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“Der Mehrwert des gemeinsamen Handelns“. So lautet der Titel der Ausführungen zur Bedeutung des “Subsidiaritätsprinzips in Europa“ aus der Feder des deutschen Richters am Europäischen Gerichtshof, Professor Thomas von Danwitz, die vergangene Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen waren. Für die einen sei das Subsidiaritätsprinzip, so schreibt von Danwitz, “das Architekturprinzip einer zukünftigen föderalen Ordnung in Europa“, für die anderen stehe es “für eine Balkanisierung der europäischen Gemeinschaft“.
Was genau bedeutet eigentlich für uns Forschende das Prinzip der Subsidiarität in Europa? Wie weit sollen und dürfen die Mitgliedstaaten, inwieweit sollen und dürfen wir Forschungsorganisationen eben diesen “Mehrwert des gemeinsamen Handelns“ eher über eine supranationale Einrichtung als durch eine bi- oder multilateral ausgestaltete Zusammenarbeit erreichen?
Diese Fragen werden heute – anlässlich des “Tages der Geisteswissenschaften“ im Deutschen Historischen Institut Paris – freilich mehr aus pragmatischer denn aus rechtlicher Perspektive gestellt. Wir in der Deutschen Forschungsgemeinschaft haben uns eben diesen Fragen ganz besonders in den letzten Monaten zu widmen gesucht. Das Ergebnis dieser Überlegungen werden wir in den nächsten Wochen in einem Positionspapier zur Europastrategie der DFG veröffentlichen.

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Ich möchte einige der Gedanken, die in dieser Strategie zu finden sind, schon heute aufgreifen und zur Diskussion stellen, denn sie berühren nicht nur die Belange der Forschenden in ganz Europa, sondern naturgemäß ganz besonders auch die Belange derjenigen unter uns, die in deutsch-französischer Zusammenarbeit gleichsam als “Motor des sogenannten Europäischen Forschungsraums“ wissenschaftlich tätig sind. Denn die bilaterale Zusammenarbeit, das kann man mit Fug und Recht sagen, ist Grundlage jeglicher europäischer Zusammenarbeit in der Wissenschaft. In meinem Vortrag möchte ich Ihnen daher skizzieren, wie die DFG sich den Herausforderungen, die mit dieser Leitlinie verbunden sind, stellt und weiter stellen wird. Ich möchte darüber sprechen, wie wir den Europäischen Forschungsraum gestalten können. Dabei möchte ich insbesondere zeigen, welche Rolle die deutsch-französische Zusammenarbeit in diesem Forschungsraum einnimmt und welche Bedeutung den Geisteswissenschaften – um genau zu sein: den Geistes- und Sozialwissenschaften – zukommt.

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Bevor ich jedoch zum eigentlichen Thema des heutigen Nachmittags komme, möchte ich dem Deutschen Historischen Institut Paris zu seinem fünfzigsten Geburtstag herzliche Glückwünsche der Deutschen Forschungsgemeinschaft übermitteln. Wie ich aus der Festschrift zum Jubiläum und aus dem Programm zum Festakt am 17. Oktober ersehen konnte, ist aus diesem Anlass bereits viel zu der herausragenden Bedeutung des Instituts für die Geschichtswissenschaft in Frankreich und Deutschland sowie für die französisch-deutschen Beziehungen insgesamt gesagt worden.
Ich möchte dem nur kurz Folgendes hinzufügen: Die Gründungszeit des Historischen Instituts in Paris, Sie werden es alle wissen, fällt nicht nur in eine äußerst fruchtbare Zeit des Zusammenwachsens der europäischen Staaten und in die Anfänge der deutsch-französischen Freundschaft. Diese Zeit war auch für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, insbesondere in den Geisteswissenschaften, eine Periode der Öffnung zu Frankreich. Präsident der DFG war damals der Romanist Gerhard Hess, ein Kenner und Förderer der deutsch-französischen Zusammenarbeit in der Wissenschaft. Für seine Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen erhielt Gerhard Hess im Jahre 1961 das Offizierskreuz der Französischen Ehrenlegion. Auch wenn heute, im Jahr 2008, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht aus den Reihen der Romanisten, sondern der Produktionswissenschaftler kommt, so gilt doch weiterhin, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Sinne von Gerhard Hess die deutsch-französische Zusammenarbeit in allen Wissenschaftsbereichen mit großem Engagement fördert. Die Geisteswissenschaften, und insbesondere die Geschichtswissenschaften, haben dabei immer eine wichtige Rolle gespielt. Was wir in den nächsten Jahren für die deutsch-französische Zusammenarbeit in den Geisteswissenschaften erreichen möchten und wie sich dies in den größeren Rahmen des Europäischen Forschungsraumes einbettet, möchte ich Ihnen im Folgenden kurz erläutern.

