Subversive Bildstrategien:
Ivan Kyncls Gerichts- und Gefängnisfotografien aus der Tschechoslowakei der 1970er Jahre im Kontext der Illustrierten Stern
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Zusammenfassung
Ivan Kyncl (1953-2004) gilt als "Fotograf der Charta 77". Seit 1977 dokumentierte er den Alltag der Prager Dissidenten und veröffentlichte seine Fotografien bis zu seiner Emigration 1980 unter Pseudonym in westlichen Medien. Seinen besonderen Status erhält das Werk im Kontext der tschechoslowakischen politischen Opposition vor allem durch ein Konvolut von Fotografien, die staatlicherseits praktizierte Gewalt gegenüber politisch Andersdenkenden sichtbar machen. Am Beispiel seiner Gerichts- und Gefängnisfotografien, die in der Illustrierten Stern veröffentlicht wurden, setzt sich der vorliegende Beitrag mit dem politisch subversiven Potenzial von Kyncls fotografischer Praxis auseinander. Seine Bilder sind Konstrukte, die aufgrund von ungewöhnlichen Motiven und mithilfe ihrer medialen Verbreitung bis heute unsere Vorstellungen von der Charta 77 und ihren Akteuren prägen. Ihre visuelle Wirkung besteht in der Akzentuierung der Machtverhältnisse, die jedoch über die reine Dokumentation konkreter Personen und Ereignisse hinausweisen.<1>
Unter dem schlagkräftigen Titel "Tschechoslowakei heute. Bespitzelt, gefangen, gefoltert" – berichtete die Illustrierte Stern im Sommer 1982 über die Situation der tschechoslowakischen Bürgerrechtler. [1] Den Textbeitrag des Stern-Redakteurs Dieter Bub flankiert eine Bildreportage, die acht Schwarzweiß-Fotografien des nonkonformen Prager Fotografen Ivan Kyncl (1953-2004) zeigt. Seine Fotografien sind, laut Bildunterschrift, "heimlich in Gerichtssälen, Gefängnissen und im politischen Untergrund aufgenommen" worden. [2]
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Die folgende Untersuchung konzentriert sich auf eine exemplarische Funktionsanalyse dieser 1982 im Stern erschienenen Gerichts- und Gefängnisfotografien von Ivan Kyncl. [3] Die Ausgangsthese lautet, dass Kyncls fotografische Praxis nicht nur gegen das offizielle Fotografierverbot von Gefängnissen der Tschechoslowakei verstieß, sondern auch das von der Zensur kontrollierte, staatliche Informationsmonopol unterlief. Mittels subversiver Bildstrategien schuf Kyncl die Voraussetzungen dafür, dass von der Diktatur tabuisierte und kriminalisierte gesellschaftliche Bereiche ins Visier einer westlichen Öffentlichkeit gerieten. Wenn ich im Folgenden den Begriff "subversiv" verwende, orientiere ich mich an einer "subversiven" Praxis, wie sie zur Kennzeichnung auch eines fotografischen Schaffens benutzt wird, das sich gegen vorherrschende Diskurse wendet. [4] Der in diesem Schaffensprozess implizit vorhandene künstlerische Aspekt bleibt in der folgenden Betrachtung meist ausgespart. Vielmehr geht es hier um eine genauere Bestimmung des in den Fotografien Ivan Kyncls enthaltenen subversiven Potenzials. Denn meines Erachtens entwickelt sich dieses, wie zu zeigen sein wird, sowohl auf der ikonischen Ebene (Motivik) als auch auf der pragmatischen (Bildherstellung), und entfaltet sich erst in seiner Rezeption als Medienbild (Thomas Knieper). [5]
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Die ikonische Ebene bezieht sich auf die spezifische Motivik von Gefängnis- und Gerichtsfotografien, denn damit lieferte der Fotograf sichtbare Beweise für den Umgang des kommunistischen Regimes mit seinen politischen Gegnern und unterminierte zugleich das staatliche Informationsmonopol. Auf der pragmatischen Ebene verstieß er gegen das bestehende Fotografierverbot, das die Abbildung von Strafanstalten und Gerichtsverhandlungen untersagte. [6] Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die vom Fotografen intendierte Wirkung nicht zwingend in jedem beliebigen Kontext in gleicher Weise eintreten muss. Das heißt‚ was von den Machthabern in Prag als subversiv interpretiert wurde, konnte unter umgekehrten ideologischen Vorzeichen, wie etwa im Publikationskontext des Stern, affirmativ wirken.
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Welche Verständigungs- und Vermittlungsprozesse lassen sich, ausgehend von diesen Überlegungen, an Ivan Kyncls Fotoreportage ausmachen, die nicht die Sicht der Mächtigen reflektiert, sondern umgekehrt, aus der Perspektive der Regierten das Verhältnis zum Regime visualisiert? Welches Bild von den politisch Verfolgten konstruierte der Fotograf Ivan Kyncl, selbst Signatar der Charta 77? [7] Und welches Bild vom Regime ist seinen Fotografien eingeschrieben? Wie und unter welchen Bedingungen sind Kyncls Gerichts- und Gefängnisfotografien entstanden? Wie sind sie verbreitet und schließlich im Westen publiziert und rezipiert worden? Welchen Zwecken sollte die Publikation seiner Bilder dienen? Die aufgeworfenen Fragen können freilich an dieser Stelle nur im Ansatz beantwortet werden. Eingehender befasse ich mich mit ihnen im Rahmen meiner Dissertation über das fotografische Werk Ivan Kyncls aus der Tschechoslowakei der 1970er Jahre. [8] Der vorliegende Beitrag hat deshalb den Charakter eines Werkstattberichts.
