Schönhausen – ein spätes Kind der Schlösserverwaltung.
Anmerkungen zum ambivalenten Umgang mit dem preußischen Kleinod zwischen 1918 und 2005 [1]
urn:nbn:de:0009-9-13188
Zusammenfassung
Der Beitrag umreißt skizzenhaft einige wesentliche Aspekte der Nutzungsgeschichte von Schloss Schönhausen im 20. Jahrhundert und bezieht im Vergleich Schloss Bellevue mit ein. Anhand der Eröffnungsrede von 1936 wird die neue Funktionssetzung des Hauses analysiert. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für bauliche Eingriffe werden benannt. Mit der Nutzung des Schlosses als Amtssitz des Präsidenten der DDR sowie als Gästehaus der DDR-Regierung erhielt der ehemalige Sommersitz der Königin Elisabeth Christine wiederum eine wesentliche zeithistorische Bedeutungsebene, die sich im denkmalpflegerischen und musealen Konzept für die 2006 begonnene umfassende Sanierung des Schlosses niederschlug.<1>
Jens Jessen warf in der Zeit vom 11.01.2007 denkmaltheoretische Fragen auf: “An der erschreckenden Schwäche des Denkmalschutzes sind Politiker und Investoren nicht alleine schuld. Es gibt auch eine spezifisch deutsche Überdehnung des Begriffes, die das ästhetisch Wertvolle nach und nach durch das Kriterium des historisch Interessanten ersetzte und dieses Interessante schließlich in jedem Zeugnis einer Epoche sehen wollte […] Der Gewinn für die Denkmalpflege lag in der Objektivität, die Geschmacksfragen ausschloss; der Verlust betraf die Unterstützung der Bürger, die den Perspektivwechsel nicht nachvollzogen.“ [2] Bezogen auf Schönhausen eröffnete Frank Pieter Hesse auf dem 19. Berliner Denkmaltag am 9. September 2005 die öffentliche Debatte zum konzeptionellen Umgang mit dem zu sanierenden Schloss: “Die denkmalpflegerischen Aspekte freilich sind aus der Denkmalbedeutung und dem materiellen Denkmalbestand abzuleiten, wie diese in diesem Bauwerk vielschichtig vergegenständlicht sind und mehr umfassen als die Zeit der Hohenzollern.“ [3] Die ersten – teilweise heftigen – Diskussionen mit den Bürgern wurden Wochen zuvor während der zahlreichen Führungen am Tag der offenen Tür am 26. Juni in Schönhausen geführt. Die extremen Standpunkte spannten den Bogen vom “Abräumen aller unwerten Ergänzungen“ möglichst seit dem Tode der Königin Elisabeth Christine bis zum Erhalt des Status quo. Die Wortgefechte kreisten beispielsweise um das Bewahren des von Gorbatschow als letztem Staatsgast Honeckers genutzten Bettes oder konzentrierten sich auf Abriss oder Erhalt der 1950 errichteten Parkmauer, die den Präsidentengarten seitdem vom übrigen Schlosspark trennt. Die Stiftung war gut beraten, diese Diskussionen ins denkmalpflegerische und museale Konzept einfließen zu lassen. Im günstigsten Fall wird die Debatte ihre Fortsetzung mit der geplanten Eröffnung des Schlosses Ende 2009 finden und somit zum eigentlichen Gegenstand des Hauses werden.
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Verglichen mit dem Gros der anderen Schlösser, die nach 1990 in die Obhut der Stiftung kamen, schienen Frage und Antwort auf die jeweilige konzeptionelle Ausrichtung relativ einfach. Zumindest sehen die Ergebnisse danach aus, die hier nicht näher bewertet werden können. Aber allein der Umstand, dass politische Mandatsträger für die Entscheidung über eine künftige Nutzung Schönhausens 15 Jahre benötigten, verweist auf kompliziertere Ausgangsbedingungen in Pankow. Höhepunkt jener Auslotungsphase war die Überlegung, das Schloss zum Interimssitz des Bundespräsidenten für die Zeit der Sanierung Bellevues zu küren. So gerieten zwei Schlossplätze ins Visier, die auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten aber doch viel miteinander zu tun haben.
