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Kinderkrankheiten und Hof

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Unter dem 22. November 1764 trug Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach folgende Notiz in sein Tagebuch ein: "Habe ich durch Gottes Beystande abermahl wieder Geburtstag erlebet. Es ist keine Gala gewesen weil die Kinder noch nicht vollkommen von den Plattern hergestellet sind." [1] Mitte Oktober waren seine drei Söhne nacheinander an den Pocken erkrankt. Zwei Monate nach Krankheitsausbruch, am 2. Dezember, konnte er erleichtert festhalten: "Wurde durch ein öffentliches Gebet in denen Kirchen, Gott vor die Wiedergenesung meiner Kinder von denen Blattern, als wodurch er sie uns wieder aufs neue geschenket hat, gedancket, und um ihre weitere Erhaltung gebeten." Der Gesundheit der Fürstensöhne als kostbarem Gut der Dynastiesicherung – Todesfälle als Folge der Pockenerkrankung waren auch im privilegierten Stand des Hochadels an der Tagesordnung [2] – wird auch in der für den Erzieher der Prinzen ausgestellten Instruktion viel Raum gewidmet: "Achtens, [...] derer Prinzen Gesundheit und Pflag ihnen sorgfältig angelegen sein lassen, damit in Essen und Trincken, Ruhen und Bewegen, Spazieren und anderen Leibes Bewegungen gute vernünftige Maas und Ordnung, auch mit dem Aufstehen und Schlafengehen, nach der Jahreszeit und ihrem Alter eine bequeme gewisse Zeit gehalten, Ihnen auch nicht verstattet werde, grobe ohnverdauliche Speisen, oder allerhand Obs und Gemüs in ziemlicher Menge zu sich zu nehmen, und wo er merckte, daß die Prinzen an der Gesundheit einigen Anstos litten, solches gehöriger Orten bei Zeiten anzeigen, doch auch nicht zugeben, daß ohne Unserer LeibeMedicorum Rath und Verordnung Ihnen einige Arznei, oder sonst etwas gebraucht, auch alles andere, so zur Erhaltung der Gesundheit dienlich, sondern auch die Reinlichkeit, deren auch er Informator, als der mit denen Prinzen am meisten umgehet, sich zu befleisen hat, wohl beobachtet, und alle Wochen wenigst einmahl von Unseren Medicis deswegen einen Visitation fürgenommen werde." [3]

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Für das leibliche Wohl der fürstlichen Kinder sollte umfassend gesorgt werden. Durch "Maas und Ordnung" aller Leibesaktivitäten und –bedürfnisse sollte die natürliche Harmonie des Körpers wieder hergestellt werden – eine Vorschrift, die auf ein seit dem 16. Jahrhundert zunehmend in Erscheinung tretendes Phänomen verweist, das im 18. Jahrhundert seine volle Entfaltung finden sollte: Die Wiederbelebung des antiken, von Galen entwickelten Schemas der sogenannten 'sex res non naturales'. [4] Zugleich griff die badische Instruktion mit diesen Vorgaben ein klassisches Thema fürstlicher Erziehungsinstruktionen auf, die zumeist in Form eines präzise vorgegebenen Tagesablaufs der Gesundheit des Nachwuchses – und in letzter Konsequenz zugleich der Sicherung der Dynastie – Tribut zollten. Klassisch für die höfische Gattung der Erziehungsinstruktion – durch die die väterliche Autorität des Fürsten auf den Erzieher übertragen wird – ist jedoch auch, dass das Fürstenpaar in seiner Rolle als Eltern der Prinzen weitgehend ausgespart wird, so auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung, das heißt der 'physischen Erziehung' der Kinder. Lediglich der Informator und darüber hinaus die Leibmedici sind hier als zuständige Instanzen für das leibliche Wohl des fürstlichen Nachwuchses vorgesehen. Ein Engagement der fürstlichen Eltern scheint an höfischen (Repräsentations-)Maßstäben gemessen im 18. Jahrhundert undenkbar. Entsprechend thematisierte der Markgraf selbst in seinem Tagebuch die Erkrankung seiner Söhne aus höfischer Perspektive, ohne dabei ausführlicher auf seine Rolle als Vater einzugehen.

Abb. 1

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Diese Art der höfischen Selbstinszenierung war es schließlich auch, die der zeitgenössischen Adels- und Hofkritik eine optimale Angriffsfläche bot: Die Vertreter einer Reformbewegung, die sich für eine Neudefinition gesellschaftlicher Formen des Zusammenlebens einsetzten und die Entwicklung neuer kultureller Praktiken befürworteten – die Anhänger der sogenannten 'Aufklärung' – nahmen die höfische Selbststilisierung dankbar auf und brachen den Stab über die bei Hof herrschenden bzw. nicht existenten Familienbeziehungen. [5] Nicht zuletzt spiegelten sich die vorgeblichen Defizite des Adels in einem Mangel an erzieherischem Interesse der Eltern. Für den eigenen Stand hingegen wurden neue Ideale entworfen, wie sie sich in der Erziehungsliteratur der Zeit finden, eine auf die individuellen Dispositionen des Kindes Rücksicht nehmende Erziehung gefordert und an die Eltern in ihrer Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder appelliert. Ein neuer Blick insbesondere auf Frauen als Mütter wurde entwickelt, der dazu führte, dass sich die Pädagogen auch in medizinischen Angelegenheiten in erster Linie an Frauen wandten, deren Aufgabe in der Erziehung ihrer Kinder vor allem in den ersten Lebensjahren gesehen wurde. [6] Nicht nur Rousseau sprach sich explizit für eine engere Mutter-Kind-Bindung aus, auch deutsche Aufklärungspädagogen, wie beispielsweise Joachim Heinrich Campe, wandten sich mit ihren Texten direkt an die Mütter: "Denn euch ihr Mütter, hat die Vorsehung recht eigentlich dazu ausersehn, die pflegenden und bildenden Schutzengel der von euch gebohrnen Kinder in den ersten Jahren ihres dürftigen Erdenlebens zu seyn." [7] Dieser Prozess mündete schließlich darin, dass Bürgerlich-Sein und Familienleben vom Bürgertum selbst, aber auch in der historischen Forschung weitgehend als identische Phänomene aufgefasst wurden. [8] Einer derartigen Charakterisierung der Erziehung bei Hof sowohl durch die höfische als auch durch die bürgerliche Selbstthematisierung soll im Folgenden die bei Hof – konkret am Hof von Baden-Durlach – gelebte Praxis gegenübergestellt werden.