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Erkenntnisgewinn in der Forschung verlief noch nie entlang nationaler Grenzen. Dennoch gehört es auch heute noch zu unserer Alltagserfahrung als Forschende, dass sich Grenzen als Hindernisse für Mobilität und Kooperation auswirken.
Für Europa wird man aber guten Gewissens feststellen können, dass wir – die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Forschungs- und Forschungsförderorganisationen, die politisch Verantwortlichen auf nationaler und europäischer Ebene – in den letzten Jahrzehnten viel erreicht haben, um die administrativen Hürden abzubauen und die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg zu fördern.
Damit haben wir einen substanziellen Beitrag zur Überwindung der Grenzen Europas geleistet und so das Potenzial der in der Geschichte Europas ausgebildeten gesellschaftlichen, politischen und soziokulturellen Vielfalt überhaupt erst nutzbar gemacht. Dieser für Europa so typisch hohe Grad an Vielfalt prägt den Wissenschaftsstandort der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor und hat wesentlich zu seiner Stärke beigetragen. Zur Förderung eines gemeinsamen europäischen Raums muss diese Vielfalt daher von allen Entscheidungsträgern dieser Gemeinschaft im besten Sinne weiterhin produktiv aufgenommen werden – dies gilt insbesondere für den Europäischen Forschungsraum.

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“Mehrwert durch gemeinsames Handeln“ also. Dieses gemeinsame Handeln muss sich, will man die Forschungsförderung in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen, aus Sicht der DFG in den nächsten Jahren auf drei gleich starke Säulen stützen: Die erste Säule wird durch die nationalen Forschungsförderer wie die DFG oder wie auch die Agence Nationale de la Recherche (ANR) in Frankreich gebildet, in ihrem Zusammenwirken unter sich – unter uns! Diese Säule steht gewissermaßen für die Basis europäischen Förderhandelns, denn nur wir nationalen Forschungsförderer kennen unsere nationalen “Scientific Communities“ aus langjähriger Beobachtung und aus immer wieder neuen Evaluationen auf allen Ebenen.
Daher können wir zum Beispiel bilateral allein auf unsere spezifisch nationalen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Gegebenheiten im Rahmen von gemeinsamen Ausschreibungen Rücksicht nehmen; wir können Begutachtungen mit spezifisch ausgewiesenen Experten in allen Fächern organisieren und letztendlich auch Finanzierungsentscheidungen gemeinsam und unbürokratisch treffen.

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Die zweite Säule besteht aus den wissenschaftsgeleiteten multilateralen Organisationen wie der European Science Foundation (ESF), die in der Lage sind, komplexe internationale Verfahren und Begutachtungen auf höchstem Qualitätsniveau zu organisieren.
Die dritte Säule schließlich ist die der supranationalen Einrichtungen und ihrer Fördermaßnahmen – die der Europäischen Kommission oder des European Research Council (ERC). Sie zeichnen sich aus durch die institutionelle Flexibilität, europaweite Ausschreibungen durchführen zu können, ohne dabei auf nationale Quotierungen – das sogenannte “Juste Retour“-Prinzip – achten zu müssen.
Die beschriebenen Stärken so zu bündeln, dass eine Art Komplementarität der genannten Säulen entsteht, dies ist nun die Aufgabe all derer, die nun gemeinsam den “Europäischen Forschungsraum“ aufbauen.

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Idealerweise werden wir alle aber auch in einer Art europäischem “Wettbewerb der Förderer“ unsere Programme strukturell verbessern bzw. anpassen, um unsere jeweiligen Systeme für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sichtbar und attraktiv zu machen. Letztendlich entscheiden die Forschenden, welches Förderinstrument zu ihren Forschungsvorhaben am besten passt und – nicht zu vergessen – welches Förderinstrument ihnen am wenigsten bürokratisch erscheint. Und eben hier liegt für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der “Mehrwert gemeinsamen Handelns“ in Europa!
Ich sage es ganz bewusst noch einmal: Kern dieses “gemeinsamen Handelns“ ist – für Forschende und Forschungsförderer gleichermaßen – die erste Säule, deren wichtigster Bestandteil die vergleichsweise leicht zu organisierende bilaterale Aktivität darstellt.

