Der Teufel in Rot
Trockij und die Ikonographie des "jüdischen Bolschewismus" im polnisch-sowjetischen Krieg, 1919/20
urn:nbn:de:0009-9-31963
Zusammenfassung
Es sind bildliche Darstellungen wie die des roten 'Judenteufels' Trockij, die am Anfang einer komplexen Wirkungsgeschichte des Konstrukts vom "jüdischen Bolschewismus" stehen. Die Oktoberrevolution sei eine jüdische, ihre eigentlichen Drahtzieher "die Juden": Dies war die verschwörungstheoretische Botschaft, die zunächst "weiße" konterrevolutionäre Kreise in Russland vertraten und die dann nach Westen ausstrahlte, insbesondere in die noch junge Polnische Republik. Der Artikel untersucht die visuelle Propaganda des "jüdischen Bolschewismus" anhand der ikonographischen Verarbeitung Lev Trockijs. Im Kontext des polnisch-sowjetischen Krieges 1919/20 erfuhr diese ihre eigentliche Dynamik. Die Bilder, die damals entstanden, machten das Konstrukt emotional erfahrbar, indem sie den Gegner entweder dämonisierten oder der Lächerlichkeit preisgaben. Sie verdichteten auf einen – leicht erinnerbaren – Punkt und schrieben so visuelle Konventionen des "jüdischen Bolschewismus" fest.<1>
Er ist nackt und rot und sitzt auf der Kremlmauer als monsterhaft-vulgäre Figur, eine Kette tragend, an der dem ersten Eindruck nach ein Davidstern, bei genauerem Hinsehen aber ein Sowjetstern in Pentagrammform prangt. Es ist diese Darstellung von Lev D. Trockij, die das Konstrukt vom "jüdischen Bolschewismus" wie keine zweite begleitet (Abb. 1). [1] Der Grad der Verbreitung des Bildes, eines Propagandaplakats der konterrevolutionären Weißen aus dem russischen Bürgerkrieg von 1919, steht allerdings in auffälligem Kontrast zum geringen Wissen um das Bild selbst. [2] Wie so oft, entfaltet ein Bild unhinterfragt seine Wirkung, prägt sich ins Gedächtnis ein, bringt eine Botschaft in einem Augenblick zur Kenntnis des Betrachters: Der rote Trockij, Exponent des bolschewistischen Systems, monsterhaft, brutal – und jüdisch.
Abb. 1
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Den Zeitgenossen scheinen Pentagramm und 'roter Teufel' Elemente einer populären Bildwelt gewesen zu sein. Der einflussreiche, auch international bekannt gewordene Schriftsteller Dmitrij S. Mereškovskij [3] brachte dieses antichristliche Deutungsmuster der bolschewistischen Revolution so auf den Punkt:
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"Damit endet nun der Weltkrieg: mit dem Kriege des Pentagramms gegen das Kreuz […] und am Himmel erscheint ein neues Zeichen, ein fünfzackiger blutroter Stern. […] So ist es jetzt in Rußland, so kann es auch in Europa werden. […] Das Pentagramm führt jetzt gen Westen die roten Heere. […] Womit kann man den einen roten Teufel und die zahllosen roten Teufel bannen?" [4]
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Es war insbesondere Trockij, dem die Rolle des "roten Teufels" zufallen sollte – textlich und visuell. Dass sich die historische Person dabei als weitaus komplexer darstellt, kann kaum überraschen. [5] Lev Trockij, eigentlich Lev Davidovič Bronštejn, war jüdischer Herkunft: Er entstammte einer Landwirtschaft betreibenden Kolonistenfamilie aus Janovka in der südlichen Ukraine – eine eher seltene Erscheinung in den ostjüdischen Lebenswelten des Zarenreiches. Den Zeitgenossen galt Trockij neben Lenin als Aushängeschild der Revolution. Er war Organisator des Oktoberumsturzes wie der Roten Armee und zugleich ein brillanter Rhetoriker und Agitator. Durch Selbstüberschätzung und Arroganz brachte er es allerdings fertig, selbst Kampfgefährten gegen sich aufzubringen. [6] Während des Bürgerkrieges erwarb er sich als Kriegskommissar zudem den Ruf, besonders brutal zu sein – einen Ruf, den er durch Worte bestätigte. [7] Trockij war insofern eine in hohem Maße kontroverse Person, als er eine Fülle von propagandistisch und eben auch visuell verwertbarem Material lieferte.
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Allerdings stellen Bilder eine besondere Herausforderung für jede wissenschaftliche Analyse dar. Einerseits zeichnen sie sich durch Ambiguität aus und eröffnen damit unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten. Andererseits steht ihrer semantischen Fülle eine mangelnde Decodierfähigkeit auf Seiten des Betrachters gegenüber. [8] Für die Geschichtswissenschaften gilt dieser Befund im Besonderen, hat doch das Fach sein Instrumentarium der Quellenkritik vornehmlich anhand von Texten entwickelt und die Historiker gewissermaßen als "visuelle Analphabeten" [9] zurückgelassen. Hinzu kommt das Problem der Wirkungsgeschichte. Nicht nur in diesem Fall ist es schwierig, befriedigende Antworten zu finden, denn grundsätzlich sollte unterschieden werden zwischen der retrospektiven Wahrnehmung eines Bildes, also der historischen Relevanz, und seiner zeitgenössischen Wirkung. [10] Es ist also möglich, dass die Popularität der Illustration auch damit zusammenhängt, dass sie heutigen Sehgewohnheiten entgegenkommt, indem hier – anders als in anderen Propagandawerken der weißen Bewegung in Russland [11] – karikaturenhaft gezeichnet und farblich vereinfacht wird. Sie wirkt aber nicht zuletzt über eine zeitgenössisch – und historisch – anschlussfähige Botschaft: das Konstrukt vom "jüdischen Bolschewismus".
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Diesem Konstrukt soll hier als visuellem Phänomen nachgegangen werden. Es versteht sich, dass dies nur exemplarisch geschehen kann. Denn schon textlich stellt sich das Problem als äußert komplex dar. André Gerrits hat Mitte der 1990er Jahre konstatiert, dass es ein offensichtliches Missverhältnis gibt zwischen dem Konsens darüber, dass es um einen der wirkungsmächtigsten Mythen des 20. Jahrhunderts gehe, und dem Grad seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung. [12] Seither sind zwar einige einschlägige Arbeiten erschienen, [13] trotzdem gilt weiterhin, dass seine Erforschung, insbesondere in vergleichender Perspektive, im Grunde erst begonnen hat.
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Das Konstrukt vom "jüdischen Bolschewismus" geht zurück auf die Revolution und den nachfolgenden Bürgerkrieg in Russland, auch wenn der Begriff in seiner abstrakten Form damals noch nicht verwendet wurde. [14] Vielmehr sprechen die zeitgenössischen Quellen von "jüdischen Bolschewiken" (žid-bol'ševik) [15] und meinen damit ein identisch Sein von Bolschewismus und Judentum. Die Oktoberrevolution sei eine jüdische, denn Drahtzieher im Hintergrund seien "die Juden". [16] Ein empirischer Befund – der Umsturz von 1917 als der zu erklärende Schaden – wird intentional gedeutet, im Sinne eines: Weil es so gekommen ist, muss es auch so geplant gewesen sein! Damit wird ein komplexer historischer Prozess soweit reduziert, dass das zur Verfügung stehende Referenzsubjekt (aus der Perspektive der Historiker das einzige) tatsächlich zum Handlungssubjekt dieses Prozesses wird. [17] Die Juden hätten, so die Erklärung, eine naturgegebene Neigung zum politischen Radikalismus. Im Bürgerkrieg amalgamierte dann die Fiktion von einer "jüdischen Weltverschwörung" mit den Bedrohungsängsten und dem politischen Machtverlust der alten Eliten zum "jüdischen Bolschewismus".
