Ute Verstegen
p r o m e t h e u s - das verteilte digitale Bildarchiv für
Forschung & Lehre
<1> In der Kunstgeschichte und Archäologie ist der Umgang mit medialen
Repräsentationen realer Objekte durch den Einsatz vergleichender
Diadoppelprojektion zu Lehrzwecken seit über 100 Jahren gebräuchlich. Durch
das Erstellen der dafür nötigen Dias sind die Fachinstitute im Laufe der Jahre
zu nicht zu unterschätzenden Bildquellen herangewachsen. Diese Diatheken werden
inzwischen vermehrt in Datenbanken verwaltet, und auch die Möglichkeit der
Bildprojektion mittels Digitalprojektor findet zunehmend Einzug in den
Lehrbetrieb.[1]
<2> Damit ist man seit einigen Jahren mit der Situation konfrontiert, dass die
erforschten Kunstobjekte nicht nur in den Museen und Archiven, in denen sie
verwahrt werden, sondern auch an den Hochschulen und anderen wissenschaftlichen
Institutionen zeitgleich, aber unabhängig voneinander in Bilddatenbanken
erfasst werden. Diese Datenbanken können, den jeweiligen lokalen Bedürfnissen
und Ressourcen entsprechend, in der Komplexität ihrer Strukturen, in ihrem
Datenvolumen und ihrer Schwerpunktsetzung stark variieren. In Zeiten der
globalen Vernetzung liegt es nahe, diese verteilten Ressourcen zusammenzuführen
und im Sinne einer gemeinsamen Datenbasis zu nutzen.[2]
<3> Die Synergieeffekte, die dabei entstehen, liegen auf der Hand. So entfällt
der Arbeitsaufwand zur Aufnahme, Beschreibung und Digitalisierung bereits an
anderer Stelle vorhandener Bilder. Ebenso können Lücken und Unstimmigkeiten in
der Datenerfassung leicht erkannt und gezielt beseitigt werden, ohne
verschiedene fachspezifische Blickwinkel auf die Objekte zu egalisieren. Nicht
zuletzt erlauben Datenbank-Managementsysteme - über Bilder hinaus - auch das
Anbinden anderer Medienformate wie Videos oder QuickTime VR Panoramen, die bei
Nutzung eines Digitalprojektors im Seminar vor allem neues Potential für die
Präsentation räumlicher Zusammenhänge bereit stellen.
<4> Ein umfassendes digitales Bildarchiv für die Nutzung in der Forschung und
Lehre hat auch ganz praktische Vorteile. Digitale Bilder können nicht verstellt
werden, wie dies in Diatheken vorkommt, und können beliebig oft und ohne
Qualitätsverlust vervielfältigt und digital bearbeitet werden. Sie sind in
ihrer materiellen Ungebundenheit nicht der mechanischen Abnutzung und der
chemischen Alterung ausgesetzt wie Dias oder andere stoffliche Bildträger.
<5> Ansätze, verteilte Daten(-banken) unter einer Oberfläche zugänglich zu
machen, sind im WWW bereits seit einiger Zeit durch die sogenannten
Metasuchmaschinen realisiert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(bmb+f)
unterstützt seit April 2001 im Rahmen des Programms Neue Medien in der
Bildung für drei Jahre das bundesweite Verbundprojekt
prometheus -
Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre. [3]
<6>
prometheus hat sich zum Ziel gesetzt, digitale Bilddatenbanken nach
Muster einer Metasuchmaschine zu verknüpfen und unter einer
einheitlichen Oberfläche mit gemeinsamen Retrieval-Funktionen
verfügbar zu machen, ohne in den internen Aufbau der beteiligten
Datenbanken einzugreifen oder einheitliche Datenstrukturen vorzuschreiben.
Der dadurch zusammengeführte Datenbestand wird einem spezifischen
Anwenderkreis - Lehre und Forschung - nutzbar gemacht. Zugleich
wird das Potential digitaler Bildverarbeitung und -archivierung
für Forschung und Lehre in den Kulturwissenschaften erprobt.
In Zusammenarbeit mit InformatikerInnen, MediendesignerInnen und
MediendidaktikerInnen entsteht ein System, das einerseits verteilte
digitale Bildarchive zusammenführt und andererseits Lernelemente
anbietet, die die herkömmliche Lehre ergänzen, die Möglichkeiten
zum Selbststudium verbessern und die Medienkompetenz bei Lehrenden
und Studierenden fördern sollen.