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Fotografen gehören im Allgemeinen nicht zu jenen Personen, die ihre Erinnerungen schriftlich fixieren, und dies schon gar nicht, wenn ihr Oeuvre, wie bei Ivan Kyncl, weitgehend unter konspirativen Umständen entstanden ist. Die Quellenlage ist daher insgesamt als problematisch einzuschätzen. Für die folgende Bildanalyse und die anschließende Rekonstruktion der Entstehungskontexte stütze ich mich zum einen auf die rudimentären Aufzeichnungen des Fotografen selbst, die er noch zu Lebzeiten veröffentlichte. [9] Zum anderen werden Aussagen von Zeitzeugen ausgewertet, die Ivan Kyncl kannten und die in unterschiedlicher Weise in die Produktion und Distribution seiner Fotografien eingebunden waren. [10]
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Als Kyncls Fotoreportage 1982 im Stern erschien, waren seine Fotografien nicht mehr ganz aktuell, denn sie datierten aus den Jahren 1979 bis 1980. [11] Auch wenn es nicht ungewöhnlich war, dass bei solch brisanten Reportagen zu Osteuropa oder China, aber auch Südafrika oder Chile, die Bildredaktion des Stern erst nach der Lieferung des Manuskripts das Fotomaterial über internationale Agenturen besorgte, ist die zeitliche Diskrepanz in diesem Fall beträchtlich. [12] Wenn nun entsprechend der Datierung davon auszugehen ist, dass Text- und Bildteile dieser Reportage separat voneinander und mit einem Abstand von mehreren Jahren entstanden sind, stellt sich zunächst eine Frage. Welche formalen und inhaltlichen Merkmale wiesen Kyncls Fotografien auf, um trotz der zeitlichen Diskrepanz nicht nur die Aktualität der im Text geschilderten Ereignisse zu dokumentieren, sondern auch eine Brücke zwischen den Interessen des nonkonformen Fotografen aus Prag und einer auflagenstarken und meinungsführenden westdeutschen Illustrierten zu schlagen. Wie fügten sich die unterschiedlichen Interessen im spezifischen Wirkungskontext des Stern zu einem für das westliche Publikum bestimmten, aktuellen Bild von der kommunistisch regierten Tschechoslowakei?
Abb. 1
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Den Einstieg in die Reportage bildet eine Straßenszene aus Prag, die im Format einer Doppelseite wiedergegeben ist (Abb. 1). Eingeführt mit der Überschrift "Tschechoslowakei heute. Bespitzelt, gefangen, gefoltert" erfährt der Leser, dass es sich hier um den "Dissidenten Pavel Bichler" [korrekt: Büchler, H.H.] handle, der zu seinem Prozess abgeführt werde. Er werde, wie viele Bürgerrechtler der Charta 77, "von den Staatsorganen gnadenlos verfolgt". [13] In Handschellen und an einen anderen Gefangenen gefesselt, eskortieren ihn drei uniformierte Polizisten auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung. Als einziger der fünfköpfigen, geradewegs auf das Objektiv des Fotografen zulaufenden Personengruppe, blickt Büchler freundlich in Richtung der Kamera. Er erkennt nicht nur seine Mutter und eine Bekannte auf dem Bürgersteig, sondern auch Ivan Kyncl und dessen Absicht, die Szene zu fotografieren. [14] Die Frauen bieten dem Fotografen auf offener Straße die notwendige Deckung, so dass Kyncl die Repräsentanten der staatlichen Ordnung und ihre "Opfer" frontal ins Visier nehmen kann.
Abb. 2
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Die im Stern publizierte Fotografie ist jedoch im Vergleich zum Original stark beschnitten (Abb. 2). Es fehlen am oberen linken Bildrand jene schattenhaften Umrisse eines Kleidungsstücks, die Kyncl Deckung gaben und deshalb in den Bildausschnitt hineinragten. [15] Für die Bildredakteure hatte dieser sichtbare Hinweis auf die konspirativen Entstehungsumstände augenscheinlich keinen besonderen Informationswert. Stattdessen rückten sie mit dem gewählten Ausschnitt die Personengruppe näher an den Betrachter heran. Aus heutiger Sicht ist hingegen das Originalnegativ insofern aufschlussreich, als es Kyncls konspirative fotografische Praxis nachweist.
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Auch die Bildkomposition mit gekipptem Horizont deutet darauf hin, dass dem Fotografen daran gelegen war, die Dramatik der Aufnahmesituation ins Bild einzuschreiben. Die durch den optischen Effekt des gekippten Horizonts gesteigerte Bilddramatik verliert jedoch in dem stark beschnittenen und vom einem Hoch- zu einem Querformat gestutzten Medienbild gegenüber dem Original an Wirkung. Fiel damit der unprofessionell wirkende obere Bildrand vermutlich den Kriterien der Bildredakteure zum Opfer, so zeigt diese Fotografie dennoch Kyncls Anspruch, nicht nur spektakuläre Motive zu finden, sondern diese auch auf dramatische Weise fotografisch umzusetzen. Zu Kyncls Handschrift gehörte es auch, die Umstände der Aufnahmesituation, das heißt seine eigene Situation als Fotograf, zu thematisieren. Immer wieder tauchen deshalb an den Bildrändern Elemente auf, die darauf hinweisen, dass der Fotograf aus einem Versteck heraus fotografierte. Das können, wie in diesem Fall, Personen gewesen sein, die Sichtschutz gaben. Häufig waren es Architekturelemente, Fenster oder Balkonbrüstungen, die ohne fotografische Notwendigkeit in den Bildausschnitt genommen wurden. Kyncl war einer der wenigen Fotografen im Kreis der Prager Dissidenten, der nicht für die Schublade oder für rein private Zwecke fotografierte.
