Die Herzöge von Parma und Piacenza zwischen Papsttum und Reich
urn:nbn:de:0009-9-8058
Zusammenfassung
Parma und Piacenza waren nach dem Niedergang der kommunalen Freiheiten um die Mitte des 14. Jahrhunderts unter die Signoria der Visconti und dann der Sforza geraten. Die Herrschaft der Sforza dauerte bis zum Jahr 1499, als das Herzogtum Mailand von Ludwig XII. von Frankreich besetzt wurde. Während der Kriege um Italien annektierte Papst Julius II. sie für den Kirchenstaat. Im Bündnisvertrag Kaiser Karls V. und Papst Leos X. gegen Franz I. von Frankreich vom 8. Mai 1521 wurden die beiden Städte schließlich als Bestandteil des Kirchenstaats anerkannt.Nichtsdestoweniger wurde in Mailänder Kreisen der Verlust der beiden Städte stets als ein Anschlag auf die territoriale Integrität des Herzogtums Mailand betrachtet, und mehrfach richtete man Appelle an den Kaiser, er möge sie dem Staat wiedereingliedern. Das Problem wurde noch heikler, als Papst Paul III. sie seinem Sohn Pier Luigi Farnese zur Herrschaft übertrug. Dieses Ereignis führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Karl V. und dem Papst, umso mehr als der Gouverneur von Mailand, Ferrante Gonzaga, die Meinung vertrat, dass die Farnese mit Frankreich Pläne zu einer Vertreibung der Kaiserlichen aus Norditalien schmiedeten. Angesichts der zentralen Bedeutung Piacenzas als Sitz der Wechselmessen und, zusammen mit Genua, Dreh- und Angelpunkt des Finanzsystems, das den Habsburgern gestattete, die gewaltigen Ressourcen aufzubringen, derer sie für die Verwaltung ihres riesigen Reiches bedurften, wäre der Verlust der Stadt fatal gewesen.
Im September 1547 wurde Pier Luigi Farnese im Zuge einer Verschwörung, die einige Piacentiner Vasallen mit der entscheidenden Unterstützung Ferrante Gonzagas angezettelt hatten, getötet. Piacenza wurde von den kaiserlichen Truppen besetzt. Nach einigen Wechselfällen besiegelte ein Vertrag zwischen Karl V. und Ottavio Farnese, dem Sohn Pier Luigis und Gemahl Margarethes, der natürlichen Tochter des Kaisers, die Rückkehr der Stadt unter die Herrschaft der Farnese; Ottavio hatte die Autorität des Reiches über die beiden Städte anerkannt. Von nun an waren die Farnese die treuesten italienischen Verbündeten der Habsburger.
Für die Herzöge war es jedoch ebenfalls von grundlegender Bedeutung, ihre Herrschaft über den Staat zu stärken, da die Dynastie, welche dem Territorium vollkommen fremd war, nicht auf die Treue der großen Feudalfamilien des Herzogtums zählen konnte. Ottavio begründete eine Strategie, die als "Politik des Verbrechens" bezeichnet werden könnte und die von seinem Enkel Ranuccio zum Abschluß gebracht wurde. Die Entdeckung einiger Verschwörungen, bei denen es schwierig ist, festzustellen, ob es sie tatsächlich gab oder ob sie das Ergebnis einer geschickten Übertreibung der herzoglichen Polizei darstellten, erlaubte es den Farnese, einige der bedeutendsten Lehnsmänner des Herzogtums zu verurteilen und ihre Besitzungen zu konfiszieren. Auf diese Weise schufen die Herzöge ein beeindruckendes Patrimonium, das ihnen eine größere Zustimmung verschaffte (ein Teil der Ländereien wurde neu vergeben) und es ihnen erleichterte, die nötigen finanziellen Ressourcen für die Verwaltung des Staates aufzubringen.