Abb. 2

Die pränatale Verantwortung und Disziplinierung der Mütter

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Mütter galten aufklärerischen Konzepten zufolge als verantwortlich für die Gesundheit ihrer Kinder, sogar schon vor der Geburt. Illustriert wird dies durch verschiedene Abhandlungen des von dem Philanthropen Campe herausgegebenen "Allgemeinen Revisionswerkes" (1785-1792), so etwa durch Unzers "Diätetik der Schwangeren" oder Udens "Diätetik der Säugenden". Diese forderten die Frauen zu einem neuen Bewusstsein von ihrer Mutterrolle auf und sahen dieselbe insbesondere im Selbststillen verwirklicht. Die mütterliche Aufgabe sahen sie als im Körper der Frau eingeschrieben an. [9] Doch nicht erst gegen Ende des Jahrhunderts, sondern auch in den vorangegangenen Jahrzehnten waren bereits derartige Forderungen verstärkt formuliert worden, wie beispielsweise Rousseaus "Emile" (1760) oder die Encyclopédie Diderots und d´Alemberts (1751-1772) demonstrieren, beides Werke, die bekanntlich auch an deutschen Höfen rezipiert wurden. Der Prozess der Medikalisierung [10], der sich seit dem 17. Jahrhundert zunehmend durchsetzte, verlangte der Frau als Mutter ein erhebliches Maß an Selbstdisziplinierung ab: Sei es durch die Unterdrückung eigener Emotionen, die nach den Vorstellungen der Zeit dem Embryo schaden oder die Qualität der Muttermilch vermindern könnten, durch die ständige Beobachtung ihres Kindes oder eben durch eine streng einzuhaltende Diät. [11] Unter argumentativer Heranziehung des demographischen Interesses des Staates erwartete man von Frauen, dass sie ihren Körper ökonomisch und gesellschaftlich nützlich einsetzten, d.h. ihren reproduktiven Pflichten nachkamen. Sowohl die genau festgelegte medizinische Reglementierung des kindlichen Lebens als auch die praktische Umsetzung von Vorstellungen wie die einer spezifischen Diätetik für Schwangere und Säugende waren jedoch zunächst ausschließlich in den höheren, wohlhabenderen Schichten möglich. Dass die höheren Stände von diesem Prozess zuerst erfasst wurden, ist allein schon auf die veränderten Bedingungen zurückzuführen, unter denen das Wissen um die neuen Behandlungsmethoden vermittelt wurde. Während traditionelle Praktiken von Generation zu Generation als überkommenes Erbe weitergegeben worden waren, wurden die neuen Methoden durch Bücher, durch Diskurse vermittelt. [12] Die Bücherbestellungen der Markgräfin Karoline Luise und ihre umfangreichen medizinischen Aufzeichnungen [13] bezeugen, dass sie sich das aktuelle medizinische Wissen ihrer Zeit aneignete und damit bestens gewappnet war für die Erfüllung der neu konzipierten Mutterrolle. Zwar machten sich fürstliche Mütter das Selbststillen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch nicht zu eigen; dennoch fielen derartige Forderungen gerade bei Hof, wo die fürstliche Mutter in besonderem Maße unter dem Zwang der Reproduktionspflicht stand, auf fruchtbaren Boden. Stellvertretend für den eigenen Körper kontrollierte die Markgräfin den Körper und die Nahrungsaufnahme der Säugamme ihrer Kinder bzw. Enkelkinder. [14] Ihre Schwägerin, die Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt, eine in ihren Augen erfahrene Mutter ("matrone expérimentée"), an die sie sich in Fragen der Kindererziehung gewandt hatte, [15] sensibilisierte sie zudem für die Bedeutung pränataler Einflüsse: Diese legte ihr nahe, sich ebenso wie sie selbst auch während der Schwangerschaft möglichst viel zu bewegen, um auf diese Weise ein robustes Temperament ihrer Kinder zu fördern. [16]

Medizinische Prävention und Erkrankung

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Etliche medizinische Dokumente und briefliche Aussagen dokumentieren für die Höfe von Baden-Durlach und Hessen-Darmstadt die allgemeine Sorge, die man in präventiver Absicht für die körperliche Bewegung und Diät der jungen Prinzen und Prinzessinnen trug – und zeigen auch entgegen zeitgenössischer Vorurteile von Ärzten, wie bewusst sich die fürstlichen Mütter mit der Ernährung ihrer Kinder auseinander setzten. Auf Wunsch der Markgräfin erteilte ihr die Schwägerin Auskunft darüber, wie ihre Kinder während bzw. nach dem Abstillen ernährt wurden. Nach einer Beschreibung der "bouillie", die die Kinder neben anderen Nahrungsmitteln zu sich nahmen, führte die Landgräfin den als Leibarzt des Mainzer Kurfürsten tätigen "Ludolf" als Referenz an, der unter dem Gesichtspunkt der Ausgewogenheit eine gemischte Ernährung der Kinder empfehle: [17] "Je m´en trouve bien pour mes jeunes, depuis que je suis sa méthode", lautete das abschließende Urteil der Landgräfin, die sich damit der Autorität des Arztes unterwarf und mit der Befolgung seiner Anweisungen ein medizinisch diszipliniertes Verhalten an den Tag legte. Gerade eine verbesserte und abwechslungsreichere Kinderernährung innerhalb der Oberschicht, wie die Landgräfin sie beschreibt und sie auch in dem von der Markgräfin für die Ernährung ihrer Kinder hinterlassenen Küchenzettel zum Ausdruck kommt, bezeugt dabei eine Intensivierung der Mutter-Kind-Beziehung. [18]