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Er hatte von vornherein ein westliches Publikum vor Augen und publizierte bereits seit 1978 im Westen. Kyncl formulierte einmal in einem Bildkommentar seine Sorge, wie er mit seinen Fotografien die von staatlicher Gewalt geprägte Lebenssituation der Dissidenten einem Publikum vermitteln konnte, das über keine eigene Erfahrung mit dem Alltag im Sozialismus verfügte. [16] Da er selbst keine Antwort darauf gab, welche Mittel er als Fotograf für die notwendigen Vermittlungsprozesse anwandte, bleibt es der Bildanalyse überlassen, inwieweit bestimmte fotografische Effekte gewollt oder ungewollt, das heißt durch die technisch schwierigen Umstände bedingt, entstanden sind. Eine noch ausstehende, breit angelegte und systematische Untersuchung seines Werkes würde, so meine Behauptung, belegen können, dass Kyncl gezielt fotografische Verfahren wie leichte Unschärfe, scheinbar rasch aus der Hüfte geschossene Schnappschüsse oder starke Hell/Dunkel-Kontraste einsetzte, um die Aussage seiner Fotografien auf diese Weise zusätzlich zu unterstreichen. Denn entscheidend für die Rezeption einer Bildaussage ist nicht nur was das Foto zeigt, sondern wie das Sujet formal und technisch umgesetzt wurde. Ivan Kyncl war kein Amateur, sondern ein ausgebildeter Fotograf mit großen beruflichen Ambitionen. Dass er als Sohn eines prominenten Dissidenten und später als Signatar der Charta 77 die Laufbahn eines Berufsfotografen in der Tschechoslowakei aus politischen Gründen nicht einschlagen konnte, befeuerte Ivan Kyncls anti-kommunistische Haltung nur umso mehr. [17] Als staatlich verhinderter Fotoreporter, zu dessen großen fotografischen Vorbildern der Kriegsreporter Robert Capa gehörte, drehte er die Verhältnisse um und nahm nun das Regime selbst ins Visier.
Abb. 3
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Auf der nächsten Doppelseite des Stern-Artikels ist erneut Pavel Büchler zu sehen. Diesmal von hinten, in einem Verhandlungssaal des Prager Stadtgerichts, als er dem Richter vorgeführt und dabei von einem Freund, gemäß der Bildunterschrift, "mit versteckter Kamera" fotografiert wurde (Abb. 3). [18] Da sich das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei den Anschein eines Rechtstaates gab, waren Gerichtsverhandlungen in der Regel öffentlich zugänglich, und die Gerichtstermine wurden im Voraus öffentlich bekannt gegeben. So auch im Fall von Pavel Büchler, der 1979 wegen versuchter Republikflucht in Prag vor Gericht stand. [19] Auch wenn sich Ivan Kyncl legal im Verhandlungssaal aufhielt, war das Fotografieren während der Verhandlung, wie in den meisten demokratischen Staaten auch, nicht gestattet. [20]
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Für diese Aufnahme hatte der Fotograf seinen Platz in einer der vorderen Publikumsreihen gewählt. Aus einer leichten Unteransicht richtete er seine Kamera frontal auf die Szene vor ihm. Der Bildausschnitt zeigt den Angeklagten Büchler von hinten, wie er vor dem Richter steht. Der Richter selbst bleibt jedoch unsichtbar. Er ist in dieser Perspektive durch den uniformierten Bewacher des Angeklagten verdeckt. Allenfalls das Staatswappen auf der mittleren Tür der Schrankwand, auf der Stirnseite des Verhandlungssaales, markiert die Stelle, unter der sich der Platz des Richters befindet. Drei weitere Bedienstete des Justizapparats sitzen entlang des langen Richtertischs. Sie sind so wiedergegeben, dass man sie als Personen genau identifizieren könnte. Auch in dieser riskanten Situation, in der es für den Fotografen keine Fluchtmöglichkeit gab, scheute er nicht die unmittelbare Konfrontation mit seinen Gegnern. Das Risiko, durch das damals noch laut vernehmbare Klick-Geräusch des mechanischen Auslösers oder durch einen Spitzel im Saal enttarnt zu werden, war beträchtlich. Außerdem ist aus dieser Position ein kontrollierender Blick durch den Sucher schwer vorstellbar. Dennoch gelang es Kyncl, mit diesem Foto das Bild eines unmenschlichen, teilnahmslos funktionierenden Justizapparats im Dienste einer unsichtbaren Macht zu vermitteln. Trotz des sonnigen Tageslichts, das durch das große Fenster von außen in den Raum fällt, beleuchten zusätzlich drei riesige Leuchtkörper den Raum, deren grellweißes Licht wie übergroße "Augen des Gesetzes" gleichsam eine kafkaeske Atmosphäre erzeugen.
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Zu dem Zeitpunkt, als diese beiden Fotografien von Pavel Büchler entstanden, war der heute international renommierte Künstler noch weitgehend unbekannt. [21] Deshalb kann man davon ausgehen, dass sich der Stern weniger für das konkrete Schicksal Büchlers interessierte als vielmehr für die fotografisch wirkungsvoll eingefangene Situation. Denn mit diesem Bild bot Kyncl den Leser/innen des Stern erstmals eine konkrete visuelle Vorstellung, in welcher Weise bzw. in welcher Atmosphäre derartige politische Prozesse in den 1970er Jahren stattfanden. Kyncls Fotografien von Gerichtsverhandlungen gegen politisch unliebsame Personen stellten damals eine Bild-Sensation dar, denn vergleichbare Fotografien waren, soweit ich bisher recherchieren konnte, weder aus der Tschechoslowakei noch aus anderen Ländern Ost- und Ostmitteleuropas während der 1970er Jahre in der westlichen Presse erschienen.