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Die Geburt des Herzogtums Parma-Piacenza war ein eigentümliches Ereignis. Schon im Augenblick seiner Erschaffung fiel dieser Staat, der nach einer Äußerung des Kardinals Ercole Gonzaga "wie ein Pilz in einer Nacht geboren" war, durch seine auffallenden Eigenheiten als ein Kunstprodukt auf, sowohl was seine Gründung an sich und die Motive dafür betraf, als auch im Vergleich mit der in längeren und ruhigeren Bahnen verlaufenden Geschichte anderer italienischer Staaten. [1] Obwohl er die klassischen Elemente des päpstlichen Nepotismus des 16. Jahrhunderts aufgriff (Übertragung des Oberbefehls an einen Verwandten, um die militärische Macht der Kirche für die privaten Expansionsgelüste der Papstfamilie zu nutzen – ein Weg, den bereits Alexander VI. und Leo X. beschritten hatten), ließ der Staatsbildungsprozess selbst schon eine Neuerung erkennen, indem sich die Absichten auf Gebiete am Rande des Kirchenstaats richteten, die bereits heftig zwischen den europäischen Mächten umstritten waren. Gleichzeitig stellte das Herzogtum weniger die äußerste Provinz des Kirchenstaats oder das persönliche Besitztum eines Fürsten dar, als dass es Ausdruck der Macht einer Familie war, der Farnese, die sich als wesentlich bedeutender und geschlossener und dazu strategisch stärker in Europa verwurzelt darstellte, als es die vornehmlich italienische Politik der Borgia und der Medici gewesen war.
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Außerdem ist die Geburt des Farnese-Staats in den Zusammenhang des großen Projekts Papst Pauls III. zur politischen und religiösen Neuordnung Europas einzuordnen. Einer religiösen und moralischen Reform der Kirche hatte in der Tat ihre erneuerte und vollständige Unabhängigkeit vom Reich zu entsprechen. Gerade die Gründung des neuen Fürstentums, das nach den Plänen des Pontifex zugleich eine Etappe auf dem Weg seiner Familie zur Herrschaft über das Herzogtum Mailand darstellen sollte, sollte ein nützliches Gegengewicht zur kaiserlichen Übermacht in Italien bilden. Daher wurde das neue Herzogtum widersprüchlicherweise zugleich aus dem Geist des extremsten Nepotismus wie der politischen und religiösen Emanzipation der Kirche gegründet. Es ist jedoch interessant zu beobachten, wie dieser Plan dann von der künftigen Entwicklung des kleinen Staates, der seine eigene Existenz allein von der gänzlichen Unterordnung unter die Ziele der spanischen Politik gewährleistet sehen sollte, völlig konterkariert wurde.
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Aufgrund seines Ursprungs kann daher das Farnese-Herzogtum als Modell eines Staates gelten, der aus politischen Erwägungen, aus reiner Machtstrategie ohne jegliche lokale Bezüge geboren wurde und sein Überleben lediglich den delikaten Gleichgewichtsspielen zwischen den europäischen Mächten verdankte. In seiner Geschichte spiegelt sich die Entwicklung des Staates von der feudalen Ordnung hin zur Zentralisierung des modernen Absolutismus wider. Überdies ist er, von innen betrachtet, aufschlussreich für den Prozess der Konzentration der zuvor zwischen Lehen, Staat und Fürstentum verteilten und frei ausgeübten Funktionen um Fürst und Hof. [2]
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Parma und Piacenza waren nach dem Niedergang der kommunalen Freiheiten um die Mitte des 14. Jahrhunderts unter die Signoria der Medici und dann der Sforza geraten. Die Herrschaft der Sforza dauerte bis 1499, als das Herzogtum Mailand von Ludwig XII. besetzt wurde. Während der Italienischen Kriege annektierte Julius II. diese Städte für den Kirchenstaat mit der Begründung, sie seien dermaßen fromm, dass sie keine andere Herrschaft als die päpstliche haben könnten. [3] Beim Tod Julius’ II. kehrten Parma und Piacenza unter die Herrschaft Mailands zurück. Der Rückgewinn der beiden Städte war jedoch nur vorübergehend, denn Herzog Massimiliano Sforza trat sie für 60.000 Dukaten an den neuen Papst Leo X. ab, um sich die Unterstützung der Kirche gegen die Ansprüche der französischen Könige zu sichern. [4] Nach mehreren Wechselfällen, die mit den verschiedenen Phasen des Konflikts zwischen dem Kaiser und Frankreich verknüpft waren, wurde im kaiserlich-päpstlichen Bündnisvertrag vom 28. Mai 1521 faktisch die Zugehörigkeit von Parma und Piacenza zum Kirchenstaat bestätigt.
