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Ein prominenter Vertreter der europäischen Politikgeschichtsschreibung, Lucien Bély, hat im Jahr 2007 den Band "L'art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne" vorgelegt, in dem er vor allem aus französischer Sicht die Herausbildung einer professionellen Diplomatie nachzeichnet. Hält man dort nach Frauen Ausschau, so gewinnt man einen geradezu klassisch zu nennenden Befund: Frauen erscheinen in knappen Erwähnungen als Ehefrauen, Mütter, Erbinnen in dynastischen Krisensituationen, als Salonnièren, nur ganz selten jedoch als Akteurinnen auf politisch-diplomatischem Parkett.
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Frauen spielten in der Politik- und Diplomatiegeschichte bislang eigentlich nur dann eine Rolle, wenn sie als Regentinnen die innere und äußere Politik eines Landes weitgehend selbstständig gestalten konnten. Außerdem traten sie in Erscheinung, wenn sie aus politischen Erwägungen sozusagen stellvertretend für männliche Mitglieder der Familie agierten, etwa als Vormünderinnen. Schließlich gibt es in der älteren Literatur noch das Phänomen der "femme forte" im politisch-diplomatischen Kontext, Frauen, die aufgrund einer besonderen Position im bzw. zum Fürstenhaus, etwa als Mätresse, als politisch einflussreich und bedeutend für Entscheidungen in klassischen diplomatiegeschichtlichen Quellen in Erscheinung traten und deshalb von der Forschung auch wahrgenommen wurden.
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Aber es lässt sich in den letzten Jahren doch ein Trend zur Erweiterung der Fragestellungen und Betrachtungsweisen erkennen, hin zu einem erweiterten Politikbegriff, der über die traditionellen "Haupt- und Staatsaktionen" hinausgeht, hin zur Rekonstruktion von Diskursen und Praktiken im Rahmen zeitgenössischer Macht- und Herrschaftsstrukturen, hin zu Politik als Handlungsraum. Für diesen Trend steht etwa der 2005 von Barbara Stollberg-Rilinger herausgegebene Band zur Kulturgeschichte des Politischen [1].
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In der damit begonnenen Erweiterung und Historisierung des Politik-Begriffs trifft sich die Kulturgeschichte des Politischen mit der Geschlechtergeschichte, in der eine Erweiterung des "klassischen", aus der Sicht des 19. Jahrhunderts konstruierten Politik-Begriffs als Voraussetzung für die "Wiederauffindung" politisch handelnder Frauen in der Frühen Neuzeit schon seit längerem gefordert wird. Bereits die seit den 1980er Jahren geführte Debatte um die Trennung von "Öffentlich" und "Privat" hat in diese Richtung gewiesen. Sie ist nicht zu trennen von Diskussionen um politische Handlungsmöglichkeiten von Frauen, die allerdings lange eher auf Themen der neueren und neuesten Geschichte fokussiert waren. Schon in ihren frühen Arbeiten hat etwa Natalie Zemon Davis politische Spielräume von Frauen in der Frühen Neuzeit thematisiert und dabei vorrangig städtische Gesellschaften Frankreichs in den Blick genommen. [2]
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Erst seit Beginn der 1990er Jahre lässt sich dann eine Hinwendung auch zur Untersuchung politischer Handlungsmöglichkeiten von adligen Frauen und insbesondere von Fürstinnen erkennen, denen die frauen- und geschlechtergeschichtliche Forschung bis dahin wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Zwar haben biographische Studien zu Fürstinnen eine lange historiographische Tradition, aber neu ist jetzt, dass die politisch aktive Fürstin nicht mehr als Zufälligkeit und Ausnahme thematisiert wird [3]. Vielmehr geht es seitdem verstärkt darum, die Positionen von adligen Frauen und Fürstinnen im politischen System der Frühen Neuzeit intensiver und umfassender zu behandeln. Trotzdem sind konkrete Untersuchungen zu politisch handelnden Frauen der adlig-höfischen Gesellschaft und ein allgemeineres Nachdenken über Handlungsspielräume, -legitimationen et cetera im deutschsprachigen Raum noch eher selten.
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Dies war der Ausgangspunkt für einen Workshop, der im Juni 2008 an der Universität Mainz stattfand, und dessen Beiträge in dieser Ausgabe der "zeitenblicke" dokumentiert sind. Veranstaltet wurde er im Kontext einer Gastprofessur für internationale und interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, die das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz regelmäßig ausschreibt. Dieser Institution ebenso wie dem Fachbereich 07 Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gilt daher mein Dank für interessante und bereichernde Wochen in Mainz allgemein ebenso wie für die Unterstützung des Workshops im Besonderen. Ebenso danke ich Prof. Dr. Matthias Schnettger, der Einladung und Workshop anregte, sowie Annette Reese, M.A., deren Organisationstalent vieles für mich einfacher gestaltete. Frau Anna Matzkowitz war an der Durchführung des Workshops ebenso beteiligt wie an der Bild- und Textredaktion im Vorfeld dieser Ausgabe; auch ihr gilt mein Dank.
Wien, im März 2009
Katrin Keller
[1] Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (= ZHF Beiheft 35), Berlin 2005.
[2] Z. B. Natalie Zemon Davis: Women on top, in: dies.: Society and Culture in Early Modern France, Stanford 1975 (deutsch 1987).
[3] Pauline Puppel: "Virilibus curis, fæminarum vitia exuerant". Zur Konstruktion der Ausnahme, in : Jens Flemming u.a. (Hg.): Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse, Festschrift für Heide Wunder, Kassel 2004, 356-376.
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Keller : Editorial , in: zeitenblicke 8, Nr. 2, [30.06.2009], URL: https://www.zeitenblicke.de/2009/2/editorial/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-19647
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