Abb. 4
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Die dritte Doppelseite der Fotoreportage erlaubt unter der Bildüberschrift "Alltag im Frauengefängnis" einen Blick in den Innenhof einer Strafanstalt (Abb. 4). [22] Im Zentrum der Doppelseite steht wiederum ein großformatiges Einzelbild. Es zeigt eine Gruppe von weiblichen Gefangenen. Sie sind uniform mit grauen Häftlingsanzügen bekleidet und absolvieren bei sonnigem Wetter den vorgeschriebenen Rundgang im Innenhof. Am rechten Rand der Doppelseite beginnt der Bericht Dieter Bubs; am linken Rand befindet sich eine Bildserie, die aus vier vertikal angeordneten kleinformatigen Fotografien besteht. In der Leserichtung von oben nach unten stellen sie laut Bildkommentar den Abwurf eines Kassibers dar: "Die Empfängerin wird mit dem Stock bedroht, der Wärter nimmt die geheime Mitteilung an sich." [23]
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Auf dem ersten der vier Fotos (links oben) ist in einem engen Bildausschnitt eine Frau hinter einem vergitterten Fenster zu sehen. Sie streckt ihre rechte Hand, in der sie etwas hält, durch das Gitter des geöffneten Fensters. Augenscheinlich ruft dies die Aufmerksamkeit eines uniformierten Aufsehers hervor, der auf dem zweiten Foto seinen Blick nach oben richtet. Vor ihm spazieren einige der weiblichen Häftlinge entlang der Gebäudefassade. Betttücher und Wäsche sind dort zum Trocknen aufgespannt. Vor den vergitterten Fenstern im Erdgeschoss sitzt eine der Frauen auf einem Hocker, andere drehen gemächlichen Schritts ihre Runden oder stehen im Gespräch in kleinen Grüppchen zusammen. Das dritte Foto zeigt einen zum Schlag ausholenden Gefängniswärter. Mit einem Schlagstock züchtigt er eine der Gefangenen. Sie ist kaum zu sehen, da zwischen ihr und dem Fotografen ein Strauch die Sicht verstellt. Eine Reaktion der Geschlagenen oder einer ihrer Mitgefangenen ist im Bild nicht (mehr) eingefangen, gerade so, als ob Schläge ein alltägliches Ritual wären, das kaum weitere Aufmerksamkeit verdiente. Mit dem vierten Foto endet die Geschichte. Hier beugt sich der Wärter, als ob er etwas vom Boden aufheben wollte. In dieser Zusammenstellung der Bilder suggeriert die Serie die Dokumentation eines realen Ereignisses. Verstärkt wird der Authentizitätseffekt durch die serielle Anordnung der Einzelfotos zu einer quasi filmischen Sequenz, der ein offenbar noch höherer Grad an Wirklichkeitstreue beigemessen wird als dem Medium der Fotografie.
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Doch schon die genaue Betrachtung der unterschiedlichen Bildhintergründe, insbesondere die abweichenden Fensterformen an der Gebäudefassade beim Vergleich von Foto drei und vier, lässt einige Zweifel an der wiedergegebenen Bildfolge aufkommen. Das vergitterte Fenster in Bild vier passt nicht zu dem vorherigen Foto, das im Hintergrund ein unvergittertes Fenster zeigt. Zudem verweist die hier glatt geputzte Fassade, im Gegensatz zu der auf dem darüber abgedruckten Foto einer weiß-fleckigen Wand, darauf dass es sich hier um zwei unterschiedliche perspektivische Einstellungen handelt. Für die Beantwortung der Frage, inwieweit hier post festum für den Stern eine Bildserie montiert worden ist, richtet sich der Blick nun auf die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte dieser Gefängnisbilder.
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Zur Geschichte der konspirativen Entstehung dieser Gefängnisfotografien lieferte der Stern-Artikel von 1982 aus nachvollziehbaren Gründen keine genauen Informationen. Zwar bildeten in Kyncls Fotobüchern Schilderungen der Entstehungsumstände seiner Fotografien einen festen Bestandteil der Bildkommentare, doch um seine Freunde nicht zu belasten, die bei der Vorbereitung und Umsetzung der Foto-Aktionen geholfen hatten, blieben seine Äußerungen sehr vage. Einige Angaben ergänzte Kyncl nach dem Ende der kommunistischen Diktatur, als sein Fotobuch auch in tschechischer Sprache erscheinen konnte. So erwähnte er beispielsweise, dass die Fotoserie über das Gefängnis in Opava gemeinsam mit seinem Freund Jiří Bednář entstanden war. [24] Außerdem äußerte er sich über die Intention seiner Reise: "Ziel der Reise nach Opava war etwas Unmögliches: eine streng bewachte Gesinnungsgefangene, die Journalistin Otta Bednářová, im dortigen Gefängnis zu fotografieren." [25]
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Die Gesinnungsgefangene, Otta Bednářová, war nicht nur die Mutter von Kyncls engem Freund Jiří Bednář, mit dem er gemeinsam die Reise nach Opava unternommen hatte. Sie war eines der fünf Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten (VONS), die in einem der größten politischen Prozesse der 1970er Jahre zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden war. [26] Aus Sicht mancher Chartisten schien mit dem Schlag gegen VONS und die Charta 77 das Ende der Bürgerrechtsbewegungen in der ČSSR eingeleitet zu sein. Doch mobilisierte dieser Prozess wider Erwarten auch neue Kräfte. Aktivisten fanden sich bereit, die Inhaftierten in ihren Funktionen zu ersetzen, so dass sowohl die Arbeit der Charta 77 als auch des VONS-Komitees fortgesetzt werden konnte. [27] Auch für den Fotografen Ivan Kyncl bedeutete der Prozess eine biographische Zäsur. Mit seiner Unterschrift unter die Charta 77 zum Zeitpunkt des Prozesses bewies er nicht nur Solidarität mit den Verurteilten, sondern geriet nun auch selbst verstärkt in die Fänge der Staatssicherheit. [28] Trotz der nicht mehr nur sporadischen, sondern regelmäßigen Vorladungen zu Verhören und weiteren Schikanen durch die Polizei begann Kyncl systematisch, seine "Chronik" der Charta 77 um den Aspekt der Verfolgung ihrer Mitglieder durch das kommunistische Regime zu erweitern. Dazu zählen seine Fotoserien von Gefängnissen aus den Jahren 1979/80, in denen die Verurteilten des VONS-Prozesses ihre Haftstrafen verbüßten. Darunter auch die im Stern publizierten Fotos vom Frauengefängnis in Opava.