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Obgleich die päpstliche Herrschaft über Parma und Piacenza damit anerkannt war, wurde in Mailänder Kreisen der Verlust der beiden Städte immer noch als Angriff auf die territoriale Integrität des Herzogtums Mailand betrachtet. Gleiches galt für die anderen territorialen Amputationen, die man aufgrund der gegen das Mailänder Herrschaftsgebiet entfesselten Begierden erlitten hatte, als das Herzogtum durch die Folgen der dort stattfindenden Kriege geschwächt war. Diese hatten zwischen 1500 und 1512 den Verlust Bellinzonas und des Tessins an die Schweizer Kantone nördlich des Sankt Gotthard (Schwyz und Uri) gekostet, dazu Chiavennas und des Veltlin, die von den Graubündnern annektiert wurden, und vorübergehend auch Cremonas sowie der Ghiaradadda, die zwischen 1500 und 1509 venezianisch besetzt waren. [5] Außerdem hatte der Verlust der Abgaben aus diesen Gebieten den Mailänder Staatshaushalt beschnitten – belegt durch das Faktum, dass am Ende des 15. Jahrhunderts Parma und Piacenza knapp ein Fünftel (exakt 18 %) der Gesamteinnahmen des Herzogtums aufgebracht hatten.
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Doch es waren nicht nur politisch-militärische und finanzielle Motive, die für eine Rückkehr der beiden Städte in das Herzogtum sprachen. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Jurisdiktionen verschlechterte zumal im Gebiet von Cremona die intensiven wirtschaftlichen und merkantilen Beziehungen zwischen den beiden Ufern des Pos. Schließlich gab es ungezählte Anlässe für Spannungen zwischen Mailand und Piacenza im Zuge der Ermittlung, wem die Kontributionen aus sowie die Jurisdiktionsrechte über einige Lehen an der Grenze beider Staaten zustünden. [6] Dergleichen war auch vor der Schaffung des Herzogtums Parma-Piacenza vorgekommen, doch die besseren Beziehungen zwischen den beiden Administrationen hatten dazu beigetragen, die Gemüter zu beschwichtigen und die Konflikte beizulegen. Am Kaiserhof war man der Meinung, dass die beiden Städte, zumal Piacenza, eine grundlegende strategische Bedeutung für die Integrität und die Sicherheit des Herzogtums Mailand hätten. Überdies kontrollierte Piacenza die Verbindung Genua-Mailand, die zur Hauptschlagader des Habsburger Reichs geworden war, und beherbergte seit 1536 die von den ligurischen Händler-Bankiers organisierten Wechselmessen, aus denen Karl V. einen Großteil seiner finanziellen Ressourcen bezog. Als die Gründung des neuen Herzogtums die endgültige Trennung der beiden Städte von Mailand zu besiegeln schien, war es daher unvermeidlich, dass die Kaiserlichen im Interesse der eigenen Sicherheit die Entthronung des neuen Herzogs und die Rückeroberung der beiden Städte für notwendig hielten. Eben für dieses Ziel setzte sich auch der Mailänder Gouverneur Ferrante Gonzaga ein, der im Frühjahr 1547 gegenüber Karl V. die Notwendigkeit bekräftigte, die beiden Städte zurückzugewinnen, "denn ohne jene kann man sich niemals gegen den Argwohn der Franzosen sichern, solange sie einen Fuß in Italien haben", und "diesen Stato di Milano nur mit großer Mühe erhalten". [7]
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Die Schaffung des Herzogtums Parma-Piacenza entsprach dem Wunsch Pauls III., die eigene Familie in den Fürstenrang erhoben zu sehen. Die beiden Städte waren eine Ersatzlösung, das Hauptobjekt der Begierden der Farnese war nämlich das Herzogtum Mailand selbst gewesen, aber dem hatte der Kaiser nicht zugestimmt. [8] Dabei ist jedoch anzuerkennen, dass die Pläne des Papstes nicht allein dem Willen entsprangen, einen Akt des Nepotismus auszuführen, sondern zugleich der Notwendigkeit entsprachen, ein Gegengewicht gegen die spanische Macht zu bilden und durch die Ausräumung eines Konfliktgegenstands den Frieden zwischen den beiden europäischen Hauptmächten zu erleichtern.