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Im Folgenden sollen Fragestellungen im Wesentlichen anhand einer Quelle entwickelt werden. Am 24. Oktober 1936 hielt der preußische Staats- und Finanzminister Johannes Popitz anlässlich der Übergabe des sanierten Schlosses Schönhausen an die Reichskammer der bildenden Künste eine Ansprache, aus der im Weiteren zitiert werden soll. [4]
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Nach einem umfassenden Exkurs zur Geschichte des Schlosses kommt der monarchistisch-nationalkonservativ gesinnte Popitz – kein NSDAP-Mitglied, aber überzeugter Anhänger des autoritären Führerstaates – zum Urteil über Friedrich II., der im Vergleich zu der Hausherrin von Schönhausen natürlich besser abschneidet: “Diese Tragik menschlicher Einsamkeit einer fürstlichen Frau bedeutet gewiß wenig gegenüber der Tragik der Einsamkeit des Ruhmes des großen Königs, der nur seinem Staate, seinem Volke, seiner Armee und seiner Liebe zur Weisheit gehörte.“ Popitz, der später zum Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerdeler zählte, gibt als preußischer Finanzminister sein Bekenntnis zum Landeserbe kund und verweist auf den eben angemahnten zweiten Blick: “Dann [nach der Nutzung durch die Fürstin Liegnitz 1840-42; D.F.] verwilderten Schloß und Park. Weder in königlicher Zeit noch in der Nachkriegszeit wußte man eine Verwendung. Schwamm und Wurm nagten an dem Bau, Parkett und Treppen waren eingebrochen, die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden, der schöne Rokokoschmuck fiel von Decken und Spiegeln. In diesem Zustande fand ich das Schloß, als ich es besuchte, um mich über die Notwendigkeit von Erhaltungsarbeiten zu überzeugen, ohne die der völlige Untergang zu befürchten war. Aber sinnvoll konnte eine solche Erhaltungsarbeit nur sein, wenn den Räumen auch ein neuer Zweck gesetzt wurde. Ein Vorbild für solche wirklich produktive Denkmalpflege bot die wundervoll gelungene Wiederherstellung des Schlosses Bellevue, in dem das Museum für deutsche Volkskunde seine Stätte gefunden hat, und das ich vor über einem Jahre zu meiner Freude einweihen und seinem neuen Zwecke übergeben konnte.“
Abb. 1
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Hier kann ein erstes Problemfeld benannt werden: Beide Hohenzollernschlösser kommen als Konkursmasse des untergegangenen Kaiserreiches 1918 in die Obhut des preußischen Finanzministers und behalten diesen Status auch nach dem “Gesetz über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staate und den Mitgliedern des vormals regierenden Preußischen Königshauses“ (Inkraftsetzung am 29.10.1926). Da beide offensichtlich nicht in das Konzept der `Museumsschlösser´ zu integrieren sind, finden sie sich ab 1. April 1927 somit auch nicht in der `Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten` wieder. Welche Konsequenzen hat dies für beide Schlösser, die bis dahin ihre spätbarocken und frühklassizistischen Strukturen bewahrt hatten? Hier sei erwähnt, dass sich Popitz in beiden Eröffnungsansprachen für “produktive Denkmalpflege“ und “Wiedererweckungsarbeit“ beim “Oberregierungs- und Baurat Schonert“ [5] bedankte. In beiden Schlössern war der Leiter der Schlossbauverwaltung für die Umbauarbeiten verantwortlich.