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Wie wenig Kyncls fotografische Tätigkeit mit vermeintlich spontanen Schnappschüssen zu tun hatte, welch beinahe generalstabsmäßige Vorbereitung etliche Aufnahmen verlangten, zeigt die Rekonstruktion der Entstehungsumstände zur Bildserie des Frauengefängnisses in Opava. Kyncl sammelte zunächst mithilfe seiner Freunde und Bekannten Informationen über den Tagesablauf in den Gefängnissen, um zu erfahren, wann er welche Möglichkeiten hatte, die Gefangenen am Fenster ihrer Zelle oder im Innenhof zu erblicken. [29] Vor Ort musste schließlich das Terrain dahingehend sondiert werden, von wo aus eine relativ freie Sicht auf die entsprechenden Trakte bestand, ohne dabei die Aufmerksamkeit der Wachposten zu erregen. In Opava fanden Kyncl und Bednář ein Wohnhaus, das einen guten und zugleich geschützten Blick auf den Innenhof des Gefängnisses bot. Sie nahmen Kontakt zu den Bewohnern auf und überredeten diese, ihnen Zugang zum Fenster des Treppenhauses zu gewähren. [30]
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Kyncl machte von dort aus eine Vielzahl von Aufnahmen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Insassinnen bei ihrem Hofgang zeigten. Auf einem der Fotos gelang das vermutlich einzige Foto einer politischen Gefangenen der kommunistischen Ära hinter Gittern. [31] Allerdings wurde dieses Foto nicht aus der geschützten Position des Wohnhauses aufgenommen, sondern von einer Straßenecke aus. Kyncl bildete dort mit Bednář eine Räuberleiter und fotografierte blitzschnell den Augenblick, als Otta Bednářová ihren Namen von der Straße rufen hörte. [32] Für eine Publikation im Stern reichte die Qualität dieses Bildes trotz seines einmaligen Charakters wohl nicht aus. Stattdessen wurde die Kassiber-Serie zusammengestellt und gedruckt. Denn nachdem Kyncl im Frühjahr 1980 die erste Reise nach Opava unternommen hatte, wagte er wenige Wochen vor seiner Emigration eine zweite Reise dorthin. [33] Es sind diese überzeugenderen Fotografien aus der zweiten Opava Serie, die schließlich im Stern erschienen sind.
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Erst mithilfe der Zeitzeugen-Interviews, wie auch anhand der Sichtung von insgesamt 17.000 Einzelnegativen des Kyncl-Nachlasses, konnte bestätigt werden, dass der Fotograf zwei Reisen nach Opava unternommen hatte. [34] Allein 160 Einzelaufnahmen lassen sich dem Gefängnis Opava zuweisen, so dass theoretisch genügend Material vorhanden gewesen wäre, um daraus dramatische Szenen zu montieren, die sicherlich zum Gefängnisalltag gehörten, aber sich just zu diesem Zeitpunkt nicht real vor den Augen des Fotografen abspielten. Es scheint tatsächlich so, als ob es für die Züchtigung der Gefangenen einen anderen Grund als den Abwurf des Kassibers gegeben habe. Dafür spricht nicht nur die Tatsache, dass sich die Abwurf- und die Prügel-Szene auf Filmen unterschiedlicher Hersteller befinden (Abb. 5 und 6). Dies allein wäre aber noch kein Beweis, da Kyncl mitunter mit kurzen Negativstreifen arbeitete, um im Fall eines Polizeizugriffs nicht das gesamte Material zu verlieren. [35] So kann es durchaus dazu gekommen sein, dass er für eine Aufnahmeserie unterschiedliche Filmstreifen verwendete.
Abb. 5
Abb. 6
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Das wichtigste Argument für die These einer nachträglichen Montage ist die Tatsache, dass der Prügel-Szene auf den Negativen ein anderes Ereignis vorausgeht. Zu sehen sind einige Gefangene, die sich aus der Reihe der spazierenden Frauen abgesondert haben. Sie sitzen auf einer gemauerten Umrandung in einer Ecke des Innenhofs. Als einer der Wärter hinzukommt, stehen sie widerwillig auf und reihen sich allmählich wieder in die Laufrichtung ein. Auf dem nächsten Bild hat der Fotograf seine Kamera ein Stück nach rechts geschwenkt. Das bisher am rechten Bildrand verschwommen wiedergegebene Gebüsch rückt nun in die Bildmitte. Hier fing Kyncl aus frontaler Sicht den Moment ein, als der Wärter mit verzerrtem Gesicht den Schlag gegen die Gefangene ausführte. Die Prügelszene folgt auf dem Negativstreifen also einer anderen Szene als in der Fotoserie im Stern, so dass hier mit großer Sicherheit von einer nachträglichen Montage von Einzelbildern aus unterschiedlichen Zusammenhängen, von unterschiedlichen Ereignissen gesprochen werden muss. Da im Stern-Beitrag Ivan Kyncl als Autor der Fotoreportage genannt ist, liegt es nahe, die Autorschaft an der Montage eher dem Fotografen als den Bildredakteuren des Stern zuzuschreiben. Allerdings verwendete Kyncl die Kassiber-Szene in keiner seiner früheren Buchpublikationen, sondern erst 1990 in der bereits zitierten tschechischen Ausgabe seines Bildbands. [36]
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Ohne eindeutige Kenntnis der Autorschaft an der Montage lässt sich allenfalls über die persönlichen und politischen Intentionen dieser Manipulation spekulieren. Neben dem Fotografen war an der Distribution des Fotomaterials im Westen maßgeblich die tschechische Exil-Presseagentur Palach Press beteiligt. [37] Auch die politischen und ökonomischen Absichten der Agentur wären deshalb in eine umfassende Bildanalyse einzubeziehen, da sie zusammen mit anderen vergleichbaren Emigranten-Organisationen in Westeuropa in den 1970er und 1980er Jahren weitgehend das Medienbild der Charta 77 beeinflussten. Klar ist, dass die montierte Bildfolge erneut eine spektakuläre Situation dokumentierte, die sowohl das Sensationsbedürfnis des Stern-Publikums als auch den Fotografen-Leitsatz befriedigte, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen zu sein. Darüber hinaus fügte sich die Aussage von Kyncls Fotografien in die generelle politische Orientierung der Illustrierten, die in ihren Berichten über die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in den kommunistischen Diktaturen regelmäßig auch die Situation der Systemkritiker in den Blick nahm. [38]
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Des Weiteren ist zur Beantwortung eingangs gestellter Frage nach dem Wirkungspotenzial von Kyncls Fotografien ein Blick auf den spezifischen Publikationskontext notwendig. Es gehört zum Spezifikum einer Illustrierten, dass Fotografien "einen eigenständigen, textunabhängigen Stellenwert" besitzen. [39] Tatsächlich zeigt der Text-Bild-Vergleich des vorliegenden Stern-Berichts, dass Kyncls Fotoreportage keineswegs die Ereignisse bebildert, über die der Autor schreibt. Nirgends erwähnt Dieter Bub das Frauengefängnis in Opava, während es einen zentralen Platz in Kyncls Fotoreportage einnimmt. Stattdessen schildert Bub die unmenschlichen Haftbedingungen in dem berüchtigten Gefängnis Mírov, in dem damals der Bürgerrechtler Petr Uhl einsaß. [40] Anhand einzelner Vorfälle schildert der Autor eindrücklich die zunehmende Brutalität staatlicher Organe im Umgang mit den Dissidenten. Die Anwendung von psychischer und physischer Gewalt gegenüber Andersdenkenden ist der Leitgedanke von Bubs Textbeitrag. [41]
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In der übergeordneten Themenstellung, jenseits der Darstellung konkreter Personen und Orte, treffen sich Text- und Bildaussage. Denn auch Kyncls Fotografien zeugen von staatlich ausgeübter Gewalt. Doch anders als in Bubs Bericht zeigen Kyncls Bilder keine bekannten Aktivisten der Charta 77 oder des VONS. Im Fall der Gerichtsfotos handelte es sich um einen unbekannten nonkonformen Künstler und "Republikflüchtling". Gleiches gilt für die Gefängnisfotografien aus Opava. Zu sehen sind weibliche Gefangene, doch sind sie nicht als politische Gefangene identifizierbar. Sie könnten auch gewöhnliche Kriminelle sein, die in der Strafanstalt einsitzen. Auch auf dem hier nicht beschriebenen letzten Foto aus Kyncls Stern-Reportage von einem sogenannten Untergrundseminar in Prag sind unter den versammelten Studierenden keine bekannten Gesichter aus dem Kreis der Chartisten auszumachen.