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Bilaterale Aktivitäten der DFG entstehen in der Regel aus Bottom-up-Prozessen, sie sind immer wissenschafts- und exzellenzgeleitete Zusammenarbeit. Es ist unbestritten, ich sagte es eingangs, dass die “deutsch-französische Freundschaft“ bei den bilateralen Aktivitäten der DFG ganz im Sinne von Gerhard Hess und Eugen Ewig eine herausragende Rolle spielt.
Denn aus dieser Freundschaft resultiert zweifelsohne nicht nur eine konsolidierte und tragfähige, sondern eine stetig wachsende Zusammenarbeit. Nur ein Beispiel unter vielen für diese fruchtbaren Aktivitäten war sicherlich der Nobelpreis, der im vergangenen Jahr gemeinsam an die Physiker Albert Fert und Peter Grünberg für die Entdeckung des Riesen-Magnetwiderstandes (GMR) verliehen wurde.

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Für uns in der DFG – ich beziehe mich nun vor allem auf die Grundlagenforschung, beziehungsweise auf die Förderung der Grundlagenforschung – wird die Stärke der französisch-deutschen Zusammenarbeit vor allem deutlich durch die vielen wissenschaftlichen Kontaktreisen, die gemeinsamen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Veranstaltungen, nicht zuletzt aber auch durch die von uns geförderten großen und kleinen Forschungsprojekte.
Diese Intensität des wissenschaftlichen Austauschs zwischen Frankreich und Deutschland ist für uns in den Forschungs- und Forschungsförderorganisationen gleichzeitig ein deutlicher und nachhaltiger Appell, für die Forschenden beider Länder den besten Rahmen für ihre gemeinsame Tätigkeit zu schaffen.

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In der Tat wird die Förderung von Forschungsprojekten durch die DFG und ihre französischen Partnerorganisationen seit vielen Jahren sehr intensiv und mit großem Erfolg betrieben. Schon im Jahr 1971 schloss die DFG mit dem CNRS ein Abkommen zur Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Grundlage der gemeinsamen Projektförderung waren fortan meist deutsch-französische thematische Ausschreibungen. Ausgeprägt waren grenzüberschreitende Interaktionen auch im Rahmen vereinzelter koordinierter Programme wie der DFG-Sonderforschungsbereiche und Schwerpunktprogramme, die auf Gebieten wie etwa den Ingenieurwissenschaften, der Meeres- und Polarforschung oder der Laserforschung seit Jahren mit Arbeitsgruppen in Frankreich eng verzahnt waren. Auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften gab und gibt es sowohl in von der DFG geförderten Einzelprojekten als auch in den “Koordinierten Programmen“ eine Reihe von Kooperationen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des CNRS. Weitere Aushängeschilder deutsch-französischer Kooperation waren und sind die deutsch-französischen “Internationalen Graduiertenkollegs“, bei denen neben gemeinsamer Forschung vor allem die Zusammenarbeit in der Doktorandenausbildung im Mittelpunkt steht. Derzeit werden von der DFG sieben “Internationale Graduiertenkollegs“ mit französischer Beteiligung, davon zwei in den Geisteswissenschaften, gefördert.

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Bei aller universitär verflochtenen Förderung gab es jedoch über die Jahre hinweg keine wirklich flexiblen Projektmittel, das heißt insbesondere keine Personalmittel. So vermissten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler thematisch breite und nicht-themengebundene Ausschreibungen, bei denen solche Mittel gewissermaßen “bottom-up“ hätten beantragt werden können. Dies änderte sich grundlegend mit der Implementierung der Förderprogramme der ANR. Seit 2006 gibt es nun ein französisches Förderportfolio, das mit den Instrumenten der DFG in vielen Punkten kompatibel ist. Auch die Flexibilität der Begutachtungsmechanismen auf Seiten der ANR ermöglicht noch besser als bisher die Schaffung gemeinsamer Verfahren.
Davon kann die Projektzusammenarbeit DFG-geförderter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren Kollegen aus allen französischen Forschungseinrichtungen nur profitieren: denn diese sind ja bei der ANR ebenfalls antragsberechtigt.