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Erich Schonerts Sanierungsansatz band zwar denkmalpflegerische Erhaltungsmaßnahmen mit ein. Seine Planungen waren jedoch vorrangig auf die Schaffung eines Schlossmuseums mit 25 Ausstellungsräumen ausgerichtet. Somit erfuhr Schönhausen ebenfalls das Schicksal der von Georg Dehio bereits 1911 bedauerten “Zerreißung des Bandes zwischen mobiler und monumentaler Kunst“. [6] Vermutlich wurden erst jetzt die letzten noch vorhandenen Tapeten aus der ursprünglich reichen Kollektion des 18. Jahrhunderts entnommen. [7] “Die Wände der Ausstellungsräume erhielten, soweit sie nicht Vertäfelung hatten, helle, grau getönte Raufasertapeten.“ [8] Mit Schönhausen – wie kurz zuvor auch mit Bellevue – knüpfte man nicht an das Modell der Museumsschlösser der 1927 gegründeten Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten an, das den ehemaligen Besitz der Hohenzollern als Kunstensemble von Architektur, Ausstattung und Gärten bewahren sollte. Mit den Umbauarbeiten 1935/36 wurde der bis dahin erhaltene Grundriss des barocken Sommersitzes in Teilen empfindlich gestört, um die Infrastruktur für ein modernes Schlossmuseum mit Ausstellungsräumen (die ihre noch vorhandenen bauzeitlichen Ausstattungen – wie Türen, Holzverkleidungen, Fußböden – zwar weitestgehend behielten, jedoch größtenteils barocke Farbfassungen auf den Holzbauteilen durch allzu gründliche Renovierungsanstriche verloren), Zentralheizung, Toilettenanlagen, ja auch mit einem Café und den entsprechend notwendigen Kücheneinrichtungen zu schaffen. Neben den noch erhaltenen, zur ursprünglichen Raumausstattung gehörenden Konsoltischen in der Zedernholzgalerie standen nun die Cafétische der 1930er Jahre. Andererseits unterlag Schonert dem Wunsch nach “Genuss“ und ließ es an “Pietät“ [9] gegenüber dem Denkmal fehlen. Für die Translokation zweier Stuckdecken aus dem Hohen Haus in der Klosterstraße wurde eine nahezu vollkommen erhaltene Raumsituation aus der Zeit Elisabeth Christines zerstört. Die Bergung einer Kaminplatte aus der frühen Umbauphase unter Friedrich III. (I.) verführte den Architekten zu weiteren Reproduktionen (auch nach anderen Vorlagen), um die Räume zu schönen. Mit dem Ergebnis dieser Eingriffe verlor das Schloss an Authentizität und erhielt eine – nunmehr mit historischem Abstand betrachtet – weitere Denkmalschicht.
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Die zuvor gestellte Frage nach den Konsequenzen für die Schlösser ist in Schönhausen noch immer manifest. Noch heute sind die baulichen Eingriffe von Schonert prägend. In Bellevue sind sie durch den zweifachen Untergang des Schlosses jedoch getilgt worden: den Umbau zum Reichsgästehaus durch Paul Baumgarten bereits ab 1938 und letztendlich durch die Zerstörungen des folgenden Zweiten Krieges.
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Zurück zur Quelle: Popitz, der die Übergabe des Schlosses mit der Eröffnung einer ersten Ausstellung mit dem bezeichnenden Titel “Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ verbindet, formuliert klar die neue inhaltliche Zielrichtung für Schönhausen: “Nun hat sich auch für dieses verwunschene Lustschloß eine Bestimmung gefunden. Lebendige Kunst soll in diese köstlichen Rokokoräume einziehen […] So hat der Preußische Staat ein Heim bereitet, das einen wundervollen Rahmen abzugeben vermag, zu dem, was es aufnehmen soll. Ein Kunstwerk der Vergangenheit steht bereit, damit in ihm sich die Kunst des Dritten Reiches entfalten und zeigen kann. Mögen die Künste der Gegenwart, die Maler, die Bildhauer, die Kunsthandwerker, die Baugestalter, aus der Schönheit der Stätte, die ihnen bereitet ist, die Verpflichtung herleiten, alle ihre Kräfte anzusetzen, um –im Sinne des heißen Wunsches unseres Führers – für die Blüte von Volk und Staat die künstlerische Form zu finden.“ [10]
Abb. 2
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Beide hier betrachteten Schlösser fielen mit ihrer weiteren Nutzung in Form und Inhalt auseinander, fungierten weitestgehend nur noch als bezugslose historische Hülle. Wie schon zitiert, übernahm Bellevue mit dem Museum für deutsche Volkskunde die propagandistische Funktion zur Proklamation der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Theorie. Der Fragenkreis nach dem konkreten Ausstellungsprogramm im Schloss Schönhausen bis 1945, das auf die Präsentation der den Nationalsozialisten opportunen zeitgenössischen Kunstwerke zielte, ist noch nicht in aller Tiefe erschlossen. Auch die ausstellungspolitische Zäsur zu den bis 1934 hier gezeigten Kunstwerken durch den Künstlerbund Norden bedarf noch einer näheren Betrachtung.