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Ein in den Briefen der Fürstinnen immer wiederkehrendes Thema ist die Pockenerkrankung der eigenen Kinder, so insbesondere wenn es sich um die erstgeborenen Söhne handelte. In den von der Markgräfin und ihrer Schwägerin in dieser Zeit verfassten Briefen bricht zum einen wiederholt das Gefühl der unmittelbaren Bedrohung, die Angst vor dem plötzlichen Verlust des Kindes, hindurch. Dem angesichts der ständig präsenten Todeserfahrung entwickelten frühneuzeitlichen Ideal einer Ökonomie der Gefühle widersprechend wird der mögliche Tod der Kinder von fürstlichen Müttern als einschneidend erlebt. [19] Zum anderen legen die Briefe der Markgräfin Zeugnis ihres aufopferungsvollen Engagements für ihre Kinder in dieser Zeit ab. Dem badischen und hessischen Residenten im Haag, Treuer, berichtete die Markgräfin ausführlich von der Erkrankung ihrer Kinder und stellte fest: "Mês 3. Enfans ont la petite verole et je ne bouge point de leurs lits". [20] Dass sich Fürstinnen ihren Briefpartnern gegenüber als treu sorgende, ja geradezu aufopfernde Mütter für ihre kranken Kinder präsentierten, ist ein Phänomen, das sich nicht nur bei Angehörigen kleinerer Höfe findet, sondern sich auch in weiteren Kreisen der höfischen Gesellschaft einer gewissen Beliebtheit erfreute. Im Jahre 1767 berichtete Maria Theresia der Markgräfin, dass ihre desolate Situation aufgrund der Krankheit ihrer Kinder ihre Geschäfte verzögert habe. [21] Im Gegensatz zu der These von der für den Adel konstatierten großen Distanz zwischen Eltern und Kindern, zeugen die Briefe der Fürstinnen jedoch nicht nur von einer großen Betroffenheit, sondern auch von ihrem eigenen unmittelbaren Engagement. Das Ausmaß der Sorge um die erkrankten Kinder ließ sich auch in der großen Erleichterung nach einem glücklichen Verlauf der Krankheit bemessen: "Quand tout sera passé, j’aurai une grande inquietude de moins pour le réste de ma vie", [22] so die Markgräfin Treuer gegenüber. Bereits für die Enkelkinder der Landgräfin und der Markgräfin hatte sich die Gefahr, an den Pocken zu sterben, bedeutend reduziert. Unter maßgeblicher Beteiligung des Adels und insbesondere der Landesherren wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts sukzessive die Pockenimpfung eingeführt, wobei es zu heftigen Debatten über den Nutzen derselben sowie religiösen Bedenken gegen die Impfung gekommen war. Innerhalb dieser Diskussionen demonstrierte das markgräfliche Ehepaar eine äußerst fortschrittliche und positive Einstellung der Impfung gegenüber. [23] Bereits seit den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts waren Angehörige des fürstlichen Standes inokuliert worden; die Enkeltöchter der Markgräfin von Baden-Durlach, Louise und Friederike, wurden im Jahre 1782 ebenfalls geimpft. Der Einführung der Pockenimpfung an europäischen, zumal auch an deutschen Fürstenhäusern, war nicht nur eine standesinterne Distinktion immanent, sondern sie verlieh der höfischen Erziehung darüber hinaus eine modellbildende Kraft auch für die staatlich verordnete Blatternimpfung. Diese konnte sich jedoch erst Anfang des 19. Jahrhunderts, nachdem Edward Jenner im Jahre 1796 die ungefährlichere Schutzpockenimpfung (Vaccination) entdeckt hatte, etablieren.

Rezeptsammlung

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Die medizinische Behandlung, die ihre Enkelinnen im Anschluss an ihre Inokulation erhielten, wurde von der Markgräfin genauestens protokolliert. Diese Aufzeichnungen verweisen auf ein besonderes Merkmal der Überlieferung medizinischer Dokumente am Hof von Baden-Durlach: Rezepte und medizinische Berichte, nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Söhne betreffend wurden von der Markgräfin gewissenhaft gesammelt und zum Teil eigenhändig niedergeschrieben bzw. verfasst. [24] Während Karoline Luise selbst verhältnismäßig spät, nämlich im Alter von 8 Jahren, erstmalig mit einem Arzt in Kontakt kam, spiegelt sich in den für ihre eigenen Kinder überkommenen Quellen der fortschreitende Prozess der Medikalisierung. Für die drei Söhne der Markgräfin sind knapp 1.300 Rezepte überliefert, von denen der überwiegende Teil in ihrer Kindheit bzw. Jugend ausgestellt wurde. Hinzu kommen verschiedene ärztliche Berichte über die gesundheitliche Konstitution ihrer Söhne sowie spätere Rezepte für ihre Enkelinnen. Mit circa 700 an der Zahl stechen die Rezepte für den Erbprinzen Karl Ludwig zahlenmäßig heraus, dessen Krankheitsgeschichte und ihrer Dokumentation man naheliegender Weise größere Bedeutung beigemessen hat. Verschrieben wurden in diesen Rezepten überwiegend Mittel gegen Beschwerden, die als typisch für Kinder gelten, wie Blähungen, Verstopfungen, Magenbeschwerden und Verdauungsprobleme im Allgemeinen; außerdem Medikamente gegen Erkältungen (Husten, Halsschmerzen und Fieber), stärkende Essenzen und Mittel gegen Krämpfe bzw. solche, die der Blutreinigung dienen sollten. Vorgeschrieben wurde meist eine täglich mehrmalige Anwendung der Medikamente sowie eine genaue Beobachtung der Reaktion, die oft von der Markgräfin selbst schriftlich auf dem Rezept festgehalten wurde und eine erneute Anwendung desselben Heilmittels erleichtern sollte. Gelegentlich verlangten die Arzneien überdies eine nächtliche Verabreichung: Die Krankheit der fürstlichen Kinder erforderte nicht nur einen erheblichen Aufwand an Bedienung, sondern auch eine ständige und damit empirischen Grundsätzen entsprechende Beobachtung, beides Faktoren, die – da sie Zeit und Wohlstand voraussetzten – auf die spezifischen Bedingungen verweisen, unter denen Kindheit bei Hof gelebt wurde. Neben der medikamentösen Versorgung und Ernährung ihrer Kinder richtete sich Karoline Luises Augenmerk – ganz den Forderungen der eingangs zitierten Instruktion entsprechend – auch auf deren körperliche Aktivität: "wenn das Wetter gut u. die Kinder gesund sind, dürfen sie tägl. von 1. biß 2., u. den das andere mahl nach ihren Lectionen abends biß 7 Uhr spazieren gehen. Solte es gar heiß seyn dörfen sie auch biß ½ 8. ausen bleiben länger aber nicht". [25]

