Die historische Forschung hat das Ende des Alten Reiches vorwiegend in einer teleologischen, auf das Jahr 1806 hin zielenden Perspektive behandelt. Der Gründung des Rheinbundes und der Abdankung Kaiser Franz II. wurde dabei lediglich die Qualität eines formalen Schlusspunktes in einem seit längerem im Gang befindlichen Auflösungsprozess zugesprochen. Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dieser fundamentalen Zäsur wurde dagegen ebenso wenig Thema, wie die Nachgeschichte des Reiches, die sich in vielfachen personellen, materiellen und ideellen Überhängen manifestiert.
Das von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Forschungsprojekt nimmt sich dieses Desiderats an und untersucht die Reaktionen der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts (RKG) sowie der 1806 am Reichstag akkreditierten Gesandten. Auf der einen Seite werden die aus dem Regelungsdefizit bei der Auflösung des Reiches resultierenden Abwicklungsprobleme thematisiert, die über die Rheinbundzeit hinweg bis in die Ära des Deutschen Bundes auf der politischen Tagesordnung standen. Dabei kann am Reichskammergericht beobachtet werden, dass das Kameralkollegium als 'Corpus' mit kollektiven Rechtsansprüchen an die vormaligen Reichsstände so lange weiter bestand, bis die Deutsche Bundesversammlung 1817 die Pensionsansprüche der Kameralen anerkannte. Bei der erstmals thematisierten Geschichte der Abwicklung der Reichskirche im Rahmen der Subdelegationskommission des transrhenanischen Sustentationswesens zeigte sich Vergleichbares. Durch die Reichsdeputation von 1803 eingesetzt, handelte es sich bei dieser Kommission um die einzige allgemein anerkannte, gesamtdeutsche Institution, die kontinuierlich von der Auflösung des Reiches bis zum Deutschen Bund bestand.
Auf der anderen Seite erweist sich die Zäsur von 1806 als besonders produktiv für das politische und öffentlich-rechtliche Denken: Gerade die von Kaiser und Reich abhängigen Angehörigen des Kameralkollegiums, die 1806 nur unvollständig entlassen wurden, thematisierten die Frage, ob das Reich aufgelöst sei und sie noch Assessoren des kaiserlichen und Reichskammergerichts seien, im Rückgriff auf Wissensbestände des Reichsstaatsrechts, des älteren und jüngeren Naturrechts sowie anhand von Staatsvorstellungen, die auf die politiktheoretische Debatte des Vormärz verweisen. Drittens trägt dieses Projekt dem Problem der personellen Kontinuitäten Rechnung, in dem die Nachkarrieren der Reichseliten und die Rolle von Erfahrungen aus dem Alten Reich unter den Bedingungen der 'neuen Ordnung' untersucht werden.
Insgesamt 16 vormalige Richter des Reichskammergerichts fanden nach 1806 eine neue Anstellung, darunter waren spätere Justizminister und Gesandte sowie Spitzenfunktionäre im Justiz- und Verwaltungsdienst unterschiedlicher deutscher Fürstenstaaten. Gerade das Beispiel Bayerns, das die größte Zahl von Richtern am Reichskammergericht übernahm, zeigt, dass die Sozialisation im Reich und am Reichskammergericht für die Durchsetzung von Reformen eine wichtige Rolle spielen konnte. Allerdings gab es auch entgegengesetzte Entwicklungen, die sich in einer beharrenden oder sogar reaktionären Haltung äußern konnten.