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Gemäß den Intentionen Pauls III. und den Bestimmungen der Investiturbulle sollte der neue Herzog eine Art Vasall mit begrenzter Jurisdiktion unter der Kontrolle des Papstes selbst sein, mit denselben Befugnissen und Zuständigkeiten wie der päpstliche Legat, der die beiden Städte bis dahin regiert hatte. [9] Aber Pier Luigi Farnese hatte niemals die Absicht, die Funktion eines Laien-Legaten auszuüben, nicht einmal für den Papst. Er erkannte, dass die Quellen seiner Macht schwach waren, sich vor allem auf die Familienbeziehungen zum Pontifex stützten und dass dessen Tod – der Papst war mittlerweile sehr fortgeschrittenen Alters – ihn in einen Zustand großer Verwundbarkeit stürzen würde. Das dringendste Problem des neuen Herzogs war, die ausdrückliche Anerkennung seines Staates durch Karl V. zu erlangen.
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Wenn am Ende des vorangegangenen Jahrhunderts die Schöpfung eines Fürstentums durch das Reichssiegel formell anerkannt und sanktioniert worden war, wodurch ein neues Prinzip des öffentlichen Rechts geschaffen wurde, war nunmehr, im 16. Jahrhundert, die Belehnung durch das Reich eine Formel ohne präzisen rechtlichen und politischen Gehalt geworden. [10] Doch angesichts der politischen und militärische Übermacht der Habsburger in Italien bewahrte die kaiserliche Zustimmung eine beachtliche Bedeutung.
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Obwohl Pier Luigi so tat, als halte er in seiner Eigenschaft als "Vasall Seiner Heiligkeit" die ausdrückliche und formale Einwilligung des Kaisers nicht für zwingend notwendig, wusste er selbst sehr wohl, dass ohne sie die Zukunft seines Staates reichlich ungewiss war, da er sonst in einen Zustand der Schwäche gegenüber den anderen italienischen Staaten wie auch gegenüber den wichtigsten lokalen Vasallen geraten wäre. [11] In dieser Frage offenbarte sich jedoch in besonderer Weise die übliche Dissimulation der habsburgischen Diplomatie und insbesondere Karls V. Da dieser der Unterstützung des Papstes in der Unternehmung gegen die im Schmalkaldischen Bund vereinigten protestantischen Fürsten bedurfte, er seine Flanken gegen ein etwaiges französisches Eingreifen schützen musste und ihm an der definitiven Lösung der Konzilsfrage gelegen war, lehnte er die päpstliche Belehnung des Farnese weder ab, noch stimmte er ihr zu: Er sagte nur, dass er sich nicht widersetzen werde. [12] Tatsächlich erkannten die Kaiserlichen die Investitur Pier Luigi Farneses niemals an; vielmehr wurde dessen Gesandter Vincenzo Buoncambi anlässlich der Anerkennung seiner Kredentialien weiterhin als Bote des Herzogs von Castro bezeichnet. [13] Die Lage spitzte sich zu, als der Rückzug der päpstlichen Truppen aus Deutschland und der Konflikt über den Tagungsort des Konzils (Trient nach Wunsch des Kaisers, Bologna nach Meinung des Papstes) die Spannungen zwischen Karl V. und Paul III. verstärkten. [14] Auch die Diplomatie Pier Luigi Farneses trug zur Verschärfung der Lage bei, da er auf seiner Suche nach Unterstützung den Kaiserlichen den Eindruck vermittelte, er stehe in geheimen Verhandlungen mit Frankreich. Zur Eskalation der Situation führte schließlich die gescheiterte Verschwörung Gian Luigi Fiescos vom Januar 1547 in Genua, hinter der man die Unterstützung Frankreichs, des Papstes und eben Pier Luigis vermutete. [15] Damals überzeugte Ferrante Gonzaga den Kaiser definitiv von der Notwendigkeit, den neuen Herzog zu stürzen und die beiden Städte zurückzugewinnen.