<8>
Von Russland strahlte diese Verschwörungstheorie nach Westen aus, um insbesondere in den kriegstraumatisierten und krisengeschüttelten jungen Nachkriegsstaaten ihre eigentliche Konjunktur zu erleben. [18] In Polen kamen, befördert durch den polnisch-sowjetischen Krieg von 1919/20, die Begriffe Żydokomuna (Judäo-Kommune) [19] und komisarz żydowski (jüdischer Kommissar) zu Popularität, und auch der Begriff bolszewizm żydowski (jüdischer Bolschewismus) scheint schon bekannt gewesen zu sein. [20] In Deutschland machte die nationalsozialistische Propaganda den "jüdischen Bolschewismus" zu ihrem Kampfbegriff. In dieser abstrakten Form findet er auch heute noch unter Verschwörungstheoretikern seine Anwendung.
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Im Falle des "jüdischen Bolschewismus" geht es also um eine Fiktion, was nicht ausschließt, dass zwischen den beiden Begriffen 'jüdisch' und 'bolschewistisch' eine wahrnehmbare Verbindung existiert. Diese Verbindung ist unter bestimmten Bedingungen entstanden, sie ist historisch beschreibbar, aber sie ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. [21] Es ist zu Recht darauf verwiesen worden, dass diejenigen, die sich der Sache des Kommunismus verschrieben, zuvor mit ihrer jüdischen Herkunft gebrochen hatten, dass sie "nicht-jüdische Juden" seien. [22] Und auch die YIVO Enzyklopädie betont, dass ohne Zweifel Personen mit jüdischer Herkunft prominent in der bolschewistischen Führung vertreten waren. Von den 21 Mitgliedern des bolschewistischen Zentralkomitees im August 1917 waren sechs jüdischer Herkunft, unter ihnen Sverdlov, Kamenev, Zinov'ev – und eben Trockij. Es war diese Sichtbarkeit, die den Eindruck einer engen Verbindung zwischen 'bolschewistisch' und 'jüdisch' hervorbrachte. [23] Aber weder statistische Zahlen, noch visuelle Präsenz an sich erklären, warum weiße Konterrevolutionäre Trockij ausgerechnet als roten Teufel plakatierten. Dazu ist prinzipiell nach den Produzenten zu fragen, nach ihren Selbst- und Fremdbildern, ebenso nach den Produktions- und Rezeptionskontexten, nach Funktion, medialer Vermittlung und Erinnerung – das Arbeitsprogramm ließe sich noch ausbauen.
<10>
Verschwörungstheorien wie die oben skizzierte sind Fiktionen, die als Meistererzählungen die Alltagskultur begleiten, nicht erst im 20. Jahrhundert und nicht nur in Osteuropa. Sie versuchen, komplexe, als Missstand wahrgenommene Zusammenhänge monokausal durch Machenschaften einer Gruppe von "Verschwörern" zu erklären. Insofern handelt es sich um einen klassischen Fall von Komplexitätsreduktion. [24] Mindestens genauso wichtig und – wie hier unterstrichen werden soll – nicht weniger wirksam als die Textbotschaften, die solche Szenarien begleiteten, war deren Visualisierung. Die Zwischenkriegszeit, ja das gesamte 20. Jahrhundert als "Jahrhundert der Bilder" [25] bliebe ohne das Visuelle und dessen Rolle in Verschwörungstheorien geradezu blass. Texten gegenüber weisen Bilder nämlich eine zusätzliche Qualität auf. Sie lassen sich durch schnelle optische Aufnahme erschließen, folgen einer assoziativen Logik und entwickeln eine spezifische Dynamik des Erkennens. [26] Es sind gerade die Bilder, die sowohl zur Reduktion als auch zur Wiedererkennbarkeit und Erinnerbarkeit politischer Botschaften beitragen.
<11>
Nicht der eingangs abgebildete Bürgerkriegs-Trockij dient in diesem Aufsatz als zentrale Bildquelle, sondern ein anderes Plakat (Abb. 2). Es ist weit weniger überregional bekannt, [27] dafür aber bildlich und ikonografisch vergleichbar und hinsichtlich seiner zentralen Botschaft und seines Einsatzes in einem spezifischen, nämlich polnisch-russischen Kontext von Interesse. Auch in diesem Fall haben wir es mit einem politischen Plakat zu tun. Es handelt sich, nach Michael Sauer, also um eine intentionale Quellengattung: Als solche lässt sie nicht nur zeitgenössische Überzeugungen oder Werturteile sichtbar werden, sondern macht darüber hinaus Wirkungsabsichten nachvollziehbar. [28]
<12>
Auch dieser Trockij ist nackt und rot, nicht als grobe Karikatur, sondern aufwändig, fast akribisch gezeichnet. Übermenschlich groß und körperlich deformiert sitzt er auf einem Berg aus Schädeln. In der linken Hand hält er eine Pistole, in der Rechten einen bluttriefenden Dolch – als ikonografischer Ausweis des hinterhältigen Bolschewisten. [29] Während der Tod in Gestalt eines weißen Skeletts mit roten Augenhöhlen hinter ihm steht und mit ebenfalls weißer Knochenhand seine Schulter greift, vollbringen asiatisch anmutende Tschekisten, also Angehörige der Geheimpolizei, das Geschäft des Mordens und der Leichenschändung. Im Bildhintergrund sieht man eine brennende Stadt – die Zwiebeltürme der Kirche lassen auf eine russische schließen.
Abb. 2
"Die Bolschewisten haben versprochen:
Wir geben Euch Frieden
Wir geben Euch Freiheit
Wir geben Euch Land
Arbeit und Brot
Schändlich haben sie betrogen:
sie haben den Krieg losgebrochen
mit Polen
anstelle der Freiheit gaben sie
die Faust – statt Land
– die Requisitionen
statt Arbeit – die Armut
statt Brot – den Hunger"
<13>
Farblich ist das Bild eher sparsam gestaltet. Es kommt – neben weiß und schwarz – mit den drei Grundfarben aus, wobei gelb und blau abgetönt wurden und gegenüber dem dominanten Rot zurücktreten. [30] Dabei ist es vor allem Trockij, dem die Farbe Rot zukommt – sie dominiert den gesamten Körper. Das zurückhaltend eingesetzte Schwarz wird entsättigt für die zeichnerischen Elemente verwendet, nur Trockijs Haupthaar und sein Bart stechen wirklich dunkel hervor. Beides verstärkt die überzeichneten Gesichtszüge: die lange, gebogene Nase, [31] wulstige Lippen mit Überbiss, große, oben fast spitz auslaufende Ohren, die an frühe Teufelsdarstellungen erinnern, und eine extreme Kinnpartie. Hinter der Brille leuchten die weißen Augen auf zu einem dämonischen Blick. Der Künstler greift hier plakativ auf bestehende Vorurteile zurück, um sie gleichzeitig zu bedienen. Seit dem Mittelalter werden Juden in körperlicher – und das hieß übertragen auch moralischer – Ähnlichkeit mit dem Teufel abgebildet. Für Peter Burke ist es der Versuch, den anderen in der eigenen Kultur zu entmenschlichen. Burke konstatiert einen "general visual code expressive of sub-humanity". [32]
<14>
Anders als der Trockij des russischen Bürgerkrieges kommt dieser ohne weitere Zeichenzugaben aus. Die Verbindung von Bolschewismus und Judentum funktioniert direkt über den Protagonisten. In der zeitgenössischen Reproduktion des Bildes bei Eduard Fuchs wird Trockij als "roter Judenteufel auf einem Schädelberg" bezeichnet. [33] In der polnischen Dichtung ist 1920 vom "Zaren Lejba Trocki" die Rede. [34] Und auch in der polnischen Memoirenliteratur der Zwischenkriegszeit findet sich diese Verbindung.