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Jedoch kam auch die unbotmäßige Kunst ins Schloss. Schönhausen fungierte zeitweilig als Depot für die sogenannte ´entartete Kunst´. Die konkreten Umstände der Deponierung der verfemten Kunstwerke sind noch zu recherchieren. Es ist auffällig, dass nicht nur Räume im Mezzaningeschoss, sondern auch Ausstellungsräume im Erdgeschoss für die Zwischenlagerung der Werke unter anderem von Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck oder auch Vincent van Gogh und Pablo Picasso genutzt wurden. Zeitweilig muss es also auch zur Unterbrechung des Ausstellungsprogramms gekommen sein.
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Popitz, der am 2. Februar 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde, konnte nicht mehr die radikalen Brüche erleben, die auch mit beiden Schlössern nach 1945 vollzogen wurden. 1935 hob er Schönhausen noch als Stätte der Geheimverhandlungen mit dem kaiserlichen Hof zur Erringung der preußischen Krone unter Friedrich III. hervor und schwor die Zuhörer in Schönhausen auf den Ort der “Begründung der Großmachtstellung des jungen preußischen Staates“ [11] ein.
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Beide Schlösser wurden schließlich Sitz der höchsten Repräsentanten zweier deutscher Nachkriegsrepubliken, die sich im Ergebnis des Kalten Krieges 1949 konstituierten. Freilich übernahm Bellevue diese Rolle erst wenig später und nur in der Funktion einer Zweitausführung.
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Vor der Folie einer repräsentativen, feudalen Architektur – die Räume, wie zum Beispiel das Arbeitszimmer des Präsidenten, erhielten mit der Neueinrichtung allerdings auch Möbel, die sich an den 1920er und 1930er Jahren orientierten [12] – residierte ein `Arbeiterpräsident´ mit dem postulierten Anspruch, Präsident der ersten deutschen demokratischen Republik zu sein. Die bewusste Abgrenzung von vermeintlich negativ besetzten Traditionen zeigte unterschiedliche Qualitäten. Sie reichte von einer künstlerisch anspruchsvollen Neugestaltung des Präsidentengartens durch Reinhold Lingner über die bezugslose und teilweise mit Zerstörungen einhergehende Umfunktionierung einer einzigartig gestalteten und erhaltenen Galerie friderizianischen Rokokos zum intimen Kinosaal bis zur Entfernung der preußischen Königskrone oberhalb des Bogengiebels der gartenseitigen Fassade und dem Tilgen der königlichen Initialen `EC´ auf dem Kartuschenfeld. Das Vorhaben zur Veränderung des Schlossportals kam (bis auf die Anbringung der beiden Baldachine für die Ehrenposten) nicht zur Ausführung. [13] Hier musste ab 1951 die überlebensgroße Plastik des Stahlgießers, die unübersehbar als Pendant zur hofseitigen Schlossfassade aufgestellt wurde, die Rolle eines neuen Traditionsbegründers übernehmen. So wurde offensichtlich aus der Not eine Tugend gemacht. In Anlehnung an die Losung Georg Büchners “Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ bekam Schönhausen eine neue Identifikation übergestülpt. So praktizierte Wilhelm Pieck als Staatsoberhaupt der neuen Republik das, was seit der Bodenreform mit all den ländlichen `Palästen´ und im Übrigen auch mit Schönhausen bereits durch die Besatzungsmacht vollzogen wurde. [14]
Abb. 3
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Bertold Brecht sah darin keinen Widerspruch. In seinem Kinderlied “Willems Schloß“, das 1950 von Hanns Eisler vertont wurde, gesteht er dem Präsidenten das von innen und außen schöne Schloss zu Repräsentationszwecken zu, denn “(e)r wohnt bei sich zuhause“. [15] Auch Walter Bartel, bis 1953 Privatsekretär von Wilhelm Pieck, suggeriert in seinen Erzählungen aus dem Leben Piecks dem Leser ein Bild vom einfachen Amtssitz: “Das Schloß Niederschönhausen ist ein helles einstöckiges Gebäude, das gar nicht wie ein Schloß aussieht. Eine geschwungene breite Treppe führt von der Vorhalle ins Obergeschoß. Die Räume sind nicht allzu groß; sie sind geschmackvoll und einfach eingerichtet." [16]
Abb. 4
Abb. 5
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Die Not beendete erst der nachfolgende Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mit der Abkehr von Schönhausen und dem Einzug ins neu errichtete Staatsratsgebäude im Zentrum Berlins am Marx-Engels-Platz am 3. Oktober 1964. Das Jahre zuvor gesprengte, kriegsbeschädigte Hohenzollernschloss durfte nur mit dem Zitat des ehemaligen Portals IV an der Lustgartenseite – nunmehr als Mittelachse im neuen Amtssitz integriert – mit neuem Traditionsbezug im Gedächtnis verbleiben, weil Karl Liebknecht von jenem Balkon am 09. November 1918 die erste sozialistische Republik auf deutschem Boden ausgerufen hatte.
