaften ist die Zahl der Studierenden in Deutschland seit 1993 um mehr als 50 Prozent angestiegen, die Zahl der Professuren aber gleich geblieben. Dass sich unter solchen Voraussetzungen Forschung und Lehre nicht verbessern können, liegt auf der Hand. Wer Spitzenuniversitäten in der Güteklasse Stanford, Cambridge, ETH Zürich haben will, wird das auch entsprechend finanzieren müssen. Sonst bleibt der Exzellenzwettbewerb ein Verschiebebahnhof des alten Elends.
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Zweitens: Die Verlagerung eines immer größeren Teils der Finanzierung der Universitäten in die Drittmittel ist eine Sackgasse. Sie entspricht dem Wunsch und der Ratio der Politiker, die ihren Wählern nach drei oder vier Jahren sichtbare Ergebnisse vorführen wollen, und das kann man mit einem neu gegründeten 5-Jahresinstitut besser als mit der teuren, unmerklichen, aber nachhaltigen Verbesserung der Grundausstattung, der Vermehrung der Dauerstellen und der Finanzierung der Infrastruktur. Die weitere Aufwertung der Drittmittel führt aber nachweisbar zur Verschlechterung der Forschung und zieht zudem eine ebenso nachweisbare Spur der Verelendung unter den Nachwuchswissenschaftlern nach sich.
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Drittens und damit direkt verknüpft: Die Laufbahn für Wissenschaftler an deutschen Universitäten trägt absurde Züge. Wenn es ein Universitätssystem nicht schafft, 35- oder 40-jährigen Hochschullehrern eine sichere berufliche und soziale Perspektive zu bieten, darf man sich nicht wundern, wenn drei Viertel der mittlerweile mehr als 5.000 ins Ausland abgewanderten deutschen Forscher ihren Weggang damit begründen, dass die Universitätslaufbahn in Deutschland ihnen keine Zukunft anbieten konnte. Wir brauchen eine gestufte Laufbahnstruktur unterhalb der Professur, in der man nach erstklassiger Promotion und Bewährung mit Mitte dreißig eine Dauerstelle bekommt, die man durch nachgewiesene Leistungen in Forschung und Lehre sukzessive zur Professur anheben kann. Die derzeitige Universitätslaufbahn ist das größte Hindernis beim qualitativen Ausbau der Universitäten, und zwar besonders in den geisteswissenschaftlichen Fächern.
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Viertens: Die viel beschworene “Einheit von Forschung und Lehre“ ist eine Mogelpackung. In der Praxis bedeutet sie, dass viele Professoren wegen der hohen Lehrbelastung kaum mehr forschen, aber um überhaupt noch forschen zu können, die Lehre vernachlässigen. Dieses Dilemma wird man auf Dauer nur dadurch lösen können, dass man nicht mehr vorgibt, gleichzeitig forschen und lehren zu können, sondern für bestimmte Zeiträume entweder das eine oder das andere tut. Diesen Weg beschreiten wir mit der Exzellenzinitiative, die hier vor allem als Versuch der Rückholung der Forschung in die Universitäten zu verstehen ist. Indem Professorinnen und Professoren – nach einem leistungsbezogenen Auswahlverfahren – für eine längere Zeit von der Lehre freigestellt werden, um sich ganz der Forschung widmen zu können und dann nach Abschluss dieser zwei bis dreijährigen Phase wieder ganz in die Lehre zurückgehen, ist der forschungsbasierten Lehre besser gedient als mit dem Postulat, alles gleichzeitig tun zu können.
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Fünftens: Mit der Exzellenzinitiative verabschieden wir uns von der Vorstellung, alle Universitäten müssten alle Studierenden in gleicher Weise und auf gleichem Niveau ausbilden. Nun wird sich ein System der allmählichen Differenzierung herausbilden – nach Fächern und Disziplinen, nach Ausbildungszielen, nach Regionen, nach Standards. Man kann das bedauern, vor allem wenn man wie der Verfasser dieser Zeilen einen massiven Ausbau der Fachhochschulen für den besseren Weg gehalten hat. Das aber hätte bedeutet, einen erheblichen Teil der Universitäten und ihrer Fachbereiche in Fachhochschulen umzuwandeln, was sich politisch als nicht umsetzbar erwiesen hat. Nun werden verstärkt wettbewerbliche Elemente in die Universitäten einziehen: zwischen den Unis, zwischen den Disziplinen, ja selbst zwischen Professoren und Lehrstühlen. Ob das aber funktioniert, ist eine durchaus offene Frage. Meine Zweifel sind hier größer als meine Zuversicht, und zwar in zunehmendem Maße.
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Insgesamt sind wir also dabei, Wege zu suchen, auf denen der traditionell hohe Standard der deutschen geisteswissenschaftlichen Forschung verbunden werden kann mit den Auswirkungen der Massenuniversität. Das Lamento vieler deutscher Professoren, durch die Reformen, die auf die Massenuniversität antworten, werde die Grundlage nicht nur ihrer Disziplin, sondern der geisteswissenschaftlichen Kultur in Deutschland insgesamt angegriffen, ist jedoch völlig überzogen steht in einer langen Tradition der Modernekritik, die jedenfalls zu einer gewissen Vorsicht bei der ungeprüften Weiterverwendung solcher Postulate führen sollte. Wie in anderen Ländern auch stehen wir vor der Aufgabe, Massenuniversität und Eliteausbildung, Allgemeinwissen und Spitzenforschung an der Universität miteinander so zu verbinden, dass weder das eine noch das andere beschädigt wird. Es ist durchaus nicht ausgemacht, dass dieses Ziel auch tatsächlich erreicht werden wird.
Prof. Dr. Ulrich Herbert
Historisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität
Rempartstraße 15 - KG IV
D-79085 Freiburg
ulrich.herbert@geschichte.uni-freiburg.de
[1] Das Folgende verdankt viele Anregungen und Hinweise dem Buch von Jan Eckel: Geist der Zeit. Deutsche Geisteswissenschaften seit 1870, Göttingen 2008.
[2] Vgl. etwa Christian Jansen: Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914-1935, Göttingen 1992.
[3] Dazu siehe Hartmut Lehmann / Otto Gerhard Oexle (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 1: Fächer, Milieus, Karrieren; Band 2: Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe: Erfahrungen und Transformationen im Exil, Göttingen 2004; Dieter Langewiesche (Hg.): Universitäten im nationalsozialistisch beherrschten Europa, Göttingen 1997 (Geschichte und Gesellschaft 23 H.4).
[4] Olaf Bartz: Der Wissenschaftsrat. Entwicklungslinien der Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1957-2007, Stuttgart 2007; Peter Weingart (Hg.): Die sogenannten Geisteswissenschaften - Außenansichten: Die Entwicklung der Geisteswissenschaften in der BRD 1954-1987, Frankfurt a. M. 1991.
[5] Vgl. neben Bartz etwa Ludwig von Friedeburg: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt a. M. 1992. Zur Entwicklung an den Gymnasien grundlegend Torsten Gass-Bolm: Das Gymnasium 1945-1980. Bildungsreform und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland, Göttingen 2005.
[6] Ausf.: Wissenschaftsrat, Geisteswissenschaften.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Herbert : Bürokratie des Kreativen. Perspektiven und Desiderate der Förderpolitik für die Geisteswissenschaften , in: zeitenblicke 8, Nr. 1, [09.04.2009], URL: https://www.zeitenblicke.de/2009/1/herbert/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-18221
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