<15>
"On the walls enormous posters appeared: skulls, skulls, and more skulls all piled up, […] People stop, terrified. 'A Jew, a Bolshevik,' you can hear them saying. One or two whisper astutely: 'Trotsky'." [35]
<16>
Es war Trockij, den der kulturell vermittelte und von den polnischen Zeitgenossen verstandene Subtext als das jüdische Gesicht der Oktoberrevolution ausgemacht hatte. [36] Die Meinung: "Jude = Bolschewik" sei für die Massen damals überaus klar und verständlich gewesen und habe sich, wie Aleksandra Leinwand feststellt, ohne Mühe für die Propaganda nutzen lassen. [37]
<17>
Als politisches Plakat ist das Bild zudem mit Text versehen: der Überschrift Wolność Bolszewicka (Die bolschewistische Freiheit), ebenfalls in Rot, und einem längeren Begleittext in schwarzer Schrift am rechten Bildrand (Übersetzung siehe Bildunterschrift). Dem Inhalt nach handelt es sich um eine textliche Kontrastmontage von Schein und Sein: das, was die Bolschewisten versprachen, gegen das, was aus diesen Versprechungen nach Meinung des Künstlers tatsächlich wurde. Zum besseren Erinnern ist der Text in Reimform gehalten.
<18>
Am unteren rechten Bildrand, gerade noch lesbar, stehen die Signaturen "mjk" und "M. S. Wojsk. Wydział Propagandy". Sie lassen auf eine militärische Herkunft des Plakates schließen. Herausgeber war demnach die Stabsstelle Propaganda im Armee-Ministerium [38] als eine von mehreren Institutionen, die sich in der noch jungen Zweiten Republik mit Propaganda und Agitation befassten. Das Kürzel "mjk" findet sich so in den einschlägigen Bildsammlungen. [39] Es konnte bisher nicht aufgelöst werden, da keine weiteren Plakate mit dieser Buchstabenfolge gefunden wurden und die Abkürzung auch nicht unter denjenigen Künstlern vorkommt, die ansonsten für das Ministerium gearbeitet haben. Ein konkretes Entstehungsdatum ist auf dem Plakat direkt nicht ablesbar. Doch ist der Produktionskontext eindeutig: Das Plakat entstand im Umfeld des polnisch-sowjetischen Krieges.
<19>
Im Zentrum dieser Untersuchung steht ein vergleichsweise enger Zeitraum – die beiden Monate Juli und August 1920. Es ist der Höhepunkt des polnisch-sowjetischen Konfliktes um die Festlegung der Ostgrenze des neuen polnischen Staates. Staatschef und Marschall Józef Piłsudski profitierte zunächst von der militärischen Schwäche der Roten Armee, deren Truppen im Sommer 1919 durch den Bürgerkrieg mit den "Weißen" gebunden waren. Aber das Blatt wendete sich im Folgejahr zugunsten der Bol'ševiki. Eingeleitet wurde diese letzte, entscheidende Phase des Krieges durch General Tuchačevskijs berühmten Befehl vom 2. Juli 1920 an die Armeen der Westfront. Die vom Politbüro der RKP(b) im April beschlossene Offensive wurde hier zum ersten Mal öffentlich mit dem Offensivziel versehen, über den "Leichnam des weißen Polen" nach Westen zu einem "weltweiten Brand" zu gelangen. [40] Zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung in Polen alles andere als kriegsbereit, plädierte doch selbst die Polnische Sozialistische Partei – also keineswegs nur die polnische KP – für eine Verständigung mit Sowjetrussland. [41] Völlig gegensätzliche Beobachter der Situation in Polen wie der britische Diplomat Edgar Vincent D'Abernon auf der einen und der bolschewistische Geheimdienstchef Feliks Dzierżyński auf der anderen Seite waren sich doch darin einig, eine apathische bzw. desinteressierte, jedenfalls kriegsmüde Bevölkerung wahrzunehmen. [42] Einen Tag nach Tuchačevskij richtete sich Piłsudski mit einem Appell zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung an die Bevölkerung.
<20>
Plötzlich und unerwartet fand sich eine ansonsten parteipolitisch zerstrittene Gesellschaft mit der Gefahr konfrontiert, den nach 123 Jahren gerade erst neu entstandenen polnischen Staat gleich wieder zu verlieren. Auf dem Höhepunkt des Konflikts, vom 13. bis zum 16. August stand die Rote Armee an der Weichsel vor Warschau. Alle Kräfte – unter anderem mehr als 100.000 Freiwillige – wurden aufgeboten. Es sollte eine Entscheidungsschlacht [43] werden, für manche sogar eine mit überirdischer Bedeutung. Der Sieg wurde unmittelbar danach zum "Wunder an der Weichsel", das den Kampf der Kulturen – zwischen den asiatischen Horden und der zivilisierten Welt – zugunsten letzterer entschieden habe, so der damals ins Leben gesetzte Mythos. [44] Dass dieser in Polen heute noch populär ist, zeigt das nationale Gedenken an diesen Krieg. Auch zum 90. Jahrestag 2010 wurde das Bild von der zivilisatorischen Differenz von manchen noch öffentlich vertreten.
<21>
Damals, 1920, war das Klima angesichts der Bedrohung extrem aufgeheizt. Frank Golczewski schätzt die Bedeutung, die amtliche und rechte publizistische Verlautbarungen in Polen für die Identifizierung von Kommunismus und Judentum hatten, als so hoch ein, dass sie die öffentliche Meinung geprägt hätten. [45] Insbesondere in rechten und klerikal-katholischen Kreisen verband sich das überkommene antijudaistische Stereotyp vom christusmordenden (und polenfeindlichen) Juden mit der konkreten politischen Gefahrensituation des Jahres 1920 und steigerte sich somit zu einem verschwörungstheoretischen Feindbild. Der populäre Historiker Feliks Koneczny propagierte dies damals an verschiedenen Stellen, [46] und mit ihm der polnische Episkopat, als dieser im Sommer 1920 seine vielzitierte Botschaft an die Bischöfe der Welt richtete:
<22>
"Der Bolschewismus ist seinem Wesen nach auf Eroberung der Welt aus. Die Rasse, die ihn steuert, hat sich die Welt auch schon vordem durch Gold und Banken untertan gemacht […] Im Vormarsch des Bolschewismus auf die Welt ist Polen für ihn schon die letzte Barriere. […] Sein Hass richtet sich vor allem gegen das Christentum, […] vor allem weil jene, die die Lenker des Bolschewismus sind, in ihrem Blute den traditionellen Hass gegenüber dem Christentum tragen. Der Bolschewismus ist wahrhaftig die Fleischwerdung und Offenbarung des Geistes des Antichrists auf Erden." [47]
<23>
Hier wird also das Bild des Teufels für eine konkrete Sache gesellschaftsfähig gemacht und instrumentalisiert: Es stellt ihn in eine direkte, ja physische Verbindung zu den (neuen) Bol'ševiki und deren (älteren) Drahtziehern im Hintergrund – den Juden. Die Rolle des Katholizismus für die Weiterentwicklung des traditionellen Antijudaismus hin zu einem politisch aufgeladenen "jüdischen Bolschewismus" ist nicht zu übersehen. Léon Poliakov hat zwar die These vertreten, dass antijüdische Traditionen und damit der Nährboden für die Verbreitung verschwörungstheoretischer Ideen gegen die Juden aufseiten der Orthodoxie virulenter gewesen seien als aufseiten des lateinischen Christentums. [48] Allerdings muss man für Polen feststellen, dass der katholische Antijudaismus im Grunde zu demselben Ergebnis kam, indem er die Protokolle der Weisen von Zion [49] materiell oder ihrem Gedankengut nach multiplizierte, [50] eine gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden sanktionierte und die alte Vorstellung von der Antemurale Christianiatis, der Vormauer des Christentums, nach 1918 als Kampf gegen den "jüdischen Bolschewismus" umdeutete und zur zivilisatorischen Kernaufgabe machte.