Abb. 3

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Rezepte ebenso wie die übrigen Berichte zeugen von einer engen Kooperation zwischen fürstlicher Mutter und Arzt, wobei die medizinischen Überlegungen der Markgräfin vom Arzt offenbar trotz des im Rahmen der Medikalisierung zunehmenden professionellen Kompetenzanspruches gebilligt wurden. Diese Form der Zusammenarbeit ebenso wie die mütterliche Fürsorge im Allgemeinen dauerte lange über die Kindheit hinaus an; noch im Erwachsenalter machte sie ihren Söhnen diätetische Vorschriften. [26] Obwohl der Hof – neben dem Heer – diejenige Institution darstellte, innerhalb derer es am frühesten zu einer regelmäßigen medizinischen Versorgung durch Fachpersonal kam, wurde die Verantwortung für die Gesundheit der fürstlichen Familienmitglieder folglich nicht einfach an Leibärzte delegiert. [27] Vielmehr nahm die fürstliche Mutter aktiv und ganz im Sinne der zeitgenössischen Forderungen von Pädagogen und Medizinern Anteil an der medizinischen Betreuung der eigenen Kinder. Ein solches Engagement habe schließlich – so Foucault – zur Entstehung einer privateren Sphäre im Haus während des 18. und insbesondere 19. Jahrhunderts geführt, eine Entwicklung, die sich freilich vor allem in den höheren Klassen vollzog. Gerade dort, wo der Kindstod die Fortführung der Linie gefährdete, setzte sich eine enge Zusammenarbeit von Müttern und Ärzten hinsichtlich der Kindes- und vor allem Säuglingspflege durch. [28] Aufgeklärte Bestrebungen und dynastische Interessen kamen sich hier ganz eindeutig entgegen. Dass die Markgräfin es als ihre Aufgabe auffasste, die Rezepte ihrer Kinder – und darüber hinaus auch die Rezepte und Krankengeschichten anderer Hofangehöriger bzw. Karlsruher Bürger – zu sammeln, ist ferner auf ihr allgemeines naturwissenschaftliches Interesse zurückzuführen, das sich von der Physik über die Mineralogie bis hin zur Botanik erstreckte und insbesondere medizinische Sachverhalte mit einschloss: Der Aufbau ihres Naturalienkabinetts seit den 1760er Jahren hatte die Markgräfin nicht nur dazu veranlasst, eine ausgedehnte Korrespondenz mit Sammlern und Gelehrten quer durch Europa zu führen, sondern sie zugleich dem Studium der medizinischen Wissenschaft näher gebracht, mit deren praktischer Seite sie sich von nun an bevorzugt beschäftigte. [29] Offenbar konnten die repräsentativen Aufgaben einer Fürstin, hier das Anlegen eines Naturalienkabinetts, auch das Entstehen wissenschaftlicher Interessen fördern. Die von der Markgräfin angelegte Rezeptsammlung wies dabei eine systematische Ordnung auf, die – so ihr Biograph Lauts – an ein wissenschaftliches Werk denken lässt. [30] Der eindeutig wissenschaftliche Charakter dieser Sammlung wird ferner dadurch erhellt, dass sie lediglich medizinische Dokumente und Rezepte enthält, während traditionelle Kompilationen, wie sie von Hausvätern oder Hausmüttern angelegt wurden, auch Hinweise zur allgemeineren Haushaltung umfassten. [31] Die hier aufgezeigte Wissensaneignung, die Bestellung und Lektüre von Büchern medizinischen Inhalts sowie die Umsetzung dieses Wissens in die Praxis, die zugleich Hand in Hand gehen konnte mit einem neuen Rollenverständnis als 'Mutter', boten sich dabei zugleich als Mittel sozialer Distinktion an, setzten sie doch wiederum Geld und Muße voraus.

Krankenjournal

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Noch deutlicher dokumentieren sich sowohl das Streben der Markgräfin nach wissenschaftlicher Erkenntnis als auch ihr Engagement als Mutter in dem Krankenjournal, das sie selbst für ihren ältesten Sohn, den Erbprinzen Karl Ludwig, geführt hat. [32] Karoline Luise demonstrierte hier ebenso wie in den Berichten über ihre eigene gesundheitliche Konstitution ihre Fähigkeit, sich selbst und ihren Sohn als medizinischen Fall zu begreifen und die medizinisch interessanten Vorgänge des Körpers mit sachlicher Distanz zu beobachten und zu beschreiben. Die Regelmäßigkeit der Einträge sowie ihr hoher Abstraktionsgrad deuten indes auf eine doppelte Disziplinierung, die des beobachtenden Subjekts, sprich der Markgräfin, aber auch die des beobachteten und medizinisch traktierten Objekts, des Prinzen. Das Journal erstreckt sich über einen Zeitraum von einem Jahr, von circa November 1757 bis Oktober 1758. Wann immer es in dieser Zeit zu längeren Phasen des Unwohl- oder gar Krankseins des 2½jährigen Erbprinzen kam, machte sich Karoline Luise mit äußerster Gewissenhaftigkeit beinahe täglich Notizen zur Konstitution ihres Sohnes. So listete sie unter der präzisen Angabe der Uhrzeit die medikamentösen Maßnahmen auf ebenso wie die Nahrungsmittel, die er diätetischen Vorschriften folgend zu sich genommen hatte. Die Aufzählung der Speisen erfolgte dabei oft mit der genauen Nennung von Mengenangaben, ein Verfahren, dessen sich auch der Arzt in den Journalen zur Blatternerkrankung ihrer Söhne bediente. [33] Darüber hinaus wurden nicht nur Zeitpunkt des Aufwachens und Zubettgehens, sowie des Mittagsschlafes festgehalten, sondern selbst das Aufstoßen und Gähnen wird einige Male vermerkt. Weitere Einträge beziehen sich auf Temperatur, Schweißausbrüche, Pulsschlag, Quantität und Qualität des Urins und Stuhlgangs sowie auf den generellen Zustand seines Unterleibes. Gelegentlich notierte die Markgräfin, inwiefern sich der Gesundheitszustand ihres Sohnes im Vergleich zu dem der vorangegangenen Tage verändert hatte, und ob Medikamente angeschlagen waren – immer in dem Bemühen darum, jegliche körperliche Äußerung festzuhalten und für sie eine medizinisch-wissenschaftliche Erklärung zu finden. Der Körper des 'Patienten', ihres Sohnes, erscheint hier als Medium der Krankheit, seine Äußerungen bzw. Symptome als Semantik derselben. [34] Belegen die zahlreichen Exzerpte der Markgräfin, dass sie sich dem Studium wissenschaftlicher Texte mit äußerster Akribie hingegeben hat, so zeugt das Krankheitsjournal von einem vergleichbaren Engagement in der Entzifferung der Semantik des Körpers. Dass es sich um den Körper ihres eigenen Sohnes handelt, ist dem Bericht, der durch seine Objektivität hervorsticht, kaum anzumerken. [35]