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Doch diese Tatsache ist nicht etwa dem Umstand geschuldet, dass Kyncl keine anderen Fotografien von Dissidenten gehabt hätte. Im Gegenteil, sein Oeuvre enthält hauptsächlich Porträts, Gruppen- und Gesellschaftsbilder der Gründungsmitglieder und Sprecher der Charta 77. Es enthält auch Fotografien des besagten Gefängnisses in Mírov, allerdings nur als relativ gewöhnliche Außenansicht. Hieraus wird deutlich, dass weniger eine Beglaubigung der Personen mittels Porträt gewollt war als eine dem Textbericht entsprechende, atmosphärisch dichte fotografische Narration, erzeugt durch möglichst sensationelle, ereignishafte Bilder. Denn trotz der Abweichung in der Schilderung von konkreten Schicksalen, wie auch der zeitlichen Differenz zwischen der Anfertigung der Bildreportage und dem Abfassen des Texts, korrespondieren beide Narrative vor allem in ihrer emotionalen Aussage. Kyncls Fotografien sind keine aktuellen Ereignisfotos für die Tagespresse. Sie sind eher als überzeitliche Dokumente konzipiert, die Kyncls Suche nach einem visuellen Ausdruck für den Charakter des inhumanen, diktatorischen Regimes reflektieren. Sie sind eher Metaphern als Illustrationen historischer Ereignisse.
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Sichtbarkeit, wie umgekehrt auch Verdunkelung, war schon immer, und ist bis in die Gegenwart ein Instrument der Herrschaftssicherung und ihrer Unterminierung. [42] Indem Kyncl, trotz Verbots, seine Kamera auf tabuisierte staatliche Zonen richtete, beleuchtete er gerade jene staatlich kontrollierten Bereiche, die aus Sicht des Regimes vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollten. Damit unterminierte er zugleich die Informations- und Deutungshoheit des Husák-Regimes. So kann Kyncls fotografische Praxis in ihrer ordnungszersetzenden Intention unstrittig als subversiv bezeichnet werden. Wie am Beispiel des Stern gezeigt wurde, bestätigen die subversiven Bilder in einem entsprechenden Rezeptionskontext zugleich die gesellschaftspolitische Einstellung der Zeitschrift gegenüber autoritären (kommunistischen) Regimen und ihrem Publikum. Auch sogenannte nonkonforme, inoffizielle, subversive Fotografien werden somit zu Vehikeln von Ideologien. Mit einem Augenzwinkern notierte Kyncl auf die Rückseite einer seiner Fotografien von einer 1. Mai-Parade in Prag aus den 1970er Jahren:
"Warum ich dieses Foto mag bzw. nicht mag? Die Lektüre des 'Rudé Právo' nutzen manche in der Emigration als Medizin gegen Heimweh. Ja, und ich verwendete dafür dieses Foto, und ich verwende es immer noch. Es hat keinen Titel, denn ich denke, dass jedes Wort eine Schublade bzw. eine Begrenzung darstellen würde. Wenn ich das Foto also beispielsweise 'Verneigung vor dem Kommunismus' nennen würde, bekäme es eine Bedeutung in Bezug auf die Vergangenheit, und wenn ich es 'Verneigung vor dem Materialismus' nennen würde, bekäme es einen Sinn in der Gegenwart." [43]
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Auf diesem Foto hielt Kyncl eine Szene fest, in der sich eine in geordneten Reihen formierte Gruppe von Frauen, in hellen Arbeitskitteln und mit Häubchen auf ihren Köpfen, vor einem uniformierten Mann verbeugt. Dieser dirigiert mit schwenkender Fahne und Trillerpfeife die Formation. Es ist die verordnete Ehrerbietung gegenüber der Arbeiterklasse zum 1. Mai. [44] In leicht ironischem Ton offenbart sich hier das Bewusstsein des Fotografen von einer dem Medium eigenen Polysemie, der letzthin auch die Interpretation seiner Bilder, je nach Kontext, unterliegt.