<24>
Für andere politische Strömungen stellt sich der Rekurs auf das Konstrukt vom "jüdischen Bolschewismus" sicher differenzierter dar. [51] Aber auch jenseits rechter und klerikaler Strömungen wurde auf das Feindbild zurückgegriffen. Agnieszka Pufelska hat in diesem Zusammenhang auf eine Verteufelung jüdischer Funktionäre im sowjetischen Machtapparat verwiesen, welche auch von den polnischen Sozialisten aufgegriffen worden sei. [52] Und die polnische Bauernpartei Piast eröffnete schon kurz nach der Oktoberrevolution ihren Anhängern:
"In Russland herrschen gegenwärtig die Juden, namentlich jüdische Doktrinäre nach Art eines Trockij-Bernstein [sic] und andere Mośkis." [53]
<25>
Die Formulierung ist aufschlussreich, spiegelt sie doch eine verbreitete Mischung aus Geringschätzigkeit für den vermeintlich kulturell rückständigen Nachbarn ("Mośki") und einem Bedrohungsgefühl, das sich für viele folgerichtig aus der Identifikation von Bolschewismus und Judentum ergab. 1920 fand es dann auch seine scheinbare Bestätigung.
<26>
Der polnisch-sowjetische Krieg hat eine Flut von populären und wissenschaftlichen Publikationen hervorgebracht. In erster Linie sind dies politisch, militärhistorisch und diplomatisch interessierte Arbeiten. Vergleichsweise wenig Beachtung hat bisher dagegen der den politischen, militärischen und diplomatischen Krieg begleitende Propagandakrieg gefunden. In ihrer Dissertation über die frühe sowjetische Propaganda gegenüber Polen kam Aleksandra Leinwand zu der Einschätzung, dass dieser Propagandakrieg eindeutig zugunsten der sowjetischen Seite ausgegangen sei. [54] Offenbar haben schon die Zeitgenossen diese Asymmetrie wahrgenommen. So beklagte man zunächst in den kresy, den polnischen Ostgebieten, später auch in Warschau die mangelnde mediale Präsenz auf polnischer Seite gegen eine gut ausgestattete sowjetische Agitprop-Maschinerie (Abb. 3). Erst als der Feind die Grenze der Republik überschritt und die Hauptstadt bedrohte, sei ebenfalls eine lebhafte Agitation begonnen worden. [55]
Abb. 3
<27>
Auf sowjetischer Seite war man sich dabei anscheinend der Brisanz einer Identifikation von Judentum und Bolschewismus durchaus bewusst. Wie Tadeusz Teslar argumentiert – und dies korrespondiert mit der allgemeinen Feststellung von Herbeck –, habe die sowjetische Propaganda das Problem insofern aufgenommen, als sie an die örtlichen Revolutionskomitees die politische Empfehlung ausgab, angesichts der sich verschärfenden polnisch-jüdischen Beziehungen in Polen keine polnischen oder russischen Juden auf offizielle Posten zu berufen. Nach Meinung der sowjetischen Propagandafunktionäre, so Teslar, hätte dies nur die Möglichkeit des Aufbaus einer sowjetischen Herrschaft erschwert, wo doch die Kader sowieso schon als "jüdische Herrschaft" ("władzę żydowską") wahrgenommen würden. [56]
<28>
Komplementär dazu die Situation auf polnischer Seite: Hier konnten die Akteure in den diversen Propaganda-Abteilungen auf den oben beschriebenen common sense im Verständnis von Judentum und Bolschewismus rekurrieren. Eine aufwändige Propaganda-Offensive wurde damals gestartet, parallel zur gesellschaftlichen Mobilisierung. Verschiedene Organisationen befassten sich in dieser Phase parallel mit antisowjetischer Propaganda, [57] zu denen als wichtigste gehörten: die Propaganda-Abteilung beim Generalstab der regulären Armee, [58] die Stabsstelle Propaganda beim Generalinspektor der Freiwilligen-Armee, [59] die Propaganda-Abteilung im Armee-Ministerium, [60] sowie das Zentrale Propagandakomitee, in dem bedeutende Grafiker, Maler und andere Künstler mitarbeiteten. [61]
<29>
Zahlreiche Kundgebungen, insbesondere zur Einwerbung von Mitteln und zur Anwerbung von Freiwilligen, brachten die Menschen auf die Straße (Abb. 4). Sie konnten hier über eine direkte Propaganda erreicht werden. Leinwand hat im Rahmen ihrer Untersuchung etwa 70 politische Plakate ausfindig machen können. Solche Plakate wurden an allen öffentlichen Orten geklebt; manche bewegten sich sogar im Raum, indem sie auf Kundgebungen mitgenommen wurden. (Abb. 5)
Abb. 4
Abb. 5
<30>
Propagandistische Aktivitäten dieser Art wurden von der zeitgenössischen Presse durchaus mit Wohlwollen, ja Lob begleitet. Das gilt auch für den Auftraggeber des Trockij-Plakates. So kommentierte der Tygodnik Illustrowany in einer Spezialnummer zum Tag der Freiwilligen-Armee die Aktivitäten des verantwortlichen Armee-Ministeriums so:
<31>
"Am 'Tag der Freiwilligenarmee' riefen in den Straßen Warschaus aufgehängte, ihrer Herkunft nach originelle und künstlerisch anspruchsvolle Farbplakate eine wahre Sensation hervor, mit Motiven, die verbunden waren mit der momentanen Situation und mit einer Parole, die heute unsere Gesellschaft von oben bis unten durchdringt: 'zu den Waffen'. Gegenwärtig sind diese Plakate auf Plätzen und in den Straßen Warschaus zu finden. Sie stehen, fallen einem ins Auge und rufen. Sie sind die Stimme des Gewissens. Von unterschiedlichem Gehalt rütteln die einen durch Angst auf, andere wiederum wirken über Sympathie, wieder andere operieren mit Humor und Satire; alle jedoch heben das Vorstellungsvermögen, klingen wie ein Weckruf und erfüllen ihre Aufgabe hervorragend. Sie werden auch mit Sicherheit keine 'Stimme in der Wüste' sein. Diese imponierende artistische Anstrengung ist das Werk junger Warschauer Maler, mobilisiert und eingruppiert bei der Stabsstelle Propaganda der Abteilung II im Armeeministerium, das am 'Tag der Freiwilligen-Armee' die gesamte propagandistische Aktion leitete." [62]
<32>
Zusammen mit diesem Kommentar wurde eine Reihe von Plakaten abgedruckt, die dadurch eine zusätzliche massenmediale Verbreitung erfuhren. Für die Sache der visuellen Propaganda engagierten sich bekannte Schriftsteller und Maler, so dass sich für viele Plakate die Urheber identifizieren lassen. Die überwiegende Zahl der Produktionen blieb aber anonym. Die Mehrzahl der Plakate wurde in Warschau gedruckt, daneben aber auch in Lemberg, Lodz, Posen und Thorn. Genauere statistische Angaben liegen zu den Aktivitäten der Propagandaabteilung im Stab der Freiwilligen-Armee vor. Deren Tätigkeitsberichten zufolge wurden insgesamt 124.970 Farbplakate und 90.350 Aufrufe in Plakatform gedruckt; von außen offenbar unterstützt durch den Warschauer Künstlerverein (Warszawskie Towarzystwo Artystyczne). Dieser habe Zeichnungen und farbige Plakate zur Verfügung gestellt, die auf Agitationsfahrzeugen angebracht worden seien. [63]
<33>
Hinzu kamen Karikaturen in der Tagespresse und in Satiremagazinen. Sie waren recht unterschiedlicher Natur – ein Gegensatz, der auch von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde. So machte schon Władysław Wankie einen Grundsatzstreit darüber aus, ob man die Bol'ševiki als große, feindliche Macht, schrecklich und bedrohlich, darstellen solle oder aber geringschätzig, als "Bande von Schurken und Betrügern". [64] Und er kam zu dem Schluss, dass beides seine Berechtigung habe:
<34>
"Der Schrecken erschüttert, und er schüchtert ein, was nicht erwünscht ist. Etwas der Lächerlichkeit preiszugeben, hat wiederum zur Folge, dass eine Megalomanie entsteht; aber gleichzeitig lässt sich so der Geist nicht niederdrücken, es entsteht nicht jener Defätismus, zu dem wir neigen. Man hat einen Mittelweg gewählt und dies ist mit Sicherheit richtig." [65]
<35>
Der Versuch, einen Mittelweg zu gehen, lässt sich auch in den hier untersuchten Bilddokumenten wiederfinden. [66] Beide Formen, Perhorreszierung wie Ridikülisierung, verwendete die zeitgenössische Bildpropaganda nebeneinander. Dabei scheint mit zunehmender Bedrohung, insbesondere in der Krise vom Sommer 1920, erstere zu überwiegen. Eine systematische Analyse dieser Bildpropaganda steht noch aus, so dass hier nicht mehr als eine erste Hypothese stehen kann.