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Ich darf sagen, dass DFG und ANR gemeinsam stolz darauf sind, dass wir gerade in den beiden letzten Jahren, und insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften, eine Reihe von Anstrengungen unternommen haben, um die Möglichkeiten der Förderung bilateraler Forschung zu verbessern. Lassen Sie uns gemeinsam einen Moment bei dieser Partnerschaft der Institutionen verweilen, denn sie hatte und hat substanzielle Auswirkungen auch für die Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften in beiden Ländern:
In diesem Wissenschaftsbereich lohnt sich ein tieferer Einblick schon allein deshalb, weil gerade Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Gremien und Begutachtungsprozessen von DFG und ANR in erheblichem Maße und in kürzester Zeit dazu beigetragen haben, dass wir uns heute an der Schwelle zu einer neuen Forschungsförderkultur in Europa befinden.

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Das DFG-ANR-Förderprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften bietet in einer themenoffenen, einmal jährlich erfolgenden Ausschreibung Fördermöglichkeiten für Forschungsprojekte, die gemeinsam von einem französischen und einem deutschen Projektteam bearbeitet werden sollen. Von Seiten der Antragsteller ist der Mehrwert darzulegen, der für die Behandlung des Themas dadurch zu erwarten ist, dass es in der vorgesehenen Kooperation erarbeitet wird. Dabei muss ausgeführt werden, wie diese Kooperation konkret erfolgen soll.
Von Seiten der Förderorganisationen wird gewährleistet, dass die Antragstellung keinen größeren Aufwand erfordert als für Projektkooperationen inländischer Partner, also etwa zwischen Wissenschaftlern in Paris und Bordeaux oder zwischen Forschenden in München und Heidelberg.
Die bisherigen Erfahrungen dieses noch jungen Experiments zeigen zum einen, dass dieses spezifische Angebot auf eine erhebliche Nachfrage trifft, und dass es zum anderen gelingt, sich auch in einer Kommission von Experten sehr unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete auf geteilte Standards und Kriterien für exzellente Forschung zu verständigen sowie diese auch einvernehmlich anzuwenden.

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Für die erste Ausschreibung im Januar 2007 sind insgesamt 93 Anträge eingereicht worden, 27 davon hat die gemeinsame Kommission zur Förderung vorgeschlagen, diese sind schließlich von den Entscheidungsinstanzen in allen Fällen bestätigt worden. Die DFG fördert die Hälfte dieser Projekte mit einem Gesamtvolumen von knapp 5,5 Millionen Euro, die ANR finanziert die französische Seite in einer ähnlichen Größenordnung. Es finden sich darunter so interessante und wegweisende Vorhaben wie das der elektronischen Zeitschrift “Trivium“, von dem heute Nachmittag bereits die Rede war. Ich könnte weitere Beispiele anführen, bei denen der besondere Gewinn einer Durchführung in deutsch-französischer Kooperation durch die inhaltliche Thematik nahe gelegt wird; aber auch andere, bei denen dies nicht von vornherein eindeutig ist.

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Zum Beispiel das Vorhaben einer Gruppe von Wissenschaftlern der Universitäten Bayreuth und Bordeaux 3, das sich gemeinsam mit sudanesischen Forschenden mit den politischen Ursachen und sozioökonomischen Konsequenzen der aktuellen Strukturanpassungspolitik in diesem afrikanischen Staat befasst und dazu Fallstudien im Bereich des städtischen Wassermanagements in der Hauptstadt Karthum erarbeitet. Vor dem Hintergrund der massiven Zuwanderung in die Metropole infolge der Darfur-Krise und weiterer Migration aus dem Süden des Landes und der damit einhergehenden schwierigen Situation marginalisierter urbaner Gruppen gehen die in diesem Projekt verfolgten Fragen noch weit über das rein wissenschaftliche Interesse hinaus.