Abb. 4

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Bemerkenswert ist nicht nur die genaue Beobachtung der Gesundheit des Erbprinzen, sondern auch die Tatsache, dass dies durch die eigene Mutter geschah bzw. durch diese schriftliche festgehalten wurde. Zwar hatte sie sich auch für die Krankengeschichten anderer Hofangehöriger interessiert – eine solch akribische Protokollierung des gesundheitlichen Befindens durch die Markgräfin liegt jedoch nur noch für ihre eigene Person vor. [36] Handelt es sich hierbei um ein Dokument einer spezifisch frühneuzeitlichen Selbstwahrnehmung, [37] so drückt sich in vorliegenden Aufzeichnungen eine unmittelbare Nähe zur beschriebenen Person, zum Sohn, aus, der gewissermaßen als Verlängerung des eigenen Ichs verstanden werden kann. Aufgrund der regelmäßigen – und damit zugleich auch mühsamen – Einträge kann man von einem täglichen Kontakt der Markgräfin mit ihrem Sohn ausgehen, wobei sie die Einzelheiten von dem Personal der Kinderstube erhielt. Darüber hinaus dokumentieren sowohl das von ihr geführte Journal als auch die Journale, die während der Pockenerkrankung der jungen Prinzen durch den Leibmedicus angelegt worden sind, die mit der Medikalisierung verbundenen Mechanismen der Disziplinierung. So erforderte der 'klinische' bzw. 'ärztliche' Blick [38] eine neue Aneignung der zeitlichen Dimension, die nun bis auf die Minute genau protokolliert wurde und die auf die von Foucault beobachtete Verfeinerung des Zeitrasters, die sogenannte 'Disziplinarzeit', verweist. [39] Dem zunehmend engmaschiger werdenden Zeitraster entsprechen die präzisen Mengenangaben sowohl der zu sich genommenen Nahrungsmittel als auch der ausgeschiedenen Substanzen. Keinerlei Regung des kindlichen Patienten entging der Aufmerksamkeit der mit dem Arzt kooperierenden Markgräfin. Durch die minutiöse Kontrolle und Observation der Kinder konnten schließlich auch Aussagen des Patienten selbst relativiert werden. [40]

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Darüber hinaus zeichnete sich der Prozess der Medikalisierung dadurch aus, dass durch ihn das Leben in seiner Gesamtheit erfasst wurde: So strebten die Rezepte danach, ihre Wirkung selbst im schlafenden Zustand des Subjektes zu entfalten. In dem von der Markgräfin geführten Krankheitsjournal für ihren ältesten Sohn beginnt dessen Tagesablauf laut Zeitangaben bereits vor seinem Erwachen, und zwar mit der Verabreichung von Tropfen. Ebenso wurden ihm die Kleider gewechselt während er schon oder noch schlief. Dass in Verbindung mit dem Körper auch die menschliche Psyche (hier die eines 9jährigen Kindes) eine weitreichende Disziplinierung erfahren sollte, wird ebenfalls durch das ärztliche Krankenprotokoll erhellt. Auf die Beobachtung des Hofmedikus hin, dass der Erbprinz sich durch das Reden mit seiner Umgebung echauffiere und dadurch ein "tranquilles Regimen" beeinträchtigt werde, wurde der Prinz schließlich weitgehend und gegen seinen Willen von seiner Umwelt isoliert. [41] Zugleich verrät ein Zwischenfall, dass tatsächlich – und dies entspricht dem Disziplinierungsbegriff sowohl von Foucault als auch von Oestreich [42] – gewisse disziplinierende Anforderungen von den Prinzen bereits verinnerlicht und auf diese Weise zur Selbstkontrolle wurden. Aus Angst vor zurückbleibenden Pockennarben wurde den Prinzen strengstens untersagt, sich zu kratzen; half dieses nichts, so wurden ihnen gelegentlich auch Handschuhe angezogen. Am 25. Oktober 1764 heißt es jedoch über den achtjährigen Prinzen Friedrich, bei dem das Kratzen immer heftiger wurde: "Sie haben zwahr gestern schon ernstl versprochen nicht zu kratzen, da aber das gegentheil erfolgte so wurde ihme diesen morgen beyde Hände auf eigenes Verlangen zugebunden." [43]

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Wenden wir uns wieder dem von der markgräflichen Mutter geführten Krankenjournal zu, so lässt sich feststellen, dass nicht nur der Arzt, sondern auch die Markgräfin selbst den 'ärztlichen Blick' zumindest in Ansätzen beherrschte. Dabei kam sie mit dem Anlegen eines solchen Tagebuchs auch Forderungen entgegen, wie sie beispielsweise der bekannte Lausanner Arzt Samuel André Tissot formuliert hatte. [44] Die Methode der genauen Protokollierung machten sich ferner die Pädagogen der Aufklärung zu eigen. In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts – also gut 25 Jahre nachdem die Markgräfin das Journal für ihren Sohn angelegt hatte – empfahlen auch die Philanthropen das tägliche Führen eines Journals als pädagogische Maßnahme. In das Journal sollten auch medizinische Notizen aufgenommen werden, eben alles, was das Kind betraf. [45] Derartige 'Erziehungsgeschichten' sollten explizit nach dem Modell von Krankengeschichten angelegt werden, der Erzieher – wie der Philanthrop Johann Karl Wezel forderte – einen sogenannten 'konstruktiven Blick' entwickeln, eine Formulierung, die den von Foucault geprägten Begriff des 'klinischen Blicks' antizipierte. [46] Beschrieben wurde von Wezel ein Vorgang der 'Objektproduktion', für die ein zweifacher Distanzierungsprozess des Erziehers notwendig sei, eine Distanzierung von sich selbst und eine Distanzierung vom Kinde, wodurch schließlich eine totale Überwachung des Zöglings erreicht werden solle, die wiederum das Erziehungsobjekt 'Kind' formiere. Während der Mangel einer persönlich-emotionalen Sichtweise im Tagebuch des Markgrafen durch die von ihm eingenommene Perspektive der höfischen Repräsentation bedingt war, sind die fehlenden Gefühlsäußerungen innerhalb der medizinischen Notizen der Markgräfin als Zeugnis sowohl ihres wissenschaftlichen Interesses als auch einer zunehmenden Professionalisierung der Rolle der Mutter als Erzieherin zu lesen, von der eine strikte Kontrolle der mütterlichen Zärtlichkeit erwartet wurde. [47]