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Mit dem Kapitel Gästehaus der DDR-Regierung ab 1964/65 begann für Schloss Schönhausen nicht nur eine neue Nutzungsphase, sondern auch ein tiefer architektonischer Einschnitt, der das Haus bis heute prägt. Mit der jetzigen Entscheidung, auch jene Zeitschicht im Schloss zu akzeptieren und sie im denkmalpflegerischen und musealen Konzept gebührend zu berücksichtigen, schiebt sich die jüngste Geschichte Bellevues wieder ins Blickfeld des Denkmalpflegers. Die Herrichtung als Zweitsitz des Bundespräsidenten ab 1957 führte durch Carl-Heinz Schwennicke zu einer deutlichen Abkehr von historischen Bezügen bei der Innengestaltung, die auf teilweise heftige Kritik stieß. Der damalige Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten Martin Sperlich fällte in gewohnt direkter Art sein Urteil zur Neuausstattung von Bellevue, die seiner Ansicht nach “als die Geschmacksorgie eines zu schnell reich gewordenen Unternehmers der Wirtschaftswunderepoche zu verstehen“ sei und eine “Provinzoperettenwelt aus Kunstgewerbe, Stilmöbelkopien, Deckenvergoldung, Intarsientüren und Stuckmarmorwänden“ [17] darstelle. Gegen den Protest des Berliner Landeskonservators wurde die Ausstattung der 1950er Jahre bis auf zwei Salons im Zuge der gravierenden Umbauarbeiten 1986/87 aufgegeben. Dieses Beispiel jüngst praktizierter Berliner Denkmalpflege steht bei der heutigen Bewertung der Umbaumaßnahmen und Neueinrichtung von 1964/65 durch Hans Hoßfeld in Schönhausen zu Buche.
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Für den Zeitraum der Geschichte Schönhausens ab 1918 ergibt sich ein vielschichtiges Fragenfeld, das hier nur skizzenhaft angerissen werden konnte. Die Geschichte Schönhausens endete nicht mit dem Tode der Königin 1797 oder dem Ende der Monarchie 1918. In anderen, nicht weniger bedeutenden Facetten fand sie ihre Fortsetzung bis zur Übergabe des Schlosses an die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im Jahre 2005. Die seit 2006 begonnene umfassende Instandsetzung des Schlosses und in Teilen des Gartens schreibt die Schlossgeschichte fort.
Abb. 6 und 7
Die Qualität der Fortschreibung wird dabei maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit es gelingt, die Gesamtgeschichtlichkeit des Hauses in ihren wesentlichen Spuren zu bewahren und zu präsentieren. Das Schloss wird sein zwitterhaftes Wesen künftig dem Besucher nicht verbergen. In wesentlichen Zügen wird es die ihm zugedachte ursprüngliche Ästhetik aus dem 18. Jahrhundert zurück erhalten und auch mit der musealen Ausstattung aus dem Kunstbesitz Elisabeth Christines die kunsthistorisch so wichtige Phase des friderizianischen Rokokos in Berlin im ausgewogenen Verhältnis von Originalität, Rekonstruktion und Verlust dokumentieren. Die Veränderungen durch Erich Schonert sind manifest. Daneben bleibt jedoch auch gebührender Raum für die Präsentation Schönhausens als Amtssitz von Wilhelm Pieck und als Gästehaus der DDR-Regierung. Die Stiftung wird somit dem künftigen Besucher ein Angebot unterbreiten, das nicht nur auf ästhetischen Kunstgenuss zielt, sondern auch auf eine kritische Rezeption eines Schauplatzes deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Dr. Detlef Fuchs
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Abteilung Baudenkmalpflege
Postfach 60 14 62
14414 Potsdam
e-mail:
d.fuchs@spsg.de
[1] Bei dem Text handelt es sich um einen leicht ergänzten – ursprünglich reich illustrierten – Vortrag, der im Rahmen eines gemeinsam veranstalteten Workshops der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam im Schloss Glienicke am 19.01.2007 gehalten wurde.