<7> An der Umsetzung von prometheus beteiligt sind die Hochschule Anhalt in
Dessau/Köthen (Fachbereiche Informatik, Design, Didaktisches Design), die
Humboldt Universität zu Berlin (Kunstgeschichtliches Seminar), die
Justus-Liebig-Universität in Gießen (Professuren für Klassische Archäologie
und für Kunstgeschichte), sowie die Universität zu Köln (Institut für
Kunstgeschichte, Institut für historisch-kulturwissenschaftliche
Informationsverarbeitung, Seminar für Pädagogische Psychologie).
<8> Kern von prometheus ist der zentrale Daten-Broker, der einen einheitlichen
Zugriff auf eine heterogene und verteilte Datenbasis ermöglicht. Auf dem
zentralen Datenbankserver von prometheus wurde das von Manfred Thaller
entwickelte, nicht-relationale Datenbanksystem Kleio implementiert, das
im Zuge des Projektverlaufs durch zahlreiche Zusatzkomponenten ergänzt
wird.
<9> Kleio kann Daten aus beliebig vielen Datenbanken mit unterschiedlichen
technischen Strukturen und unterschiedlichen inhaltlichen Regeln (zum Beispiel Schlagwortverzeichnissen) aufnehmen und verwalten. Syntax und Semantik der
verschiedenen Datenbanken werden aneinander abgeglichen und ermöglichen es so,
dem/r BenutzerIn über das WWW eine (vermeintlich) inhaltlich und strukturell
einheitliche Datenbank zu präsentieren.
<10> Die Herausforderungen an den zentralen Abgleich sind bereits jetzt im
prometheus-Verbund breit gefächert, die beteiligten Bilddatenbanken fußen auf
unterschiedlichsten Datenbanksystemen (Filemaker, MS Access, HiDA/MIDAS, MySQL).
Anders als im DISKUS-Verbund verfolgt prometheus die Strategie, die
vorliegende, internetspezifische Dezentralität und Heterogenität beizubehalten
und zugleich eine größtmögliche Integration zu gewährleisten. Aus diesem
Grund verbleibt die Entscheidung für eine spezifische Datenbanksoftware immer
in der Verantwortung des jeweiligen Verbundpartners.
<11> Die konzeptuelle Offenheit spiegelt sich nicht nur in der Einbeziehung
unterschiedlicher Bilddatenbanken, sondern auch in deren Inhalten. Schon heute
bieten die Bilder, dem interdisziplinären Ansatz von prometheus entsprechend,
ein zeitliches und inhaltliches Spektrum von altägyptischen Statuen bis zur
Cyberkunst. Entsprechend den eigenen Schwerpunkten werden die Bilder
einschließlich der Kerndaten von den beteiligten Projektpartnern in Datenbanken
aufgenommen. Darüber hinaus sind schon heute weitere Partner assoziiert, deren
Datenbanken entweder bereits angebunden sind oder sich in der Phase der
Einbindung befinden.[4]
<12>
prometheus greift unter einer einheitlichen Oberfläche auf
die einzelnen Bilddatenbanken zu. Über eine Identifizierung
kann sich jede/r berechtigte NutzerIn (Studierende und WissenschaftlerInnen)
in das System einloggen. Innerhalb von prometheus werden zwei wesentliche
Bereiche unterschieden. Der erste Bereich umfasst die (technische)
Verknüpfung der einzelnen Datenbanken und die Realisierung
der Retrieval-Oberfläche. Der zweite Bereich betrifft den (fachspezifischen)
Umgang mit den Retrieval-Ergebnissen bzw. mit der zur Verfügung
stehenden Gesamtdatenmenge. Als erste weiterverarbeitende Module
werden hier die Möglichkeit zur personalisierten Online-Speicherung
von Retrieval-Ergebnissen in sogenannten Arbeitsmappen sowie die
Erzeugung und Präsentation digitaler Bildprojektionen angeboten.
<13> Die Recherche in prometheus ist so gestaltet, dass sie auch von Laien leicht
zu bedienen ist. Daraus resultierende Ergebnisse können aber dennoch die
jeweilige Detailtiefe der dokumentgebenden Datenbank widerspiegeln. Die
einfachste, in prometheus integrierte Retrieval-Version ist die textuelle
Recherche und Ergebnisanzeige in einer Liste. Über dieses auch heute im
Internet fast ausschließlich anzutreffende textuelle Listen-Retrieval hinaus
will prometheus die medienspezifischen Besonderheiten des Internet nutzen und
auch andere Anzeigevarianten anbieten, die modular angegliedert werden können.