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Die Schaffung des neuen Staates und die Einsetzung des Herzogs Pier Luigi hatten die traditionellen Strukturen dieser Territorien erschüttert. Die Lage der beiden Städte an der Peripherie des Stato di Milano, die häufigen Besitzwechsel und die relative Schwäche der päpstlichen Regierung hatten die Macht der großen Vasallen gestärkt. Die neue herzogliche Macht dagegen, die sich zwischen das Papsttum und die Höfe der Vasallen schob, war bestrebt, sich alle Rechte und Zuständigkeiten anzueignen, die ihr zustanden. Ein Großteil der gesetzlichen Verfügungen Pier Luigi Farneses zielte auf die Beschränkung der Feudalmacht ab. In diese Richtung wirkte die Bestätigung des Dekrets Maggior magistrato, das durch die Beschränkung der feudalen Jurisdiktionsrechte eine beachtliche Anzahl ländlicher Untertanen unter die unmittelbare herzogliche Rechtsprechung übergehen ließ. [16] Substantiell vergleichbare Ziele verfolgten die Compartiti von 1545 für Parma und von 1546 für Piacenza, Akte eines fiskalischen Ausgleichs, die als Mittel zur Reduzierung von Privilegien wichtig waren, indem sie den gesamten Adel, und zwar auch den, der in den Lehen residierte, zur Angabe seiner Güter und Einkünfte verpflichteten. [17] Ein weiterer wichtiger Eingriff Pier Luigis war das Dekret, kraft dessen er die Ausfuhr jeglicher Art von Lebensmitteln aus dem Staat ohne seine Zustimmung untersagte.
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Ein anderer Streit betraf den gerichtlichen Instanzenzug, denn nach dem Anspruch des Herzogs sollten Appellationen in Piacenza, der ursprünglichen Hauptstadt des Staates, verhandelt werden. Für den Adel war es dagegen ein Vorteil, seine Rechtsstreitigkeiten an die römische Rota zu verweisen, wo er sich der größeren politischen Unterstützung erfreute und die höheren Kosten und längeren Fristen bis zur Entscheidung der Fälle sich günstig für ihn auswirkten. [18] Die Kontrolle der herzoglichen Magistrate über die Rechtsstreitigkeiten konnte zu einem bedeutenden Instrument der Begrenzung feudaler Privilegien werden. Wenn die Initiativen, die der Herzog vom Tag seines Regierungsantritts an unternahm, ihm zweifelsohne die Zustimmung der Gemeinden brachten, mussten sie den Feudaladel des Territoriums in Alarm versetzen. Wahrscheinlich war selbst Paul III. abgeneigt, die jurisdiktionellen Rechte Pier Luigis zu erweitern, und zwar nicht nur deswegen, weil er, wie oben gesagt, das Herzogtum nicht noch stärker vom Kirchenstaat trennen wollte, sondern auch weil er sich der Risiken bewusst war, die man einging, wenn man sich gegen die Vasallen stellte, denn diese seien, wie er einen Gesandten des Herzogs erinnert hatte, "mächtiger als die Ferraras und sind es gewohnt, unter dem sanften Joch der Kirche zu leben". Mit der Investitur Pier Luigi Farneses kam es also zu einer deutlichen Begrenzung der Autonomie der Vasallen, von denen viele in jenen Jahren noch die Illusion bewahrt hatten, sich kleine Landesherrschaften schaffen zu können. [19] Angesichts der antifeudalen Politik des Herzogs verwundert es nicht, dass einige bedeutende piacentinische Vasallen wie die Landi und die Anguissola die Ausführenden der piacentinischen Verschwörung vom 10. September 1547 gegen Pier Luigi Farnese gewesen sind, die geschickt von Ferrante Gonzaga vorbereitet worden war. [20] Wie aus dem Geheimvertrag zwischen dem Gouverneur von Mailand und den Verschwörern hervorgeht, war beabsichtigt, die Regierungsmaßnahmen des neuen Herzogs zu annullieren und die Situation vor der Schaffung des Herzogtums wiederherzustellen. [21]