<36>
Für die Darstellung des fast übermächtigen Feindes im Osten entwarfen Grafiker wie Karikaturisten ein Horrorszenario, bei dem auf eine ganze Palette von Bildmotiven zurückgegriffen wurde. Unter Rekurs auf traditionell religiöse Vorstellungen entstand der jüdische Bolschewik als menschliches Ungeheuer, zum Ausweis des Jüdischen mit Hakennase und Spitzbart (Abb. 6), als frauenschändendes Monster mit phrygischer Mütze und Davidstern, das Warschau in Gestalt einer allegorischen Sirene [67] überfällt (Abb. 7) und vor allem und immer wieder der jüdische Bolschewik als apokalyptischer Dämon (Abb. 8).
Abb. 6
Abb. 7
Abb. 8
Abb. 9
<37>
Auch durch die Kombination von Zeichen (Sowjetstern mit Davidstern) konnte der bolschewistische Feind als 'jüdisch' markiert werden (Abb. 9). Durch den Einsatz von Teufelsattributen (zum Beispiel Klauen) erhielt er darüber hinaus – ganz im Sinne eines traditionellen Antijudaismus – die Stärken (und auch die Schwächen) des Antichristen. [68]
<38>
Gleichzeitig finden sich auch in dieser extremen Krisensituation ridikülisierende Propagandaanstrengungen bei der Darstellung der (jüdischen) Bolschewisten im Allgemeinen und Trockijs im Speziellen. Die Begleittexte lassen die Figuren oftmals als unzivilisiert erscheinen: In "Trockijs Totenklage" (Abb. 10) etwa werden dem Revolutionsführer jiddische Formulierungen untergeschoben – eine Sprache, die er zwar aus seiner Jugend kannte, die er aber – wie andere kommunistische Intellektuelle jüdischer Herkunft – zugunsten der Assimilation ablehnte. [69] Schmunzeln sollte wohl auch der Anblick Trockijs "in der Falle" (Abb. 11) auslösen: Dieses Bild war im besonderen Maße dazu geeignet, dem polnischen Betrachter die vermeintliche Höherwertigkeit auch emotional fassbar werden zu lassen.
Abb. 10
(Trockijs Totenklage. […] O was für ein unglücklicher Mensch bin ich, warum hab' ich mich dieser Sache hingegeben, der Kriegsruhm ist schon weg, […] für's Schachermachen ist der Jude gut, nur nicht für den Krieg). Karikatur; Quelle: Mucha, Nr. 37 vom 10. September 1920 (Fragment ohne Text).
Abb. 11
<39>
Allerdings konnte dem Betrachter das Lachen zuweilen auch verdorben werden. Im Begleittext zur Abbildung "Feldzug nach Europa" ließ Karikaturist Bogdan Nowakowski den inneren Feind auf den Plan treten (Abb. 12). Die (jüdischen) Bewohner der Nalewki-Straße in Warschau erscheinen als Handlanger Trockijs. Da nützte es wenig, dass sowohl die israelitische Gemeinde Warschaus als auch das Pressebüro der zionistischen Vereinigungen Polens öffentlich zum Kampf gegen die bolschewistische Gefahr aus dem Osten aufgerufen hatten. [70] Mit der über eine Text-Bild-Synthese vermittelten Botschaft vom Heerführer und seinen Kolonnen in Feindesland – später sollte man von einer Fünften Kolonne sprechen – erhielt das verschwörungstheoretische Konstrukt des "jüdischen Bolschewismus" eine zusätzliche, leicht operationalisierbare Dimension: Während der innere Feind durch Anbindung an einen äußeren mächtiger wird, kommt der äußere Feind über die Anbindung an einen inneren näher, wird im Alltag erfahrbar. Es ist letztlich das wirkungsmächtige Konstrukt des Drahtziehers und seiner Marionetten.
Abb. 12
"Feldzug nach Europa
(Lenin, Trockij, Čičerin)
Lenin. – Hör mal Trockij, hast Du Reserven für unsere bolschewistische Armee?
Trockij. – Hinter mir nicht, aber vor mir dreimal hunderttausend.
Lenin. – Wo?
Trockij. – In den Nalewki in Warschau"
<40>
Die Krise von 1920 wirkte als Katalysator für visuelle Festschreibungen wie auch für strukturelle Veränderungen. Die Defizite, die man polnischerseits gegenüber dem sowjetischen Agitprop-Apparat empfand, scheinen damals also zu einer Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte geführt zu haben. Parallel zur Freiwilligenarmee entstanden Organisationen, die – unterstützt durch Grafiker und andere Künstler – zu einer intensiven Bildpropaganda führten. Władysław Wankie konstatierte unmittelbar nach der 'Schlacht um Warschau':
<41>
"Wenn wir unsere ersten Plakate mit den jetzigen vergleichen, die an den Straßenecken hängen, dann sehen wir sofort einen großen Fortschritt, ideell und grafisch-technisch […] Nicht zu viel, nichts Unnötiges, nur das, was den Eindruck verstärkt und den Massen zugänglich macht." [71]
<42>
Die Konfliktsituation am Ende des Ersten Weltkrieges – eingeleitet mit dem politischen Erfolg der Bol'ševiki in der Oktoberrevolution und auf dem Höhepunkt der militärischen Offensive im Sommer 1920 vor Warschau – ließ in Polen ein Bedrohungsszenario gedeihen, dass sich langfristig im Bereich der sprachlichen wie auch der visuellen Kultur auswirkte und das Verhältnis zum Nachbarn im Osten mitbestimmte.
<43>
Kamińska-Szmaj hat in ihrer Studie zur politischen Sprache eine Reihe von Redewendungen und Bildmetaphern ausgewiesen, die in ihrer Genese bis in die Umbruchszeit von 1917 bis 1923 zurückreichen. Dies gilt etwa für Sprachbilder wie das von der "roten Hydra" (czerwona hydra) oder den "Russland beherrschenden roten jüdischen Teufeln" (czerwone szatany żydowskie). [72] Dies gilt aber auch für die Etymologie von Neologismen wie dem der Sowdepja zur Bezeichnung Sowjetrusslands, [73] deren Genese Kamińska-Szmaj im Jahr 1921 verortet. [74]
<44>
Schon die Propagandaabteilung der Weißen (Osvag) hatte, wie im ersten Bild zu sehen, diesen Begriff zur negativen Kennzeichnung des Gegners im Rahmen ihrer visuellen Propaganda benutzt. Auch die polnische Bildpropaganda verwendet ihn, und zwar schon vor 1921, wie das im Kontext des Krieges mit Sowjetrussland entstandene Plakat "Sein Programm" (Jego Program) zeigt. Dessen Begleittext spricht explizit von einem Sowdepski pan. [75]
<45>
Ähnlich weist auch die visuelle Verarbeitung Leo Trockijs übergreifende ikonografische Muster auf. Das Bild vom "jüdischen Teufel" war, wie schon André Gerrits feststellt, ein auffälliges Motiv des Mythos vom "jüdischen Bolschewismus". Dabei geht es um mehr als um Sprachbilder. Es geht, so sollte deutlich werden, auch um ein materiell fassbares Bild und seine spezifische Wirkung. Das grafische Bild vom 'roten Teufel' Trockij personifiziert und verdichtet den "jüdischen Bolschewismus" auf einen Punkt. Es macht diesen nicht nur emotional erfahrbar, sondern auch schnell wiedererkennbar und vor allem lange erinnerbar.