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Das Feld der sogenannten alternativen Fotografie aus der Zeit der kommunistischen Diktaturen in Ost(mittel)europa ist bisher noch weitgehend unerforscht. [45] Die angeführten Beispiele machen deutlich, welches Potenzial sich hier für die zeit- und kulturhistorische Osteuropaforschung eröffnet. Dabei bieten Zugänge, wie die hier skizzierte Untersuchung der fotografischen Praxis in einer Diktatur und/oder eine Analyse der fotografischen Diskurse, eine differenzierte Bewertungsmöglichkeit der überholten, dichotomen Forschungsparadigmen (offiziell/inoffiziell, konform/nonkonform oder subversiv/affirmativ). Sie könnten zugunsten eines diskursiven Wechselverhältnisses aufgelöst werden, wie es der Fototheoretiker und Künstler Allan Sekula beschreibt, nämlich als "Schauplatz des Informationsaustauschs, das heißt als ein System von Beziehungen zwischen Parteien, die in Kommunikation zueinander treten." [46] Denn Fotografie kann bekanntlich niemals objektiv sein. Sie liefert nur das Material für ein subjektives Statement, dessen kulturelle oder politische Codierung stets mit Blick auf die Interessen der Akteure aufzuspüren ist.
[1] Vgl. Dieter Bub: Tschechoslowakei heute. Bespitzelt, gefangen, gefoltert, in: Stern 35 (1982), H. 30, 10-22.
[2] Kommentiertes Inhaltsverzeichnis, in: Stern (wie Anm. 1), 3.
[3] Zu historisch geleiteten Untersuchungsmethoden von Bildquellen (unter anderem der funktionsanalytische Zugang) siehe Heike Talkenberger: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle. Methodische Überlegungen zur Historischen Bildkunde, in: Zeitschrift für historische Forschung 21 (1994), 289-313.
[4] Vgl. Joachim Ritter / Karlfried Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel 1998, 567, 572. Siehe auch Iris Dressler: Subversive Praktiken – Kunst unter Bedingungen politischer Repression. Die 1960er bis 1980er Jahre in Südamerika und Europa, in: Hans D. Christ / dies. (Hg.): Subversive Praktiken – Kunst unter Bedingungen politischer Repression. Die 1960er bis 1980er Jahre in Südamerika und Europa. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 2009, 19-37.
[5] Vgl. Thomas Knieper: Die ikonologische Analyse von Medienbildern und deren Beitrag zur Bildkompetenz, in: ders. / Marion Müller (Hg.): Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten, Köln 2003, 193-212, hier: 196f. Knieper führt dort für die kommunikationswissenschaftliche Analyse von Bildern, in Abgrenzung zu anderen Bildträgern (Gemälde, Skulptur, Druckgraphik, Fotografie, Film), den Begriff des "Medienbildes" ein. Medienbilder zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich "kaum mehr am Bildurheber, sondern primär am Publikum (orientieren)".
[6] Im § 21 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuches war das Fotografieren und Filmen von sicherheitsrelevanten staatlichen Einrichtungen geregelt. Darin wurden Gefängnisse oder Gerichtssäle nicht explizit genannt, sondern pauschal zugeordnet zu "Objekten und Räumen, die mit dem Hinweisschild 'Fotografieren verboten' gekennzeichnet sind". (Übersetzung der Autorin aus dem Tschechischen) Vgl.: Sbírka zákonů, Nr. 102 (1971), online unter: www.aplikace.mvcr.cz/archiv2008/sbírka/1971/sb28-71.pdf . <10.9.2010>. Hinzu kam außerdem § 105, relevant für die Anklage wegen Spionage. Darunter fiel auch das Fotografieren von Objekten, die als "geheim" (unterteilt in verschiedene Sicherheitskategorien) eingestuft waren. Wer solche Objekte gesetzeswidrig fotografierte, musste damit rechnen, nach § 105 zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Strafen konnten mit bis zu 15 Jahren Freiheitsentzug angesetzt werden. Vgl. dazu: Prokop Tomek: "Špionáž" v normalizačním Československu, in: Pamět a dějiny 3 (2008), 5.
[7] Die tschechoslowakische Bürgerrechtsinitiative Charta 77 wurde im Januar 1977 mit dem Ziel gegründet, die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte zu überwachen, zu denen sich die ČSSR im Rahmen des Helsinki-Abkommens 1975 verpflichtet hatte. Zu den Gründern, Signataren und ersten Sprechern der Charta 77 gehörten unter anderen Václav Havel, Jiří Hájek und Jan Patočka.
[8] Heidrun Hamersky: Störbilder einer Diktatur. Zur subversiven fotografischen Praxis im Werk von Ivan Kyncl in der Tschechoslowakei der 1970er Jahre (Arbeitstitel). Die Autorin ist Doktorandin an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen.
[9] Die einzigen, wenngleich relativ vagen Hinweise des Fotografen zu den jeweiligen Entstehungsumständen finden sich in seiner Publikation: Ivan Kyncl / Karel Kyncl: After the Spring Came Winter, New York 1985; und in der tschechischen Ausgabe: Ivan Kyncl / Karel Kyncl: Po jaru přišla zima. Aneb zamyšlení nad vlastní knížkou o Chartě 77, Prag 1990. Die tschechische Ausgabe enthält einige ergänzende Informationen, die die Autoren aus Gründen der Geheimhaltung bis 1989 nicht öffentlich preisgeben konnten.
[10] Im Rahmen meines Dissertationsprojekts führte ich bislang 27 Interviews (einige Personen wurden mehrfach befragt) durch. Tonaufzeichnungen und Transskripte stammen aus dem Archiv der Autorin.
[11] Zur Datierung vgl. Czech Photo (Hg.): Ivan Kyncl – Fotograf Charty / Photographer of Charta 77. Ausstellungskatalog der J. Sudek Chamber Gallery Prague, Prag 2007, 27-28, 32.
[12] Für diesen Hinweis zur redaktionellen Praxis des Stern in den 1980er Jahren danke ich dem ehemaligen Stern-Redakteur Dieter Bub.
[13] Stern (wie Anm. 1), 10.
[14] Vgl. Interview der Autorin mit Pavel Büchler 2010.
[15] Vgl. Resultat des Abgleichs mit dem Foto-Negativ, das sich im Teilnachlass von Ivan Kyncl im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa / Bremen befindet (Signatur: FSO 02-42 HA-CS/2). Eine Reproduktion des Originalfotos siehe auch in: Czech Photo: Ivan Kyncl – Fotograf Charty (wie Anm. 11), 27.
[17] Interview der Autorin mit Jiřina Kynclová 2009.
[19] Interview der Autorin mit Pavel Büchler 2010.