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Mit dem Anlegen eines solchen Journals stellte sich die Markgräfin außerdem in eine höfisch-aristokratische Tradition, die sich bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück verfolgen lässt. [48] Das wohl bekannteste Beispiel ist das von dem Arzt Jean Héroard für den französischen Dauphin Ludwig XIII. geführte, ausführliche Journal, dessen Anlage den hier besprochenen Dokumenten sehr ähnlich ist - wenn auch weit größer dimensioniert. Auch in diesem wurden die medizinischen Beobachtungen, die Zusammensetzungen der Mahlzeiten und die physiologischen Funktionen detailliert – das heißt Tag für Tag über einen Zeitraum von 27 Jahren (von 1601-1628) – festgehalten. Zudem werden in den umfangreichen Aufzeichnungen weitere Details der Kindheit des Thronfolgers und ihrer spezifischen Bedingungen bei Hof sichtbar. Vom Krankenjournal bis zum Erziehungsjournal war es offensichtlich nur ein kleiner Schritt. Ebenso musste die Aufmerksamkeit, die die Markgräfin ihren kranken Kindern entgegenbrachte, eine genaue Beobachtung auch ihrer Gesundheit nach sich ziehen, was wiederum implizierte, dass das Kind als solches in seinen Eigenheiten und Entwicklungsstufen und damit als Erziehungsobjekt in den Mittelpunkt des Interesses rückte.

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Tagebücher, die ein einzelnes Kind zum Gegenstand machten, kamen, wie gesehen, nicht erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts oder gar erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Kinderpsychologie auf. [49] Zwar ist mit Recht festgestellt worden, dass derartiges Dokumentationsmaterial stets klassenspezifisch war und sich auf Kinder der “gehobenen Schichten“ bezog. [50] In diesem Sinne konstatiert auch Foucault, dass "Betrachtet werden, beobachtet werden, erzählt werden und Tag für Tag aufgezeichnet werden [...] Privilegien" waren. Sarasin spricht von der Muße, die erforderlich gewesen sei, um den durch den eigenen Körper mitgeteilten Zeichen nachzugehen. [51] Umso erstaunlicher ist daher, dass die im 18. Jahrhundert entstehende medizinische Bewegung von Foucault, Sarasin und anderen Autoren ausschließlich in Verbindung mit der bürgerlichen Individualitäts- und Hygienekultur gestellt wird. Mit Blick auf den fürstlichen Adel jedenfalls weisen sowohl der 'ärztliche' und in seiner konsequenten Fortführung auch der 'pädagogische' Blick eine weit weniger gebrochene Geschichte auf, ja zeigen sich vielmehr als in einer alten adeligen Tradition wurzelnd, die nun unter veränderten medizinischen und pädagogischen Vorzeichen und Anforderungen weitergeführt wurde. Durch die zeitgenössische Erziehungsliteratur in besonderem Maße gefördert trat im Adelsstand neben die immer noch virulente Disziplinierung durch repräsentative Verhaltensstandards eine weitere Form der Disziplinierung. Sie wurde zum Code für ein überständisches Elitekonzept, das sowohl Angehörige des Adels als auch des Bürgertums umfasste.

Abbildungen

Abbildung 1
Karoline Luise, Markgräfin von Baden (1723-1783), mit ihren beiden ältesten Söhnen. Öl auf Leinwand, 102,5x136 cm, Joseph Melling, Karlsruhe 1757, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Dauerleihgabe der Musées de France, in: Catalogue des peintures M.N.R. hg. von Claude Lesné und Anne Roquebert, Paris 2004.

Abbildung 2
"Die Mutter". Kupferstich, s/w, 132x74 mm, in John Burton: F. Burtons Vorlesungen über weibliche Erziehung und Sitten, aus dem Englischen übersetzt. 2. Band, S. 1, Wien 1799: "Die Mutter. Auf diesem Blatte hat der Künstler eine sorgsame Mutter dargestellt, wie sie die Gesundheit und das körperliche Wohlseyn ihrer Kinder durch fleißiges Reinigen und Säubern zu befördern sucht. Die Sorge, die gewiß sehr wichtig ist, indem sich die Gesundheit des jugendlichen Geistes nur gar zu sichtbar aus der Gesundheit des Körpers zu entwickeln pflegt (...)"

Abbildung 3
Kopie eines Rezeptes über eine "Temperirende Mixtur" für den Erbprinzen Karl Ludwig von Baden-Durlach vom 14. April 1769, GLKA, FA 5A, Corresp., 117.

Abbildung 4
Zwei Seiten aus dem Krankenjournal für den Erbprinzen Karl Ludwig von Baden-Durlach, im Jahre 1757/58 von der Markgräfin Karoline Luise geführt, GLKA, FA 5A, Corresp., 117.

Autorin:

Claudia Kollbach
European University Institute
Department of History and Civilization
Via Boccaccio 121
I-50133 Firenze
claudia.kollbach@iue.it



[1] Für dieses sowie nachfolgendes Zitat vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLKA), Familienarchiv (FA) 5, Pers., 46, Fasc. III, 7f., 48.

[2] Zur Geschichte der Pocken und Pockenimpfung vgl. Paul Kübler: Geschichte der Pocken und der Impfung (= Bibliothek von Coler 1), Berlin 1901; außerdem Jacques Gélis u.a. (Hg.): Entrer dans la vie. Naissances et Enfances dans la France traditionelle, Paris 1978, 220-224. Zur Einführung der Pockenimpfung an verschiedenen Höfen auch Colin Jones: The Médecins du Roi at the End of the Ancien Régime and in the French Revolution, in: Vivian Nutton (Hg.): Medicine at the courts of Europe, 1500-1837, London / New York 1990, 209-261 und J. T. Alexander: Medicine at the Court of Catherine the Great of Russia, in: Ebd., 182-208.

[3] "Instruction für deren Printzen Informatorem Ring" (1759), GLKA, FA 6, Pers., 2.