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Das überraschende und tragische Ende Pier Luigi Farneses, dem die kaiserliche Besetzung Piacenzas und seines Gebiets bis zum Taro folgte, war für die dynastischen Ambitionen der Farnese, die auch unter materiellen und finanziellen Gesichtspunkten gewaltige Verluste erlitten, ein äußerst harter Schlag. [22] Dennoch hatten die Verschwörung gegen den Herzog und die Besetzung Piacenzas Karl V. und Ferrante Gonzaga nicht die erwarteten Vorteile gebracht. Schließlich war die Unternehmung nur teilweise geglückt: Das von Ottavio Farnese, dem Erstgeborenen Pier Luigis, gehaltene Parma war der Besetzung entgangen, und die Versuche, die parmesischen Vasallen aufzuhetzen, waren gescheitert. Auch in politischer Hinsicht erwiesen sich die Folgen als höchst nachteilig, denn alle Welt, zumal die Schweizer, war alarmiert, und das Misstrauen und die Feindseligkeit gegen die kaiserliche Politik vergrößerten sich. Diejenigen, die argwöhnten, der Kaiser wolle "Monarch und Herr" Italiens werden, hatten neuen Anlass zu Verdächtigungen bekommen. [23] Frankreich war aufgeschreckt worden, woraufhin es die eigenen Besatzungstruppen im Piemont verstärkte. Insgesamt gesehen hatte die Einnahme Piacenzas, statt dem Herzogtum Mailand größere Sicherheit zu geben, dazu beigetragen, eine weitere Front zu eröffnen, und das zu einer Zeit, als die kaiserlichen Truppen schon auf vielen Kriegsschauplätzen engagiert waren. Nicht einmal unter finanziellen Gesichtspunkten entsprachen die Ergebnisse den Erwartungen: Vielmehr sah sich just im Herbst 1547 Ferrante Gonzaga angesichts der gestiegenen Militärausgaben gezwungen, die im Vorjahr abgeschaffte Abgabe des mensuale wieder einzuführen, wodurch das Steueraufkommen auf etwa das Doppelte erhöht wurde. [24] All dies geschah, als Karl V. bereits ohne Truppen und Hilfsmittel dastand, Deutschland neuerdings in Aufruhr war und Moritz von Sachsen den Kaiser zur heimlichen, nächtlichen Flucht aus Innsbruck zwang, um der Gefahr zu entgehen, gefangen genommen zu werden. Die Farnese hatten sich mit Frankreich verbündet, und die Franzosen gingen 1552 zur Offensive über und bedrohten vom Piemont aus sogar das Herzogtum Mailand. Karl V. und Ferrante Gonzaga hatten die Befürchtung gehegt, in Pier Luigi Farnese einen französischen Agenten vor den Toren Mailands zu haben und diesen Staat der Gefahr eines doppelten Angriffs von Westen und Süden auszusetzen. Tatsächlich sah sich das Mailänder Herzogtum nach 1552 und gerade wegen der Verschwörung von Piacenza genötigt, zwei Feinden die Stirn zu bieten und an zwei Fronten zu kämpfen.
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Erst nach der Abdankung Karls V. beendete Philipp II. diese schwierige Situation, indem er sich mit Ottavio Farnese über die Rückgabe Piacenzas einigte und so einen Stachel aus der Flanke des Stato di Milano entfernte. [25] Der am 13. August 1556 in Gent unterzeichnete Vertrag umfasste zwei Konventionen, von denen die eine geheim war und es bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auch blieb. [26] In dem öffentlichen Vertragsteil übertrug der König dem Herzog die Herrschaft Piacenza und ihr Gebiet, mit Ausnahme der Festung, in der eine spanische Besatzung verblieb; außerdem wurden das gesamte parmesische von habsburgischen Truppen besetzte Territorium sowie Novara (einst Lehen der Farnese) zurückgegeben. Zudem wurden die neapolitanischen Güter Ottavios restituiert, die 1551 konfisziert worden waren und die Mitgift seiner Gemahlin Margarethe, der natürlichen Tochter Karls V., darstellten. In dem Geheimvertrag übertrug Philipp eben jene Gebiete Ottavio als königliches Lehen, für das er als Vasall den üblichen Lehnseid zu leisten hatte. Der Herzog verpflichtete sich, Leben und Eigentum der piacentinischen Verschwörer zu respektieren, und wenn einige von ihnen den Wunsch äußern sollten, ihr Vaterland zu verlassen, war er gehalten, ihre Güter zu einem gerechten Preis zu kaufen. Falls Ottavio oder seinen Nachfolgern ein männlicher Erbe fehlen