Dr. Ute Caumanns
Institut für Geschichtswissenschaften V – Geschichte und Kulturen Osteuropas
Universitätsstr. 1
40225 Düsseldorf
Ute.Caumanns@uni-duesseldorf.de
[1] Sucht man nach dem Stichwort "Jüdischer Bolschewismus" in Wikipedia, so findet man dieses Bild in praktisch jeder Sprache und an erster Stelle.
[2] In der wissenschaftlichen Literatur findet das Bild eine kurze Erwähnung bei Nikolaus Katzer: Die weiße Bewegung in Russland. Herrschaftsbildung, praktische Politik und politische Programmatik im Bürgerkrieg, Köln 1999, 323. In Richard Pipes' vielbeachteter Studie zur Frühgeschichte der Sowjetunion wird es in direktem Zusammenhang mit dem Satz "Trotsky – the satanic 'Bronstein' of Russian anti-Semites" abgedruckt, allerdings rein illustrativ, ohne weitere Analyse. Vgl. Richard Pipes: Russia under the Bolshevik Regime, New York 1993, 103. Es ist auch abgedruckt bei Oleg V. Budnickij: Rossijskie evrei meždu krasnymi i belymi (1917-1920), Moskau 2006, im Bildanhang (unpaginiert) sowie mit kurzer Beschreibung auf Seite 235. Für Herbeck ist es das Bild, das antisemitische Gegenrevolutionäre von der jüdischen Leitung der Russischen Revolution verbreiteten. Vgl. Ulrich Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken". Zur Geschichte des russischen Antisemitismus vor und während der Russischen Revolution, Berlin 2009, 181. Mit fehlerhaften Abbildungshinweisen bei Boris Bachanow: Ich war Stalins Sekretär, Frankfurt a.M. / Berlin / Wien 1977, Abb. 18; und bei Johannes Rogalla von Bieberstein: "Jüdischer Bolschewismus" – Mythos und Realität, Graz 2010, 223 und Abbildungsteil III.
[3] Mereškovskij beeinflusste etwa Sergej A. Nilus, den Herausgeber der Protokolle der Weisen von Zion, aber auch völkische Kreise in Deutschland. Offen antisemitische Vorstellungen im Sinne einer jüdischen Leitung der Revolution zu formulieren, vermied Mereškovskij offenbar, ihm ging es um die Anwendung älterer Teufelsvorstellungen auf die Bol'ševiki. Zu strukturellen Ähnlichkeiten mit gewöhnlichen antisemitischen Vorstellungen in Russland vgl. Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken" (wie Anm. [2]), 137, 445.
[4] Dmitrij Mereschkowskij / Zinaïda Hippius / Dmitrij Philossofow / Wladimir Slobin: Das Reich des Antichrist. Rußland und der Bolschewismus, München 1921, hier: 28, 185f. Das Werk erschien in demselben Verlag auch in russischer Sprache: Carstvo Antichrista, D.S. Merežkovskij (et al.), München 1922.
[5] Vgl. unter den zahllosen Biographien zuletzt Bertrand M. Patenaude: Trotzki. Der verratene Revolutionär, Berlin 2010.
[6] Patenaude: Trotzki (wie Anm. 5), 36.
[7] Vgl. etwa seine Replik auf Kautsky: L. Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. Anti-Kautsky, hg. vom Westeuropäischen Sekretariat der Kommunistischen Internationale, Hamburg 1920, insbesondere 43f.
[8] Thomas Knieper: Kommunikationswissenschaft, in: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt a.M. 2005, 37-51, hier: 38.
[9] Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen (englische Originalausgabe: Eyewitnessing: The Uses of Images as Historical Evidence, London 2001, übersetzt von Matthias Wolf), Berlin 2010, 10.
[10] Vgl. zum Beispiel Bernhard Fulda: Die vielen Gesichter des Hans Schweitzer. Politische Karikaturen als historische Quelle, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, 206-224, hier: 208, 210.
[11] Vgl. etwa das Plakat "Für das einige Russland" bei Katzer: Die weiße Bewegung in Russland (wie Anm. [2]), nach XIV.
[12] Vgl. André Gerrits: Antisemitism and Anti-Communism: The Myth of 'Judeo-Communism' in Eastern Europe, in: East European Jewish Affairs 25 (1995), H. 1, 49-72, hier: 49, 70f.
[13] Rogalla von Bieberstein: "Jüdischer Bolschewismus" (wie Anm. 2). Für die Osteuropäische Geschichte insbesondere Agnieszka Pufelska: Die "Judäo-Kommune" – ein Feindbild in Polen. Das polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939-1948, Paderborn 2007; Stephanie Zloch: Nationsbildung und Feinderklärung – "Jüdischer Bolschewismus" und der polnisch-sowjetische Krieg 1919/1920, in: Simon Dubnow Institute Yearbook 4 (2005), 279-302; sowie Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken" (wie Anm. [2]). Zur Bedeutung für die NS-Bewegung vgl. Wolfram Meyer zu Uptrup: Kampf gegen die "jüdische Weltverschwörung". Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919 bis 1945, Berlin 2003, 205-211 sowie Abbildungsteil 241-271; Lorna Waddington: Hitler's crusade. Bolshevism and the Myth of the International Jewish Conspiracy, London u.a. 2007; zuletzt auch Joachim Schröder: Der Erste Weltkrieg und der "jüdische Bolschewismus", in: Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, 77-96.
[15] Mit žid (Jude) als semantisch pejorativer Variante zu evrej (Hebräer).
[16] Vgl. Walter Laqueur: Der Schoß ist fruchtbar noch. Der militante Nationalismus der russischen Rechten, München 1993, 58; Vgl. Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken" (wie Anm. 2), 121.
[17] Vgl. Dieter Groh: Die verschwörungstheoretische Versuchung oder: Why do bad things happen to good people?, in: ders.: Anthropologische Dimensionen der Geschichte, Frankfurt a.M. 1992, 267-304, hier: 269.
[18] Neben Polen sieht Gerrits für die Zwischenkriegszeit die stärkste Verbreitung des Mythos in Ungarn und Rumänien. Vgl. Gerrits: Antisemitism and Anti-Communism (wie Anm. 12), 62.
[19] Vgl. Pufelska, "Judäo-Kommune" – ein Feindbild in Polen (wie Anm. 13), 46.
[20] Henryk Lisiak hat den Begriff bolszewizm żydowski offenbar schon in Archivalien zum polnisch-sowjetischen Krieg nachweisen können, allerdings ohne den genaueren Publikationskontext zu nennen. Vgl. Henryk Lisiak: Propaganda obronna w Polsce w rozstrzygającym okresie wojny polsko-sowieckiej 1920 r., in: Dzieje Najnowsze (1997), Nr. 4, 3-25, hier: 14.
[21] Zur Abgrenzung vgl. auch Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken" (wie Anm. 2), 16.
[22] Isaac Deutscher: The Non-Jewish Jew and Other Essays, Oxford 1968.
[23] Vgl. The YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe, New York 2010, Lemma "Communism".
[24] Vgl. Ute Caumanns / Mathias Niendorf: Raum und Zeit, Mensch und Methode: Überlegungen zum Phänomen der Verschwörungstheorien, in: dies. (Hg.): Verschwörungstheorien: Anthropologische Konstanten – historische Varianten, Osnabrück 2001, 197-210.
[25] Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder, 2 Bde., Göttingen 2008/2009.
[26] Matthias Bruhn: Das Bild. Theorie – Geschichte – Praxis, Berlin 2009, 17.
[27] In der deutschsprachigen Literatur findet sich ein Abdruck in Eduard Fuchs: Die Juden in der Karikatur, München 1921, Beilage neben 280 und kurze Beschreibung auf 275.
[28] Michael Sauer: "Hinweg damit!". Plakate als historische Quellen zur Politik- und Mentalitätsgeschichte, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, 37-56, hier: 37f.
[29] Zur Bedeutung des Dolches vgl. Sauer: Hinweg damit (wie Anm. 28), 44; Gerhard Paul: Der Dolchstoß. Ein Schlüsselbild nationalistischer Erinnerungspolitik, in: ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1: 1900 bis 1949, Göttingen 2009, 300-307, hier: 304.