[4] Vgl. Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt a. M. 2001, 37-42.

[5] Der selbst aus dem Adel stammende Aufklärer Adolph Freiherr von Knigge schrieb beispielsweise: "Die sehr vornehmen und reichen Leute haben selten Sinn für häusliche Glückseligkeit, fühlen keine Seelenbedürfnisse, leben mehrenteils auf einem sehr fremden Fuß mit ihrem Ehegatten und bedürfen also keiner anderen Regeln, als solcher, die eine feine Erziehung vorschreibt." Vgl. Adolph Freiherr von Knigge: Über den Umgang mit Menschen. Neudruck der 3. Aufl. v. 1790, Frankfurt a. M. 1977, 2. Teil, 3. Kap., 22.

[6] Vgl. Christa Kersting: Die Genese der Pädagogik im 18. Jahrhundert. Campes "Allgemeine Revision" im Kontext der neuzeitlichen Wissenschaft, Weinheim 1992, 300-302, die von einer Professionalisierung der Mutter als Erzieherin spricht.

[7] Vgl. Joachim Heinrich Campe: Ueber die früheste Bildung junger Kinderseelen im ersten und zweiten Jahre der Kindheit, in: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens, 2. Teil, Hamburg 1785, 3-616, hier: 5f.

[8] Einen Überblick über die historische Familienforschung in Deutschland und die Entwicklung des 'bürgerlichen' Familienideals gibt Meike Sophia Baader: Die romantische Idee des Kindes und der Kindheit. Auf der Suche nach der verlorenen Unschuld, Berlin 1996, 11ff.

[9] Vgl. Kersting: Pädagogik (wie Anm. 6), 289ff. Dem entsprachen pädagogische Abhandlungen im Allgemeinen Revisionswerk, wie zum Beispiel folgende mit dem Titel "Von den Erfordernissen einer guten Erziehung von Seiten der Eltern vor und nach der Geburt eines Kindes", vgl. Ebd., 92f.

[10] Darunter wird einerseits die voranschreitende Professionalisierung der Ärzteschaft, andererseits das steigende Interesse an der Implementierung einer staatlichen, die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit erfassenden Gesundheitspolitik verstanden, Prozesse, die wiederum eng verbunden waren mit einer wachsenden sozialen Disziplinierung der Untertanen. Ausführlich dargestellt, aber auch kritisiert, wird das in der Literatur üblicherweise verwandte Konzept der Medikalisierung bei Francisca Loetz: Vom Kranken zum Patienten: "Medikalisierung" und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens, 1750-1850, Stuttgart 1993.

[11] Vgl. Kersting: Pädagogik (wie Anm. 6), 88.

[12] Vgl. Sarasin: Maschinen (wie Anm. 4), 249f. und Gélis: Naissances (wie Anm. 2), 211ff., 218.

[13] Vgl. GLKA, FA 5A, Corr., 116-135 sowie im Allgemeinen zu ihrem medizinischen Interesse Jan Lauts: Karoline Luise von Baden. Ein Lebensbild aus der Zeit der Aufklärung, Karlsruhe 1980, 337ff.

[14] Vgl. beispielsweise das Protokoll zur Geburt des dritten Sohnes, Ludwig, GLKA FA 9, Pers., 1.

[15] Vgl. zum Beispiel den Brief an die Markgräfin vom 21. Juli 1755, in Philipp Alexander Ferdinand Walther: Briefwechsel der "Grossen Landgräfin" Caroline von Hessen. Dreissig Jahre eines fürstlichen Frauenlebens, Band I und II, Wien 1877, Bd. II, 208f. Zum Briefwechsel zwischen der Landgräfin und der Markgräfin vgl. auch Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (StAD), Großherzogliches Hausarchiv, D4, 559/4 und 560/1.

[16] Vgl. den Brief der Landgräfin an die Markgräfin vom 2. Oktober 1763 in StAD, D4, 560/1.

[17] Vgl. Anm. 15.

[18] Vgl. Ingrid Peikert: Zur Geschichte der Kindheit im 18. und 19. Jahrhundert. Einige Entwicklungstendenzen, in: Heinz Reif (Hg.): Die Familie in der Geschichte, Göttingen 1982, 114-136, 127. Zum Küchenzettel der Markgräfin vgl. GLKA, FA 5A, Corresp., 117.

[19] Vgl. hierzu den Brief der Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt an Moser vom 31. Oktober 1763, in dem sie nach der Genesung ihrer Tochter Wilhelmine bemerkt: "Sa mort eût été un événement indifférent à tout autre qu´à une mère, mais j´avoue que sa perte m´eût sensiblement touchée", in Walther: Briefwechsel (wie Anm. 15), II, 371.

[20] Vgl. den Brief Karoline Luises an Treuer vom 13. November 1764, GLKA, FA 5A, Corresp., 37. Als ihr Sohn Ludwig am Flussfieber erkrankte, nahm dessen Betreuung die Markgräfin ebenfalls 8 Tage in Beschlag, vgl. ihren Brief an ihre Schwägerin vom 12. April 1779, GLKA, FA 8, Corresp., Nachtr. I.

[21] Vgl. den Brief von Maria Theresia an Karoline Luise vom 14. Dezember 1767, GLKA, FA 5A, Corresp., 19.

[22] Vgl. Anm. 20.

[23] Vgl. den Brief von Karl Friedrich an Karoline Luise vom 25. April 1765, GLKA, FA 5A, Corresp., 1. sowie den Brief von Karoline Luise an Treuer vom 18. Mai 1768, GLKA, FA 5A, Corresp., 37.

[24] Zu den medizinischen Unterlagen, die die Markgräfin für ihre eigene Person, ihre Söhne und ihre Enkelinnen sammelte vgl. GLKA, FA 5A, Corresp., 126, 117, 118 und 123.

[25] Vgl. zu dieser Notiz GLKA, FA 5A, Corresp., 117.

[26] Dies zeigt beispielsweise ein Brief des Arztes Beer an die Markgräfin vom 18. Februar 1776, GLKA, FA 5A, Corresp., 117 ebenso wie ein Brief des Markgrafen Karl Friedrich an Karoline Luise vom 6. April 1783, in GLKA, FA 5A, Corresp., 2.