<14>
An der FH Anhalt wurde beispielsweise in Zusammenarbeit mit DesignerInnen
und InformatikerInnen die TimeLine entwickelt, die neue Visualisierungsmöglichkeiten
im Bereich des Informationsretrieval bietet. Hierbei werden Recherche
und Ergebnis in einem gemeinsamen Anzeigebereich visualisiert. Die
Ergebnisse sind dabei nicht als Liste, sondern grafisch als Punktmengenverteilung
auf einem Zeitstrahl dargestellt, das heisst bei Künstlern
zwischen Geburts- und Sterbedatum sortiert. Per Mausklick kann man
die einzelnen Bilder anwählen und vergrößern.
<15> Parallel dazu soll das System künftig um eine visuelle Recherche auf der
Basis von Bildeingaben ergänzt werden, ein sogenanntes Content-Based Image
Retrieval (CBIR), wie es beispielsweise die Eremitage oder das Projekt
ARTISTE einsetzen. In Zusammenarbeit mit dem Projekt
Cairo der
TU Clausthal wurde bereits ein Test durchgeführt, der die
Möglichkeiten des CBIR zur Analyse kunsthistorischen Bildmaterials ausloten
sollte.
Mittels all dieser Retrievalmöglichkeiten können dann
von den AnwenderInnen Bilder ausgewählt und in Arbeitsmappen
zusammengestellt und für Präsentationen sortiert werden.
Eine Arbeitsmappe und/oder Präsentation kann personalisiert
sowohl offline als auch online abgespeichert werden und steht damit
den NutzerInnen unabhängig vom Standort permanent zur Verfügung.
<16> prometheus steht aber nicht nur für verteilte digitale Bildarchive, sondern
stellt sich insbesondere auch der Frage, wie man die medienspezifischen
Eigenheiten des Internet für die Vermittlung kulturwissenschaftlicher Themen
ausloten kann.[5]
Die mediendidaktische Konzeption der prometheus-Umgebung geht davon
aus, dass die Lernenden ihren Lernprozess aktiv organisieren und
effektiver gestalten. Fokus des Konzepts ist hierbei ein exploratives
Lernen, das über den Einsatz herkömmlicher Lernumgebungen
in der virtuellen Lehre hinausgeht, die sich üblicherweise
darauf beschränken, Lernmaterialien in strukturierter Form
bereitzuhalten und Kommunikationsmöglichkeiten für Lerngruppen
(wie zum Beispiel Mailingliste oder Chatroom) anzubieten. [6]
Schon der Einsatz der Retrieval-Funktionen von prometheus, insbesondere
der TimeLine, soll neugierig machen, neue Assoziationen wecken und
zum forschenden Lernen auffordern.
<17>
Außer den bereits erwähnten, auf die universitäre
Lehrnutzung ausgerichteten prometheus-Bestandteilen Arbeitsmappe
und Präsentation entstehen drei weitere Kernbereiche, die vor
allem dem Selbststudium dienen sollen: Themenraum, Grundlagentrainer
und Methodencoach. Ziel ist es, bis zum Projektende exemplarisch
jeweils ein Beispiel für jedes dieser Elemente zu entwickeln
und als beliebig erweiterbares, mediengerechtes Modul zur Verfügung
zu stellen.
<18> Um die weitere kostenlose Nutzung des Systems nach Projektende (März 2004)
zu garantieren, ist auch künftig eine Anbindung an die Hochschulen angestrebt.
Ziel ist es, eine Geschäftsstelle einzurichten, die die Verbundpartner in einer
Vereinsstruktur koordiniert und weitere Projektentwicklungen über die
Fachgrenzen hinaus fördert.
Während der Wissenschaftsbetrieb von recht engen Abgrenzungen der einzelnen
Fächer geprägt ist, begreift prometheus die Heterogenität der Sichtweisen und
Techniken als Kern der geisteswissenschaftlichen Informationsverarbeitung und -vermittlung, den es zu bewahren gilt. Bereits bestehende Lösungen werden nicht
ersetzt, sondern unter einer gemeinsamen Oberfläche gleichwertig vernetzt und
einheitlich zugänglich gemacht. Neben der Erzeugung von Synergieeffekten soll
damit eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nachhaltig unterstützt werden.
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