[2] Jens Jessen: Gefährlicher Eifer. Über die Denkmal-Ideologie, in: Die Zeit 3 (2007), 31-32, hier: 31.
[3] Frank Pieter Hesse: Schloss Schönhausen – Konservatorische Leitlinien für einen vielschichtigen Denkmalort,
Vgl. hierzu auch den Tagungsbeitrag Detlef Fuchs aus dem hier eine kurze Passage verwendet wurde: Elisabeth Christine oder Wilhelm Pieck? Zum musealen Konzept für das Schloss Schönhausen zu Berlin, in: Brandenburgische Denkmalpflege 1 (2006), 39-43.
[4] Johannes Popitz: Ansprache des preußischen Staats- und Finanzministers Professor Dr. Popitz bei der Übergabe des Schlosses Schönhausen an die Reichskammer der bildenden Künste am 24. Oktober 1936, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 46 (1936), hier: 1285 f.
[5] Vgl. Anmerkung 4, hier 1286.
[6] Georg Dehio: Denkmalpflege und Museen, in: ders.: Kunsthistorische Aufsätze, München/Berlin 1914, 283-293, hier: 289.
[7] Teile der Tapete aus dem nördlich von der Zedernholzgalerie gelegenen Kabinett befinden sich heute im Deutschen Tapetenmuseum Kassel, Fragmente davon auch im Depot der SPSG. Inzwischen konnten auch aus zwei weiteren Räumen des Erdgeschosses Tapeten in den Depotbeständen der SPSG identifiziert werden. Vgl. hierzu den Beitrag von Franziska Windt.
[8] Erich Schonert: Schloss Schönhausen, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 46 (1936), 1287-1298, hier: 1298.
[9] Vgl. Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege, in: ders.: Kunsthistorische Aufsätze, München/Berlin 1914, 261-282, hier: 268.
[10] Vgl. Anmerkung 4, hier: 1286.
[11] Vgl. Anmerkung 4, hier: 1286.
[12] Vgl. hierzu den Beitrag von Alfred Hagemann.
[13] Vgl. Uwe Schwarz: Denkmalpflegerische Bestandserfassung der Erweiterungsbauten und des Gartens am Schloß Schönhausen in Berlin-Pankow für den Amtssitz des Präsidenten (1949-60) und das Gästehaus der DDR-Regierung (1960-89). Abschlußarbeit im Aufbaustudium Denkmalpflege der TU Berlin 2001, ungedruckt, Abschnitt 3.2.
[14] Das Schloss diente nach der Besetzung durch die Rote Armee als Schule und Internat für Angehörige von Mitgliedern der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland.
[15] Bertold Brecht:
Willems Schloß
Willem hat ein Schloß.
Es heißt Niederschönhausen.
Von innen ist es schön
Und schön ist es von außen.
Willem ist nicht da.
Er wohnt bei sich zuhause.
Sieht dort auch mal ’nen Freund
Und macht auch mal ’ne Pause.
Wenn die Republik
Will sehn den Präsidente
Kommt Willem in sein Schloß
Und schüttelt viele Hände.
Bertold Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (Hg. v. Werner Hecht/Jan Knopf u.a.), Berlin/Weimar/Frankfurt a.M. 1988-2000, Bd. 15, hier: 222.
[16] Walter Bartel: Bei den Kindern zu Besuch. Erzählungen aus dem Leben Wilhelm Piecks, 11. Auflage, Berlin 1977, hier: 143.
[17] Zitiert nach Ernst A. Busche: Bellevue. Vom königlichen Lustschloß zum Amtssitz des Bundespräsidenten, Leipzig 2005, hier: 142 u. 145.
Empfohlene Zitierweise:
Detlef Fuchs : Schönhausen – ein spätes Kind der Schlösserverwaltung. , in: zeitenblicke 7 (2008), Nr. 1, [05.06.2008], URL: https://www.zeitenblicke.de/2008/1/fuchs/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-13188
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