[27] Vgl. Fritz Hartmann: Hausvater und Hausmutter als Hausarzt in der frühen Neuzeit. Hausgewalt und Gesundheitsfürsorge, in: Staat und Gesellschaft im Mittelalter und früher Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Leuschner, Göttingen 1983, 151-175, hier: 152f., 162.

[28] Vgl. Nikolas Rose: Medicine, history and the present, in: Colin Jones / Roy Porter (Hg.): Reassessing Foucault. Power, Medicine and the Body, London / New York 1994, 48-72, hier: 51, 63-66.

[29] Vgl. Lauts: Karoline Luise (wie Anm. 13), 337f., 213-232. Zur Teilhabe von Frauen an der im 18. Jahrhundert noch existierenden offenen Form gelehrter wissenschaftlicher Kultur, der später die scharfe Trennung von popularisierter und wissenschaftlicher Kultur und damit der Ausschluss von Frauen folgen sollte, vgl. auch Sarasin: Maschinen (wie Anm. 4), 124-136, 126.

[30] Vgl. Lauts: Karoline Luise (wie Anm. 13), 338.

[31] Vgl. Gundolf Keil: Der Hausvater als Arzt, in: Trude Ehlert (Hg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 6.-9. Juni 1990 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Sigmaringen 1991, 219-243, hier: 233.

[32] GLKA, FA 5A, Corresp., 117.

[33] Vgl. beispielsweise das Journal für Prinz Friedrich, GLKA, FA 5A, Corresp., 126.

[34] Vgl. hierzu Michel Foucault: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1999, 75f.

[35] Vgl. hierzu auch den unten geschilderten Vorgang der 'Objektproduktion', der von dem Philanthropen Wezel gefordert wurde, bei dem sich der Erzieher (und Beobachter) ganz von sich selbst distanzieren sollte.

[36] Vgl. GLKA, FA 5A, Corresp., 126.

[37] Vgl. den Aufsatz von Eva Labouvie: Individuelle Körper. Zur Selbstwahrnehmung "mit Haut und Haar", in: Richard van Dülmen (Hg.): Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln u.a. 2001, 163-195.

[38] Vgl. Foucault: Klinik (wie Anm. 36).

[39] Vgl. hierzu Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M. 1994, 192ff.: "Die Verfahren der zeitlichen Reglementierung werden von den Disziplinen übernommen und modifiziert. Zunächst werden sie verfeinert. Man beginnt, in Viertelstunden, Minuten, Sekunden zu rechnen". Während Foucault sich damit jedoch auf "nutzbare Zeit" bezieht, gilt dies offensichtlich auch für die rein beobachtete Zeit.

[40] So protokollierte der Arzt auch die Zwischenfälle der Nacht und bemerkte beispielsweise über den Erbprinzen "und behaupteten Sie hätten nicht geschlafen, allein es ware das gegentheil, man hatte Sie schnarchen gehöret". Vgl. den Eintrag für den 10. November, GLKA, FA 5A, Corresp., 126.

[41] Vgl. beispielsweise die Einträge in dem Journal für den Erbprinzen vom November 1764, GLKA, FA 5A, Corresp., 126: "Man sprach von abends um 7 Uhr kein Wort mit ihnen, dem ohnerachtet ruffen sie immer, dass da hernach alles ruhig wurde, sie in keinen Schlaf kommen konnten wie gestern abend. Man resolvirte auch dahero Sie den morgenden Tag fast gantz allein zu lassen, und keine Erzehlung noch Discourse zu gestatten."

[42] Zu diesen Konzepten von Disziplinierung vgl. Stefan Breuer: Sozialdisziplinierung. Probleme und Problemverlagerungen eines Konzepts bei Max Weber, Gerhard Oestreich und Michel Foucault, in: Christoph Sachße / Florian Tennstedt (Hg.): Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung, Frankfurt a. M. 1986, 45-69.

[43] Vgl. das Journal für Prinz Friedrich, GLKA, FA 5A, Corresp., 126.

[44] Vgl. Foucault: Klinik (wie Anm. 36), 77.

[45] So etwa die Vorstellungen Campes, wie er sie in seinem "Revisionswerk" dargelegt hat, vgl. Kersting: Pädagogik (wie Anm. 6), 81, 210f.

[46] Vgl. hierzu Wezels Forderungen in den "Pädagogischen Unterhandlungen" (1777-1782). Ihm zufolge sollte sich der Erzieher über alles, was das Kind betrifft, genau informieren, wozu er ebenfalls den medizinischen Bereich zählte, und die Diätetik des Kindes ebenso mit einbezogen wissen wollte wie zum Beispiel die Auskünfte der Amme, vgl. Kersting: Pädagogik (wie Anm. 6), 203-209.

[47] Eine solche Selbstdisziplinierung der Mütter verlangten beispielsweise Rousseau, Campe und Kant. Vgl. Kersting: Pädagogik (wie Anm. 6), 275ff.

[48] Zur Tradition der "journaux d'hygiène" bzw. der "journaux médicaux" ebenso wie für das Journal von Héroard, vgl. Madeleine Foisil: Introduction Générale, in: Dies. (Hg.): Journal de Jean Héroard (= Publication du Centre de Recherches sur la Civilisation de l´Europe Moderne), Paris 1989, 33-63, hier: 56-58.

[49] Vgl. zu dieser Annahme Pia Schmid: „von Individuis abstrahirte Beobachtungen“. Zur empirischen Erforschung des Kindes in der Pädagogik der deutschen Spätaufklärung, in: Josef N. Neumann / Udo Sträter (Hg.): Das Kind in Pietismus und Aufklärung. Beiträge des Internationalen Symposions vom 12.-15. November 1997 in den Franckeschen Stiftungen zu Halle, Tübingen 2000, 281-295, 286, und Peter Gstettner: Die Eroberung des Kindes durch die Wissenschaft. Aus der Geschichte der Disziplinierung, Reinbek 1981, 94.

[50] Vgl. Ebd., 113, 115f.

[51] Vgl. Foucault: Überwachen (wie Anm. 41), 246 und Sarasin: Maschinen (wie Anm. 4), 173.

Empfohlene Zitierweise:

Claudia Kollbach : Karoline Luise von Baden-Durlach als Mutter ihrer kranken Kinder: Medizinische Praktiken als Teil der Prinzenerziehung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts , in: zeitenblicke 4 (2005), Nr. 3, [13.12.2005], URL: https://www.zeitenblicke.de/2005/3/Kollbach/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-2327

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