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In Bezug auf die Anträge der Ausschreibung 2008, deren Entscheidung noch nicht ganz abgeschlossen ist, kann ich hier nicht auf Einzelheiten eingehen, aber doch so viel sagen, dass es weiterhin eine Nachfrage nach diesem Förderangebot auf hohem Niveau gibt. Die Auswahlkommission hat aus 70 Anträgen erneut eine Reihe vielversprechender gemeinsamer Projekte ausgewählt und zur Förderung empfohlen. Mit den definitiven Entscheidungen darüber ist in der zweiten Novemberhälfte zu rechnen.
Ich erwähnte zuvor die Ausstrahlungskraft solcher gemeinsamer Anstrengungen auf bilateraler Ebene, das heißt in der französisch-deutschen Zusammenarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Wohin führt nun der Weg, den die Geistes- und Sozialwissenschaften uns in förderstrategischer Hinsicht aufgezeigt haben und wie können die Forschenden beider Länder davon profitieren?
Da gibt es zunächst den deutlichen Wunsch – wir kennen ihn aus vielen Anrufen und Schreiben, die uns in der DFG-Geschäftsstelle erreichen – nach themenungebundenen französisch-deutschen Ausschreibungen in anderen Wissenschaftsbereichen. Denn derzeit werden gemeinsame Forschungsprojekte aus den Lebenswissenschaften, den Ingenieurwissenschaften, der Physik oder der Chemie entweder über strikt themengebundene Ausschreibungen gefördert. Oder aber wir sind gezwungen, wider besseres Wissen, in getrennten Verfahren auf unsere nationalen Programme in DFG und ANR zurückzugreifen. Gerade das zuletzt beschriebene getrennte Vorgehen lässt uns zwar souverän die Eisberge der Herausforderungen solcher gemeinsamer Prozeduren umschiffen.
Andererseits aber haben die Geistes- und Sozialwissenschaften ja demonstriert, dass man Bürokratie im Sinne der Antragstellenden durch gemeinsames Handeln eher abbauen denn akkumulieren kann. Wir müssen abwarten, ob der von den Geistes- und Sozialwissenschaften aufgezeigte Weg auch in den anderen Wissenschaftsbereichen beschritten wird.
Doch lassen Sie mich diese Thematik der Ausweitung auf andere Wissenschaftsbereiche heute – am Tag der Geisteswissenschaften – zurückstellen zugunsten der Frage, inwieweit die Geistes- und Sozialwissenschaften selber von ihren förderstrategischen Errungenschaften profitieren können.

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Der Charme der DFG-Sachbeihilfe – verzeihen Sie, wenn ich im Zusammenhang der Kalibrierung von Förderinstrumenten das Wort “Charme“ benutze – ist ohne Zweifel die Möglichkeit, diese Art Anträge zur Finanzierung zeitlich und thematisch begrenzter Forschungsvorhaben modular in größeren, interdisziplinär angelegten Programmen anzuordnen.
Ich spreche nun von Forschung, die wir in der DFG im Rahmen von Forschergruppen, Schwerpunktprogrammen oder Sonderforschungsbereichen fördern. Was eigentlich hindert die Forschenden in Frankreich und Deutschland daran, diese Art von Programmen bei der ANR und der DFG gemeinsam zu beantragen? Warum werden nicht bereits französische, bei der ANR beantragte sogenannte “Weiße Projekte“ modular in Sonderforschungsbereiche oder Forschergruppen eingegliedert?
Ich gebe zu, hier betreten wir Pfade, die von unseren französischen Partnern der ANR und uns noch nicht in der Form gebahnt sind, stellen sie uns doch vor neue administrative Herausforderungen. Jedoch sind es keine Herausforderungen, die wir nicht schon im Rahmen der gemeinsamen themenungebundenen Ausschreibungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften mit der ANR angenommen hätten.
Wir in den Gremien und in der Geschäftsstelle der DFG sind davon überzeugt, dass es bereits jetzt machbar ist, auch unsere größeren Förderformate mit einer ANR-Förderung zu koppeln.
Man kann sich fragen, warum dies nicht schon geschehen ist. Fehlt es an geeigneten Themen oder Personen, die in dieser Form kooperieren wollen und dazu eine mittel- bis langfristige Finanzierung und damit Planungssicherheit benötigen?
Nun, ohne entsprechende “Bedarfsanzeigen“ aus den betreffenden Disziplinen ist es vermutlich nicht sinnvoll, solche Verfahrensfragen abstrakt zu vertiefen. Aber vielleicht stehen doch auch hier Angebot und Nachfrage in einem engen Wechselverhältnis.
Ist es also tatsächlich so, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften die geeigneten Themen oder die passenden Kooperationspartner für diese großen interdisziplinären Forschungsfragen fehlen?
Die Antwort auf diese Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, können Sie natürlich viel besser finden als ich. Ich möchte Sie ermutigen, dies in der nachfolgenden Podiumsdiskussion vielleicht einmal aufzunehmen.