[20] Vgl. Anm. 6. Hingegen war der private Besitz von Fotoapparaten in keiner Weise reglementiert. Kyncl besaß eine professionelle Nikon-Kamera, die mit Devisen in den sogenannten Tuzex-Verkaufsstellen ganz offiziell zu erwerben war.
[21] Pavel Büchler (Jahrgang 1952) gehörte in den 1970er Jahren zur jüngeren Generation nonkonformer Künstler. Sein Studium an der Hochschule für Grafik (UMPRUM) in Prag musste er 1976 aus politischen Gründen vorzeitig beenden. Er gehört zwar nicht zu den Signataren der Charta 77, doch war er in deren logistische Aktivitäten eingebunden. Bei einem Versuch, mit gefälschtem Ausweis in den Westen zu gelangen, wurde er am 29.12.1978 in Budapest festgenommen und an die Tschechoslowakei ausgeliefert. Dort verbüßte er eine Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten. Nach seiner Freilassung stellte er einen Antrag auf Ausreise. Im Februar 1981 konnte er schließlich die Tschechoslowakei verlassen. Vgl. Interview der Autorin mit Pavel Büchler 2010; sowie eine knappe Dokumentation seines Falls in: Charta 77 (Hg.): Informace o chartě 77, 2 (1979), H. 8, 14.
[24] Kyncl / Kyncl: Po jaru přišla zima (wie Anm. 9), 171.
[25] Kyncl / Kyncl: Po jaru přišla zima (wie Anm. 9), 160. (Übersetzung der Autorin aus dem Tschechischen).
[26] Das Komitee zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten (VONS) wurde am 27.4.1978 von einer Gruppe von Mitgliedern der Menschenrechtsinitiative Charta 77 gegründet. Ihre regelmäßigen Mitteilungen über polizeiliche und Justiz-Willkür gegenüber politisch Andersdenkenden gingen nicht nur an die tschechoslowakischen Behörden, sondern auch an ausländische Medien. Der Prozess gegen die VONS-Mitglieder geriet zu einem der größten politischen Prozesse in der Ära der 'Normalisierung' in der ČSSR. Die Angeklagten, darunter auch einige der aktivsten Mitglieder der Charta 77 (Václav Havel, Petr Uhl, Václav Benda, Jiří Dienstbier und Otta Bednářová), wurden zu Gefängnisstrafen zwischen drei und fünf Jahren ohne Bewährung verurteilt. Vgl. Petr Blažek / Jaroslav Pažout: Nejcitlivější místo režimu. Výbor na obranu nespravedlivě stihaných (VONS) pohledem svých členů, Prag 2008, 7; sowie Jan Pauer: Charta 77, in: Forschungsstelle Osteuropa (Hg.): Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa: Die 60er bis 80er Jahre, Bremen 2000, 52-63, hier: 59.
[27] Vgl. Interview der Autorin mit Anna Šabatová (Signatarin der Charta 77 und Mitglied von VONS) 2009.
[28] Vgl. Informace o Chartě 2 (1979), Nr. 14, 1. Veröffentlicht auch in der Gesamtedition der Charta-Dokumente in: Blanka Císařovská / Vilém Prečan (Hg.): Charta 77: Dokumenty 1977-1989, Bd. 1, Prag 2007, 270.
[30] Vgl. Interview der Autorin mit Jiří Bednář 2007.
[31] Vgl. Heidrun Hamersky (Hg.): Gegenansichten. Fotografien zur politischen und kulturellen Opposition in Osteuropa. Die 1960er bis 1980er Jahre, Berlin 2005, 64-65.
[32] Vgl. Interview der Autorin mit Jiří Bednář 2007.
[33] Vgl. Interview der Autorin mit Anna Šabatová und Zina Freundová 2009.
[34] Das wichtigste Indiz für zwei Reisen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ist anhand der Negativ-Sichtung die unterschiedliche Gefängniskleidung der Insassinnen an demselben Ort. Die Negative zeigen die Insassinnen entweder in Sommerkleidung (Uniform aus Röcken und hellen Blusen) oder in Hosenanzügen aus grobem Stoff, der eher auf Winterkleidung schließen lässt.
[35] Vgl. Interview der Autorin mit Pavel Büchler 2010.
[37] Vgl. Interview der Autorin mit Jan Kavan 2009.
[38] Vgl. Otto Walter Haseloff: Stern. Strategie und Krise einer Publikumszeitschrift, Mainz 1977, 228-229.
[39] Andreas Vogel: Illustrierte, in: Günther Bentele / Hans-Bernd Brosius / Otfried Jarren (Hg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, 95.
[42] Herfried Münkler: Einleitung, in: ders. / Jens Hacke (Hg.): Strategien der Visualisierung. Verbildlichung als Mittel politischer Kommunikation, Frankfurt a.M. 2009, 7-9, hier: 8.
[43] Die Fotografie befindet sich im Besitz von Ivan Kyncls Mutter, Jiřina Kynclová in Prag. (Übersetzung der Autorin aus dem Tschechischen).
[44] Vgl. Heidrun Hamersky: Der nonkonforme Blick. Ivan Kyncls Fotografien der tschechoslowakischen Gesellschaft in der Zeit der "Normalisierung", in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011), H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Hamersky-1-2011 <zuletzt eingesehen am 7.11.2011>.
[45] Für den tschechischen Kontext ist hier als bislang einzige Studie J. Mouchas Überblicksdarstellung zur Geschichte der Fotografie als Medium des Widerstands zu nennen. Vgl. Josef Moucha: Fotogenie rezistence: 1939-1989, in: Alternativní kultura. Příběh české společnosti 1945-1989, Prag 2001, 307-370.
[46] Zitiert nach Peter Geimer: Theorien der Fotografien. Zur Einführung, Hamburg 2009, 91.
Empfohlene Zitierweise:
Heidrun Hamersky : Subversive Bildstrategien: Ivan Kyncls Gerichts- und Gefängnisfotografien aus der Tschechoslowakei der 1970er Jahre im Kontext der Illustrierten Stern , in: zeitenblicke 10, Nr. 2, [22.12.2011], URL: https://www.zeitenblicke.de/2011/2/Hamersky/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-31824
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