würde, sollten Piacenza und das ihm kraft dieses Vertrags restituierte parmesische Territorium an den König von Spanien zurückfallen, indem die Farnese die besagten Gebiete als Lehen des Königs anerkannte, vorbehaltlich der anderen Rechte, die dem Heiligen Stuhl zustehen mochten. Der Herzog versprach außerdem die Abtrennung von Bardi, Compiano und Borgo Val di Taro zu respektieren, die von Karl V. zum Fürstentum erhoben und Agostino Landi, einem der Piacentiner Verschwörer, übertragen worden waren. Ferner wurde ein Offensiv- und Defensivbündnis zwischen dem Katholischen König und dem Herzog abgeschlossen, das unter anderem die Entsendung des Prinzen Alessandro an den Hof Philipps vorsah. Ottavio Farnese regierte Parma und Piacenza und ihre respektiven Gebiete also kraft der doppelten Investitur des Papsttums für erstere und des spanischen Königs als Herr Mailands für letztere Stadt. Dieser doppelten Lehnsabhängigkeit passte sich die Politik der Farnese mindestens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an, denn von nun an waren die Farnese die treuesten italienischen Verbündeten der spanischen Habsburger.
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Nachdem ihre Rechte in vollem Umfang anerkannt waren, war es für die Farnese jedoch grundlegend wichtig, ihre Herrschaft über den eigenen Staat auszubauen, denn die Dynastie, die jenen Territorien völlig fremd war, verließ sich nicht auf die Treue der großen Familien des Herzogtums. Seit 1578 verfolgte Ottavio Farnese eine Strategie, die ich an anderer Stelle als "Politik des Verbrechens" charakterisiert habe, und die in der Folge von seinem Enkel Ranuccio Farnese 1612 noch perfektioniert worden ist. [27] Der Vorwand der Entdeckung einiger Verschwörungen (die Erinnerung an das Komplott von 1547 war natürlich bei den Farnese noch sehr lebendig), bei denen schwer zu entscheiden ist, ob es sie tatsächlich gab oder ob sie das Ergebnis einer geschickten Übertreibung der herzoglichen Polizei darstellten (die erste soll von Claudio Landi organisiert worden sein und diente als Rechtfertigung für die Besetzung von Borgo Val di Taro durch die Farnese), erlaubte es den Farnese, einige der ältesten und mächtigsten Feudaldynastien des Herzogtums zu eliminieren und ihre Besitzungen zu konfiszieren. Auf diese Weise schufen die Herzöge ein beeindruckendes Patrimonium, das ihnen eine größere Zustimmung verschaffte (ein Teil der Ländereien wurde an lokale Exponenten der aufsteigenden Stände wie herzogliche Beamte, Notare etc. neu vergeben) und es ihnen erleichterte, die nötigen finanziellen Ressourcen zur Konsolidierung ihrer Macht und zur Verwaltung des Staates aufzubringen. Die Ausführung dieses Plans kulminierte in der Konfiskation der in den fruchtbarsten Gegenden des Gebiets von Parma gelegenen Güter derjenigen Vasallen, die in die angebliche Verschwörung von Parma von 1611 verwickelt waren, [28] Güter, die die Farnese von Lehnsgütern in Patrimonialgüter umzuwandeln versuchten, womit sie den Weg zur Moderne einschlugen. [29] Es handelte sich um ein beispielloses Ereignis von außerordentlicher Tragweite, denn die Gesamteinnahmen des Herzogtums vergrößerten sich im kurzen Zeitraum von zwanzig Jahren auf mehr als das Doppelte (von 361.000 scudi 1600 auf 745.000 scudi 1622). [30]
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Dennoch sollten sich schon am Ende des 17. Jahrhunderts und noch mehr im Verlauf des 18. Jahrhunderts die herzoglichen Finanzen als unzureichend erweisen, um die wachsenden Kosten der Politik und der Verwaltung zu tragen. Doch die Krise ging über den finanziellen Bereich hinaus und war nun vielmehr der Form und den Dimensionen des Kleinstaates selbst zuzuschreiben, dessen Anachronismus noch offenkundiger erschien, wenn man ihn den großen europäischen Monarchien gegenüberstellte.