[30] Allerdings gibt es differierende Reproduktionen. In Fuchs: Die Juden in der Karikatur (wie Anm. 26), Beilage neben Seite 280, wird das Plakat in schwarz-weiß mit rot abgedruckt.
[31] Zur Bedeutung der Nase ("Judennase") für die Entwicklung des "jüdische(n) Geschichtstyp(s)" in der Frühen Neuzeit siehe Fuchs: Die Juden in der Karikatur (wie Anm. 27), 161f.
[32] Burke: Eyewitnessing (wie Anm. 9), 136; in der deutschen Ausgabe wird der problematische, weil engführende Begriff "Untermenschentum" verwendet. Vgl. Burke: Augenzeugenschaft (wie Anm. 9), 153.
[33] Fuchs: Die Juden in der Karikatur (wie Anm. 27), 275. Auch David King: Trotsky. A Photographic Biography, Oxford 1986, 110, sieht die antisemitische Ausrichtung des Plakats. Jüngere polnische Reproduktionen bleiben ohne Bezug auf den Antisemitismus, interpretieren die Trockij-Figur allerdings auch als Teufel. Vgl. Witold Sienkiewicz: Niepokonani. Wojna polsko-bolszewicka 1920 r, Warschau 2010/2011, 178; Cud nad Wisłą, eingeleitet von Tadeusz Skoczek, Warschau 2010, 61.
[34] Antoni Orłowski (Krogulec): Car Lejba Trocki, in: "Pospolite Ruszenie" Jednodniówka, Warszawa 11 sierpnia 1920, zitiert nach: Ewa Pogonowska: Moskal i Bolszewik. Szkic o Polskiej antibolszewickiej twórczości poetyckiej po 1917 roku, in: Przegląd Humanistyzcny (1998) 1, 103-121, hier: 121.
[35] Maria Kamińka: Ścieżkami wspomnień, Warschau 1960, zitiert nach Szyja Bronsztejn: Polish-Jewish Relations as Reflected in Memoirs of the Interwar Period, in: Antony Polonsky / Ezra Mendelsohn / Jerzy Tomaszewski (Hg.): Polin 8: Jews in Independent Poland 1918-1939, London / Washington 1994, 66-88, hier: 81.
[36] Neben Trockij wurde damals nur noch Lenin abgebildet, letzterer meist mit asiatischen Gesichtszügen. Vgl. Aleksandra Julia Leinwand: Polski plakat propagandowy w okresie wojny polsko-sowieckiej (1919-1920), in: Studia z Dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 28 (1993), 64.
[37] Leinwand: Polski plakat propagandowy (wie Anm. 36), 62. Wie Leinwand an anderer Stelle nachweist, nennen französische Überlegungen "C'est le Juif qui est à la tête du bolchevisme" (Hervorhebung im Original) als konkretes Thema für eine polnische Gegenpropaganda, so ein Bericht an die französische Militärmission in Warschau, zitiert nach Aleksandra J. Leinwand: Propaganda sowiecka w okresie wojny polsko-bolszewickiej 1919-1920 w opinii międzynarodowej. Wybrane zagadnienia, in: Studia z Dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 44 (2009), 65-74, hier: 67f. Diese Außenwahrnehmung war offenbar auch den Bol'ševiki und Trockij selbst bewusst, weshalb dieser mit dem Verweis auf seine jüdische Herkunft den exponierten Posten des Innenministers ausschlug, so Trockij selbst in seinem Tagebuch. Vgl. Leon Trotsky: My Life: An Attempt at an Autobiography, Harmondsworth 1975, 354, zitiert nach Gerrits: Antisemitism and Anti-Communism (wie Anm. 12), 65; vgl. auch Herbeck: Das Feindbild vom "jüdischen Bolschewiken" (wie Anm. 2), 181.
[38] Oddział II – Ministerstwo Spraw Wojskowych.
[39] So die zurzeit genaueste Dokumentation in der Goldschnitt-Ausgabe mit Bildquellen aus den Beständen des Muzeum Niepodległości in Warschau: Cud nad Wisłą (wie Anm. 33), 61.
[40] Gesamter Wortlaut abgedruckt bei Aleksandra Julia Leinwand: Czerwonym młotem w orła białego. Propaganda sowiecka w wojnie z Polską 1919-1920, Warschau 2008, 139f.
[41] Krzysztof Wysocki: Mobilizacja społeczeństwa do obrony niepodległości latem 1920 roku, in: Janusz Odziemkowski (Hg.): Bitwa Warszawska 1920 roku w obronie niepodległości, Warschau 2006, 241-252, hier: 244. Stephanie Zloch weist in diesem Zusammenhang auf die Begrüßung der Provisorischen Sowjetregierung in Białystok durch lokale Organisationen der Polnischen Sozialistischen Partei hin. Vgl. Zloch: Nationsbildung und Feinderklärung (wie Anm. 13), 293.
[42] Norman Davies: White Eagle, Red Star. The Polish-Soviet War, 1919-20, London 1972, hier nach der polnischen Ausgabe: Orzeł biały, czerwona gwiazda. Wojna polsko-bolszewicka 1919-1920, Krakau 1998, 190f.
[43] Vgl. dazu auch die überzogene, aber populäre Einschätzung von Edgar Vincent D'Abernon: The Eighteenth Decisive Battle of the World. Warsaw 1920, London 1931. Zu dieser Einschätzung kritisch auch Wojciech Materski: Na widecie. II Rzeczpospolita wobec Sowietów 1918-1943, Warschau 2005, 98.
[44] Vgl. auch das Gemälde "Cud nad Wisłą" (Wunder an der Weichsel) von Jerzy Kossak, auf dem die Jungfrau Maria den polnischen Truppen vom Himmel her beisteht; zu beachten die Verbindung zum 15. August, dem Feiertag der Himmelfahrt Marias.
[45] Frank Golczewski: Polnisch-jüdische Beziehungen 1881-1922. Eine Studie zur Geschichte des Antisemitismus in Osteuropa, Wiesbaden 1981, 233. Zur Etablierung des "jüdischen Bolschewismus" im Zwischenkriegspolen vgl. auch Pufelska: "Judäo-Kommune" – ein Feindbild in Polen (wie Anm. 13), 46-58.
[46] Koneczny vertrat die Idee einer Kultur- bzw. Zivilisationsgrenze in seinem zweibändigen programmatischen Werk "Polskie Logos a etos. Roztrząsanie o znaczeniu i celu Polski", Posen 1921; sowie in Beiträgen für die Jesuitenzeitschrift Przegląd Powszechny, zum Beispiel Feliks Koneczny: Sfinks rosyjski, in: Przegląd Powszechny Bd. 138-139 (1918), H. 409/410, 5-19.
[47] "Brief der polnischen Bischöfe an den Episkopat der Welt" vom 7. Juli 1920, in: Kościół w czasie wojny polsko-bolszewickiej 1919-1920. Antologia tekstów historycznych i literackich, bearbeitet von Marian Marek Drozdowski und Andrzej Serafin, Warschau 1995, 97f. Auszüge des Hirtenbriefes auch bei Norman Cohn: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Baden-Baden / Zürich 1998, 169f.
[48] Léon Poliakov: The Topic of the Jewish Conspiracy in Russia (1905-1920), and the International Consequences, in: Carl F. Graumann / Serge Moscivici (Hg.): Changing Conceptions of Conspiracy, New York u.a. 1987, 105-113, hier: 105.