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Natürlich stellen wir uns in der DFG derzeit auch die Frage, ob es nicht in noch höherem Maße geeignete Formen administrativer Zusammenarbeit der bi- und multilateralen Forschungsförderung gibt. Formen also, die die Prozesse noch mehr zu straffen, die Zeit zwischen Antragseingang und Bewilligungsentscheidung noch weiter zu reduzieren vermögen.
Im Rahmen des D-A-CH-Verbundes – eines Zusammenschlusses zwischen den Förderorganisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz – hat bereits eine etwas anders geartete Konsolidierung der Administration und Begutachtung von Einzelanträgen stattgefunden. Dabei haben sich die Partner auf eine unilaterale Durchführung bei gegenseitiger Anerkennung der Begutachtungsverfahren verständigt.

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In der konkreten Umsetzung bedeutet dies, dass ein bi- oder trilaterales D-A-CH-Projekt von nur einer Förderorganisation – diese wäre dann die “Lead Agency“ – begutachtet wird. Dabei haben die beteiligten Organisationen die Möglichkeit, eigene Gutachterinnen und Gutachter zu benennen. Das Ergebnis der Begutachtung wird den Partnerorganisationen in Form eines Entscheidungsvorschlags mitgeteilt. Sie übernehmen – im positiven Fall – die Finanzierung des Projekts für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihres Landes.
Ein solches “Lead Agency“-Verfahren in der Förderung gemeinsamer Forschungsprojekte erprobt die DFG derzeit im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften auch mit der britischen Partnerorganisation, dem Arts and Humanities Research Council (AHRC), und natürlich könnte man es sich auch für die bilaterale Förderung zwischen Frankreich und Deutschland vorstellen.

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Wenn wir nun schon so weit sind, was hindert uns dann eigentlich noch daran, die nächsten Schritte zu gehen? Am Ende der eben beschriebenen Entwicklung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stünde ein “Europäischer Forschungsraum“, in dem Sie sich vielleicht nicht mehr um Geld, sondern vielmehr um “Förderschecks“ bemühen:
Das wären Bewilligungen von einer der nationalen oder multilateralen Förderagenturen. Diese Bewilligungen könnten dann bedarfsgerecht in dem Land, in dem die Forschungsarbeit oder ein Teil von ihr durchgeführt wird, für Fördermittel eingelöst werden. Eine Art “Europäischer Forschungswährungsverbund“ also, den wir in der “Roadmap to Excellence in Science“ von EuroHORCs und ESF die “European Grant Union“ genannt haben.

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Wenn uns “gemeinsames Handeln“ in der beschriebenen Form gelingt, werden wir im Bereich der Wissenschaftspolitik in den nächsten Jahren ganz im Sinne des eingangs erwähnten Subsidiaritätsprinzips die Forschung nach wie vor gleichberechtigt und wissenschaftsgeleitet auf nationaler, bi- und multilateraler Ebene organisieren und fördern.
Die DFG ist bereit, sich – auf Grundlage der guten Erfahrungen in der französisch-deutschen Zusammenarbeit, nicht zuletzt in den Geistes- und Sozialwissenschaften – dieser Herausforderung und letztendlich auch diesem Wettbewerb zum Besten der Wissenschaft in ganz Europa zu stellen.
Solch “gemeinsames Handeln“ ist dann mitnichten das “Trojanische Pferd der Renationalisierung“, wie von Danwitz es beschreibt, sondern viel eher die gemeinsame Ausgestaltung eines starken und produktiven europäischen Forschungsraums.
Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten!

Autor

Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner
Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Kennedyallee 40
53175 Bonn

Empfohlene Zitierweise:

Matthias Kleiner : Die deutsch-französische Zusammenarbeit in den Geisteswissenschaften – ein Wegbereiter für Forschungszusammenarbeit in Europa? , in: zeitenblicke 8, Nr. 1, [09.04.2009], URL: https://www.zeitenblicke.de/2009/1/kleiner/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-17344

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