Prof. Dr. Gianluca Podestà
Università degli Studi di Parma
Dipartimento di Economia
Via Kennedy, 6
I-43100 Parma
gianluca.podesta@unipr.it
http://economia.unipr.it/DOCENTI/home.asp?id=66
Die Übersetzung aus dem Italienischen hat Matthias Schnettger angefertigt.
[1] Gian Luca Podestà: Dal delitto politico alla politica del delitto. Finanza pubblica e congiure contro i Farnese nel Ducato di Parma e Piacenza dal 1545 al 1622, Milano 1995, XV.
[2] Carlo Ossola: Il "luogo" della corte, in: Marzio A. Romani (Hg.): Le corti farnesiane di Parma e Piacenza (1543-1622), Bd. 1: Potere e società nello stato farnesiano, Roma 1978, XXXIX-L, hier XLVII.
[3] Giovanni Tocci: Il Ducato di Parma e Piacenza, in: Giuseppe Galasso (Hg.): Storia d’Italia, Bd. 17: I ducati padani. Trento e Trieste, Torino 1979, 215-224.
[4] Federico Chabod: Il ducato di Milano e l’impero di Carlo V, 2 Bde., Torino 1971, hier Bd. 1: Lo Stato e la vita religiosa a Milano nell’epoca di Carlo V, Torino 1971, 80, Anm.
[5] Ebd., Bd. 2: Storia di Milano nell’epoca di Carlo V, 196.
[6] Caracciolo an Recalcati, 14. Februar 1537, Archivio di Stato di Parma (künftig ASP), Carteggio estero, Milano, b. 182.
[7] Ferrante Gonzaga an Karl V., 21. April 1547, Archivo General Simancas (künftig AGS), Estrado, 1194, fol. 22-34.
[8] Paolo Sarpi: Istoria del Concilio Tridentino, Bd. 1, Torino 1974, 177.
[9] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 106 f.
[10] Federico Chabod: Scritti su Machiavelli, Torino 1974, 42.
[11] Giovanni Drei: I Farnese. Grandezza e decadenza di una dinastia italiana, Roma 1954, 41.
[12] Sarpi: Istoria (wie Anm. 8), Bd. 1, 208.
[13] Buoncambi an Pier Luigi Farnese, 26. Februar 1546, ASP, Casa e corte farnesiana, b. 12.
[14] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 131.
[15] Buoncambi an Pier Luigi Farnese, 15. Januar 1547, ASP, Casa e corte farnesiana, b. 14.
[16] Letizia Arcangeli: Feudatari e duca negli stati farnesiani, in: Paolo Rossi (Hg.): Il Rinascimento nelle corti Padane. Società e cultura, Bari 1977, 77-95, hier 92-94.
[17] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 131.
[18] Malvezzo an Pier Luigi Farnese, 17. November 1545, ASP, Casa e corte farnesiana, b. 11.
[19] Giorgio Chittolini: La formazione dello Stato regionale e le istituzioni del contado, Torino 1979, 277.
[20] Ferrante Gonzaga an Karl V., 1. Februar 1547, AGS, Estado 1194, fol. 311.
[21] Decifrado del los cap.os. sig.os que los conjurados de Plasencia pidieron a Don Fernando antes del effecto, AGS, Estado 1193, fol. 45.
[22] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 175-177.
[23] Chabod: Il ducato di Milano (wie Anm. 4), Bd. 2, 120.
[24] Ebd., Bd. 2, 211.
[25] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 191.
[26] Capitulacion secreta, AGS, Estado 1274, fol. 18.
[27] Podestà: Dal delitto politico (wie Anm. 1), 200-203.
[28] Ebd., 217f f.
[29] Ebd., 303.
[30] Ebd., 236 f.
Empfohlene Zitierweise:
Gianluca Podestà : Die Herzöge von Parma und Piacenza zwischen Papsttum und Reich , in: zeitenblicke 6 (2007), Nr. 1, [10.05.2007], URL: https://www.zeitenblicke.de/2007/1/podesta/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-8058
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