[49] "Wróg przed bramą!" Protokuły Posiedzeń Mędrców Sjonu [sic!], Bromberg 1930; Protokóły Mędrców Sjonu, Warschau u.a. 1934. Michael Hagemeister nennt darüber hinaus die von mir nicht eingesehenen Ausgaben: Protokoły Medrców Sjonu, hg. von Rozwój, Warschau 1923; Baczność!! Przeczytaj i daj innym. Rok 1897-1920 (Protokóły posiedzeń Mędrców Sjonu), Warschau o.J. (um 1920); Michael Hagemeister: Bibliographischer Hinweis, in: Cohn: Die Protokolle der Weisen von Zion (wie Anm. 47), 257-265, hier: 263. Janusz Tazbir kennt neun Auflagen der Protokolle, die zwischen den Kriegen in Polen erschienen seien; allen gemeinsam sei, dass der Name des Übersetzers nicht genannt werde. Auch Tazbir legt die erste Ausgabe ins Jahr 1920; deren Vorwort präsentiere schon eine Erklärung für die Entwicklung des Bolschewismus in Russland. Vgl. Janusz Tazbir: Protokoły Mędrców Syjonu. Autentyk czy falsyfikat, Warschau 1992, 88f. Die Protokolle wurden also offensichtlich schon 1920 an die aktuellen Verhältnisse angepasst und auf den "jüdischen Bolschewismus" zugeschnitten.
[50] Vgl. zur Beweisführung der angeblichen Echtheit der Protokolle die diversen Publikationen von Pater Franciszek Trzeciak, hier insbesondere: Program światowej polityki żydowskiej (konspiracje i dekonspiracje), Warschau 1936 (mit einer zweiten Auflage noch im gleichen Jahr und einer neunten im Jahr 2002); oder für die vergleichsweise gemäßigte Position den Beitrag des Chefredakteurs der führenden Jesuiten-Zeitschrift in Polen: Jan Urban: Bolszewizm, chrześcijaństwo, a Żydzi, in: Przegląd Powszechny 147/148 (1920), 181-186, hier: 185.
[51] Zu Recht hat darauf Stephanie Zloch verwiesen. Vgl. Zloch: Nationsbildung und Feinderklärung (wie Anm. [13]), 301.
[52] Über Trockij schrieb die Zeitschrift Robotnik: "Mit seiner langen großen Nase, den wilden schwarzen Augen, einer riesigen Stirn unter der Masse schwarzen lockigen Haars und den weit hervorragenden Lippen ist er eine wahre Verkörperung des Revolutionärs […]. Er ist ganz Feuer und Leidenschaft […], er ist ein hastiger jähzorniger […] bolschewistischer Mann der Tat […]. In seinen Worten läßt sich ein Gezisch von Haß hören", in: Robotnik vom 07.04.1919; zitiert nach Pufelska: "Judäo-Kommune" (wie Anm. 13), 48, Anm. 75.
[53] Vgl. Piast vom 30. Dezember 1917, zitiert nach Irena Kamińska-Szmaj: Agresja językowa w życiu publicznym. Leksykon inwektyw politycznych 1918-2000, Breslau 2007, 190, Lemma 1036: "Mośki".
[54] Leinwand: Czerwonym młotem w orła białego (wie Anm. 40), 298. Vgl. auch Wysocki: Mobilizacja społeczeństwa (wie Anm. 41), 251.
[55] Vgl. dazu die zeitgenössische Analyse von Stefan Krzywoszewski: Propaganda polska, in: Świat, Nr. 34, vom 21. August 1920, 9-10, hier: 9; oder den Aufruf "Lasst uns von den Feinden lernen" in der Tagespresse: "Do broni!", in: Kurjer Warszawski, Nr.199 vom 20. Juli 1920.
[56] Tadeusz Teslar: Propaganda bolszewicka podczas wojny polsko-rosyjskiej 1920 roku. Cz. 1: Polska w Propagandzie bolszewickie, Warschau 1984 (Samisdat-Nachdruck der Ausgabe Warschau 1938), 28.
[57] Mit der Folge, dass es in der Kriegssituation der Jahre 1919/20 unklare Kompetenzverteilungen und Reibungsverluste und zudem noch finanzielle Probleme bei der Konfrontation mit dem politischen und militärischen Gegner gab. Das Jahr 1920 bedeutet allerdings insofern einen Einschnitt, als der Krieg den Impuls zu einem beschleunigten Wandel gab.
[58] Wydział Propagandy przy Sztabie Głównym WP, seit März 1919 Naczelne Dowództwo Wojska Polskiego/NDWP. Viele der hier produzierten farbigen Plakate gehen auf Kamil Mackiewicz zurück. Vgl. Janusz Szczepański: Wojna 1920 na Mazowszu i Podlasiu, Warschau / Pultusk 1995, 135.
[59] Oddział II Sztabu (Propagandy) Generalnego Inspektoratu Armii Ochotniczej/GIAO.
[60] Wydział Propagandy Ministerstwa Spraw Wojskowych/MSWojk. Die Abteilung Information wurde im Zuge der Reorganisation des Ministeriums im März 1920 umstrukturiert; geleitet wurde die in drei Sektionen (Organisation, Defensive, Information) untergliederte Abteilung von Bogusław Miedziński. Vgl. Regina Czarnecka: Organizacja Ministerstwa Spraw Wojskowych (MSWojsk.) w latach 1918-1921, URL: < http://www.caw.wp.mil.pl/biuletyn/b27/b27_5.pdf > <15.07.2011>, hier: 101.
[61] Centralne Komitet Propagandy/CKP. Vgl. Władysław Wankie: Sztuka – Ojczyźnie, in: Świat, Nr. 38 vom 18. September 1920, 6. Der Leiter des CKP Edward Słoński (1872-1926), war Dichter und Schriftsteller sowie führendes Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei/PPS.
[62] "Sztuka – Armii", in: Tygodnik Illustrowany. Numer specyalny na dochód Armii Ochotniczej, Nr. 31 vom 31. Juli 1920, 609.
[63] Władysław Ścibor-Rylski (Hg.): Obrona Państwa w 1920 roku. Księga sprawozdawczo-pamiątkowa Generalnego Inspektoratu Armii Ochotniczej i Obywatelskich Komitetów Obrony Państwa, Warschau 1923, 78. Vgl. dazu auch Leinwand: Polski Plakat (wie Anm. 37), 59f.
[64] Wankie: Sztuka – Ojczyźnie (wie Anm. 61), 6.
[65] Wankie: Sztuka – Ojczyźnie (wie Anm. 61), 6.
[66] Für diesen Beitrag wurden nur Karikaturen der wichtigsten polnischen Satirezeitschrift Mucha (Die Fliege) ausgewertet. Weitere Recherchen wären im Rahmen einer breiter angelegten Studie zwingend.
[67] Warszawska Syrenka wird allgemein als Symbol für die Stadt verwendet.
[68] Der Verschwörer ist stark und schwach zugleich. Vgl. Groh: Die verschwörungstheoretische Versuchung (wie Anm. 17), 270.
[69] Begleittext siehe Abbildungsnachweis. Zu Trockijs ablehnender Haltung gegenüber Bundismus wie Zionismus vgl. The YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe (wie Anm. 23), Lemma "Trotsky, Leon".
[70] Vgl. die Meldung "Zarząd warszawskiej gminy starozakonnych nadesłał odezwę następującą", in: Kurjer Warszawski Nr. 190 vom 11. Juli 1920; sowie "Odezwa organizacji żydowskich", in: Kurjer Warszawski Nr. 192 vom 13. Juli 1920.
[71] Wankie: Sztuka – Ojczyźnie (wie Anm. 61), 6.
[72] Kamińska-Szmaj: Agresja językowa Agresja językowa w życiu publicznym (wie Anm. 53), 253.
[73] von Sowiecka Deputacja (Land der Sowjet-Deputierten).
[74] Vgl. "W Sowdepji", in: Kurier Poranny vom 21. Januar 1921; und "Wieści z Sowdepji", in: Kurier Poranny vom 28. Januar 1921.
[75] "Jego Program" (Sein Programm). Plakat; Lodz 1920, 81,7 x 118,4 cm, unsigniert; Das Plakat ist abgedruckt in: Cud nad Wisłą (wie Anm. 33), 62.
Empfohlene Zitierweise:
Ute Caumanns : Der Teufel in Rot. Trockij und die Ikonographie des "jüdischen Bolschewismus" im polnisch-sowjetischen Krieg, 1919/20 , in: zeitenblicke 10, Nr. 2, [22.12.2011], URL: https://www.zeitenblicke.de/2011/2/Caumanns/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-31963
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